Der Kampf um Olympisches Gold
GoldmädchenObwohl meine eigenen sportlichen Leistungen sich stets in Grenzen gehalten haben, war ich doch schon immer ein Fan des Turnsports; speziell die Rhythmische Sportgymnastik fasziniert mich seit jeher und ...
Obwohl meine eigenen sportlichen Leistungen sich stets in Grenzen gehalten haben, war ich doch schon immer ein Fan des Turnsports; speziell die Rhythmische Sportgymnastik fasziniert mich seit jeher und ich kann nur erahnen, welch hartes Training hinter den kunstvollen Elementen einer Kür stecken muss. Folglich war ich begeistert von Jennifer Iacopellis Romanidee – ein Jugendroman mit dem Fokus Turnen, das ist mal etwas Außergewöhnliches, nicht nur im Hinblick auf das Setting: die Olympischen Spiele in Tokio. Das in ein wunderschönes Cover mit passendem Buchtitel eingebettete Werk ist im Juni 2021 beim DRAGONFLY Verlag (HarperCollins) erschienen und umfasst 320 Seiten.
Die Turnerin Audrey Lee steht kurz vor der Erfüllung ihres Traums. Bis zu ihrer Qualifikation für die Olympischen Spiele war es ein weiter Weg - hinter ihr liegen 14 Jahre harte Arbeit, jede Menge Schweiß und Tränen, Rückschläge und Erfolge: "Landesmeisterschaft und Elite-Qualifikation, NGC-Lager und internationale Meisterschaften, […] Verletzungen, Operationen, Arzttermine und Physiotherapie". Es ist ihre letzte Chance, sich zu beweisen; aufgrund einer Verletzung am Rücken wird sie nach dem Wettkampf mit dem Turnen aufhören müssen. Als wären die allgemeinen Vorbereitungen für Olympia nicht schon überwältigend genug, bricht ein Skandal los, der weitreichende Folgen hat und Audreys Welt ins Chaos zu stürzen droht. Plötzlich muss sie hinterfragen, wem sie bisher vertraut hat – und wem sie weiterhin trauen kann. Ihrem Trainer, der das Team mit subtilen Psychospielen zu Bestleistungen angespornt hat, werden sexueller Missbrauch einer Turnerin sowie die Manipulation eines Drogentestes vorgeworfen; er wird vom FBI verhaftet und das Team der Mädchen teilt sich in zwei Lager auf – jene, die dem vermeintlichen Opfer, Dani Olivero, glauben und jene, die es nicht tun. Zum ersten Mal stehen Audrey und ihre beste Freundin Emma auf verschiedenen Seiten und Audrey ist fassungslos über Emmas Mangel an Mitgefühl. War Emma schon immer so abgeklärt und berechnend, dass sie für den Erfolg über Leichen gehen würde? Wieso verhält sie sich so seltsam? Wird es dem Team gelingen, sich rechtzeitig zusammenzuraufen und viel wichtiger: Wer soll sie nun trainieren?!
Aufgrund der leidenschaftlichen Dokumentation des Wettkampfes spürt man, dass die Autorin, die schon mehrmals am berühmten Turn-Podcast Gymnastics mitgewirkt hat, selbst ein Turn-Fan ist. Gekonnt und detailliert schildert sie die einzelnen Kür-Elemente, wobei insbesondere der Schwebebalken eine besondere Herausforderung für die weibliche Hauptfigur darstellt.
Die nervenaufreibende Atmosphäre in der Halle ging beim Lesen direkt auf mich über, war quasi greifbar – sei es bei der Bekanntgabe der Punktewertungen durch die Kampfrichter oder aufgrund der Dauerbegleitung durch die Presse, welche dem Team auf Schritt und Tritt folgt: Man hat das Gefühl, zusammen mit den besten Kunstturnerinnen der U.S. Nationalmannschaft mitten im Geschehen zu sein. Der immense Erfolgsdruck, die Anspannung, die auf den jungen Frauen lastet, wird eindringlich beschrieben und man kommt nicht umhin, den Sportlerinnen Respekt zu zollen. Ein wenig unrealistisch fand ich, dass Audrey zu Beginn des Romans noch unter heftigen Rückenschmerzen gelitten hat, die im Laufe der Handlung zu verschwinden scheinen. Vielleicht aufgrund des Adrenalinrausches?
Bereits in der Vorbereitungszeit stehen die Mädchen permanent unter Strom, werden mit Zuckerbrot und Peitsche gedrillt und bewusst verunsichert. "[…] er sieht mich nicht an, sondern lässt den Blick über die anderen Mädchen im Raum huschen. Ich bin überzeugt, dass er das mit Absicht macht, um mir zu zeigen, dass es immer, selbst während er mit mir spricht, eine andere gibt, die meinen Platz einnehmen könnte".
Die zarte Liebesgeschichte (- Audrey verliebt sich in den Sohn ihrer neuen Trainerin -) verläuft eher am Rande der Handlung, was ich durchaus realistisch finde, immerhin ist Olympia der Hauptfokus und viel Zeit zum Flirten bleibt da nicht. Allerdings frage ich mich, ob die Einbindung einer potenziellen Romanze wirklich nötig war, da Leo als Figur dermaßen oberflächlich ausgearbeitet worden ist, dass die gegenseitige (angeblich seit Jahren existierende) Schwärmerei absolut unglaubwürdig wirkt.
Richtige Nähe zur Hauptfigur konnte ich zwar nicht aufbauen, jedoch hat mich das ausnahmsweise nicht gestört, denn das Highlight dieses Romans waren ganz klar der Turnsport an sich sowie der Sportgeist und die Solidarität unter den Turnerinnen. Statt der Farbe Gold wird mir in diesem Zusammenhang immer die Farbe Blaugrün in Erinnerung bleiben.
Fazit: Ein sportfokussierter Jugendroman mit kleinen Längen, für den ich solide 3 ½ Sterne vergebe. Gerne empfehle ich das Werk allen Turn-Fans.