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Veröffentlicht am 09.04.2017

Suche in der Vergangenheit

Die Zeit, in der wir träumten
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Die Journalistin Sarah Havensworth lebt mit ihrem Mann Hunter in San Francisco und beide sind glücklich verheiratet. Da Hunter recht vermögend ist, kann Sarah ihr Studium weiterführen und an ihrem Roman ...

Die Journalistin Sarah Havensworth lebt mit ihrem Mann Hunter in San Francisco und beide sind glücklich verheiratet. Da Hunter recht vermögend ist, kann Sarah ihr Studium weiterführen und an ihrem Roman schreiben. Bei der Recherche zu ihrem Buch findet sie einen Zeitungsausschnitt, der über zwei Näherinnen berichtet, die 1876 spurlos verschwunden sind. Sarah ist von dieser Geschichte fasziniert und stellt weitere Nachforschungen an. Doch was sie dabei entdeckt, stellt ihr Denken über die Familie ihres Mannes auf den Prüfstand. Was hat Hunters Familie mit dem Verschwinden der beiden Frauen zu tun? Aber auch Sarah selbst sieht sich mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, sie hütet schon lange ein Geheimnis, von dem nicht einmal ihr Mann etwas weiß. Wird sie sich dem stellen können?

Meredith Jaeger hat mit ihrem Buch „Die Zeit, in der wir träumten“ einen sehr unterhaltsamen und spannenden Roman vorgelegt, der sich über zwei Handlungsebenen erstreckt und Historisches mit der Gegenwart auf wunderbare Weise verbindet. Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven, die zum einen im 19. Jahrhundert spielen und zum anderen in der Gegenwart, wird eine Spannung erzeugt, die sich immer mehr hochschraubt bis zum finalen Ende. Der Schreibstil ist schön flüssig und fesselnd, dabei auch gefühlvoll; er lässt den Leser schnell in die Handlung eintauchen und sich von der Geschichte einfangen. Der historische Hintergrund wurde von der Autorin sehr gut recherchiert und perfekt in die Handlung integriert; er zeigt die damaligen gesellschaftlichen und familiären Gegebenheiten auf, das harte Leben der Einwanderer und Arbeiter und dazu der extreme Gegensatz der Reichen und Wohlbetuchten.

Die Charaktere sind sehr differenziert angelegt und überzeugen durch ihre Ecken und Kanten sowie durch ihre Lebenseinstellung. Sie wirken sehr wirklichkeitsnah und authentisch. Sarah ist eine sympathische Frau, die sich eigentlich glücklich schätzen kann, mit ihrem Mann ein sorgenfreies Leben zu führen. Doch sie hat etwas aus ihrer Vergangenheit ganz tief in sich verschlossen und hütet dieses Geheimnis, das nicht einmal ihr Ehemann kennt. Sie wirkt zwar äußerlich recht stark und unabhängig, jedoch ist sie eigentlich eine unsichere Frau, die sich im Geiste ständig umdreht, als ob sie verfolgt wird. Hunter stammt aus reichem Elternhaus, musste sich nie um etwas Sorgen machen. Er hat eine gute Erziehung genossen und hält seinen Reichtum für selbstverständlich. Doch er ist auch ein sympathischer Mann, der seine Frau liebt und eigentlich ihr Vertrauen verdient hätte. Hannah ist eine junge Frau, die schon recht früh Verantwortung tragen und zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen muss. Sie hat ein recht hartes Leben, in der Familie herrscht nicht gerade ein Überfluss an Liebe und Gefühlsbezeugungen. Hannah ist eine gute Freundin und sorgt sich um ihre Mitmenschen, geht den Dingen auf den Grund und lässt sich nicht unterkriegen. Lucas und Robert sind Cousins aus reichem Hause und vom Leben verwöhnt. Sie haben sich bisher keine Gedanken darüber gemacht, wie es in anderen Gesellschaftsschichten aussieht und wie es den Menschen in armen Familien geht, so bringt die Konfrontation damit einiges an Entsetzen und Unglauben.

„Die Zeit, in der wir träumten“ ist ein wunderbarer und fesselnder Roman über Familiengeheimnisse, wobei die Mischung aus historischer und gegenwärtiger Handlung einfach unwiderstehlich ist und hier besonders schön ausgearbeitet wurde. Ein spannender Pageturner, der sich lohnt. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 02.04.2017

Verrückt nach Meer

Meerblick inklusive
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Meikes Leben wird gerade gehörig durchgeschüttelt: die plötzliche Trennung von Freund Tom und damit der eher unfreiwillig Auszug aus der gemeinsamen Wohnung ausgerechnet zurück ins elterliche Kinderzimmer ...

Meikes Leben wird gerade gehörig durchgeschüttelt: die plötzliche Trennung von Freund Tom und damit der eher unfreiwillig Auszug aus der gemeinsamen Wohnung ausgerechnet zurück ins elterliche Kinderzimmer und dann auch noch der Verlust ihres Jobs. Da platzt die Nachricht herein, dass ihre Oma Elisabeth ihren Ehemann nach 50 Jahren einfach Knall auf Fall sitzenlässt und verschwindet. Meikes Opa, ein wahres Juwel von Kotzbrocken, kümmert sich lieber nur um sich selbst und seine Bedürfnisse, es scheint, als wäre es ihm gerade recht, mal freie Bahn zu haben. Auch Meikes Eltern sind nicht gerade in Sorge. Meike, die zu ihrer Oma ein ganz besonders herzliches Verhältnis hat, macht sich auf, sie Oma zu suchen und landet auf der Insel Amrum, die für ihre Großmutter immer schon eine ganz besondere Bedeutung gehabt hat. Ihre Oma bleibt zwar weiterhin verschwunden, doch tagtäglich trifft Meike auf nette Inselbewohner, die sie bei der Suche nach Elisabeth unterstützen. Meike fühlt sich auf Amrum immer heimischer, das mag zum einen an der verhexten Pension liegen, in der sie abgestiegen ist, wo eine Heilerin und ein Schamane mit ihr unter einem Dach leben und sie in die Welt der Meditation und Spiritualität einweihen, aber auch an Barne, dem rauhbeinigen Typen, den sie bereits auf der Fähre kennengelernt hat. Die Antworten auf Fragen über ihre Oma eröffnen Meike einiges aus deren Vergangenheit und die Spur zu einem Geheimnis, welches es zu lüften gilt. Wird Meike ihre Oma finden und wie wird es nach all den Niederlagen in ihrem eigenen Leben weitergehen?

Anna Rosendahl hat mit ihrem Buch „Meerblick inklusive“ einen wunderschönen und unterhaltsamen Roman vorgelegt, der schon beim Anblick des Covers ein tolles Urlaubsflair verbreitet und mit der Geschichte endgültig für „Lust auf Meer“ sorgt. Der Schreibstil ist warmherzig, gefühlvoll und mit einer gewissen Situationskomik gespickt, auch der Inseldialekt kommt zeitweilig zum Tragen und macht die Geschichte umso authentischer. Der Leser begibt sich mit Einstieg in die Handlung auf ein gemeinsames Abenteuer mit Meike und macht dabei die Bekanntschaft von einigen sehr skurrilen und recht außergewöhnlichen Menschen, die so echt wirken, dass man den einen oder anderen anhand ihrer Eigenarten im eigenen Umfeld identifizieren könnte und sofort ein Bild vor Augen hat. Dieses Buch verursacht ein herrliches Kopfkino, dass durch die lebendigen und bildgewaltigen Landschaftsbeschreibungen der Insel Amrum sowie der süßen Köstlichkeiten ein wohliges Gefühl und einen Schmerz von Fernweh noch unterstrichen wird.

Die Charaktere sind ein bunter Haufen von verrückten Typen und Normalos, wie sie jedem von uns jeden Tag begegnen, hier tauchen sie nur in etwas geballter Form auf, was dem Ganzen eine besondere Note verleiht. Dabei sind die Protagonisten mit liebevoller Hand gezeichnet und alles andere als perfekt, aber gerade deshalb fühlt man sich mit ihnen pudelwohl und möchte lange bei ihnen verweilen. Meike ist eine sehr sympathische Frau, die gerade mitten in einer Pechsträhne steckt. Doch das Schicksal ihrer Oma ist ihr wichtiger als alles andere, was einen ausgesprochenen Sinn an Mitgefühl, Herz und Empathie zeigt. Meike macht sich Sorgen und leider ist sie die Einzige aus ihrer Familie, denn ihr Vater ist eher sorglos, sprich gleichgültig. Und Omas Ehemann ist ein arroganter und kalter Fischkopp, dem es nur um sich selbst geht. Kein Wunder, dass Oma die Beine in die Hand und Reißaus genommen hat. Für die 50 Jahre Ehe hätte sie noch einen Orden für ihre Geduld verdient. Meikes Ex-Freund Tom ist auch so ein selbstverliebtes Schätzchen, der wohl noch Applaus erwartet, was er doch für ein toller Hecht ist. Barne, der Zufallstreffer an der Fähre, ist ein eher wortkarger und rauhbeiniger Typ, der erst auf den zweiten Blick interessanter wird. Auch die anderen Protagonisten wissen mit ihren kleinen Episoden die Spannung der Handlung zu steigern und dem Leser ein komplettes Bild zu vermitteln.

„Meerblick inklusive“ ist ein Roman, der alles beinhaltet, um sich als Leser wohl und gut unterhalten zu fühlen. Ein Familiengeheimnis, eine Liebesgeschichte, verrückte Typen – alles ist hier vereint und vermittelt auf wunderschöne Weise einen gedanklichen und entspannten Kurzurlaub. Aber Vorsicht: der Abschied fällt wirklich schwer! Absolute Leseempfehlung für alle, die Bücher mit Herz lieben!!!

Veröffentlicht am 01.04.2017

Ränkeschmieden am Hof Ludwig XIII.

Die gefährlichen Intrigen des Marquis de Cinq-Mars
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1640 Venedig. Die junge Gabriella di Montadori ist heimlich verliebt in den Ziegenhierten Angelo. Doch leider haben ihre Eltern andere Pläne mit ihr, ihrem Stand angemessen soll sie den Pariser Adeligen ...

1640 Venedig. Die junge Gabriella di Montadori ist heimlich verliebt in den Ziegenhierten Angelo. Doch leider haben ihre Eltern andere Pläne mit ihr, ihrem Stand angemessen soll sie den Pariser Adeligen Julien de Rochebonne ehelichen. Julien allerdings interessiert sich gar nicht für die junge Frau, sondern nur für das Familienvermögen, denn er hat hohe Spielschulden und benötigt dringend Geld, um diese zu tilgen. Gabriella weiß keinen Ausweg aus ihrer Lage, da kommt ihr der Zufall zu Hilfe. Sie belauscht ein Gespräch zwischen ihrem „zukünftigen“ Ehemann und seinem besten Freund, dem Marquis de Cinq-Mars und erfährt so von den Plänen, Kardinal Richelieu zu beseitigen, damit der Bruder Känig Ludwig XIII. den Thron besteigen kann. Gabriella ist sich der Brisanz der Informationen wohl bewusst und stellt weitere Nachforschungen an. Dabei kommt sie einem Geheimnis des Kardinals auf die Spur und muss nun selbst um ihr Leben fürchten. Wem kann sie trauen und wer wird ihr helfen?

Nora Berger hat mit ihrem Buch „Die Intrigen des Marquis de Cinq-Mars“ einen sehr spannenden historischen Roman vorgelegt, der von der ersten Seite an den Leser zu fesseln weiß. Der Schreibstil ist schön flüssig und lässt den Leser schnell eintauchen in eine vergangene und interessante Zeit, die gespickt ist mit Verrat, Machtspielchen, Spionierereien und Intrigen. Gedanklich verbringt man die erste Zeit in Venedig, um dann nach Frankreich zu reisen. Der historische und politische Hintergrund wurde von der Autorin akribisch recherchiert und sehr gekonnt mit der fiktiven Handlung verwoben. So begegnet der Leser neben den erfundenen Protagonisten auch belegten Persönlichkeiten wie Kardinal Richelieu, König Ludwig XIII. und dem Marquis de Cinq-Mars, dem Günstling des Königs. Durch die geschickte Verflechtung von Fiktion und Realität bekommt der Leser das Gefühl, hautnah bei den Begegnungen und Ränkeschmieden dabei zu sein, am französischen Hof zu wandeln und den Gesprächen hinter verschlossenen Türen zu lauschen.

Auch bei der Auswahl der Charaktere beweist die Autorin ein sehr gutes Gespür. Sie alle wurden liebevoll ausgestaltet und wirken lebendig, kraftvoll und real. Gabriella ist zwar noch eine junge Frau, besitzt aber auch einen eigenen Willen und wehrt sich mit Kräften gegen eine Heirat, die sie nicht will. Ihr Herz gehört einem anderen Mann, auch wenn dieser standesgemäß nicht passend erscheint. Aber Gabriella besitzt keinerlei Standesdünkel, obwohl sie einer wohlhabenden Familie entstammt. Sie ist mutig und auch ein wenig leichtsinnig, denn sie bringt sich durch ihre Neugier in große Gefahr. Julian de Rochebonne ist ein arroganter Schnösel, der sich für etwas Besseres hält. Allerdings ist er dumm genug, sich vom Spielen verführen zu lassen. Nun hat er immense Schulden und muss sehen, wie er diese aus der Welt schafft. Marquis de Cinq-Mars ist ein durchtriebener Mann, der die Position als Günstling des Königs über seinen Vater erreicht hat. Er spielt die Menschen gegeneinander aus und benutzt seine Macht für ein gefährliches Spiel, was ihn am Ende alles kostet. Angelo ist ein einfacher junger Mann, der seinen Lebensunterhalt mit dem Hüten von Ziegen verdient. Ihn umgibt ein Geheimnis, dass es innerhalb des Romans zu lüften gilt. Auch die anderen Protagonisten haben ihren Platz in dieser fesselnden Handlung und tragen zur Steigerung der Spannung ihren Anteil bei.

„Die Intrigen des Marquis de Cinq-Mars“ ist ein opulenter, spannender historischer Roman um politische Ränkeschmiede am französischen Hof des 17. Jahrhunderts, der auch eine schöne Liebesgeschichte zum Inhalt hat. Alle Liebhaber dieses Genres werden hier auf ihre Kosten kommen. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 31.03.2017

Diese Omma ist ein Original!

Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte
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Bianca ist 26 und lebt in Berlin-Kreuzberg. Das Studium hat sie abgebrochen, mit einer Schauspielerkarriere kann sie auch nicht glänzen, so arbeitet sie als Designerin für Seiden-Unterwäsche mit sehr geringem ...

Bianca ist 26 und lebt in Berlin-Kreuzberg. Das Studium hat sie abgebrochen, mit einer Schauspielerkarriere kann sie auch nicht glänzen, so arbeitet sie als Designerin für Seiden-Unterwäsche mit sehr geringem Erfolg, so dass sie nebenbei noch kellnern gehen muss. Als Mitzi, die beste Freundin ihrer Omma Änne, plötzlich das Zeitliche segnet, kehrt auch Änne dem Ruhrgebiet und der Heimatstadt Essen den Rücken und zieht bei Enkelin Bianca ein. Bianca ist misstrauisch, denn Mitzis plötzlicher Tod wirft Fragen auf und auch der Umzug ihrer Oma kommt ihr merkwürdig vor. Auch die restliche Verwandtenmischpoke kommt nach Berlin und schlägt ihr Lager in Biancas Wohnung auf. So löchert Bianca Omma Änne mit Fragen über Fragen, doch Änne druckst ständig nur rum, was Bianca noch mehr anstachelt. Weil die volle Wohnung und ihre Familie ihr auf den Geist gehen, flüchtet Bianca mit der alten Karre ihres Vaters aus Berlin nach Essen und findet sich an Mitzis Grab wieder. Und dann findet sie etwas heraus, dass sie völlig aus der Bahn wirft…

Anne Basener hat mit ihrem Buch „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ einen sehr unterhaltsamen und witzigen Roman vorgelegt, der den Leser ab der ersten Seite in Beschlag nimmt und ihn ständig zu Lachsalven verleitet. Der Schreibstil ist urkomisch, flüssig, temporeich und nah an der Realität mit viel Herz. Wer selbst aus dem Ruhrpott stammt, findet seinen Dialekt wieder und fühlt sich gleich wie zuhause. Durch den interessanten Handlungsaufbau ist es der Autorin zusammen mit vielen Wendungen gelungen, die Spannung immer weiter zu erhöhen, bis das Geheimnis gelüftet wird. Da es in diesem Buch hauptsächlich um das Thema Prostitution geht, finden sich auch so einige anschauliche Sexszenen in diesem Buch, bei denen der eine oder andere vielleicht noch etwas lernen kann. Dabei gelingt es der Autorin auf eine ganz besondere Art, sehr einfühlsam, aber auch treffend zu schildern, ohne beschönigend zu wirken.

Die Charaktere sind wunderbar skizziert und ausgearbeitet worden. Sie wirken sehr authentisch und wie aus dem richtigen Leben, haben Ecken und Kanten und ihre besonderen Eigenheiten, die sie liebenswert und einmalig machen. Omma Änne ist eine sehr starke Persönlichkeit, die sich Gehör verschaffen kann und jederzeit sagt, wo es lang geht. Sie ist schlagfertig und nicht auf den Mund gefallen, weiß sich ihrer Haut zu wehren. Bianca wirkt zu Beginn eher wie eine totale Verliererin, nichts kann sie wirklich richtig gut, hangelt sich von einem Job zum nächsten und hat nur Hirngespinste im Kopf. Aber sie ist Omma Änne auch unheimlich ähnlich, denn sie ist ebenfalls recht gut mit ihrem Mundwerkt, genauso eindringlich und kann keine Ruhe geben, bis sie das Ergebnis kennt. Auch die anderen Protagonisten sind alle auf ihre ganz eigene Art Stützen dieser sehr genialen und unterhaltsamen Geschichte und haben sich ihren Platz in der Handlung mehr als verdient.

„Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ ist ein sehr warmherziger und amüsanter Roman, der schon allein aufgrund seines Covers völlig aus der Reihe tanzt und dessen Inhalt dem Leser Bauchschmerzen von Lachkrämpfen beschert, wobei auch ein kritischer Unterton nicht zu überhören ist. Absolute Leseempfehlung für eine wahre Entdeckung!!!

Veröffentlicht am 25.03.2017

Ist weit weg anders?

Weit weg ist anders
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Die 70 jährige alleinstehende Berlinerin Edith Scholz findet sich nach einem Sturz in ihrer Wohnung auf dem Teppich wieder und ist so hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen. Nur dem Postboten Oskar hat ...

Die 70 jährige alleinstehende Berlinerin Edith Scholz findet sich nach einem Sturz in ihrer Wohnung auf dem Teppich wieder und ist so hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen. Nur dem Postboten Oskar hat sie es zu verdanken, dass sie gefunden wurde und mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus kommt. Nach überstandener Hüftoperation muss Edith zur Reha nach Usedom. Edith, die die Tage am Meer genießt und gern für sich ist, lernt dort die gleichaltrige Christel Jacobi kennen, ihre Zimmernachbarin. Die beiden haben so gar nichts gemeinsam und Edith will auch gar keinen Anschluss. Trotzdem kommt es zu gemeinsamen Unternehmungen, bevor jede zurück an ihren Heimatort reist. Als Edith einige Zeit später einen Brief von Christel mit einer Einladung nach Husum bekommt, überlegt sie nicht lange, denn sie vermisst das Meer und packt ihre Koffer in der Hoffnung, ein paar schöne Tage zu verleben und dem Renovierungskrach in ihrem Wohnhaus zu entgehen. Doch es kommt ganz anders, und auf einmal findet sich Edith als Reisebegleitung von Christel in einem Zug nach Baden-Baden wieder, denn Christel möchte noch einmal was erleben, bevor…

Sarah Schmidt hat mit ihrem Buch „Weit weg ist anders“ einen unterhaltsamen und humorigen Roman mit leicht melancholischem Unterton vorgelegt, der zum Nachdenken anregt. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig, warmherzig und gefühlvoll; er geht mit einem besonderen Witz und einer gelungenen Beobachtungsgabe für Menschen einher. Schnell lernt der Leser Edith kennen, die sich gerade in einer für sie sehr misslichen Lage auf ihrem Flurteppich befindet und weicht ihr fortan nicht mehr von der Seite. Die Autorin versteht es brillant, die Klaviatur der Emotionen einzusetzen, während sie den Leser mit Edith und Christel auf eine abenteuerliche Reise schickt, wobei die Reise eher der Zweck ist, Menschen wie Edith und Christel auf besondere Weise in all ihren Eigenheiten und mit ihren Schicksalen kennenzulernen. Das Thema Alter wurde hier von der Autorin gut gewählt, denn sie zeigt auf, mit welchen Problemen und alltäglichen Kleinigkeiten die Menschen zu kämpfen haben. Dabei hält sie dem Leser auch den Spiegel vor und erinnert ihn daran, dass es ihm eines Tages selbst so ergehen könnte.

Die Charaktere wurden sehr liebevoll inszeniert und in Szene gesetzt, sie wirken sehr lebendig und authentisch. Der Leser hat das Gefühl, fast jeden von ihnen persönlich zu kennen und baut dadurch eine besondere Nähe zu ihnen auf. Edith ist eine resolute Frau, die ihr Herz auf der Zunge trägt. Sie hält nichts von Gefühlsduseleien, hat eine zupackende Art und redet Tacheles. Dabei hält sie nicht hinter dem Berg, was sie stört. Sie lebt schon eine Weile allein, und manchmal hat man das Gefühl, sie ist einsam. Aber es gelingt ihr fast immer, einen davon zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Christel ist eher ein Mäuschen, die alles in sich hineinfrisst, anstatt ihre Meinung kund zu tun. Sie will ja niemanden vor den Kopf stoßen, aber gerade das nimmt ihr fast die Luft zum Atmen. Sie hat einen Hang zur Extravaganz und kommt mit ihren kulturellen Interessen manchmal etwas versnobt rüber, wobei ihr nicht unterstellt werden soll, dass dies gewollt ist. Christel ist schwer krank und möchte einfach noch einmal etwas erleben. Aber Tochter Kim setzt alles daran, sie in ein Pflegeheim zu geben. Postbote Oskar ist ein netter Mann, der sich um seine „Kunden“ kümmert und ihre Gewohnheiten seit Jahren kennt. Durch dieses Wissen kann er Edith beherzt zu Hilfe kommen und springt ebenfalls ein, um beide Damen aus einer misslichen Lage zu befreien. Auch Oskar ist einsam, aber die beiden Damen bringen für kurze Zeit sein Leben auf die Galoppspur. Die anderen Nebenprotagonisten sorgen ebenso für die Unterstützung dieser „Damenreise“ und machen sie zu einem unvergesslichen Erlebnis, auch für den Leser. Die Entwicklung sowohl von Edith als auch von Christel ist sehr schön zu beobachten. Hier könnte man mit dem Titel ein schönes Wortspiel praktizieren, indem man am Ende die Frage stellt: „Ist weit weg anders?“, denn im Alter von Edith und Christel verstellt man sich nicht mehr, und vor den eigenen Problemen kann man auch nicht davonlaufen.

„Weit weg ist anders“ ist ein wunderschöner Roman über das Alter und kleine Verschrobenheiten, über Wünsche, die noch erfüllt werden wollen, über Einsamkeit und neue Freunde, über unerledigte Dinge und Gespräche und über die eigene Unzulänglichkeit, wenn man Dinge nicht mehr so erledigen kann, als wie in einem jüngeren Alter. Ein Buch für alle, die gerne gefühlvolle Geschichten lieben und sich von einer warmherzigen Handlung verzaubern lassen wollen. Absolute Leseempfehlung!!!