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Veröffentlicht am 05.04.2017

Irrlichter der Angst

Das Scherbenhaus
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Carla Brendel hat Angst. Jeder Gang zum Briefkasten kostet sie unglaubliche Überwindung. Was mit einem harmlosen und charmanten Kontakt über Facebook begann, entwickelte sich zu einem grausamen und nervenaufreibenden ...

Carla Brendel hat Angst. Jeder Gang zum Briefkasten kostet sie unglaubliche Überwindung. Was mit einem harmlosen und charmanten Kontakt über Facebook begann, entwickelte sich zu einem grausamen und nervenaufreibenden Stalking, gegenüber Carla. Sie erhält Detailaufnahmen menschlicher, blutbesudelter Haut, per Post. Als langsam etwas Ruhe eingekehrt und weitere Briefe des Stalkers ausbleiben, wähnt sich Carla in Sicherheit und versucht zu ihrem normalen Leben zurückzufinden. Doch der Schein trügt.

Als Carla einen Anruf von ihrer Halbschwester Ellen erhält, die unbedingt vor Ort in Berlin mit ihr reden will, verlässt Carla ihre beschauliche Heimat und ihr Bauernhaus. Doch in Berlin angekommen, kann sie nur sehr kurz mit Ellen sprechen, die andeutet, dass sie ein Geheimnis über jemanden herausgefunden hat, der sie allein dafür töten würde. Kurz darauf verschwindet Ellen spurlos und wird kurze Zeit später tot aufgefunden.

Carla bleibt zunächst in Berlin und zieht in Carlas preisgekrönte Immobilie Save Heaven ein, die Ellen ihr vererbt hat und die mit modernster Technik eine sichere Zuflucht vor dem Stalker darstellt. Zunächst freundlich in der Hausgemeinschaft aufgenommen, findet Carla bald heraus, dass mit den Bewohnern des Hauses etwas nicht stimmt, aber sie ist dennoch entschlossen, die Wahrheit über Ellens Tod herauszufinden. Sie ahnt jedoch nicht, welch tödlicher Gefahr sie sich damit aussetzt.

Die Autorin:

Susanne Kliem wurde am Niederrhein geboren und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist gelernte Buchhändlerin und arbeitete u. a. als Pressereferentin für Fernsehserien von ARD und ZDF sowie für das größte deutsche Theaterfestival »Theater der Welt«. Seit 2009 hat sie bereits zahlreiche Krimis geschrieben. Nach dem Thriller Die Beschützerin (2014) erschien von ihr – ebenfalls bei carl’s books – der hochgelobte Kriminalroman Trügerische Nähe (2015), zu dem eine Verfilmung bereits in Vorbereitung ist.

Reflektionen:

Dem Erscheinen des Psychothrillers Das Scherbenhaus habe ich monatelang entgegengefiedert, denn mit dem Kriminalroman Trügerische Nähe hatte mich Susanne Kliem bereits überzeugt.

Bereits nach den ersten Sätzen befand ich mich in einem Zustand literarischen Hochgenusses und wurde mit einer klangvoll melodischen Sprache direkt in die düstere Stimmung der Geschichte gesogen.

Susanne Kliems Sprache und Ausdruck ist sehr klar und auf Details rechts und links der Geschichte gerichtet, die die Intensität der düsteren, geheimnisvollen und beängstigenden Stimmung noch mal um ein Vielfaches verstärkt. Man liest von Carla, der Hauptfigur, und man spürt ihre Beklemmungen und Ängste, während diese gestalkt wird. Trotz der detailreichen Sprache schreibt Susanne Kliem schnörkellos und konzentriert sich dabei stets auf das Vorankommen der intelligenten Handlungs- und Figurenentwicklung. Auf diesem Wege dringt man tief in die Abgründe der menschlichen Psychen ein, mit denen die fein gezeichneten Figuren ausgestattet sind.

Rätselhaft, geheimnisvoll und oftmals düster erscheinen die Charaktere, denn es lässt sich zunächst nicht erkennen, wer hier wem übel mitspielt. Alle Figuren scheinen etwas zu verbergen und so ist man als Leser sehr motiviert, selbst die Wahrheit zu ergründen. Dieser Wunsch treibt den Leser zügig durch die Seiten, denn man lechzt der Auflösung zahlreicher, möglicher Querverbindungen entgegen.

Neben der interessanten Charakterzeichnung der Figuren und der wohlgeformten Handlung in düsterer Stimmung, zeichnet Susanne Kliem auch ein authentisches Bild einer hochtechnologierten Immobilie der Zukunft. Architektonisch luxuriös und technisch mit modernster Finesse ausgestattet, wird das Save Heaven glaubwürdig zu einem Hochsicherheitstrakt, in dem die Bewohner des Hauses wie in einem gut inszenierten Kammerspiel auftreten.

Das Scherbenhaus ist ein glanzvolles Werk, dass die Wechselbeziehungen von Mensch zu Mensch und ihre gefährlichen Abhängigkeiten voneinander darstellt. Auf der einen Seite handeln Figuren ohne jede Rücksichtnahme, um zu profitieren oder um sich zu profilieren und andere, bedürftige, labile Charaktere, die sich nichts sehnlicher wünschen als Lob, Liebe und Anerkennung, werden zum missbräuchlich manipulierten Werkzeug und Spielball der Stärkeren. Das Spiel um Kontrolle und Macht und die maßvoll inszenierte Dramaturgie sind das gelungenen Ergebnis eines guten Spannungsaufbaus.

In diesem Wechselspiel dominieren Dialoge, die knackig, kraftvoll und wortgewandt die Handlung harmonisch abrunden. Erfrischend sind auch die Beschreibungen von Schauplätzen. Innerhalb des Save Heaven kann man sich durch die guten Beschreibungen der Hausausstattung und der Wohnungen fast mit geschlossenen Augen durch die Geschichte bewegen.

Die Spannung agiert auf einem recht hohen Niveau, bis der vermeintliche Täter gefunden ist und die Seiten dennoch lange nicht ausgelesen sind. Man vermutet weitere Wendungen und Überraschungen, denn man will kaum wahrhaben, dass der Täter tatsächlich schon ermittelt ist, doch sie bleiben leider enttäuschenderweise aus. Dafür aber wird eine detaillierte Auflösung geboten, die ausgeklügelt und nachvollziehbar alle vormals merkwürdigen Verhaltensweisen der geheimnisvollen Bewohner des Save Heaven erläutert.

Fazit und Bewertung:

Das Scherbenhaus ist ein spannender Psychothriller, der tiefe Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seelen erlaubt und der gefährliche Wechselbeziehungen durch menschliche Abhängigkeiten dramaturgisch zeichnet. Literarisch ein Genuss, der die zu frühe Ermittlung des Täters wieder wettmacht.

Veröffentlicht am 30.03.2017

In tiefer Verachtung – Ein Thriller-Debüt mit einem Touch Agenten-Spannung und interessanten Charakterzeichnungen

Nach dem Schmerz
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DDR 1989: Die 7jährige Hannah Gold wird auf grausamse Weise, vor den Augen ihres Vaters, in der russischen Botschaft gefoltert und gequält, um Informationen aus dem Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums ...

DDR 1989: Die 7jährige Hannah Gold wird auf grausamse Weise, vor den Augen ihres Vaters, in der russischen Botschaft gefoltert und gequält, um Informationen aus dem Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums herauszupressen, doch er schweigt. Nach dem man Hannah schwer verletzt freigelassen hat, hat sie ihren Vater nicht mehr gesehen und ihr seelischer Schutzmechanismus lässt sie keinerlei Schmerzen mehr empfinden.

Hannah hat dieses Erlebnis nie überwunden und wird Tag und Nacht immer wieder von schrecklichen Träumen heimgesucht. Hannah nagt an den Fragen: „Warum hat ihr Vater nicht geredet. Hätte er die Folterqualen beenden können“?

Heute, 25 Jahre später, ist Hannah eine gefeierte Cellistin und sie begeistert und berührt ein Millionenpublikum mit ihrer Musik. Sie lebt zurückgezogen, denn es ist ihr nicht möglich, Vertrauen zu Mitmenschen zu fassen und niemand kommt nah an sie heran.

Eines Abends gibt Hannah ein Konzert und entdeckt ihren Vater im Publikum. Sie lässt sich zögernd auf ein Treffen mit ihm ein. Das Gespräch verläuft alles andere als harmonisch und nach dem sich die beiden trennen steigt der Vater in eine Limousine, die kurz darauf explodiert.

Der Autor:

Lucas Grimm ist das Pseudonym eines erfolgreichen Drehbuchautors, der sein Leben jahrelang als Musiker, Schauspieler, Filmemacher und Entrepreneur gefristet hat. Nach einem Schicksalsschlag ist er mehrere Monate durch Amerika, Indien, Tansania und Israel gereist und hat begonnen zu schreiben. Der Thriller „Nach dem Schmerz“ ist sein erster Roman. (Quelle: Piper Verlag)
Reflektionen:

Lucas Grimm ist mit dem Thriller Nach dem Schmerz ein spannendes und temporeiches Debüt gelungen. Die ersten Seiten brillierten sprachlich und gewährten einen angenehmen Einstieg in die Geschichte, sodass man hätte annehmen können, hier handelt es sich bestimmt nicht um ein Debüt. Doch im Verlauf der Geschichte veränderte sich dieses Lesegefühl. Lucas Grimm konnte weder sprachlich noch vom Aufbau der Handlung her das erste augenscheinlich hohe Niveau halten.

Hannahs Geschichte berührt. Es stellen sich einem die Nackenhärchen hoch, wenn man liest das ein siebenjähriges Kind unter großer Qual gefoltert wird. Die Folterszenen werden stets nur angerissen, sodass dem Leser blutdurchtränkte Szenarien erspart bleiben, doch die Gewissheit, dass der Vater das Mädchen vermutlich hätte erlösen können, versetzt den Leser fast in rasende Wut. Sehr lange bleibt das Schweigen des Vaters im Dunkeln, sodass eine düstere Atmosphäre unheilvoll und geheimnisvoll durch die Seiten begleitet.

Mit Hannah Gold ist Lucas Grimm eine außergewöhnliche Figur gelungen. Die Charakterzüge der jungen Frau sind durch das grausame Schicksal glaubhaft dargestellt. Auch die Liebe der Cellistin zur Musik, kann man förmlich spüren.

Die Tatsache, dass Hannah keinerlei Schmerzen empfinden kann, habe ich als Leser akzeptiert, doch es folgen im Laufe der Geschichte actionreiche Darstellungen, die mir doch zu überspitzt, zu unrealistisch und in diesem Zusammenhang zu blutig waren. Die Zeichnung dieser Actionszenen nehmen im Verhältnis zu anderen Kapiteln enorm viel Raum ein, den ich lieber mit etwas mehr Handlung befüllt gesehen hätte.

David Berkoff, Reporter der Woche, recherchiert seit Jahren zu dem Fall Walter Gold, der 1995 für tot erklärt worden war. Dieser war im Besitz der sogenannten Rosenholz-Dateien, ein Überbleibsel Stasi-Akten, die heute nicht nur den KGB interessieren. Man vermutet, dass Hannah die Dateien besitzt oder etwas über sie weiß und so wird sie verfolgt und gejagt. Davids Beschützerinstinkt ist geweckt und so kämpfen von nun an beide gegen dunkle Machenschaften und begeben sich in höchste Lebensgefahr.

Die Figur des David Berkoff ist angeschlagen. Er kann Drogen- und Alkoholkonsum kaum wiederstehen, doch trotz dieser Lebenseinstellung, die von einem persönlichen Schicksal gezeichnet wurde, entpuppt er sich als verlässlicher und berechnender Gegenspieler der Bösen.

Die Charakterzeichnungen gehen Lucas Grimm scheinbar leicht von der Hand, denn als Leser ist man von ihnen gefesselt und liest interessiert. Auch das Zusammenspiel der Figuren und die geschickt inszenierten Querverbindungen der Protagonisten lassen die Spannung immer wieder auf ein hohes Niveau ansteigen, doch leider sackt die Spannung auch immer mal wieder ab.

Als Leser glaube ich zu erkennen, dass der Autor einige Szenen analog wie ein Drehbuch schreibt, sodass das die Harmonie der Handlung etwas unausgewogen und unruhig wirken lässt.

Trotz kleinerer Schwächen, war ich wirklich spannend unterhalten und ich genoss den flüssigen Schreibstil dieser wohlgeformten Handlung, die außergewöhnlich und erfrischend anders daherkommt. Dieses Debüt empfehle ich gern und ich würde jederzeit wieder zu einem Buch des Autors greifen.

Fazit und Bewertung:

Nach dem Schmerz ist die Geschichte einer jungen Frau, die nach grausamen Folterungen in ihrer Kindheit keinen Schmerz mehr empfinden kann. Es ist ein Thriller mit einem Touch Agentenspannung, der durch eine interessante Charakterzeichnung an die Seiten fesselt. Kleinere Schwächen dieses Debüt beeinträchtigen das Lesevergnügen nur geringfügig, sodass ich diesen Thriller gern empfehle.

Veröffentlicht am 29.03.2017

Qualvolle Schreie verstummt – Ein Meisterwerk an Querverbindungen

Der Psychologe
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Buenos Aires: Paula Vanussi bittet den Psychologen Pablo Rouviot um Hilfe. Paulas Bruder Javier, der seit seiner Kindheit unter einer schweren Persönlichkeitsstörung leidet, soll für den Mord an seinem ...

Buenos Aires: Paula Vanussi bittet den Psychologen Pablo Rouviot um Hilfe. Paulas Bruder Javier, der seit seiner Kindheit unter einer schweren Persönlichkeitsstörung leidet, soll für den Mord an seinem Vater, einem erfolgreichen Geschäftsmann, verantwortlich sein. Paula bittet Pablo, die Schuldunfähigkeit auf Grund der frühkindlichen psychischen Störungen in einem Gutachten festzustellen und zu bescheinigen.

Pablo will sich einen Überblick verschaffen, bevor er Paulas Auftrag annimmt, doch schon bald entdeckt er Hinweise, die auf dunkle und verworrene Machenschaften deuten, während Javier in der Psychiatrie wehrlos und zunächst nicht ansprechbar vor sich hindämmert.

Nur durch seine besonders kompetente Psychoanalyse und der besonderen Fähigkeit Worten zu lauschen, gelingt es Pablo Querverbindungen aufzudecken, doch er ahnt nicht, in welch brenzlige Situationen er sich hineinbegibt.

Der Autor:

Gabriel Rolón, geboren 1961 in Buenos Aires, studierte Psychologie und avancierte in kürzester Zeit zum bekanntesten Analytiker Argentiniens. Seine Bücher »Auf der Couch« und »Trauer, Panik, Leidenschaft«, Erzählungen über wahre Fälle aus der Praxis, waren in Argentinien Bestseller.

Reflektionen:

Das der Autor Gabriel Rolón ein praktizierender Psychologe ist, der die Psychoanalyse nicht nur beherrscht, sondern auch absolut durchschaut hat, spürt man als Leser auf dankbare Weise bei jedem einzelnen Satz.

Gabriel Rolón hat eine Handlung gezeichnet der zahlreiche Querverbindungen entspringen. Die Ausgangslage der Geschichte dreht sich zunächst um die mögliche Schuldunfähigkeit Javiers, dem der Mord an dem Vater angelastet wird. Die Hauptfigur, Pablo Rouviot, tastet sich zunächst langsam und umsichtig an Javiers familiäres Umfeld heran, bevor er den Auftrag Paulas annimmt. Pablo stellt schnell fest, dass die verworrenen Familienverhältnisse mit Mysteriösem und Verschwiegenem aufwarten, das er entschlüsseln muss, bevor er Javier helfen könnte.

Pablo wendet die psychologische Fallanalyse an und er lauscht auf jedes gesprochene Wort bei seinen Recherchen, denn er weiß, dass mit jedem Wort eine Bedeutung und Deutung einhergeht, die im Kontext zu bewerten ist. Von da an verschwimmen die Übergänge der fachlichen Kompetenzen zwischen Autor und Hauptfigur. Gabriel Rolón ist ein angesehener Psychologe in Argentinien und er gewährt dem Leser einen sehr tiefen Einblick in die Anwendung der psychologischen Patientenanalyse und er unterstreicht damit die Authentizität der Geschichte, ohne sie mit fachlichen Ausdrücken zu überschwemmen.

Entsprechend der fachlichen Kompetenz Gabriel Rolóns sind die Charaktere der Figuren äußerst fein, intensiv und lebendig gezeichnet. Diese Zeichnungen wecken beim Leser den Wunsch, zügig in der Geschichte voranzukommen, denn schon früh offenbaren sich zahlreiche, spannende Querverbindungen der Figuren, die es zu entschlüsseln gilt, die jedoch auch eine gewisse Konzentration erfordern. Der Schreibstil ist sehr flüssig zu lesen und angenehmerweise verzichtet Gabriel Rolón auf erschlagende medizinische Fachausdrücke.

Genüsslich kann man sich den Wendungen und Überraschungen hingeben und das Zusammenspiel der Figuren genießen, in dessen bedrückendes Seelenleben man tief hineinblickt und das so die Spannungskurve regelmäßig hochschnellen lässt und dennoch hat mir etwas gefehlt, dass ich nicht richtig definieren kann. Ob es der andauernde analytische Blick Pablos war oder ob einfach noch ein frischer Wind in der Geschichte fehlte? Ich war zwar definitiv sehr spannend und äußerst interessant unterhalten, aber ich war auch froh, als die letzte Seite gelesen war.

Fazit und Bewertung:

Der Psychologe ist ein anspruchsvoller Kriminalroman, der durch zahlreiche Querverbindungen der Figuren meisterlich besticht. Da Autor und Hauptfigur Psychologen sind, ist der Einblick in die angewandte Psychoanalyse eine glaubwürdige, spannende und bereichernde Essenz für den Leser, die unglaublich fesselt.

Veröffentlicht am 12.03.2017

Verschluckte Finsternis - Spannende Debüt mit Schwächen

Der Tod so kalt
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Südtirol, 1985. Drei junge Freunde kehren von einer Wanderung vom Siebenhoch nicht zurück, nach dem ein schweres Unwetter über der Bletterbach-Schlucht gewütet hat. Ein Suchtrupp von Bergrettern findet ...

Südtirol, 1985. Drei junge Freunde kehren von einer Wanderung vom Siebenhoch nicht zurück, nach dem ein schweres Unwetter über der Bletterbach-Schlucht gewütet hat. Ein Suchtrupp von Bergrettern findet die drei tot auf und der Tatort zeugt von einem äußerst brutalen und blutigen Massaker.

Dreißig Jahre später nimmt der Dokumentarfilm-Journalist Jeremiah Salinger eigene Ermittlungen auf. Sein Schwiegervater Werner gehörte zu dem damaligen Suchtrupp. Es scheint, als läge sich ein Fluch auf all jene, die sich mit dem Massaker beschäftigen, doch ein ganzes Dorf schweigt und Salinger bleibt der Fremde.

Der Autor:

Luca D'Andrea wurde 1979 in Bozen geboren, wo er heute noch lebt. "Der Tod so kalt" ist sein erster Roman. Direkt zu Erscheinen stieg das Buch in die Top Ten der italienischen Bestsellerliste ein; die Übersetzungsrechte haben sich in rund 35 Länder verkauft. Die Geschichte führt nach Südtirol, in die Heimat des Autors, über die er auch journalistisch gearbeitet hat: Am bekanntesten ist seine TV-Produktion "Mountain Heroes", in der er für das italienische Fernsehen die Bergrettung porträtierte.

Reflektionen:

Jeremiah Salinger folgt seinem Herz, seiner großen Liebe Anneliese, in das Dorf Siebenhoch, in norditalienischer Provinz. Als der Dokumentarfilmer mit einem Helikopter der Bergwacht in die Luft steigt, um einen Dreh über die Bergretter der Dolomiten zu drehen, gerät dieser in ein Unwetter und stürzt ab. Um Salinger herum wird es plötzlich dunkelste Finsternis, in die er monatelang immer wieder depressiv versinkt, denn nur er überlebt verletzt. Die Dörfler werden ihm später die Schuld an dem Absturz geben.

Seit dem Unfall wird Salinger in seinen Träumen von der Bestie der Bletterdach-Schlucht verfolgt und Anneliese nimmt ihm das Versprechen ab, sich ein Jahr lang eine Auszeit zu nehmen, um seelisch wieder zu genesen. Doch Salinger ist wie besessen, den Schuldigen des Bletterbach-Massakers aufzuspüren. Er recherchiert heimlich, wird von den Dorfbewohnern verhöhnt, die ihm nur journalistisches Interesse unterstellen, um Geld damit zu verdienen. Trotz allen Gegenwinds recherchiert Salinger unermüdlich weiter und durchschaut bald, dass tief in der Finsternis der Schlucht, etwas Uraltes zum Leben erweckt ist.

Luca D’Andrea hat mich anfangs sehr tief in seine Geschichte hineingesogen. Nach den ersten einhundert Seiten war ich mir sogar sicher, dass dieser Thriller etwas ganz Besonderes sei. Doch umso mehr ich in den Seiten und in der Geschichte vorankam, umso mehr verabschiedete sich mein erstes Leseempfinden immer mal wieder und ich fühlte mich ab und an durchaus gelangweilt. Ganze Kapitel kamen mir nichtssagend vor, sie trugen die Story in ihrer Entwicklung einfach nicht weit genug voran.

Die Kernhandlung dieses Debüt-Thrillers ist wirklich hoch spannend und auf Grund der ungewöhnlichen Thematik, die sich mit Bergrettern, Unwettern und verschwiegenen, mysteriösen Dörflern befasst, interessant geplottet, wenn man darüber hinwegsieht, dass einige Seiten merkwürdiges bis belangloses Drumherum enthalten, allen voran die, die Salingers Tochter Clara betrafen, die nach meinem persönlichen Empfinden nur die Seitenanzahl pusht. Dies hat meine Lesefreude etwas reduziert und diesem Debüt einen Bewertungsstern gekostet.

Luca D’Andrea schreibt in einem sehr klaren, flüssigen Stil, der einlädt mit hohem Tempo von Seite zu Seite zu lesen. Sein Ausdruck ist angenehm schnörkellos, stets auf das wesentliche konzentriert und er bietet vereinzelt humorvolle Einschübe.

Besonders gut hat mir die Stimmung dieses Thrillers gefallen. Sie ist verlässlich düster, passend dramatisch und manchmal ungreifbar mystisch und geheimnisvoll.

Gut recherchiert führt Luca D’Andrea den Leser in die Welt der Berge und der Bergretter. Die Beschreibungen von Schauplätzen zeichnen ein umfassendes Bild der Örtlichkeiten, sodass man fast glaubt, schon einmal dort gewesen zu sein.

Ebenso gut und feinmaschig sind die Zeichnungen der Charaktere. Sie bieten tiefe Einblicke in das emotionale Seelenleben der lebendigen Figuren, sodass ihre Handlungen authentisch und fast auch nachvollziehbarer werden. Viele Lebensläufe der Protagonisten sind bis tief in die jeweiligen Vergangenheiten miteinander verstrickt und Luca D’Andrea gelingt es, die Auflösungen mit geschickt inszenierten Wendungen bis zu Letzt rätselhaft und unlösbar dastehen zu lassen.

Das ureigene Geheimnis der Bletterbach-Schlucht allerding, entzieht sich für mich jedoch jeder logischen und möglichen Authentizität und schickt mich gedanklich ansatzweise in Richtung des Genre Fantasy und Mystik, was mir nicht gefällt.

Fazit und Bewertung:

Trotz einiger Schwächen ist Luca D’Andrea ein spannendes und lesenswertes Thriller-Debüt gelungen, dass den Leser mit Tempo durch die Seiten schickt. Auf der Suche nach dem Schuldigen, der das Bletterbach-Massaker zu verantworten hat, recherchiert ein Journalist, der tief hinab in die Düsternis dieser nicht ganz authentischen Geschichte gezogen wird.

Veröffentlicht am 03.03.2017

Unsere Perle, unser Iran Intensives Debüt über Revolution und der Suche nach Identität

Nachts ist es leise in Teheran
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Iran, 1979: Der Schah ist vertrieben und Hoffnung breitet sich in Iran aus. Der junge kommunistische Revolutionär Beshad engagiert sich für eine neue Ordnung, plant gefährliche, politische Aktionen mit ...

Iran, 1979: Der Schah ist vertrieben und Hoffnung breitet sich in Iran aus. Der junge kommunistische Revolutionär Beshad engagiert sich für eine neue Ordnung, plant gefährliche, politische Aktionen mit einer kommunistischen Gruppierung, deren Anführer er ist. Bevor es in Iran für ihn brenzlig wird, lernt er die Literatur Studentin Nahid kennen, die Liebe seines Lebens. Als die Mullahs die Macht übernehmen, wird es für die junge Familie gefährlich und sie müssen mit ihren zwei kleinen Kindern, ohne jeden Abschied fliehen. Ihr Weg führt sie nach Deutschland.

Zwischen Hoffen und Bangen, warten sie auf Neuigkeiten von ihren Freunden, die untertauchen mussten und sie hoffen weiter, auf eine politisch ruhigere Lage, denn eines Tages möchten sie aus ihrem Exil zurück.

Viele Jahre später besucht Nahid mit ihrer Tochter Laleh die iranische Heimat. Während Nahid aufblüht, sieht sich Laleh mit einer Welt konfrontiert, die nichts mehr mit ihren Kindheitserinnerungen gemein hat. Als Teenager fällt es ihr sichtlich schwer, sich dem Leben dort anzupassen

Beshads und Nahids Sohn Mo widmet sich allem lieber, als an den von seinen Studienkollegen veranstalteten Pseudodemonstrationen teilzunehmen, während sich der arabische Frühling langsam entwickelt. Er kann sich, aufgewachsen in Deutschland, nur schwer mit all den politischen Dingen identifizieren, doch sein gesellschaftliches Umfeld erwartet es von ihm. Erst als sich die Grüne Revolution abzeichnet, dreht sich Mos Welt plötzlich außer Takt und seine Welt gerät ins Wanken.

Die Autorin:

Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim, bevor sie nach Berlin zog, um ein Doppelleben zu führen. Halbtags ist sie Bildungsreferentin für junge Menschen, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in Brandenburg machen, die verbleibende Zeit verbringt sie als Autorin. Neben Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien war sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses 2012 und Studienstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. (Quelle: Kiepenheuer & Witsch)

Reflektionen:

Nachts ist es leise in Teheran ist die Geschichte einer iranischen Familie, die nach der Revolution im Jahr 1979, nach dem das Land von einer geistlichen Führung regiert wird, nach Deutschland emigrieren muss.

Shida Bazyar erzählt eindrucksvoll, wie mutig Beshad und seine kommunistische Bewegung gegen eine geistliche Staatsform kämpfen. Wie sie selbstlos jeder Gefahr entgegentreten, bis es für die junge Familie zu gefährlich wird, entdeckt und verhaftet zu werden. Mitreißend und intensiv erzählt, nah am politischen Geschehen, bekommt der Leser eine Ahnung, wie dramatisch und gefährlich diese Widerstandskämpfe geführt wurden. Die Aktionen der Gruppierung, von denen Shida Bazyar sehr anschaulich erzählt, lesen sich so spannend wie ein Kriminalroman, wohl wissend, dass diese Bewegungen in Wahrheit stattgefunden haben.

Vollends entwurzelt und große Steine aus dem Weg räumend, meistern Beshad und Nahid ihren Alltag, um zu immigrieren, nach dem klar wird, dass der Aufenthalt in Deutschland nicht mit einem vorübergehenden Exil gleichzusetzten ist. Der Weg dorthin ist eindrucksvoll geschildert, ohne die Integration überschwänglich und aktuell trendmäßig zu thematisieren, was ich sehr positiv empfand.

Unglaubwürdig und enttäuschend hingegen fand ich es, dass Shida Bazyar den islamischen Glauben kaum benannt hat. Von einem Roman, der das Leben von Iranern beleuchtet und es veranschaulicht, erwarte ich viel von traditioneller, islamischer Kultur und auch von religiösen Konflikten zu lesen. Doch außer kaum erwähnenswerten islamischen Riten im Alltag der Teheraner, kann ich kaum von derartigem lesen und erfahren. Aus meiner Sicht verliert dieser Roman dadurch sogar ein Stück weit Authentizität.

Trotzdem gelingt es der Autorin in einer fesselnden, atmosphärischen Dichte zu schreiben, wenn man bereit ist, sich auf den anfänglich unrhythmisch wirkenden Schreibstil einzulassen. Literarisch anspruchsvoll zwar, sogar anmutig bis poetisch, aber dennoch so außergewöhnlich, dass sicher nur wenige Mainstream-Leser damit eine wohlige Leseatmosphäre genießen können.

Mit vier individuellen Erzählperspektiven, 1979 Behsad, 1989 Nahid, 1999 Tochter Laleh und 2009 Sohn Morad, greift Shida Bazyar die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Figuren auf. Sie schildert ihre Empfindungen und ihre jeweiligen, kritischen Auseinandersetzungen mit ihrer Herkunft eindringlich, vielschichtig und häufig hoch emotional. Die Figur gebundenen Perspektiven spiegeln auch wider, wie sich die Herkunft, die Kultur und die politische Wertigkeit sowie die Suche nach Identität von Generation zu Generation natürlich verändern. Und doch durchzieht der rote Faden Hoffnung jede Perspektive, dieses literarisch anspruchsvollen und komplexen Werks, die nie aufhört zu klingen.

Fazit und Bewertung:

Nachts ist es leise in Teheran ist zwar literarisch anspruchsvoll, sogar anmutig bis poetisch, aber auch so außergewöhnlich, dass sicher nur wenige Mainstream-Leser damit eine wohlige Leseatmosphäre genießen können.

Dieses Debüt ist die Geschichte einer iranischen Familie, die die Revolution mit vorantreibt, die gezwungen wird aus ihrer Heimat zu fliehen, die in Deutschland ein Exil findet, die sich anstrengt zu immigrieren und die stetig auf der Suche ist, ihre Identität zu finden.