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Veröffentlicht am 19.06.2021

Tod auf der Belle-Île-en-Mer

Bretonische Idylle
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Die Dupin-Reihe des Wahlbretonen Jean-Luc Bannalec aka Jörg Bong lese ich nicht wegen der Krimihandlung, die, wie auch in „Bretonische Idylle“, üblicherweise nach den klassischen Mustern aufgebaut ist ...

Die Dupin-Reihe des Wahlbretonen Jean-Luc Bannalec aka Jörg Bong lese ich nicht wegen der Krimihandlung, die, wie auch in „Bretonische Idylle“, üblicherweise nach den klassischen Mustern aufgebaut ist und kaum Überraschungen bietet. Womit der Autor punktet, sind die detaillierten und tiefgehenden Beschreibungen der verschiedenen Handlungsorte. In jedem Band sucht sich der Autor eine andere Region aus, nimmt uns mit und bringt uns nicht nur die Landschaft sondern auch die Eigenheiten dieser Landstriche nahe. Und das macht er sehr gut, teilweise weitaus besser als die meisten Reiseführer, die meist an der Oberfläche bleiben, auf Landschaftsbeschreibungen fokussiert sind, und sich weniger um jahrzehntelang gewachsene Strukturen kümmern. Also eine Krimi-Reihe mit Mehrwert, insbesondere dann, wenn man ein Faible für den Nordwesten Frankreichs und/oder Meerweh hat.

Im vorliegenden 10. Fall ermittelt Kommissar Dupin, unterstützt von dem Insel-Commandanten und natürlich seinen Kollegen Kadeg und Riwal, auf der größten bretonischen Insel Belle-Île-en-Mer. Riwal stammt von dort und versorgt seinen Vorgesetzten mit allerhand Informationen, nicht nur zu deren Geschichte und Mythen sondern auch zu den persönlichen Beziehungen und Animositäten der Inselbewohner. Und letztere sind in dem aktuellen Mordfall zur Genüge vorhanden, denn das Mordopfer war beileibe kein angenehmer Zeitgenosse. Der vermögende Schafbaron Patric Provost lag offenbar mit jedem Insulaner im Clinch, sperrte sich gegen Neuerungen und setzte den Einfluss, den ihm Geld und Ländereien boten, gnadenlos zum Nachteil seiner Nachbarn und Pächter ein. Aber dann geschieht ein weiterer Mord…

Die Story an sich ist eher mäßig spannend und behäbig. Der Handlungsort ist ein geschlossenes System, ein „closed room“, die Anzahl der Verdächtigen ist übersichtlich, Motive sind reichlich vorhanden, laufen aber immer wieder auf das gleiche hinaus, die Auflösung nicht überraschend, aber stimmig.

Dem gegenüber stehen die atmosphärischen Beschreibungen von allem, was dieses bretonische Kleinod zu bieten hat. Die Menhire und die Strände, die unterschiedlichen Vegetationen und die Fauna, alles sehr bildhaft in Szene gesetzt. Eine engagierte Werbung des passionierten Wahlbretonen, die die Begehrlichkeit der Leserin weckt, diese schöne Gegend mit eigenen Augen zu sehen. Und offenbar hat auch der Regionalrat der Bretagne erkannt, dass der Autor ein engagierter Botschafter für die Region ist und ihm deshalb bereits 2016 den Titel „Mäzen der Bretagne“ verliehen.

Veröffentlicht am 01.06.2021

Brisante Themen, unterhaltsam verpackt

Such a Fun Age
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Wäre das Debüt der amerikanischen Autorin Kiley Reid nicht für den Booker Prize 2020 nominiert gewesen, hätte ich es wahrscheinlich nicht gelesen, denn Titel und Aufmachung verbergen gekonnt, wenn auch ...

Wäre das Debüt der amerikanischen Autorin Kiley Reid nicht für den Booker Prize 2020 nominiert gewesen, hätte ich es wahrscheinlich nicht gelesen, denn Titel und Aufmachung verbergen gekonnt, wenn auch wahrscheinlich unbeabsichtigt, den Zündstoff, den dieser Roman bietet.

Ort und Zeit: Philadelphia, 2015, das Jahr, in dem Hillary Clinton und Donald Trump für die Präsidentschaft kandidieren.

Akteure: Emira, Mitte zwanzig, College-Absolventin ohne Perspektive, schwarz, arm, verdient sich ihren Lebensunterhalt als Babysitterin. Alix, ihre Arbeitgeberin, ca. zehn Jahre älter, weiß, wohlhabende Upper Middle Class, Mutter eines Kleinkinds, erfolgreiche Betreiberin des „LetHerSpeak“ Blogs mit dem Ziel, das weibliche Empowerment zu fördern.

Ausgangspunkt der Handlung: Der Zwischenfall spät abends in einem Supermarkt, als Emira der Kindsentführung beschuldigt wird und nur durch das Eingreifen von Alix‘ Mann einer Verhaftung entgeht. Ein Kunde filmt den Vorfall, aber Emira untersagt ihm, das Video ins Netz zu stellen.

Reid konstruiert aus diesen Zutaten einen realistischen Plot über Rasse, Klasse, Identität und Privilegien, nimmt den Alltagsrassismus der Liberalen unter die Lupe und zerpflückt ihn bis ins Kleinste. Alix‘ Schuldgefühle und ihre daraus gut gemeinten Bemühungen um Emira entwickeln sich zunehmend zu einer regelrechten Besessenheit, weil sie sich und ihrem Umfeld beweisen möchte, wie frei sie doch von Vorurteilen ist. Die Autorin schreibt mit leichter Hand, schaut genau hin, entlarvt ganz beiläufig die unbewusste Ignoranz und Heuchelei der weißen gebildeten Elite, deren Wokeness vor Black Lives Matters. Ein entlarvender Roman auf der Höhe der Zeit, in dem brisante und gesellschaftspolitisch relevante Themen unterhaltsam verpackt werde. Die Filmrechte sind übrigens bereits verkauft.

Veröffentlicht am 18.05.2021

In der Falle

Mado
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Mado möchte mehr. Sie will Freiheit, Leben, Spaß, weg von der nörgelnden Mutter, raus aus der bretonischen Provinz. Paris lockt mit Freiheit, aber das ist nur ein leeres Versprechen. Daran ändern auch ...

Mado möchte mehr. Sie will Freiheit, Leben, Spaß, weg von der nörgelnden Mutter, raus aus der bretonischen Provinz. Paris lockt mit Freiheit, aber das ist nur ein leeres Versprechen. Daran ändern auch die Partys und Drogen nichts. Der Kerl, mit dem sie lebt, ist keine Alternative. Dumm und brutal. Sie muss sich von ihm befreien, die einzige Möglichkeit, die sie kennt, ist Gewalt. Ein Schlag auf den Schädel. Ende.

Weg aus Paris, heim in die Bretagne. Oma wird’s schon richten, die kennt sich damit aus. Zu dumm, dass da keine Leiche zum Entsorgen ist. Offenbar hat er den Schlag überlebt. Einen Boxer haut so leicht nichts um. Aber wenn der Stolz angekratzt ist, folgen die Rachegedanken auf den Fuß.

Zurück in der Provinz, wo sich nichts geändert hat. Die Mutter hinter der Theke der verratzten Dorfkneipe, die angepasste Schwester, die sich in ihr Schicksal fügt und damit zufrieden ist. Mado, die noch immer hofft und sich in der Zwischenzeit die derben Bemerkungen der Männer gefallen lässt. Lähmende Langeweile, aufkeimende Wut.

Thierry? Kann der einen Ausweg bieten? Geld, das ist es, was zählt, das verspricht Freiheit, lässt hoffen. Aber woher nehmen auf die Schnelle? Zumindest hat er einen Plan, und wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen.

Der Roman erzählt von den starken Frauen der Familie Kaaris, die dennoch am Leben scheitern und resigniert ihren vorbestimmten Platz einnehmen. Nicht so Mado, die Wütende, Verzweifelte. Von dem Milieu, in das sie hineingeboren wurde, in Geiselhaft genommen. Die dennoch für ihr selbstbestimmtes Leben kämpft, den Mut und die Hoffnung nicht verliert. Nicht müde wird, ihren Weg trotz aller Widrigkeiten zu gehen und dafür auch Grenzen überschreitet.

Kurze Kapitel und wechselnde Perspektiven generieren Tempo. Die Umsetzung des Themas ist gelungen, auch wenn sie den Klischees des Genres entspricht. Keine Feelgood-Lektüre und nichts für Harmoniesüchtige, die zwingend ein Happy-End erwarten. Oder etwa doch?

Veröffentlicht am 17.05.2021

Was ist Gerechtigkeit?

Der Polizist
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Häusliche Gewalt ist immer ein Thema, das unter die Haut geht, und die Zahlen für den amerikanischen Bundesstaat Mississippi, in dem der neue Justizthriller von John Grisham verortet ist, sind erschreckend: ...

Häusliche Gewalt ist immer ein Thema, das unter die Haut geht, und die Zahlen für den amerikanischen Bundesstaat Mississippi, in dem der neue Justizthriller von John Grisham verortet ist, sind erschreckend: Jede dritte Frau wird wird im Lauf ihres Lebens ein Opfer häuslicher Gewalt, pro Tag gehen ca. 21.000 Hilferufe bei der Notrufzentrale ein. Wenn es Schußwaffen im Haus gibt, sind 94 % der Opfer weiblich. Und das sind nur die dokumentierten Fälle.

Jack Brigance, Anwalt in Clanton, Mississippi, hat es allerdings mit einem männlichen Opfer zu tun. Stu Kofer ist gut angesehen in Clanton. Army-Veteran, zuverlässiger Deputy, der immer einspringt, wenn Not am Mann ist. Aber er hat auch eine dunkle Seite, die immer dann zum Vorschein kommt, wenn er sich betrinkt, denn dann kann er seine Aggressionen nicht mehr kontrollieren und und prügelt im Rausch auf seine Freundin ein. So auch an dem Tatabend, an dem er sie im Vollrausch bewußtlos schlägt. Aber diesmal ist genug wirklich genug, und so schnappt sich ihr Sohn, der 16jährige Drew seine Dienstwaffe und erschießt ihn.

Einschub: Wenn ein Bundesstaat die Zahl seiner Hinrichtungen nach oben schrauben will, erlässt er kurzerhand Gesetze. Beispielweise, dass die Tötung eines Polizisten, auch wenn dies nicht im Dienst geschieht, IMMER die Todesstrafe nach sich zieht. Dass ein sechzehnjähriger Straftäter wie ein Erwachsener zu behandeln und auch nach Erwachsenenrecht zu verurteilen ist. So geschehen in Mississippi.

Auf Wunsch von Richter Noose übernimmt Brigance den Fall als Pflichtverteidiger und wird in kürzester Zeit zum meistgehassten Einwohner in Clanton. Aber er wäre nicht der engagierte Anwalt, den wir bereits in „Die Jury“ und „Die Erbin“ kennengelernt haben, wenn er sich ungeachtet der Tatsache, dass ihn dieses Mandat an den Rand des finanziellen Ruins treiben wird, in die Verteidigung verbeißen und gegen alle Widerstände für den jugendlichen Straftäter kämpfen würde.

Grisham ist ein Meister seines Fachs, schreibt über das, was er kennt. Zeigt die Bigotterie des „Bible Belt“ auf, spart auch den Rassismus nicht aus, ebenso die Verachtung, mit der der „White Trash“ behandelt wird. Er wählt die Themen aus, die ihm am Herzen liegen. Das gerät manchmal etwas zu ausführlich, zu langatmig. So auch hier, denn der Prozess gegen Drew nimmt nur ca. ein Viertel des knapp 670 seitigen Romans ein. Die restlichen Dreiviertel lernen wir gefühlt jeden Einwohner von Ford County, jeden Sachverständigen, Anwaltskollegen etc. kennen. Erfahren, welche Hürden im Prozesswesen zu nehmen sind und gewinnen tiefe Einblick in die widersprüchlichen Gefühle der Verteidigung, wenn es um die moralische und ethische Frage geht, ob ein Mord gerechtfertigt sein kann und ein Täter straffrei ausgehen darf. Eine Frage, die nicht beantwortet wird, aber über die es sich lohnt, nachzudenken.

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Veröffentlicht am 10.05.2021

Die Spürnasen von Cooper’s Chase

Der Donnerstagsmordclub (Die Mordclub-Serie 1)
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Cooper’s Chase ist eine exklusive Wohnanlage für Senioren. Auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der idyllischen Grafschaft Kent wirbt die Residenz mit geschmackvollen Wohneinheiten, exzellenter ...

Cooper’s Chase ist eine exklusive Wohnanlage für Senioren. Auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der idyllischen Grafschaft Kent wirbt die Residenz mit geschmackvollen Wohneinheiten, exzellenter medizinischer Betreuung sowie zahlreichen hochklassigen Freizeiteinrichtungen. Ein Luxusresort im wahrsten Sinn des Wortes für all diejenigen, die ihren Lebensabend in angenehmer Atmosphäre verbringen möchten. Nett, aber langweilig.

Ungelöste Mordfälle versprechen Abwechslung, und so setzen sich deshalb jeden Donnerstag vier Bewohner zusammen, um der Polizei auf die Sprünge zu helfen. Sie sind zwar allesamt betagt, aber noch immer mit einem scharfen Verstand gesegnet: Elizabeth, Lehrerin (mit ev. Geheimdienst-Erfahrung?), Red Ron, Gewerkschaftsführer, Ibrahim, Psychiater, und Joyce, die Krankenschwester, die das Tagebuch der Gruppe führt und uns so an den kriminellen Ereignissen teilhaben lässt, die ihren Ausgangspunkt in den Expansionsplänen des Eigentümers haben. Zwei Morde und ein Knochenfund gilt es aufzuklären, wobei sie von der hiesigen Polizei, vertreten durch PC de Freitas und DCI Hudson, sowie Elizabeths zahlreichen Kontakten unterstützt werden.

Daraus entwickelt sich ein unterhaltsamer und humorvoller, aber weitgehend anspruchsloser Kriminalroman, dessen Handlung sich an den klassischen englischen Vorbildern des Genres orientiert und mit dessen Versatzstücken spielt. Der Bezug zur Gegenwart soll durch das Setting hergestellt werden, wobei aber genau das für mich der Knackpunkt ist, denn mit der Lebenswirklichkeit von Senioren, nicht nur in England, hat das nun mal überhaupt nichts gemein. Kann man zwischendurch zur Entspannung durchaus lesen, ist aber für mich kein „must read“.