Psychogramm eines Serienmörders
Im Hannover des Jahres 1920 verschwinden immer wieder männliche Jugendliche. Robert Lahnstein wird nach Hannover geholt, um die Verbrechen aufzuklären. Womit er nicht rechnet ist, dass die örtliche Kriminalabteilung ...
Im Hannover des Jahres 1920 verschwinden immer wieder männliche Jugendliche. Robert Lahnstein wird nach Hannover geholt, um die Verbrechen aufzuklären. Womit er nicht rechnet ist, dass die örtliche Kriminalabteilung ihren eigenen Interessen nachgeht und wenig von seinen Ermittlungen hält. Als Lahnstein die ersten halbwegs brauchbaren Hinweise bzw. Indizien erhält, sind schon mehr als zehn Jungs verschwunden. Recht schnell gerät Fritz Haarmann in das Visier von Robert Lahnstein. Doch der Verdächtige spielt Katz-und-Maus mit dem Ermittler, da er sich durch seine Spitzeldienste für die örtliche Polizei sicher wähnt.
Dass Lahnstein dem Serientäter letztendlich doch das Handwerk legen kann, ist nicht nur seinen akribischen Ermittlungen geschuldet, sondern auch deswegen, weil Haarmann nun als Spitzel „verbrannt“ ist und die Polizei ihn fallen lässt.
Meine Meinung:
Fritz Haarmann war der erste bekannte Massenmörder in Deutschland, der ausschließlich männliche Jugendliche ermordete. 24 Opfer werden ihm zugeschrieben, die in den Jahren 1918 bis 1924 in Hannover ermordet wurden. Nur neun Morde hat Haarmann gestanden. Die landesweite Bekanntheit des Täters beruht neben der großen Zahl der Getöteten auf dem Umgang mit seinen Opfern, die er zerlegt und deren Fleisch er wahrscheinlich verkauft hat.
Autor Dirk Kurbjuweit hat tief in den Ermittlungs- und Prozessakten gegraben und einen für mich fesselnden True-Crime-Krimi geschrieben. Aufgrund der großen Anzahl von Opfer kann der Autor gar nicht anders als distanziert über diese Verbrechensserie schreiben. Zu monströs sind diese Verbrechen, zumal die Kriminalpolizei von Hannover sich nicht unbedingt durch objektive Ermittlungsarbeit auszeichnet.
Gut gelungen ist die Darstellung der Zeit, in der die Morde verübt werden. Es ist die Zwischenkriegszeit. Das Alte (die Monarchie) ist unwiederbringlich verloren, das Neue (die Weimarer Republik) steht auf tönernen Füßen. Politisches Ränkespiel von Links und Rechts verunsichern die Menschen. Die Reparationszahlungen an Frankreich, die Geldentwertung und die Lebensmittelknappheit lassen die Menschen verrohen. So wird alles Fleisch, dessen man habhaft wird, verkocht, auch wenn es zweifelhafter Herkunft ist. Ob Haarmann wirklich den Gasthäusern das Fleisch der Ermordeten verkauft hat oder nicht, ist bis heute nicht zweifelsfrei erwiesen. In den Protokollen ist mehrmals von einem eigentümlichen süßlichen Geschmack die Rede.
Interessant ist auch das Psychogramm von Haarmann, das Lahnstein zeichnet als er zufällig Haarmanns Schwester kennenlernt. Gut getroffen sind auch Robert Lahnsteins (Selbst)Zweifel, die ihn manchmal schon ans Aufgeben denken lassen.
Der Autor zeichnet ein beklemmendes Bild der sogenannten „Goldenen Zwanziger Jahre“, die nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung „golden“ waren. Für die Mehrheit waren sie eine Zeit der traumatisierten Kriegsrückkehrer, der Armut, des Alkoholismus und der Prostitution.
Mit hat die Aufarbeitung der „Haarmann-Protokolle“ in einem Krimi gut gefallen. Einzig diese Unsitte bei der direkten Rede auf Satzzeichen zu verzichten geht mir wirklich auf die Nerven. Das kostet den 5. Stern.
Um einen anderen Blick auf Fritz Haarmann zu bekommen, werde ich noch „Der Werwolf von Hannover“ von Franziska Steinhauer lesen.
Fazit:
Eine gelungene Modifizierung von Gerichtsakten zu einem Krimi. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.