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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2017

Liebe ohne Namen oder was sagt der Name über uns

Namenlos
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Namenlos ist der Protagonist, ein schreibender Wirtschaftsmensch, der vor kurzem verlassen wurde. Es ist die Verzweiflung der Einsamkeit, mit der dieses Buch emotional einsteigt. Kein Wort ist Kitsch. ...

Namenlos ist der Protagonist, ein schreibender Wirtschaftsmensch, der vor kurzem verlassen wurde. Es ist die Verzweiflung der Einsamkeit, mit der dieses Buch emotional einsteigt. Kein Wort ist Kitsch. Nah an der Figur, vielleicht gerade dadurch, dass kein Name genannt wird. Herr Namenlos trifft eine Frau, sehr klassisch, in einer Bar. Und das ist das einzige klassische daran. Denn die beiden lassen sich auf das Experiment ein, sich ohne Informationen wie Namen kennen zu lernen.
Was ist er eigentlich, dieser Name. Was bedeutet er. Der Erzähler mimt einen personalen, dass er auktorial ist, merkt der Leser, wenn auch die Frau, ihre Gefühle und Gedanken im Mittelpunkt stehen. Hauptfigur aber bleibt der männliche Part der Erzählung. Und der wünscht sich sehr schnell, den Namen der Frau zu wissen, mit der er sich trifft. Und mehr. Doch was ist es eigentlich, was wir wissen müssen, um jemanden zu kennen?
Name, Herkunft, Auto, Wohnort – Informationen, die wenig über unser Inneres aussagen und doch über unsere Prägung. Manche Dinge werden angesprochen, bekannt gegeben. Sehr langsam aber. Stattdessen diskutieren Herr und Frau Namenlos über eben solche sozialen Strukturen, über Philosophie, Musik, Kunst. Eine Argumentationskultur, die viel verrät, ohne sich an den Normen der Statussymbole (Namen, Auto, Wohnung) abzuarbeiten.
Ein interessantes Experiment, dass viel über die eigentliche Basis einer Beziehung aussagt. Frei von Herkunftsmerkmalen (dazu gehört auch der Name), geht es den beiden erst mal um sich. Eben um ihr innerstes. Die Gespräche sind intensiv, tief und voller Inhalte. Statt beschwörend den Namen des anderen zu Hauchen, wird wirklich gesprochen. Ganz ohne den Rest geht es aber doch nicht. Je mehr die beiden unternehmen, desto mehr tauchen sie auch in das Leben des jeweiligen anderen ein. Bis nur noch der Name fehlt, das letzte Rätsel.
Mythologisch gesehen bietet der Name eine Macht über den anderen. Wer den wahren Namen kennt, kann Menschen, Dinge, Dämonen, besiegen. Heute bedeutet der Name auch die Möglichkeit, den anderen zu prüfen. Digital versteht sich. Wir glauben alles zu wissen, weil wir es nachlesen können. Bilder sehen, Kommentare, Lebensläufe. Doch das ist nur ein Abbild des Menschen, nicht der Mensch wirklich. Nika Sachs schafft es, diesen Umstand aufzugreifen.
Der Stil ist wunderbar. Zwischen sehr klaren Debatten wird es geradezu poetisch. Nicht durch Metaphern, sondern durch die Sprache selbst. Die ist hier nicht nur Kommunikationsmedium, sondern Kunstwerk. Darin gehe ich als Lesende auf, verliere mich, tauche ein. Und so werden auch die Argumentationen nicht einfach dahingestellt, sondern dem Leser als Angebot gemacht.
Namenlos ist eine wundervolle Liebesgeschichte, ohne Kitsch, ohne Schnulziges, ohne Übertreibungen. Bitte lesen!

Veröffentlicht am 11.05.2017

Spannend, ehrlich, entmythologisiert

Die Weiße Rose
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Die Weiße Rose ist ein Begriff, der aus der deutschen Geschichte nicht mehr wegzudenken ist. Der Mythos dieser Widerstandsgruppe, die mit Flugblättern das Grauen der nationalsozialistischen Herrschaft ...

Die Weiße Rose ist ein Begriff, der aus der deutschen Geschichte nicht mehr wegzudenken ist. Der Mythos dieser Widerstandsgruppe, die mit Flugblättern das Grauen der nationalsozialistischen Herrschaft aufzudecken versuchte, und gleichzeitig andere zum Mitmachen animieren wollten, ist enorm. Zentral dabei die Geschwister Scholl und vor allem Sophie Scholl. Straße, Schulen, Denkmäler wurden benannt. Erst kürzlich hat der Film über die letzten Tage von Sophie Scholl diesen Mythos weiter befeuert. Dabei war die Weiße Rose weit mehr.
Miriam Gebhard setzt früh an. Sie versucht die unterschiedlichen Theorien zum Grund für den Widerstand aufzuarbeiten. Dabei trifft sie auf ganz unterschiedliche Gründe bei den einzelnen Mitgliedern. So unterschiedlich sind die Vorgeschichten der Münchener Widerstandsgruppe, so vielseitig die Hintergründe. So zeigt das Buch, dass ein gemeinsamer Grund ebenso unglaubwürdig ist, wie ein gemeinsames Ziel. Die Münchener Gruppe wollte viele verschiedene Dinge. Sie war sich allein darin einig, dass die nationalsozialistische Regierung weg musste.
Ich fand es unheimlich spannend, tiefer in diese Materie einzudringen. Dass Miriam Gebhard zu Beginn die Mitglieder der Gruppe einzeln fokussiert, fand ich sehr gut. So wurde nicht nur die unterschiedliche Position der Akteure klar. Gleichzeitig wurden Sophie und Hans Scholl eingeordnet, von dem Podest gehoben, das im gleichen Rahmen auch erklärt wurde. Dieser Blick erzeugte eine gewisse Nähe. Und auch der weitere Verlauf, die Geschichten hinter den Flugblättern, war so interessanter und konnte sehr gut verfolgt werden.
Das Buch ist deshalb so gut, weil es relativiert, Unstimmigkeiten in dem bisherigen Mythos um die Weiße Rose aufzeigt und dann entmythologisiert. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurde heißt auch diese „Normalität“ zu zeigen. Die Verbindungen und Abgrenzungen zum Nazi-Regime. Die individuellen Beweggründe und Verläufe. Das große Problem der Aufklärung um die Münchener Gruppe, da gerade die ersten Berichte maßgeblich von der Schwester von Hans und Sophie geleistet wurden. Es ist, was es sein soll. Ein Sachbuch, das nicht wertet.

Veröffentlicht am 30.04.2017

macht Spaß

Ei, Ei, Ei, was seh ich da?
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Ich bin ja eigentlich kein großer Freund solcher "Bilder"-Bücher. Aber dieses hat es mir angetan. Allein die Idee, Eier so in Szene zu setzen finde ich schon toll. Und die kleinen Sprüche dazu lassen mich ...

Ich bin ja eigentlich kein großer Freund solcher "Bilder"-Bücher. Aber dieses hat es mir angetan. Allein die Idee, Eier so in Szene zu setzen finde ich schon toll. Und die kleinen Sprüche dazu lassen mich immer wieder schmunzeln.
Die Eier treten hier als stereotype Personifizierungen auf. Als Superheld und Prinzessin beispielsweise. Und dann doch wieder wunderbar verzerrt. Der Superheld ist superwütend. Unser Lieblingsbild. Ein wunderbarer Wortwitz, pfiffige Ideen und ein Spaß beim Anschauen. Jedes Mal wieder.
Die Kinder lieben das Büchlein. Der kleine Trick, jedes "ei" im Wort mit einer Eiform außenherum zu kennzeichnen verdeutlicht das Thema amüsant. Jeder, der es bisher in der Hand hatte oder "vorlesen" sollte, hat gekichert.
Nicht zu vergessen, die Inspiration, mit Eiern mal was anderes zu machen, als sie zu färben. Frischer Wind auf dem Ostertisch und große Augen sind garantiert.

Veröffentlicht am 29.03.2017

Großartig

Liebe ist wie Drachensteigen
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Hadleys Welt steht Kopf, seit sie erfahren hat, dass ihr Vater fremd gegangen ist. Ihre Mutter verschanzt sich auf der Arbeit, der Umzug war auch nicht gerade hilfreich und obwohl Hadleys Vater die Familie ...

Hadleys Welt steht Kopf, seit sie erfahren hat, dass ihr Vater fremd gegangen ist. Ihre Mutter verschanzt sich auf der Arbeit, der Umzug war auch nicht gerade hilfreich und obwohl Hadleys Vater die Familie nicht verlassen hat, fühlt sie sich ihm so fremd. Dann trifft sie auf Sam, der sie nur zu gut versteht. Seine Eltern sind frisch geschieden und er versucht mit allen Mitteln, seine kleine Schwester zu schützen. Hadley und Sam verbindet zuerst ein Geheimnis und dann etwas, was eigentlich unmöglich erscheint und was beide verwirrt. Echte Gefühle.
Ich habe das Buch angefangen und konnte nicht mehr aufhören. Die Geschichte ist packend vom ersten Wort an. Der Leser wird direkt reingeschmissen in die zerstörten Welten von Sam und Hadley, leidet mit und erkennt sofort, dass beide im Grunde verzweifelt nach einem Halt suchen. Die Handlung fokussiert abwechselnd Hadley und Sam und sorgt so schnell dafür, dass der Leser mehr weiß, als die Figuren. Dennoch habe ich bis zum letzten Wort mitgefiebert. Vielleicht gerade deshalb, denn zusammen erfahren die beiden eine so umwerfende Dynamik, dass alles logisch erscheint und alles überraschend ist. Großartig.
Wirklich begeistert haben mich die intertextuellen Verweise. Das Buch zeichnet eine Mischung aus Romeo und Julia und Viel Lärm um nichts nach und geht doch seinen eigenen Weg. Die Verfeindung ist eine frische und wird mit viel Schmerz und Empathie dargestellt. Viele Figuren begehen schwerwiegende Fehler in Liebe ist wie Drachensteigen, doch auf eine wunderbare Art und Weise schafft Ashley Herring Blake es, diesen Fehlern Tiefe zu verleihen. Hier ist nichts platt, sondern alles von einer zauberhaften Psychologisierung durchzogen. Jeder Charakter wird plastisch, jede Handlung begründet. Gut und Böse, Richtig und Falsch verschwimmen dabei nicht unbedingt, sondern werden durch Blickwinkel erweitert. Auch wer Falsches tut hat Gründe, die alles in einem anderen Licht erstrahlen lassen. Erkenntnis, Vergebung, Trauer, Überwindung. Eine Mischung, die packt.
Sam und Hadley sind dann auch beide keine Figuren, die ohne Tadel bestehen. Beide versuchen mit ihrem Schmerz umzugehen und verletzen dabei andere. Dabei kreisen sie unentwegt umeinander. Ein tragisches Verwirrspiel und die Frage, ob es in der Ausweglosigkeit der Situation Hoffnung geben darf lassen Liebe ist wie Drachensteigen geradezu philosophisch wirken. Auf grandiose Weise werden unterschiedliche Wege präsentiert. Und obwohl dabei der Rahmen einen vorhersehbaren Weg geht, überraschen die Figurenentwicklungen wie die Verschiebungen innerhalb des Romans.
Falls ihr es bis hierhin noch nicht verstanden habt: Ich liebe dieses Buch. Lest es! Lest es, denn es ist zeitlos. Es packt die Urstoffe von Rache, Liebe, Einsamkeit und formt darauf eine so wundervolle Geschichte, dass ich ohne Einschränkung behaupten kann: Es ist eine der besten, die ich je kennengelernt habe!

Veröffentlicht am 24.03.2017

satirisch und amüsant, spannend und spielerisch

Xerubian
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Dalon, Inspektor der königlichen Polizei Xeropol hat es mit einem ungewöhnlichen Diebstahl zu tun. Alle Indizien verweisen auf ein mythisches Wesen und einen Ort, der eigentlich gar nicht existiert. Neugierde ...

Dalon, Inspektor der königlichen Polizei Xeropol hat es mit einem ungewöhnlichen Diebstahl zu tun. Alle Indizien verweisen auf ein mythisches Wesen und einen Ort, der eigentlich gar nicht existiert. Neugierde und das Gefühl, etwas Großem auf der Spur zu sein, lassen Dalon über seinen Schatten springen. Gemeinsam mit seinem Dienstdrachen Nerol und einem jungen Kollegen macht er sich auf, den Dieb zu stellen. Doch dann kommt alles ganz anders, als gedacht.
Bereits nach dem ersten Kapitel hatte mich das Buch gefangen. Der Grund ist herrlich einfach. Andreas schafft es einen Stil zwischen Douglas Adams und Terry Pratchett zu finden. Die Wortwitze der Namen sind System. Aath Lan’Tis ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Parallelen zu „realen“ Begebenheiten sind dann auch deutlich erkennbar. Ein freundlicher Zaunpfahl, der als Konzept funktioniert. Fast schon satirisch ist dieses Buch zu betrachtet, etwa wenn der faule Dienstdrache derbes bayerisch spricht. So grandios ich dieses Spiel mit der Sprache fand, gestehe ich wohl ein, dass der ein oder andere gerade hieran Anstoß finden könnte. Partizip I, sehr deutlich sprechende Namen, Dialektik und Ironie ist nicht für jeden Leser ideal.
So herrlich ironisch aufgeladen die Stilelemente sind, so kunstvoll verstrickt ist die Handlung. Und während der Stil verspielt amüsant ist, wird es hier richtig ernst. Denn Dalon ist einem Mysterium auf der Spur. Dabei trifft er auf Freund und Feind, seltsame gestalten. Todesgefahr und der Moment, der alles verändert. Andreas Hagemann zeigt hier, dass er seinen Roman gründlich durchdacht hat und nicht nur mit Stil, sondern auch mit anderen fantastischen Elementen zu spielen weiß. Der satirische Effekt macht die eigentliche Handlung dabei nicht etwa lächerlich, sondern erzeugt im richtigen Augenblick den ernsten Moment. Den Moment, auf den das gesamte Buch hinläuft und der Erwartungen sprengt.
Und dann zeigt sich eben auch, dass der Autor ein Verwirrspiel betreibt. Er nutzt übertriebene Metapher, Wortwitz und ein grandioses Verständnis für fantastische Literatur um etwas Neues zu produzieren. Eben kein Pratchett oder Adams sondern etwas ganz Eigenes. Das begeistert immer wieder auf anderen Ebenen und lässt mich Aath Lan’Tis einfach nur empfehlen.