Der Pianist und sein Chronist
HauskonzertEs gibt die Musiker, die weit über ihre künstlerische Tätigkeit hinaus die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen. Bei Igor Levit war es früh, bereits am Anfang seiner Karriere, sein Bestreben, ...
Es gibt die Musiker, die weit über ihre künstlerische Tätigkeit hinaus die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen. Bei Igor Levit war es früh, bereits am Anfang seiner Karriere, sein Bestreben, sich nicht beschränken und begrenzen zu lassen auf die Rolle des Tastenlöwen, der zufrieden ist mit der Relevanz, die die Gesellschaft bereit ist, dem Künstler zuzubilligen.
Wahrscheinlich selten bei dieser Art Buch: geschrieben für Musikliebhaber wie für Klassikbanausen, für Hobbymusiker und auch für Profis, für alerte Zeitgenossen und diejenigen, die den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nur wenig Aufmerksamkeit zollen. Was Igor Levit auszeichnet, ist neben seiner exzeptionellen Aufführungspraxis eine geistige Präsenz, Wachheit, Betroffenheit von unserem Heute, so dass er wirklich etwas zu sagen hat.
Gewiss, sein Interviewpartner ist legitimiert, über diesen Pianisten und Zeitgenossen etwas zu sagen. Problematisch aber, dass dieser Chronist, der ganz bewusst die Corona-Krisenzeit wählt, um das intendierte Buchprojekt auf den Weg zu bringen, so gar keine Distanz zu seinem Gegenüber wahrt. Allzu sehr gewinnt der Leser den Eindruck, dass der Co-Autor ganz und gar Verstärker und Sprachrohr dieses Musikers ist, dass er sich ihm übermäßig anempfindet, geradezu als Levit 2.0 figuriert. Die Zerrissenheit dieses Ausnahmekünstlers dem Publikum verdeutlichen zu wollen, bedeutet ja gerade nicht, als sein Echo aufzutreten. Eine nüchternere Sprache, ein emotionaler und gedanklicher Abstand wäre eher geeignet, die spezielle persönliche Verfassung dieses Pianisten darzustellen.
Die Zäsur, die gefährliche Klippe jedoch, die dieses Nicht-Jahr für die gesamte Gesellschaft, den Kunstbetrieb und insbesondere für dieses hochsensible Individuum darstellt, vermag der nicht-chronologische Aufbau dieses Buches überzeugend zu vermitteln. Etliche Projekte hat Levit umgesetzt, um sich der bleiernen Betäubung durch die Pandemie entgegenzustemmen. Das Unkonventionelle, das grundlegend Neue dieser künstlerischen Ideen ruft das Buch auch für diejenigen wach, die sie nicht unmittelbar im Netz rezipiert haben. Doch ebenso präsent ist die unmittelbare psychische Gefährdung, die hoffentlich nicht zu einem willkürlichen Abbruch der aktiven künstlerischen Tätigkeit führen wird.