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Veröffentlicht am 11.05.2017

Ein Junge auf der Suche nach dem verlorenen Frieden

Mein Freund Pax
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Im Buch „Mein Freund Pax“ schreibt die US-Amerikanerin Sara Pennypacker über die Freundschaft eines ungewöhnlichen Paars. Der zwölfjährige Peter hat vor fünf Jahren einen sehr jungen Fuchs im Bau seiner ...

Im Buch „Mein Freund Pax“ schreibt die US-Amerikanerin Sara Pennypacker über die Freundschaft eines ungewöhnlichen Paars. Der zwölfjährige Peter hat vor fünf Jahren einen sehr jungen Fuchs im Bau seiner getöteten Mutter gefunden und aufgezogen. Er hat ihm den Namen Pax gegeben, nach einer Marke für Rücksäcke wie Peter im Roman erklärt. Die beiden sind nahezu unzertrennlich. Jetzt aber rückt ein Krieg immer näher und sein Vater meldet sich zum Dienst an der Front. Peter muss für ein halbes Jahr zu seinem Großvater, der 300 Kilometer entfernt wohnt. Pax kann dahin nicht mit, daher wird Peter von seinem Vater angewiesen ihn an einer Straße auszusetzen, im für den Fuchs unbekannten Gelände. Sehr bald merkt Peter, dass das nicht richtig war, packt einige Sachen zusammen und begibt sich auf die Suche. Allerdings hat er nicht über die Gefahren seines Abenteuers nachgedacht und bald schon wird seine weitere Reise durch eine Verletzung behindert, während Pax in der ungewohnten Freiheit ums Überleben kämpft.

Peter ist ein sympathischer Charakter. Er wird zwar schnell wütend, doch eher ungewollt. Seine Sorge um den Fuchs lässt ihn fürsorglich wirken. Bei der Wahl des Namens für seinen tierischen Freund hat er nicht an Frieden gedacht, aber die gesamte Erzählung steht unter diesem Oberbegriff. Obwohl der Roman in der Gegenwart spielt, legt die Autorin bewusst nicht fest, um welchen Krieg es sich handelt. Durch die Meldung des Vaters zum Kriegsdienst wird Peter direkt damit konfrontiert. Seine Suche nach Pax wird schließlich zu einer Suche nach Frieden, während er die Auswirkungen der Kämpfe auf die Natur erlebt, mehr über die Grausamkeiten der Handlungen erfährt und die Folgen der Erlebnisse im Einsatz von der hilfsbereiten, aber zurückgezogen lebenden Vola erzählt bekommt. Die Geschichte ist auch eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Schuld, die man durch eigenes Verhalten verursachen kann.

Peters Suche ist zunächst das vom Vater angeordnete Ende einer langen Freundschaft und wird schließlich zu einem Weg für Peter an den Erlebnissen zu reifen. Durch seine Erfahrungen und die Antworten auf Fragen, die er stellt, beginnt er verschiedene Dinge zu begreifen. Auch das Verhalten seines Vaters ordnet er neu ein.

Jedes zweite Kapitel widmet Sara Pennypacker dem Rotfuchs Pax. Er hat noch nie gejagt und daher auch noch nie frisch Erlegtes gefressen. Doch seine Instinkte lassen ihn nicht im Stich. Glaubhaft schildert die Autorin, wie Pax die Bekanntschaft zu seines Gleichen findet ohne dabei seine Hoffnung, Peter wieder zu finden, aufzugeben. Der Text wird ergänzt von passenden schwarz weißen Zeichnungen des kanadischen Illustrators Jon Klassen.

Sara Pennypackers Roman ist geeignet für Kinder ab 10 Jahren, aber ihre Geschichte spricht auch ältere Leser und Erwachsene an. Vor dem Hintergrund einer besonderen Freundschaftsbeziehung kommen die Gräuel des Kriegs in vielen Facetten zum Ausdruck. Ich empfehle Eltern, das Buch zu lesen und es mit jüngeren Kindern zu diskutieren. Lesenswert ist es auf jeden Fall!

Veröffentlicht am 04.05.2017

Kreativer Mix magischer Elemente und Science Fiction

Alle Vögel unter dem Himmel
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Die US-Amerikanerin Charlie Jane Anders hat schon vieles in mancherlei Form geschrieben, aber „Alle Vögel unter dem Himmel“ ist ihr erster Roman. Er enthält Elemente der Magie und der Science Fiction. ...

Die US-Amerikanerin Charlie Jane Anders hat schon vieles in mancherlei Form geschrieben, aber „Alle Vögel unter dem Himmel“ ist ihr erster Roman. Er enthält Elemente der Magie und der Science Fiction. Vögel sind es, die einem der Protagonisten, nämlich der sechsjährigen Patricia Delfine sagen, dass sie eine Hexe ist. In der Gegenwart, in der Patricia lebt, werden angesichts einer düsteren Version der Zukunft bald keine Lebewesen mehr die Erde bewohnen und auch kein Sternenhimmel mehr, wie auf dem Cover, zu sehen sein.

Patricia bemerkt bereits als Kind, dass sie mit Vögeln reden kann. Doch nach nur einem einzigen Erlebnis versagt diese Fähigkeit wieder. Zunächst bleibt unklar, ob sie vielleicht nur davon geträumt hat. Ein weiterer Protagonist ist Laurence Armstead, der als Jugendlicher eine Uhr bastelt, mit der man zwei Sekunden in die Zukunft reisen kann. Etwa zu diesem Zeitpunkt treffen die beiden Hauptfiguren zum ersten Mal in der Schule aufeinander. Bis hierhin war die Erzählung für mich zwar mysteriös, aber dennoch hätte sie sich zu einer ganz normalen Liebesgeschichte zwischen Patricia und Laurence entwickeln können. Doch weit gefehlt.

Eines Tages erhält die Schule mit Theodolphus Rose einen neuen Vertrauenslehrer, der den Posten nur als Tarnung angenommen hat, denn er ist Mitglied eines Ordens der Assassinen. Seit Jahren hat er sich vorgenommen, Patricia und Laurence zu töten, denn er glaubt, dass die beiden an dem zukünftigen Krieg zwischen Magie und Wissenschaft die Schuld tragen werden. Er versucht die beiden gegeneinander auszutricksen. Doch sein Spiel geht nicht auf. Stattdessen schlagen Patricia und Laurence unterschiedliche Wege ein und verlieren sich aus den Augen. Als sie einander wieder begegnen ist die Hexenkraft von Patricia gereift und Laurence hat erste Erfolge auf technischem Gebiet. Auf der Erde kommt es an verschiedenen Orten zu diversen Katastrophen. Es stellt sich die Frage, ob die Fähigkeiten der beiden den drohenden Untergang verhindern können. Oder werden ihre Kenntnisse zur Zerstörung der Erde beitragen? Ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt.

Die Geschichte ist ein Mix aus unterschiedlichen Genres. Hierbei hat Charlie Jane Anders eigenes Wissen und Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen eingebracht. Beschreibungen von wissenschaftlichen und technischen Sachen sind leicht verständlich. Zu Beginn schreibt die Autorin auffassungsmäßig auf der Ebene der sechsjährigen Patricia. Der sprachliche Ausdruck wächst mit dem Alter der Protagonisten. Der Roman besteht aus mehreren Buchteilen, dazwischen liegen Zeitsprünge. Sowohl Patricia und Laurence füllen Lücken in ihrer Vergangenheit immer wieder durch Rückblicke zur Erweiterung des Wissens des Lesers auf.

Charlie Jane Anders schreibt mit flinker Feder, manches wirkt wie beiläufig eingebracht, birgt aber so neuartige Ideen, dass es mich immer wieder aufs Neue fasziniert hat. Hin und wieder verliert sie sich etwas in liebevoll gestalteten Details. Gerade bei den fantastischen Elementen des Romans werden ihre Beschreibungen nahezu poetisch. Sie erklärt viele Sachen und lässt ihre Charaktere sich gerne selbst in Frage stellen. Patricia und Laurence lassen sich als Freaks beschreiben. Aufgrund ihrer Marotten stehen sie bei ihren Mitschülern in keinem guten Licht und werden gemobbt. Ihr Verhältnis zueinander ist umstritten. Beide habe ich für manche Dinge bemitleidet, andererseits auch bewundert. Ich war mir unsicher, ob ich ihnen meine Sympathie schenken sollte.

Dieser Roman ist anders wie die bisherigen Fantasy und Science Fiction Bücher die ich bisher gelesen habe. Charlie Jane Anders schreibt kreativ und beeindruckt mit Erklärungen für Magie, so dass man glauben könnte, sie gehöre ganz realistisch zu unserer Welt. Die technischen Entwicklungen klingen nahezu machbar und so ergibt sich ein dystopischer Roman, der verstörend ist, weil er auf seine eigene Art vorstellbar erscheint. Gerne gebe ich hierzu eine Leseempfehlung für Fans von Fantasy und Science Fiction Büchern.

Veröffentlicht am 07.04.2017

Ist Liebe auch im Alter möglich?

Und jetzt lass uns tanzen
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Marguerite, 78 Jahre alt, und Marcel, 73 Jahre alt, begegnen sich bei einem Kuraufenthalt im Süden Frankreichs zum ersten Mal. Beide haben vor geraumer Zeit ihren Ehepartner verloren. Sie sind die Protagonisten ...

Marguerite, 78 Jahre alt, und Marcel, 73 Jahre alt, begegnen sich bei einem Kuraufenthalt im Süden Frankreichs zum ersten Mal. Beide haben vor geraumer Zeit ihren Ehepartner verloren. Sie sind die Protagonisten des Buchs „Und jetzt lass uns tanzen“ der Belgierin Karine Lambert. Nicht nur die zunehmenden großen und kleinen Zipperlein sondern auch die Leere in ihren Wohnungen gestalten ihr Leben wie einen Tanz auf dem Drahtseil. Die Figuren auf dem Cover des Romans nehmen den Leser auf direktem Weg mit hinein in die Geschichte. Für Marguerite und Marcel wird die gemeinsame Zeit zu einem Balanceakt auf schmalem Grat zwischen dem Bekenntnis zueinander und der Sorge ihrer Kinder über das entstandene Verhältnis.

Marguerite war mit ihrem Mann Henri über 50 Jahre verheiratet. Henri war einige Jahre älter als sie und ein angesehener Notar. Er ist unerwartet verstorben. Nach einem großen Schicksalsschlag in der Familie hat sie als junge Frau bei Henri Sicherheit, Beständigkeit und in gewissem Maße auch Wohlstand im Leben gefunden. Seine Entscheidungen hat sie nie in Frage gestellt. Ganz nach seinen Vorstellungen war sie das Schmuckstück an seiner Seite. Eigene Wünsche hat sie den seinen routinemäßig untergeordnet. Das Glück wurde von einem gemeinsamen Sohn ergänzt, der in die Fußstapfen des Vaters getreten ist.

Ganz anders ist das bisherige Leben von Marcel verlaufen. Der frühere Tierpfleger ist gebürtig aus Algerien und als Jugendlicher mit seinen Eltern während des Unabhängigkeitskampfs nach Frankreich geflüchtet. Begleitet wurden sie von der Nachbarsfamilie, die es aber eines Tages wieder in die Heimat zog. Doch sieben Jahre später kehrt Nora, die Tochter der Nachbar zu ihm zurück. Hier zeigt sich die Geschichte einer Flucht und Möglichkeiten eines Neuanfangs, wie sie heute nicht aktueller sein könnten. Marcel und Nora sind ebenfalls fast 50 Jahre verheiratet als Nora tragisch verstirbt. Marcels Tochter sorgt sich um ihren Vater und schenkt ihm eine Reise, auf der er Marguerite kennen lernen wird.

Marguerite und Marcel sind zwei sehr unterschiedliche Charaktere. Wären sie noch jung, würde wahrscheinlich auch der Altersunterschied deutlich sichtbarer sein. Außerdem kommen sie aus verschiedenen Gesellschaftsschichten. Marguerite wohnt im großzügigen Einfamilienhaus, Marcel lebt in einer Wohnung im 2. Stock eines Mietshauses. Aber sie haben auch eine große Gemeinsamkeit: Beide bringen Erfahrungen aus langen Ehejahren mit. An schöne Dinge erinnern sie sich gerne und wünschen sich, diese mit jemandem wieder erleben zu können. Andere Situationen möchten sie lieber vergessen und nie mehr daran denken. Nach ihrer ersten Begegnung brauchen beide eine gewisse Zeit um zu begreifen, welche Erfahrung sie da gerade gemacht haben. Marguerite ist gemeinsame Lachen aufgefallen, dass sie befreiend fand und Marcel war von ihrer Offenheit sehr angetan. Jeder verarbeitet das kurze Aufeinandertreffen auf seine Art und Weise mit allem Für und Wider einer weiteren Kontaktaufnahme. Doch eine Variable haben sie bei ihren weiteren Aktivitäten nicht berücksichtigt und das ist ihr Nachwuchs. Vor allem der Sohn von Marguerite, dem das Verhalten seines Vaters zu seiner Mutter ein Vorbild zu sein scheint, ist gegen eine neue Beziehung seiner Mutter zu einem Mann.

Karine Lambert schreibt in einem leicht lesbaren, einnehmenden, warmherzigen Schreibstil. Man kann gar nicht anders als die beiden Protagonisten zu mögen. Marguerite und Marcel zeigten mir als Leser, dass man auch mit fortgeschrittenem Alter noch viel Neues entdecken und erleben kann und das diese Erfahrungen gemeinsam noch mehr Freude machen können. Die Autorin schneidet in ihrer Geschichte auch das Thema der körperlichen Anziehungskraft zueinander an. Sie verschweigt nicht den Schmerz der Trauer um den Verlust des geliebten Menschen, der niemals ganz vergehen wird. Gleichzeitig zeigt sie einen Weg auf, damit umzugehen und auch die Trauer des neuen Partners zu respektieren, sowie sich gegenseitig zu stützen. Auch das Problem, seine Liebe erneut zu verlieren, wird von ihr thematisiert. In ihrer realistischen Darstellung der Beziehung gibt es nicht nur Verständnis füreinander, sondern auch Auseinandersetzungen.

Das Buch ist eine Liebesgeschichte der ganz besonderen Art, die zeigt, dass Liebe in jedem Alter möglich ist. Sie ist einfühlsam geschrieben und entbehrt nicht einer gewissen Heiterkeit, die mich immer wieder zum Schmunzeln brachte, wenn Marguerite und Marcel ihre Wünsche wahr werden ließen. Gerne empfehle ich diesen Roman weiter.

Veröffentlicht am 31.03.2017

Gelungener Debütroman

Fast eine Familie
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Ihr Hochzeitstag sollte einer der schönsten Tage des Lebens für Lolly und Will werden. Doch dann gegen sechs Uhr in der Früh explodiert das Haus in dem kleinen Ort Wells an der Ostküste der USA in dem ...

Ihr Hochzeitstag sollte einer der schönsten Tage des Lebens für Lolly und Will werden. Doch dann gegen sechs Uhr in der Früh explodiert das Haus in dem kleinen Ort Wells an der Ostküste der USA in dem sie schlafen und reißt sie in den Tod. Mit diesem fulminanten Anfang beginnt der Roman „Fast eine Familie“, dem Debüt des US-Amerikaners Bill Clegg. Fassungslos zurück bleibt June, die Mutter der Braut, die nicht im Haus war. Außer dem jungen Paar verliert sie ihren Ex-Mann und ihren Lebensgefährten bei dem Unglück. June lässt das Geschehen immer wieder Revue passieren. Die innere Leere lähmt sie, diese Tiefe des Abgrunds der Einsamkeit der sich vor ihr auftut konnte ich nachempfinden. Deutete das Cover noch eher auf eine beschauliche Geschichte hin, bereitete der Klappentext mich bereits auf das entsetzliche Ereignis vor und die sichtbaren dunklen Wolken am Himmel auf dem Titelbild deuten das Unheil an.

Mit dem Brand des Wohnhauses endet für zwei junge Leute eine gemeinsame Zukunft als Familie, die noch gar nicht begonnen hat. Anstelle des Brautpaars stehen im Mittelpunkt der Erzählung diejenigen, die durch das Unglück wohl am meisten Leid erfahren, die Mütter. Einerseits ist es June, andererseits Lydia, die Mutter von Junes Lebensgefährten Luke. Der Autor erzählt aus unterschiedlichen Erzählperspektiven mal als auktorialer Erzähler wie bei June und Lydia, mal lässt er die Figur selbst zu Wort kommen. Es sind die Personen, die June und Lydia und deren Kinder sowie Will gekannt haben, die jeweils mit ihrer Geschichte einen weiteren Puzzlestein dazu liefern, das Geschehen vor und nach der Tragödie zu einem Großen und Ganzen zu ergänzen.

Von Beginn an fragte ich mich, was der Auslöser für die Explosion war. Im Laufe des Lesens trat die Frage immer mehr in den Hintergrund, die Erzählung wendete sich mehr der Beziehung zwischen June und Luke zu. Luke schien Zeit seines Lebens durch seine Herkunft, sein Äußeres und seinen gutwilligen Gemüt dazu prädestiniert, der Schuldige zu sein. Auch nach dem Brand wird er ohne weitere Gründe von den Bewohnern der Ortschaft zum Täter erklärt.

Auf eindrucksvoll empfindsame Weise zeichnet der Autor ganz nebenbei das Miteinander in einer Kleinstadt an der Ostküste, das verbunden ist mit seinen Bewohnern von denen sich in der Regel die meisten einander kennen. Doch gerade in Wells hat sich in den letzten Jahrzenten die Bevölkerungsstruktur geändert und ein großer Teil der Häuser wird von Touristen und Besitzern nur noch am Wochenende bewohnt. Dadurch ist die Zahl der Bediensteten gestiegen, die besserverdienenden Hauseigentümer bevorzugen das Leben in der Großstadt. Ein Überschreiten der Grenze zwischen Eigentümer und Angestelltem wie bei Luke und June wird kritisch gesehen.

June wendet dem Dorf verständnislos den Rücken und fährt mit ihrem Auto bis an die Westküste zu einem Motel. Dort findet sie zunächst den benötigten Abstand, aber auch eine ungewöhnliche Form der Hilfe, die mir während des Lesens die Hoffnung darauf gab, dass June aus ihrer Starre herausfinden und es für sie einen Neuanfang geben wird. Gegenüber dem Dorfgefüge steht das Motel direkt am Meer der Westküste als Kleinkosmos mit seiner beschränkten, aber ständig wechselnden Zahl an Gästen. Hier scheinen Wünsche in Erfüllung zu gehen, alles ist möglich, dazu gehört aber auch Enttäuschung. Allein durch ihren anhaltenden Aufenthalt gewinnt June Aufmerksamkeit in dieser Umgebung.

Bill Clegg erzählt in keiner zeitlichen Reihenfolge. Seine Figuren schildern jeweils ihren Teil der Geschichte, der meistens nicht direkt mit dem Unglück zusammenhängt. Jeder hat schon Bedeutsames erlebt und so wird aus fast jedem Kapitel eine Short Story. Dabei bin ich vielen interessanten Charakteren begegnet, erfuhr wie sie die Liebe ihres Lebens kennengelernt und ihren Platz im Leben gefunden haben.

Der Autor gibt die Hoffnung mit, dass es sie gibt, die aufmerksamen Menschen auf die man zu ungeahnter Zeit an unvermutetem Ort trifft und die uneigennützig beherzt dort helfen wo sie Handlungsbedarf sehen. „Fast eine Familie“ ist ein Buch mit großen Emotionen, sehr einfühlsam geschrieben und ergreifend. Ein gelungener Debütroman dem ich gerne eine Leseempfehlung gebe.

Veröffentlicht am 29.03.2017

Eine Geschichte zwischen Realität und Fiktion

Der Club
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„Der Club“ ist der Debütroman von Takis Würger. Mit dem Titel ist ein elitärer Club für männliche Studenten der Universität in Cambridge gemeint. Die Ausstattung des Romans im Leinengewand in clubähnlichen ...

„Der Club“ ist der Debütroman von Takis Würger. Mit dem Titel ist ein elitärer Club für männliche Studenten der Universität in Cambridge gemeint. Die Ausstattung des Romans im Leinengewand in clubähnlichen Farben vermittelt dem Leser ein entsprechend auserlesenes Gefühl. Bei seiner Geburt in Niedersachsen ahnt noch niemand, dass Hans, der Protagonist des Buches, einmal zu diesem angesehenen Club gehören wird.

Hans ist ein ruhiges Kind, das möglichst jeden Trubel meidet und hervorragend beobachten kann. Nach einem Zwischenfall in der Schule meldet sein Vater ihn zum Boxtraining an. Er fährt ihn zu jeder Veranstaltung und verstirbt auf der Fahrt zu einem Turnier als Hans 15 Jahre alt ist. Wenige Monate später verliert er auch seine Mutter. Nachdem er bis zum Abitur in einem Internat gelebt hat, besorgt ihm seine in England wohnende und in Cambridge dozierende Tante ein Stipendium und einen Studienplatz an eben dieser Universität, allerdings mit der Bedingung, dass Hans ihr helfen soll ein Verbrechen aufzuklären. Nach einiger Überlegung ist er dazu bereit, obwohl er die Art der begangenen Straftat nicht kennt. Mit Hilfe von Charlotte, einer Doktorandin seiner Tante, wird er Mitglied im Pitt Club, dem nur Auserwählte beitreten dürfen. Was Hans dort sieht und erlebt entspricht nicht seinen Wertvorstellungen und immer wieder stellt er sich die Frage, ob der Weg richtig ist den er eingeschlagen hat.

Die Mutter von Hans ist bereits vor der Schwangerschaft mit ihm an Krebs erkrankt. Vielleicht ist es diese Tatsache die ihm jede Menge Respekt vor dem Leben und dem Leiden eines Menschen mit auf seinen Weg gibt. Er hat eine stoische Art sein Schicksal zu akzeptieren, doch weil seine englische Tante ihm nicht anbietet, ihn aufzunehmen, bleibt ihm kaum eine andere Wahlmöglichkeit außer dem Internat. Zum Glück findet er hier Gelegenheit zum Boxen, denn dieser Sport verhilft ihm nicht nur zu Kraft sondern sorgt auch dafür, dass er seine Gedanken konzentrieren und seine Gefühle kanalisieren kann. Takis Würger schreibt hierbei aus eigener Erfahrung und seine Begeisterung für den Sport ist im Geschriebenen erkennbar.

Doch in Hans spiegelt sich der Autor selbst nicht wieder. Ganz bewusst ist sein Protagonist im Vergleich eher klein, der Autor aber genau das Gegenteil. Nach den Ereignissen, die Takis Würger selbst als Mitglied im Pitt Club erlebte, kann ich verstehen, dass Hans nicht sein Alter-Ego sein soll. Unscheinbar soll Hans sein und dadurch ein bedeutungsloses Mitglied, wenn er denn unbedingt seiner Tante den Gefallen zu erfüllen hat. Erschreckend sind die eigenen Erfahrungen des Autors im Club, die er in die Handlungen seiner fiktiven Figuren einfließen lässt, doch sie stachelten meine Neugier an, darüber zu lesen und herauszufinden um welches Verbrechen es sich handelt, dass der Protagonist aufklären soll.

Für Hans ist die Zeit in Cambridge wichtig, um zu erkennen, wie weit er gehen kann, um ein Ziel zu erreichen. Takis Würger spielt mit unterschiedlichen Erzählperspektiven in seinem Roman, eine davon ist natürlich Hans, der seine Erlebnisse in der Ich-Form schildert. Auf diese Weise ist es auch möglich an seiner Gewissensbildung durch innere Auseinandersetzungen teilzuhaben.

„Der Club“ ist tiefgründig, geistreich und spannend geschrieben ohne zu moralisieren, obwohl er durchaus ein Plädoyer für ein faires Miteinander der Geschlechter und Gesellschaftsschichten ist. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und gerne gebe ich hierfür eine Leseempfehlung.