der Mut erwachsen zu werden
„Alle wollen mir auf merkwürdige, immer gleiche Art klarmachen, dass alles nur an den Negern liegt, aber die Neger sind nicht schuld, genauso wenig, wie ich fliegen kann, und, bei Gott, ich würde am liebsten ...
„Alle wollen mir auf merkwürdige, immer gleiche Art klarmachen, dass alles nur an den Negern liegt, aber die Neger sind nicht schuld, genauso wenig, wie ich fliegen kann, und, bei Gott, ich würde am liebsten zum Fenster hinaus- und davonfliegen.“ S. 190
Jean Luise ist erwachsen geworden, lebt in New York und kehrt nur noch in den Ferien nach Maycomb zurück. Die offene Stadt New York hat sie und auch die allgemeine Haltung zur Rassentrennung verändert. In Maycomb jedoch ticken die Uhren noch anders und der „Klan“ findet immer mehr Gehör. Als sich Jean Luise, wie schon als Kind, in den Gerichtssaal stielt und einer Rede von Stadtbewohnern beiwohnt, muss sie feststellen, dass scheinbar auch ihr Vater seine Haltung zur farbigen Bevölkerung geändert hat. Doch sieht Jean Luise wirklich das große Ganze?
„Gehe hin, stelle einen Wächter“ von Harper Lee galt lange als verschollen und wurde erst 2015 weltweit veröffentlicht. Es wurde schon vor „Wer die Nachtigall stört“ verfasst, seine Handlung kann aber als Fortsetzung von 2. Buch angesehen werden. Die kleine Scout ist erwachsen und das Thema der Rassentrennung ist so aktuell wie in ihrer Kindheit. Jean Luise muss erkennen, dass die Menschen noch immer nicht bereit sind ihre farbigen Mitmenschen als ihres gleichen zu erkennen und auch ihr Vater scheint von seiner rechtschaffenden Rolle abgedriftet zu sein.
Harper Lee hat mit ihrem Roman ein gesellschaftskritisches Buch erschaffen, welches aufzeigt, dass 20 Jahre lange nicht genug sind, um Rassentrennung und Vorurteile aufzuheben. Es spiegelt auf eine mitunter schmerzliche Weise wieder, wie sehr sich Menschen verändern können im Laufe des Erwachsen werden und das es viel Mut erfordert seine eigene Haltung zu erkennen und auch zu vertreten. Genauso sehr zeigt Harper Lee auf, wie festgefahren und engstirnig das Denken der Menschen oftmals ist, und dass es viel Besonnenheit und mitunter auch ein Entgegenkommen in Richtung der Unruhestifter erfordert, um ein Umdenken in den Köpfen der Bevölkerung zu erreichen.
Harper Lee ist es gelungen durch ihre starke Erzählkraft nicht zu Scout in ihrem Denken reifen zu lassen, sondern auch den Leser. Auch wenn die Thematik der Rassentrennung in den Staaten heute weitgehend vom Tisch ist, so finden viele Vorurteile sicher heute noch Anklang.
Obwohl nicht ganz so stark wie „Wer die Nachtigall stört“, ist es reifer in seiner Erzählkunst und der Leser findet sich in Jean Luise manchmal eher wieder als in der kleinen Scout.