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Veröffentlicht am 03.05.2021

Tot sind nur jene, an die sich niemand mehr erinnert

Das Mädchen im Nordwind
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Ein Work & Travel-Arrangement führt die gelernte Tischlerin Sofie nach Island, da ihr Arbeitsplatz in Hamburg nicht mehr existiert und auch privat nicht mehr alles „rund“ läuft. Wie es der Zufall so will, ...

Ein Work & Travel-Arrangement führt die gelernte Tischlerin Sofie nach Island, da ihr Arbeitsplatz in Hamburg nicht mehr existiert und auch privat nicht mehr alles „rund“ läuft. Wie es der Zufall so will, fällt ihr ein Päckchen mit Notizen in die Hände, in dem sie sogleich neugierig zu lesen beginnt: die Zeilen scheinen sehr privat zu sein und ins Deutschland im Jahre 1936 zurück zu schweifen.

Aha, typisches Konzept, denke ich mir zu Beginn, aber was auf den ersten Blick eine ganz durchschnittliche Geschichte werden dürfte, entpuppt sich immer mehr zu einer sehr berührenden Zeit- und Länderreise. Eng ineinander verflochten präsentieren sich Sofies Arbeits- und Urlaubsleben auf der nordländischen Insel und die immer bedrohlicheren Bedingungen für die jüdische Kaufmannsfamilie Rosenberg Ende der 1930er-Jahre im deutschen Lüneburg.

Der Spannungsbogen beginnt eher flach, nimmt jedoch von Kapitel zu Kapitel stetig zu und lässt den Leser schließlich mit Tränen in den Augen zurück. Voller Gefühl schildert Autorin Karin Baldvinsson die einzelnen Ereignisse und man spürt förmlich, wie viel Herzblut in jede Szene geflossen ist. Detailgetreue Schilderungen lassen jede Zeit, heute wie damals, so plastisch und greifbar werden, so lebendig, als wäre man selbst mitten drin in einer Achterbahn aus höchstem Glücksgefühl und tiefgreifendsten Problemen. Beide Hauptfiguren – Luise und Sofie – sind als starke Frauen konzipiert, die ihren Weg gehen, auch wenn er steinig ist und von Schmerzen erfüllt.

Wunderbar fügen sich die karge isländische Landschaft und die ganz im Gegensatz dazu stehende Herzlichkeit in die Handlung der Jetzt-Geschichte ein und auch im „Damals“ kann man diesen Familienzusammenhalt erahnen, selbst wenn Luise das anders erlebt hat. Die Vertrautheit der Autorin mit Kultur und Lebensweise Islands spricht aus jedem einzelnen Satz und vermittelt dadurch größtmögliche Authentizität, die keine theoretische Recherche wettmachen könnte. Und genau das lässt dieses Buch zu einer Geschichte werden, die so viel sehr Persönliches von Sofie preisgibt, ins Innerste blicken lässt und schließlich auch durch Luise eine Erinnerung wach werden lässt, ein Denkmal setzt für unzählige grausame Schicksale im Deutschen Reich.

Nur auf den ersten Seiten harmlos daherkommende Lektüre, steckt unglaublich viel Emotion in diesem traurigen und zugleich Mut machenden Roman, der noch lange in meinen Gedanken nachhallen wird …

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Veröffentlicht am 30.04.2021

Buße

Verhängnisvolles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 7)
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Der Sommer hält Einzug in Le Lavandou, die Urlaubsidylle scheint perfekt, ein strahlend blauer Himmel passt ausgezeichnet zu den geplanten Werbefotos, die geschossen werden sollen. Aber nein – eine scheußliche ...

Der Sommer hält Einzug in Le Lavandou, die Urlaubsidylle scheint perfekt, ein strahlend blauer Himmel passt ausgezeichnet zu den geplanten Werbefotos, die geschossen werden sollen. Aber nein – eine scheußliche Plastikplane taucht am Strand auf, darin die Leiche eines Jungen im Mädchenkleid. Gemeinsam mit Capitaine Isabelle Morell begibt sich Rechtsmediziner Dr. Leon Ritter auf Spurensuche, die in ein ehemaliges katholisches Internat führt. Und auch ein aktueller Verkehrsunfall lässt Ritter skeptisch werden.

Mit einem brutalen Prolog beginnt dieser Leon-Ritter-Krimi und besticht doch sofort wieder mit seinem klaren Schreibstil. Viele Details werden präsentiert, wobei nie der Eindruck von „zuviel“ entsteht. Von schockierenden Momenten wechselt der Autor zu traumhaften Landschaftseindrücken oder typischen Familienszenen. Vor rauen Korkeichen und malerischen Stränden spielen sich Dramen ab, die Kulisse hinter den Verbrechen bildet einen perfekten Kontrast zum Geschehen. Geschickt und in kurzen Kapiteln verfasst, wechselt Autor Remy Eyssen zwischen unterschiedlichsten Szenen, wirft da einen Blick auf einen einsamen Radfahrer, lauscht dort aufgebrachten Familiendiskussionen mit einem sich abnabelnden Teenager.

So fesselt Eyssen seine Leser ab der ersten Seite. Flott nehmen die Ereignisse ihren Lauf, wobei Ritter immer wieder inne hält, reflektiert und seinem Gefühl für die Dinge vertraut. Die Sicht des Rechtsmediziners steht bei dieser Krimireihe stets im Mittelpunkt, obwohl natürlich auch die Ermittler selbst ihren festen Platz im Polizeiteam einnehmen und eine interessante Gruppe bilden. Spannende Charaktere umgeben Ritter, nicht alle sind überzeugt von seinen gewagten Thesen. Schließlich ist er ein „Spinner“, der die Toten nicht als Opfer sondern als Patienten sieht, die er mit Rücksicht, Respekt und Mitgefühl behandelt. Wer für die Morde verantwortlich ist, bleibt (fast) bis zum Ende im Dunkeln.

Wie auch bisher, fließt viel Lokalkolorit in die Geschichte mit ein: durch die klangvolle Beschreibung spürt man beinahe den nassen Sandstrand unter den Füßen, fiebert mit beim Bouleturnier und schmeckt den eiskalten Pastis im Cafe Chez Miou. Fast perfekt agiert der Mörder vor dieser traumhaften Kulisse, aber eben nur fast… Früher oder später findet Ritter ein belastendes Detail und wird seinem legendären Ruf gerecht.

Verhängnisvolles Lavandou ist bereits der siebente Teil der Leon-Ritter-Reihe und in sich abgeschlossen. Die ganze Serie zu lesen, ist aber überaus reizvoll und durchaus eine Empfehlung wert!



ISBN 978-3-548-06418-5

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 512 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 3. Mai 2021

Verlag Ullstein Taschenbuch

Reihe Leon-Ritter, Band 7

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Veröffentlicht am 25.04.2021

Aufgeben kommt nicht infrage

Die Bildhauerin
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ISBN 978-3-7466-3770-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 352 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 12. April 2021

Verlag Aufbau TB



Schon in früher Kindheit gräbt ...

ISBN 978-3-7466-3770-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 352 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 12. April 2021

Verlag Aufbau TB



Schon in früher Kindheit gräbt Camille Claudel am liebsten im Lehm am Fuße des Riesen in Villeneuve-sur-Fère. Sie erkennt die feinkörnige Qualität, die sich leicht zu einer glatten Masse verkneten lässt und aus der sie ihre ersten Figuren formt: einen Hund mit wedelndem Schwanz, eine schlafenden Taube und eine niedliche Katzenfamilie. Während ihre Mutter dieses schmutzbehaftete Spiel ablehnt, fördert ihr Vater das schlummernde Talent und ermöglicht Camille schließlich das Studium an der Akademie Colarossi in Paris. Als Auguste Rodin sie im Louvre entdeckt, ist er von ihren Zeichnungen sofort begeistert und der angesehene Bildhauer protegiert Camille. Aus seiner Schülerin wird bald eine unentbehrliche Gehilfin und später auch Geliebte. Aber will die talentierte junge Frau auf Dauer die Muse des bekannten Künstlers sein und ewig in seinem Schatten stehen?

Bildhaft und plastisch, wie es zum Thema passt, schildert Pia Rosenberger in einer aufregenden Romanbiografie den Beginn einer schwierigen und entbehrungsreichen Karriere. Nicht nur der Widerstand von Mutter und Schwester, vor allem auch das Bild einer tugendhaften Frau im ausklingenden 19. Jahrhundert bringen Camille auf einen steinigen Weg, den sie jedoch entschlossen und zielstrebig beschreitet. Besonders gut kommt dabei ihre innere Zerrissenheit zum Ausdruck: während Camille Rodin vorwirft, alles der Kunst unterzuordnen und auf nichts und niemanden Rücksicht zu nehmen, handelt sie selbst ganz genauso. Das Streben nach Anerkennung und Bewunderung ist übermächtig. Wenn ihr davon abgeraten wird, in einer Männerdomäne Fuß fassen zu wollen, arbeitet sie noch härter als zuvor.

Sehr lebendig sind die Schauplätze und Personen geschildert, das Künstlerleben in Paris mit seinen Musikern, Dichtern, Malern. Während dort schillernde Abendveranstaltungen stattfinden, herrscht in den einfacheren Familien Platz- und Geldnot. Schritt für Schritt darf der Leser Camille begleiten, wie sie sich entwickelt vom Ton-Anrühren über das Skizzieren und Entwerfen bis hin zum Modellieren bemerkenswerter Büsten und Akte. Interessante Details zu ihren (z.B. Giganti, Mädchen mit der Garbe) und Rodins Werken fließen mit in die Geschichte ein und ganz nebenbei erfährt man vieles über die Entstehung Rodins berühmten Höllentors, inspiriert von Dantes Göttlicher Komödie. Gerade hier spürt man beim Lesen förmlich die Seelenverwandtheit von Camille und Rodin, ihre Liebe zur Kunst und zur Darstellung. Dennoch gehen sie ganz unterschiedlich heran an ihre Aufgabenstellungen und interpretieren Themen auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Gute Recherche zu historischen Gegebenheiten ist eingebettet in eine bewegende Geschichte, wodurch Camilles Jugendjahre und künstlerische Glanzzeit sehr beeindruckend beleuchtet werden. Ihre Zielstrebigkeit hat der jungen Dame durchaus Erfolg, aber wohl nicht immer Freunde eingebracht. Dieses wunderbare Portrait lässt sie jedoch aus dem Schatten eines (über)mächtigen Rodin treten.

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Veröffentlicht am 18.04.2021

Bojen im Nebel

Der Erlkönig
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ISBN 9783548063751
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch, 400 Seiten
ebenfalls erhältlich als ebook
Erscheinungsdatum 29.3.2021
Verlag Ullstein Taschenbuch
Originaltitel Les Refuges
Uebersetzer Alexandra ...

ISBN 9783548063751
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch, 400 Seiten
ebenfalls erhältlich als ebook
Erscheinungsdatum 29.3.2021
Verlag Ullstein Taschenbuch
Originaltitel Les Refuges
Uebersetzer Alexandra Baisch


Bojen im Nebel

2019 – eine Vorlesung im Anatomischen Theater der Universität Tours.
1949 – ein Strand, ein grausiger Fund.
1986 – Journalistin Sandrine recherchiert bei einem Bauern, dessen Kühe mit Hakenkreuzen besprüht wurden und wird unmittelbar darauf vom Notar über den Tod ihrer Großmutter Suzanne informiert, die sie nie kennengelernt hat.

Unterschiedlichste Puzzleteile werden hier von Autor Jérôme Loubry vorgestellt, eingerahmt und verknüpft mit Zeilen aus Goethes Ballade vom Erlkönig. Obwohl man nichts weiß, keinen Zusammenhang herstellen kann, so wird man doch sofort neugierig und immer mehr mitgerissen von einer Handlung, die gespenstisch und nebulos ist. So hantelt man sich von Boje zu Boje, ohne recht zu wissen, welch Rettungsanker dies ist. Nur langsam lichtet sich der Nebel, blitzt da und dort ein kleines Detail aus dem Wald von Erlen, steigt Erkenntnis aus den Tiefen von Wasser. Kaum glaubt man, zu verstehen, so wechselt die Szene, ändert sich das Bild. Virtuos spielt Loubry mit Reaktionen der menschlichen Psyche, zeigt, welche Auswirkungen ein Trauma über Jahre hinweg nach sich ziehen kann.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Sandrine, die die Verlassenschaft ihrer Großmutter regeln soll und dafür deren Haus auf einer kleinen Insel aufsucht. Wenige Tage später findet man sie besudelt mit fremdem Blut am Strand. Auch Kommissar Damien Bouchard kann sich keinen Reim bilden auf ihre wirren Erzählungen. Erschwerend für ihn kommt hinzu, dass er selbst von bösen Geistern verfolgt zu sein scheint.

Atmosphärisch perfekt eingebettet in das düstere Umfeld des Jünglings, den der Erlkönig zu sich lockt, präsentiert sich dieser Thriller mit vielen Facetten der Psychologie, verwebt geschickt unterschiedliche Handlungsstränge zu einem perfekten Ganzen, dessen Ausmaß immer unglaublicher wird. Trauer und Hoffnung bekommen eine ganz neue Note, die sich widerspiegelt in der Natur, deren leuchtende Farben zu einem eintönigen Grau changieren und dann doch wieder von Neuem in satten Tönen erstrahlen. Die Hoffnung stirbt zuletzt – oder stirbt sie nie?

„Er kommt des Nachts - und nimmt dich mit“ – ebenso wie dieses Buch: virtuos in Worte gefasste Schicksale reißen den Leser mit und schaffen einen unfassbar packenden Thriller, den man einem Rutsch verschlingt. Ein Meisterwerk!

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Veröffentlicht am 12.04.2021

Nachbarn

Vanitas - Schwarz wie Erde
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Am Wiener Zentralfriedhof arbeitet Carolin als Blumenhändlerin. Aber sie ist nicht die Frau, die sie zu sein scheint. Eigentlich steckt hinter Carolin ein ehemaliger Polizeispitzel, einst eingeschleust ...

Am Wiener Zentralfriedhof arbeitet Carolin als Blumenhändlerin. Aber sie ist nicht die Frau, die sie zu sein scheint. Eigentlich steckt hinter Carolin ein ehemaliger Polizeispitzel, einst eingeschleust in eine brutale Bande des organisierten Verbrechens und offiziell inzwischen tot. Als sie sich langsam an ihr neues Leben in Wien gewöhnt und nach wie vor stets wachsam ist, wird sie für einen weiteren Auftrag nach München geholt. Obwohl ihr von Anfang an nicht wohl ist bei der Sache, unternimmt sie bald mehr Nachforschungen als aufgetragen.

Poznanskis prägnanter Schreibstil nimmt den Leser schnell gefangen, insbesondere, da weder Carolins Vorgeschichte noch ihre künftige Aufgabe klar sind. Nur sehr langsam ergeben sich bruchstückhafte Informationen und so entsteht ein Sog, immer weiter lesen zu wollen, um Details zu erfahren und der Geschichte auf den Grund zu gehen. Einziger Fixpunkt in München ist die Nachbarin Tamara, der Carolin bestimmte Auskünfte entlocken soll. Der Spannungsbogen steigt nur allmählich, aber stetig voran. Etliche Figuren betreten die Bühne und scheinen schwer zu durchschauen, bis sich eine unfassbare Erkenntnis ergibt und zu einem fulminanten Ende führt. Die Autorin kommt ohne scheußliche Blutgemetzel aus und komponiert auf ganz andere, sehr subtile Art und Weise eine mitreißende Atmosphäre, die diesen Thriller schlussendlich zu etwas ganz Ungewöhnlichem werden lässt. Bis zuletzt bleibt vieles im Ungewissen und darüber hinaus weisen uns Blumen den Weg zu Band 2: „Grau wie Asche“. Es bleibt also spannend …

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