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Veröffentlicht am 15.05.2021

Der Kryptograph

Ghost Station
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Plötzlich war sie da. Es gab Gerüchte, aber niemand rechnete damit, dass sie tatsächlich gebaut werden würde. Dann, am 13.August 1961 wurde auf Seiten der DDR mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. Und ...

Plötzlich war sie da. Es gab Gerüchte, aber niemand rechnete damit, dass sie tatsächlich gebaut werden würde. Dann, am 13.August 1961 wurde auf Seiten der DDR mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. Und damit wird auch der Kontakt zwischen den Mitarbeitern einer Abhorchstation, die BND und CIA gemeinsam betreiben, und ihren Agenten in der DDR erschwert. Nun sind sie auf Funkübertragungen angewiesen, die der Kryptograph Wallace Reed zu entschlüsseln hat. Ihr wichtigster Verbindungsmann berichtet auf diese Weise von einem Doppelagenten, der in der Station installiert werden soll. Reed und sein Chef sind in heller Aufregung.

Wenn man Dan Wells eher von seinen Horror Thrillern kennt, rechnet man nicht mit einen Spionageroman. Auf den ersten Blick wirkt das zwar etwas oldschool, aber schnell fühlt man sich in die Handlung ein. Wallace Reed ist eigentlich nur ein Büromensch, allerdings mit besonderen Qualitäten. Die Kryptographie ist keine einfache Wissenschaft, die einem mal eben so in die Wiege gelegt wird. Und wenn Wallace sein Kryptographengesicht aufsetzt, wissen alle, dass er die Fährte aufgenommen hat. Und nun geht es darum, diese feindliche Operation zu stören, in einer gefährlichen Zeit, in der aus dem kalten Krieg schnell ein heißer werden könnte.

Nachrichten müssen entschlüsselt werden, ein Doppelagent soll enttarnt werden und man muss die Pläne des Feindes durchkreuzen. Doch können sich die Mitarbeiter der Station untereinander trauen? Schließlich sind beim BND auch ehemalige Nazis eingesetzt, die möglicherweise nicht alles offenbaren. Oder wäre eher einer der Amerikaner anfällig für einen Anwerbeversuch? Man spürt bei Lesen das wachsende Misstrauen und die steigenden Anspannungen zwischen Ost und West. Kann überhaupt noch verhindert werden, dass die Grenze vollständig geschlossen wird? Die Mitarbeiter der Station beginnen sich zu belauern. Und mit jedem Hinweis der entschlüsselt wird, ergibt sich eine neue Sicht. Mann, was war das spannend. Die Atmosphäre der Zeit um den Mauerbau ist wirklich hervorragend eingefangen, auch wie die Agenten zwischen den unwissenden Anwohnern agieren und manche harmlose Nachbarn garnicht so harmlos sind. Tatsächlich kann man sich vorstellen, so könnte es gewesen sein.

Veröffentlicht am 09.05.2021

Reopening

Kleine Wunder um Mitternacht
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Am 13. September wird Namiyas Gemischtwaren für eine einizige Nacht wiedereröffnet. Und davon wie es dazu kommt erzählt dieses Buch. Als die Frau von Herrn Namiya verstirbt verlässt ihn der Lebensmut. ...

Am 13. September wird Namiyas Gemischtwaren für eine einizige Nacht wiedereröffnet. Und davon wie es dazu kommt erzählt dieses Buch. Als die Frau von Herrn Namiya verstirbt verlässt ihn der Lebensmut. Er ist kurz davor aufzugeben. Eher aus Spaß beginnen die Kinder aus der Nachbarschaft, Herrn Namiya um Rat zu bitten. Der alte Herr blüht wieder auf und schon bald werden auf ernsthafte Fragen an ihn herangetragen. Herr Namiya widmet sich jeder Frage mit Liebe und Respekt. Und als viele Jahre später scheint sein Geist immer noch in seinem Laden zu wirken. Das bekommen drei junge Einbrecher zu spüren, die sich hier verstecken.

Der Autor Keigo Higashino ist bisher eher mit seinen ausgeklügelten Kriminalromanen bekannt. Nun aber überrascht er mit einem Gesellschaftsroman mit einer leicht fantastischen Note. Das Buch beginnt in der Gegenwart in dem Moment, wo die Einbrecher den alten Laden erreichen. Dieser wirkt, obwohl schon lange geschlossen, noch sehr frisch. Sehr überrascht sind die jungen Männer als plötzlich ein Brief durch den Briefschlitz fällt. Sollen sie den Brief lesen oder gar beantworten? Und was ist mit dem alten Herrn, dem der Laden einmal gehört hat? Wird diese Nacht auch das Leben der drei Einbrecher verändern?

Klar, kein Krimi, aber doch eine äußerst spannende Geschichte um die Ratschläge eines alten Herrn, der unerwartet das Leben vieler Menschen beeinflusst. Nicht immer wird sein Rat genau befolgt, doch immer bewirkt er etwas zum Positiven. Der alte Herr Namiya schreibt mit dem Herzen und auch wenn sie ihn nie gekannt haben, so fühlen die drei Eindringliche auch seinen liebevollen Geist. Mit diesem herzerwärmenden Roman berührt Keigo Higashino seine Leser. Gerade in der heutigen Phase möchte man manchmal in eine schönere Welt entfliehen und sich mit positiven Vibes umgeben. Dieser wunderbare Roman bietet dazu die beste Gelegenheit. Man taucht ein, fühlt mit den Protagonisten und schließt das Buch mit Sonne im Herzen.

Veröffentlicht am 30.04.2021

Eingedenk der Kinder

Der Bruder
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Vor Jahrzehnten verschwanden in der Schweiz mehrere Kinder. Ein Täter wurde gefasst und verurteilt, obwohl er behauptete für einen Teil der Taten nicht verantwortlich zu sein. Und nun in der Gegenwart ...

Vor Jahrzehnten verschwanden in der Schweiz mehrere Kinder. Ein Täter wurde gefasst und verurteilt, obwohl er behauptete für einen Teil der Taten nicht verantwortlich zu sein. Und nun in der Gegenwart ist wieder ein Kind verschwunden. Der sechsjährige Fabio Della Fortunata ist auf dem Weg zum Kindergarten verschwunden. Sandro Bandini, Leiter der Dienststelle, fährt persönlich zu den Eltern, um die ersten Informationen einzuholen. Natürlich erfährt auch seine Freundin Milla Nova von der Tat, von ihrem Chef bekommt sie den Auftrag, einen Bericht zu dem Fall zu machen. Bei Sandro kommt das nicht so gut an, ihrer beider Berufe bergen doch einiges an Konfliktpotential.

Bei diesem Roman handelt es sich um den dritten Auftritt von Milla und Sandro. Auch Millas Kumpel Nathaniel und seine Blindenhündin Alisha sind wieder mit von der Partie. Das Verschwinden des kleinen Fabio erinnert Sandro an die Fälle der vor Langem verschwundenen Kinder. Kann es Parallelen geben? Der Täter wurde doch verurteilt. Zur selben Zeit reist die Rechtsmedizinerin Irena Jundt zurück in ihren Heimatort. Ihr Vater ist verstorben. Kontakt hat sie keinen mehr, zu viel ist in der Vergangenheit passiert. Das Verschwinden ihres damals 11jährigen Bruders Beni hat die Familie zerstört.

Spannung, Humor und so manche fiese Cliffhanger am Ende einiger Kapitel. Das macht diesen fesselnden Kriminalroman aus, in dem vielleicht etwas viel gestorben wird. Wunderbar ist ein Wiederlesen mit Milla Nova, Sandro Bandini und ihren Freunden und Kollegen. Die Balance zwischen Privatem und Beruflichen wird gut gehalten. In Millas und Sandros nicht ganz einfacher Beziehung knistert es. Und auch bei Nathaniel gibt es neue Entwicklungen, die sich sehr schön an den letzten Fall anschließen. Hauptsächlich geht es um die verschwundenen Kinder, ein Motiv, das wohl einen realen Hintergrund hat. Und dieses Thema ist ausgesprochen packend aufbereitet. Manchmal denkt man, mit ihrer Kombinationsgabe wäre Milla besser bei der Polizei aufgehoben, besonders wenn sie dieser mal wieder einen Hauch voraus ist. Ein Kriminalroman mit einer fast perfekten Mischung der Zutaten. Wenn man seine Nase einmal hineingesteckt hat, um mitzuschnüffeln, mag man kaum noch aufhören.

Veröffentlicht am 21.04.2021

Ein guter Mensch

Der Junge, der das Universum verschlang
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Im Jahr 1983 führt Eli Bell nicht gerade das Leben eines gewöhnlichen Jungen. Bei seinem Babysitter und besten Freund handelt es sich um einen ehemaligen Sträfling, der mehrfach ausgebrochen ist. Beim ...

Im Jahr 1983 führt Eli Bell nicht gerade das Leben eines gewöhnlichen Jungen. Bei seinem Babysitter und besten Freund handelt es sich um einen ehemaligen Sträfling, der mehrfach ausgebrochen ist. Beim letzten Mal hat Slim das Gefängnis allerdings durch die Tür verlassen. Gus, Elis älterer Bruder, spricht nicht mehr, er malt Worte in die Luft und Eli ist einer der Wenigen, die es lesen können. Und Elis Mutter und sein Stiefvater dealen mit Drogen. Dennoch haben Eli und Gus eine Kindheit, denn ihr Stiefvater behandelt sie relativ gut. Doch als Lyle beginnt, auf eigene Faust zu arbeiten, gerät die vermeintlich heile Kinderwelt aus den Fugen.

Die Kindheit und Jugend zweier außergewöhnlicher Brüder in Australien. Die Jungen müssen einiges ertragen und sie bleiben dabei Jungs. Da ihr Leben eben so ist, finden sie nichts so besonderes daran, dass ihr Stiefvater mit Drogen handelt. Eher wollen sie mitmischen. Allerdings strebt besonders Eli nach einer normalen Zukunft. Sein Traum ist es, Journalist zu werden. Doch erstmal geht er der Frage nach, was es heißt, ein guter Mensch zu sein. Sein großes Vorbild ist dabei Slim, dessen Worte immer in Elis Gedanken sind.

Es könnte beinahe schon eine Phase sein, der ungewöhnlichen Familienromane, die man in letzter Zeit gelesen hat. Doch dieser Roman ist so speziell, dass er eine Alleinstellung beansprucht. Zum einen, weil die Geschichte von Slim Halliday einen realen Hintergrund hat und zum anderen, weil die Kindheit von Gus und Eli einen viel darüber nachdenken lässt, was Kinder alles aushalten können und wie sie zu einer glücklicheren Zukunft finden. Was heißt es, ein guter Mensch zu sein oder auch ein böser? Kann man sich ändern? Kann man vom Weg, der vorgegeben scheint, abbiegen? Diese beiden Jungen entwickeln eine unglaubliche Kraft, die auch ein wenig auf den Leser abstrahlt. Die Suche nach dem Guten ist eingebettet in eine spannende Story um Drogen und das Verschwinden von Lyle, die zu einem Finale führt, mit dem man nie rechnen würde.

Veröffentlicht am 05.04.2021

Jochen der Rochen

Über Menschen
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Der erste Lockdown in der Corona-Pandemie läuft. Die Menschen sind alle irgendwie seltsam geworden. Jeder hat Recht und es wird nicht miteinander geredet. Robert, Doras Freund ist besonders überzeugt, ...

Der erste Lockdown in der Corona-Pandemie läuft. Die Menschen sind alle irgendwie seltsam geworden. Jeder hat Recht und es wird nicht miteinander geredet. Robert, Doras Freund ist besonders überzeugt, dass das Klima gerettet werden muss und die Corona-Maßnahmen einzuhalten sind. Dora hat vor einiger Zeit ein heruntergekommenes Haus in Brandenburg erworben und nun nimmt sie ihren kleine Hündin Jochen und zieht aufs Land. Auch dort sind die Menschen seltsam, aber anders. Will Dora dort bleiben? Immerhin kann sie jederzeit in die Stadt, wenn sie denn irgendwelche öffentlichen Verkehrsmittel findet. Erstmal fängt sie an, ein Gemüsebeet anzulegen und dann wird sie weitersehen.

Das Landleben in Brandenburg hat nicht so einen guten Ruf. Zu oft liest man von den Rechten, die dabei sind dort die Oberhand zu gewinnen. Doch lauert wirklich an jeder Ecke ein Rassist? Eines merkt Dora schnell. Eine verschlossene Tür bedeutet hier nicht viel. Sie müht sich auf ihrem viertausend Quadratmeter Grundstück ab. Und plötzlich muss sie sich fragen, ob sie unter die Heinzelmännchen geraten ist. Der Garten wird gerodet, ein Bett wird gebaut. Etwas beängstigend. Froh ist Dora, dass ein Nachbar die Straße runter sie nach dem Einkaufen mitnimmt. Sie beginnt zu verstehen, wieso in ländlichen Gegenden die meisten Leute ein Auto haben.

Der neue Roman beginnt mit einer Beschreibung des Lebens in der heutigen Pandemie-Zeit. Die Lektüre nimmt dabei etliche Stunden in Anspruch, weil man dasitzt und denkt: eher nicht, vielleicht oder stimmt, stimmt genau. Man ist im positiven Sinne gezwungen zu reflektieren und nicht nur über die Pandemie, sondern auch über den Umgang der Menschen untereinander. Das Bild ist trostlos und die Frage, wie man wieder zu einer zugewandten Kommunikation kommen könnte, kann nicht einfach beantwortet werden. Doch als Dora so langsam von dem Dorf und seinen Menschen auf- und eingenommen wird, wird man beim Lesen auch in die Handlung hineingesogen. In der Anonymität der Stadt kann man sich seine Freunde aussuchen. Die Nachbarn im Dorf sind einfach da und man sollte versuchen, sie zu nehmen. Wie schwierig das sein kann, merkt man an Doras Beispiel. Auch wenn das Buch die Welt nicht ändert, so wäre es doch ein guter Ansatz sich selbst zu ändern.