Wenn sich dein Leben abrupt wendet...
"Kurz schließt er die Augen, und Edward sieht die Falten des Schmerzes in seinem Gesicht. Es sind die gleichen Falten, die Edwards ganzes Wesen durchziehen, eingegraben von Verlust, und der Junge schaudert, ...
"Kurz schließt er die Augen, und Edward sieht die Falten des Schmerzes in seinem Gesicht. Es sind die gleichen Falten, die Edwards ganzes Wesen durchziehen, eingegraben von Verlust, und der Junge schaudert, als ihm das klar wird."
Auf dieses Buch hat mich die englische Bookstagram-Community gebracht, mit dem Hinweis als "Book that broke my heart" - allerdings muss ich nun im Nachhinein sagen, dass ich mehr Herzschmerz erwartet hätte.
Das Buch erzählt, wie der Titel schon vermuten lässt, auf zwei Zeitebenen: Der Morgen vor dem Flugzeugabsturz und das Leben danach. Man trifft hier auf einen ungewöhnliche Erzählperspektive - die auktoriale. Im Flugzeug begegnen dem Leser ganz viele verschiedene Personen, von deren Leben und Grund man erfährt, dieses Flugzeug bestiegen zu haben. Das war anfangs ziemlich verwirrend, weil sehr oft hin- und hergesprungen wurde. Jedoch konnten einem die Passagiere dadurch nähergebracht werden, und der Tod von 192 Leuten war nicht nur eine Zahl. Es war sehr erschütternd zu erfahren, welche Träume und Möglichkeiten so abrupt zerstört wurden.
Edward ist der einzige, der überlebt, und aus seiner Perspektive wird folglich sein Leben nach dem Absturz geschildert. Die Handlung dreht sich dabei hauptsächlich um die Verarbeitung seines Verlusts und seiner Trauer. Mal geht es voran, mal zurück. Dadurch wirkt die Geschichte stellenweise sehr langatmig und gestreckt, wenn insbesondere viel Augenmerk auf Edwards Gedanken gelegt wird. Ich hätte mir dabei mehr Emotionalität gewünscht. Bei solch einem Thema mag das merkwürdig wirken, aber die Erzählung wirkt teilweise wirklich sehr neutral und oberflächlich; ich kann es gar nicht genau beschreiben. Man leidet zwar mit Edward mit und spürt seinen Schmerz, aber es besteht doch eine gewisse Distanz, so dass ich bspw. nicht zum Taschentuch greifen musste - was ich in Erwartung dieses Buches eigentlich beiseite gelegt hatte. Hier hätte die Autorin meines Erachtens nach mehr auf Emotionen eingehen können.
Was ich fast schmerzvoller fand, waren die ganzen Briefe der Angehörigen an Edward. Die Verzweiflung und Trauer waren hier wirklich greifbar und haben mich sehr mitgenommen. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise ausmalen, wie es ist, seine Liebsten zu verlieren, gedacht zu haben, man hätte noch so viel Zeit... Die Grundstimmung des Buches ist definitiv sehr düster, aber zum Ende hin ist eine Entwicklung Edwards zu erkennen, mit dem Verlust umzugehen, so dass der Leser nicht komplett hoffnungslos zurückgelassen wird.
"Der Morgen davor und das Leben danach" verschenkt leider einiges an Potenzial, geht aber unglaublich sensibel mit dem Thema Verlust und Schmerz um und führt einem vor Augen, wie schnell das Leben vorbei sein kann - und wie kostbar es demzufolge ist. Ich vergebe 3,5/5 Sterne.