Schon der Anfang lässt auf eine spannende Geschichte schließen, bei der man sich in etwa das gleiche denkt, wie das namenlose Kind. Mir fällt es sehr schwer, angemessene Worte für dieses Kunstwerk zu finden, denn meiner Meinung nach ist es genau das – ein wahrliches Kunstwerk. Nussschale war mein erstes Werk des Autors und ich kann sagen, dass ich nun sehr neugierig auf seine weiteren Bücher bin, die im Übrigen alle im hinteren Teil der Lektüre aufgelistet sind.
Der Schreibstil ist einzigartig, voller Metaphern und Vergleiche, fesselnd, schonungslos und zugleich philosophisch. Ich empfand es als wahnsinnig spannend die Umgebung ausschließlich durch die Beschreibungen des Kindes zu erleben, kann es doch nicht sehen und ausschließlich anhand von Geräuschen, aber auch durch Gefühle und Tätigkeiten der Mutter, seine Umwelt wahrnehmen und erfassen. Somit wirkten die Schilderungen teils skurril, teils ungewöhnlich, teils unangenehm. Spannend und zugleich verstörend empfand ich den Aspekt des tatenlosen Zusehens, in welches man in der Perspektive gedrängt wurde. Den Titel finde ich übrigens sehr passend zum Inhalt, ebenfalls das Bild auf dem schlichten Buchcover.
Natürlich haben wir es hier nicht mit der gewöhnlichen Darstellung eines Ungeborenen zu tun, es handelt sich um eine fiktive Erschaffung eines Wesens was bereits im Mutterleib über Moralvorstellungen und eine gewisse Weisheit verfügt, die es in seine Wahrnehmung und Beschreibungen dessen einbaut. Gelungen fand ich die Tatsache, dass die Bindung des Kindes zur Mutter unerschöpflich war, die Liebe grenzenlos, egal was passierte. Leider bestand diese Bindung eher einseitig, was schon alleine dadurch deutlich wurde, dass das Kind bis zuletzt namenlos war, auch wurde es scheinbar eher als Störfaktor wahrgenommen, von allen Parteien.
Die Mutter fand ich unsympathisch, auf mich wirkte es, als wäre sie verzweifelt, böswillig und psychisch labil. Lediglich ihr Verhalten am Ende des Buches konnte ich nachvollziehen, endlich zeigte sie einen minimalen Ansatz von Stärke und Empathie. Der Vater war eine interessante Figur, den Liebhaber hingegen empfand ich als wahnsinnig dümmlich, grausam und einfach gestrickt, zugleich besaß er leider einen immensen Einfluss auf die Mutter und die Entwicklung der Geschichte.
Die Thematik drehte sich primär um die Personenkonstellationen und die Auswirkungen einzelner Taten und Äußerungen. Die Interaktionen fanden hauptsächlich im Haus des Vaters in London statt, wodurch das Setting eher eingeschränkt war, dennoch fand ich die Geschichte sehr spannend, auch wenn das Ende relativ offen blieb. Dies und die Kürze des Buches empfand ich aber nicht als negativ, im Gegenteil. Mir fehlte nichts, das Ganze wirkte insgesamt rund.
Mit Nussschale konnte Ian McEwan mich vollends begeistern und mir Lust auf seine anderen Werke machen. Es handelt sich um eine kluge, skurrile und fesselnde Geschichte über Verrat und Leidenschaft aus der Sicht eines ungeborenen Kindes.
Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.