Interessante Dystopie
New York Ghost – Ling Ma
Das hier ist eine Dystopie, die gerade in Corona-Zeiten sehr bedrückend wirkt. Nein, es geht hier nicht um einen Virus, sondern um einen tödlichen Pilz, der das Shen-Fieber hervorruft ...
New York Ghost – Ling Ma
Das hier ist eine Dystopie, die gerade in Corona-Zeiten sehr bedrückend wirkt. Nein, es geht hier nicht um einen Virus, sondern um einen tödlichen Pilz, der das Shen-Fieber hervorruft und nahezu die gesamte Bevölkerung ausgelöscht hat. Hat man sich erstmal infiziert, gibt es keine Hoffnung mehr. Jeder Leser muss selbst wissen, ob er in der aktuellen Situation Lust auf eine derartige Story hat.
Candace Chen lebt und arbeitet in der Metropole New York. Obwohl das Shen-Fieber um sich greift und viele Überlebende aufs Land fliehen, bemerkt sie kaum, wie sich die Stadt rapide leert. Aus einer chinesischen Einwandererfamilie stammend, besitzt sie keine Wurzeln in der neuen Heimat. Als eine der allerletzten verlässt sie schließlich doch New York und schließt sich einer Gruppe von Überlebenden an.
Dieser Roman ist in drei Erzählsträngen angelegt. Die Gegenwart behandelt die Flucht aus New York und die Reise mit der Überlebendengruppe, deren Konflikte, etc. Es ist knallhart erzählt mit einigen recht brutalen Szenen. Dann gibt es noch einen Strang, der nur wenige Wochen, bzw. Monate früher angesiedelt sein dürfte. Hier wird das (Arbeits-)Leben von Candace skizziert. Man erfährt, wie das Fieber um sich greift, die Stadt immer leerer wird. Ein dritter Handlungsstrang geht zurück bis in die Kindheit von Candace in China und die Umsiedlung mit den Eltern. Diesen dritten Teil, der auch immer wieder eingeflochten wird, hätte ich persönlich jetzt nicht gebraucht. Es hat sich mir nicht erschlossen, warum die Infos über ihre Herkunftsfamilie für das weitere Geschehen relevant sein sollten.
Besonders interessant fand ich, dass diese Pilzsporen über billige chinesische Konsumgüter in die ganze Welt verteilt wurden. Zum Einen natürlich doch wieder der chinesische Ursprung des Corona-Virus, vor allen Dingen aber ist es eine beißende Kritik am Kapitalismus der immer wieder ganz deutlich zur Sprache kommt. Obwohl Candace sich des Problems durchaus bewusst ist, hält sie, scheinbar mangels Alternativen, bis zum Schluss verbissen an ihrem Job fest. Angesichts der leeren Stadt eine groteske Vorstellung.
Idee und Hintergrund fand ich also extrem interessant und lesenswert. Bereits des Öfteren ist es mir allerdings passiert, dass ich beim Lesen asiatischer Autoren eine gewisse Distanz nicht überbrücken konnte. Candace blieb mir fremd, ihre Gefühle spielen nur eine untergeordnete Rolle, ihre Handlungen sind von daher nicht immer nachvollziehbar. Die Handlung ist spannend, teils brutal, oft recht offenherzig erzählt (gerade was sexuelle Kontakte in der Großstadt betrifft), trotzdem ist da eine Sachlichkeit, die mich zum Außenstehenden machte, mich nicht so ganz in die Geschichte hineinließ.
Wer Endzeitstorys und Geschichten über Pandemien mag, ist hiermit sicherlich gut bedient. Ling Ma hat eine kluge und anspruchsvolle Dystopie geschrieben, der ich noch viele Leser wünsche. 4 Sterne.