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Veröffentlicht am 03.06.2021

Tödlicher pilgerpfad

Achtsam morden am Rande der Welt
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Er kann nicht nur schreiben, er kann auch sprechen: Das stellt Kasten Dusse in "Achtsam Morden am Rande der Welt" unter Beweis. Darin schickt er nicht nur den achtsamen Anwalt Björn Diemel zum nunmehr ...

Er kann nicht nur schreiben, er kann auch sprechen: Das stellt Kasten Dusse in "Achtsam Morden am Rande der Welt" unter Beweis. Darin schickt er nicht nur den achtsamen Anwalt Björn Diemel zum nunmehr dritten Mal auf Abenteuer und lässt Alltagssituationen zu haarsträubenden, mörderischen und die Lachmuskeln attackierenden Begebenheiten werden, er hat die Hörbuchversion auch selbst eingesprochen und muss sich dabei keineswegs hinter den Leistungen von Profi-Sprechern mit Schauspielerfahrung verstecken. Dass es für die Hörer wieder neue Achtsamkeitsregeln und -ratschläge gibt, versteht sich dabei von selbst.

Doch worum geht es diesmal, nachdem Diemel doch eigentlich die Leichen allmählich ausgehen müssten? Und nicht nur das, der Anwalt hatte Morden und Leichen ja schon im zweiten Band der Reihe abgeschworen. Beides bedrohten sowohl sein inneres Gleichgewicht als auch das seines inneren Kindes. Doch natürlich kommt alles wieder ganz anders. In „Achtsam morden am Rande der Welt.“ gelangt Diemel zwar zu mancherlei neuen Einsichten, doch Tote säumen einmal mehr den Weg des Juristen, der zugleich der Vorstand zweier Mafiagruppen ist.

Diemels Achtsamkeitstrainer Joschka Breitner reichte eine zusätzliche Verspätungsminute, um zu erkennen, dass sein Klient allen Atemübungen zum Trotz mal wieder unterwegs zu einer inneren Krise ist, sich zu oft fremdbestimmen lässt und seine eigenen Wünsche ignoriert. Eine Pilgertour auf dem Jacobsweg soll dem Anwalt helfen, die innere Balance wieder zu finden. Einen Pilgerratgeber mit den üblichen sanften Lebenstipps gibt er ihm auch noch mit auf dem Weg. Diemel muss nur noch seiner kleinen Tochter übersetzen, wie lange so ein Pilgermonate umgerechnet in Bibi und Tini-Folgen ist.

Wie bereits in den beiden Vorgängerbänden lässt Dusse seinen achtsamen Helden von einer Krise in die nächste taumeln. Zwar startet die Wanderung nach Santiago de Compostela vielversprechend, ein sympatischer Mit-Pilger entpuppt sich als ehemaliger Staatsanwalt, der sich mit dem Weg einen letzten Wunsch erfüllt. Andere Weggefährten sind weniger angenehm, wie der Möchtegern-Hemingway, der andere Pilger erpresst, weil er die Briefe der Pilgerpost aufgebrochen hat. Wie dumm, dass auch Diemel, wenn auch unter Pseudonym, in seinem Pilgerbrief zu viel über seine Rolle am frühzeitigen Ende mehrerer Leben geschrieben hat, als ihm lieb sein kann. Muss er seinem Vorsatz, nicht mehr zu töten, untreu werden?

Zuvor allerdings muss Diemel sein eigenes Leben erhalten. Denn gleich zu Beginn seines Weges häufen sich Vor- und Todesfälle, die kein Zufall mehr sein können. Wer versucht, ihn ins Jenseits zu befördern – chinesische Triaden, ein verrückter Serienmörder, der es auf Pilger abgesehen hat, oder wer sieht rot auf dem Jacobsweg? Traurige Nachrichten erreichen ihn auch aus der Heimat: Die Kaninchen seiner kleinen Tochter sind vergiftet worden. Droht auch seinen Lieben Gefahr?

Die Parallelhandlungen zwischen Jacobsweg, Diemels Mafia-Verbindungen und der Beziehung zu seiner Ex und ihrem neuen Freund führen zu einigen Längen und Staus im Lesefluss. Trotzdem geht die launige Mischung wieder auf: Achtsamkeit einerseits, der tödliche Wahnwitz, mit dem sich der pilgernde Anwalt auseinandersetzen muss andererseits. Lösungsorientiert und mit liebevoller Achtsamkeit muss sich Diemel ans einstige Ende der Welt begeben, ehe er zur finalen Erkenntnis gelangen kann. Bis dahin warten auf die Leser reichlich schwarzer Humor und auch ironischer Umgang mit mancherlei politischer Korrektheit – und natürlich Achtsamkeitsratschläge am Beginn jedes Kapitels.

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Veröffentlicht am 03.06.2021

Vielversprechender Beginn einer neuen Triologie

Der Tod ist ein Tänzer
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Liegt es an "Babylon Berlin"? Historische Kriminalromane, die im Deutschland der 20-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts spielen, scheinen derzeit en vogue zu sein. Und, Modewelle oder nicht, im Fall ...

Liegt es an "Babylon Berlin"? Historische Kriminalromane, die im Deutschland der 20-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts spielen, scheinen derzeit en vogue zu sein. Und, Modewelle oder nicht, im Fall von Veronika Ruschs "Der Tod ist ein Tänzer" ist das richtig gut, denn der Auftakt einer Triologie um Variete-Star Josephine Baker ist richtig gut und fängt die einzigartige Atmosphäre des Berlins jener Jahre auf faszinierende Weise ein. Schon der Titel weckte meine Aufmerksamkeit - da denke ich doch gleich an Exilliteratur ("Deutschland, dein Tänzer ist der Tod") wie an Paul Celans Todesfuge ("Der Tod ist ein Meister aus Deutschland")

Und damit wird ganz klar ein Setting gesetzt - die 20-er Jahre nicht als die goldenen, die Zeit des vielversprechenden Aufbruchs, sondern eben der Anfang einer Entwicklung, die damals die meisten nicht sehen wollten. Der Tanz auf dem Vulkan, voll hysterischer Lebenslust, auch Dekadenz - das ist aus der Sicht von uns Nachgeborenen ja eben nicht nur die Bewältigung der Traumata des Ersten Weltkriegs. Mit den Schlägertrupps der SA, mit dem Kampf der Deutschnationalen gegen die ihnen verhasste Weimarer Republik zeichnet sich ja bereits der Aufstieg der Nationalsozialisten ab, das Vorspiel eines noch viel größeren Grauens.

Mit ihren beiden Protagonisten hat die Autorin diese Extreme gut eingefangen: Da ist einmal Josephine Baker, der aufstrebende Star, gerade mal 19 Jahre alt und hat schon Paris mit ihrem "danse sauvage" begeistert. Nun will die Varietétruppe Berlin erobern. Und da ist Tristan Nowak, einer der gebrochenen Überlebenden des Ersten Weltkriegs, der zusammen mit seinen verlorenen Idealen auch seinen alten Namen abgelegt hat, als Boxer und Schieber in der Berliner Halbwelt unterwegs ist und von seinem aristokratischen Onkel als Beschützer von Josephine Baker anheuert wird. Denn Henry von Seydlitz, der "rote Graf" und Diplomat, hat von einer Verschwörung reaktionärer Kreise gehört, die der schwarzen Tänzerin gilt.

Dekadenz und Lebenslust, aber auch Armut und Arbeitslosigkeit, Drogenrausch und illegale Boxkämpfe prägen das Berlin, das die junge Tänzerin erlebt und das ihr noch spektakulärer als Paris erscheint. Für die junge Frau, die die Rassismuserfahrungen aus ihrer Heimat mit sich trägt, ist die Welt, in der die schwarzen Künstler die Hotels durch die Vordertür betreten können, zunächst voller Hoffnung und Versprechen. Erst nach und nach erkennt sie, dass auch hier Bedrohungen lauern.

"Der Tod ist ein Tänzer" ist ein fulminanter Auftakt, der gleich Lesehunger auf die beiden verbleibenden Teile der Triologie weckt, mit interessanten, vielschichtigen Figuren, gewalttätig und dennoch vielschichtig. Manches wäre angesichts der hohen Dynamik gar nicht mehr nötig gewesen, etwa die Vorgeschichte und Entfremdung zwischen Tristan und seinem Onkel, aber möglicherweise werden hier ja Erzählfäden in den kommenden Büchern wieder aufgenommen. Spannend bleibt es jedenfalls bis zuletzt und die Erzählweise lässt den Leser eintauchen in das wilde Berlin vor gut 100 Jahren. Mit der Bedrohung durch Rassismus und Nationalismus, die zu lange übersehen wird, ist "Der Tod ist ein Tänzer" zugleich höchst aktuell.

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Veröffentlicht am 01.06.2021

Väter, Söhne, Kriege

Der Freiwillige
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In seinem Mehrgenerationenroman "Der Freiwillige" schafft es Salvatore Scibona gleich mehrfach, seine Leser mit immer neuen Wendungen zu überraschen und dem Text eine neue Richtung zu geben. Das beginnt ...

In seinem Mehrgenerationenroman "Der Freiwillige" schafft es Salvatore Scibona gleich mehrfach, seine Leser mit immer neuen Wendungen zu überraschen und dem Text eine neue Richtung zu geben. Das beginnt schon mit der Hauptfigur. "Der Freiwillige" startet in der Gegenwart, auf dem Hamburger Flughafen: Ein kleiner Junge, bitterlich weinend, wird auf einer Flugzeugtoilette gefunden. Das Kind spricht kein Deutsch, weigert sich, seinen Namen zu nennen und nachdem niemand den Suchaufrufen gefolgt ist, scheint die Schlussfolgerung naheliegend, dass es hier ausgesetzt wurde. Also ein Buch über das Schicksal dieses Kindes?

Nicht wirklich - als Leser weiß man zu diesem Zeitpunkt schon mehr als die Figuren des Buches. Der kleine Junge heißt Janis, Sohn einer estnischen Kellnerin und des amerikanischen Soldaten Elroy, der an allen möglichen Fronten in Krieg gegen den Terrorkämpft. Das Kind sieht er nur unregelmäßig, die Beziehung ist längst auseinandergebrochen. Doch nun will die Mutter des jungen ein neues Leben in Spanien beginnen und Elroy soll den Jungen nehmen. Also doch eher ein Buch über einen Soldaten mit einer Vorgeschichte von Drogen und Gewalt?

Erst wenn Elroy, alleine, im Haus seines Vormunds Twilly in New Mexico ankommt und ein weiterer Rückblick dessen Kindheits-Spitznamen "Vollie" für Volunteer erläutert, wird klar: Hier ist die zentrale Figur eines Textes, in dem es um Vater-Sohn-Beziehungen, um echte und falsche Identitäten und um Weichenstellungen geht. Denn Tilly, einziger Sohn alter Eltern, hat mehr als ein Leben gelebt, nachdem er als minderjähriger Teenager mit gefälschter Unterschrift seines Vaters zu den Marines ging und prompt in den Vietnamkrieg geschickt wurde.

Die Schrecken des Krieges bleiben abstrakt, sowohl das, was der Volunteer erlebt als auch das, was die Amerikaner in dem südostasiatischen Land einrichten. Als der junge Soldat, der damals noch einen anderen Namen trägt, in Kambodscha an einem verdeckten, inoffiziellen Einsatz teilnimmt, wird er gefangengenommen, schafft es mehr als ein Jahr lang in den Tunnelverstecken zu überleben, während seine beiden Mitgefangenen sterben. Diese Überlebensqualitäten wecken das Interesse einer Organisation, die vage bleibt, aber nachrichtendienstlich unterwegs ist. Als sie den jungen Unteroffizier anwerben, ist für ihn die verlockendste Aussicht die einer neuen Identität, eben als Tilly.

Letztlich verrät der Autor nicht, warum Tilly sich so konsequent von seiner alten Identität trennen will, warum er um jeden Preis die Anonymität sucht, Spuren zu vermeiden versucht. Der knorrige Mann ist auf jeden Fall eine Figur, die in Erinnerung bleibt, eindrücklicher und prägnanter gezeichnet als Elroy, dessen Ziehvater er wird, als er die Kommune eines alten Kriegskameraden sucht. Auch Elroys Gewaltproblem bleibt letztlich unaufgeklärt, hat er doch seine Kindheit in einer von freier Liebe und Gewaltlosigkeit geprägten Welt verbracht.

Der Kreis zwischen den Generationen scheint sich zu schließen, als ein Priester des Waisenhauses, in dem der kleine Janis heranwächst, einen Brief an Tilly schreibt, nach langer Recherche und Abgleich von Passagierlisten. Doch dann kommt wieder alles ganz anders....

Mit "der Freiwillige" hat Scibona einen manchmal verstörenden, immer wieder überraschenden Roman mit einem ruhigen Erzählfluss geschrieben. Man muss sich angesichts der immer neuen Wendungen schon intensiv auf diesen Text einlassen, sollte das Buch nicht mal eben nebenher zwischen Haltestellen im Bus lesen. Sprachlich beeindruckt er immer wieder mit Details der kleinen Dinge, die eine geradezu magische Atmosphäre schaffen, den Geschmack des Wassers oder den Geruch eines Holzfeuers greifbar machen. Ein Buch voller Überraschungen.

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Veröffentlicht am 26.05.2021

Diebesehre und Anarchie

Die Kobra von Kreuzberg
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Das ist Pulp Fiction vom Feinsten: Beverley Kaczmarek, Spross eines Ganovenclans aus Opole, will es ihrer Familie endlich mal beweisen. Sie hat genug davon, als das angeblich unfähige Nesthäkchen belächelt ...

Das ist Pulp Fiction vom Feinsten: Beverley Kaczmarek, Spross eines Ganovenclans aus Opole, will es ihrer Familie endlich mal beweisen. Sie hat genug davon, als das angeblich unfähige Nesthäkchen belächelt zu werden. Gerade können sich ihre älteren Brüder dank des Diebstahls zweier Fabergé Eier im Ruhm sonnen - da muss Beverley noch eins drauf setzen. Das ist ganz klar eine Frage des Diebesehre! Ihr Coup soll ihr endlich den verdienten Respekt der Familie verschaffen, womöglich gar einen Artikel im internationalen Fachmagazin der Branche, dem Heist Journal! Einfacher Kunstraub ist nichts für Beverley: Sie will die Quadriga vom Brandenburger Tor klauen - und auch mit den logistischen Herausforderungen fertig werden. Immerhin: wie ist so eine Beute wegzuschaffen?

In "Die Kobra von Kreuzberg" bedient sich Michel Decars eines wunderbar schrägen und trashigen Humors und rasanten Tempos. Durch das ganze Buch zieht sich ein wunderbarer Hauch von Anarchie, mit Seitenhieben auf die bürgerliche, man könnte auch sagen spießige Welt der Gesetzestreuen. Klischees werden liebevoll ausgespielt - nicht nur kommen die Kaczmareks aus Polen, es wimmelt nur so von Referenzen an Balkan und Zentralasien, selbst der Kommissar, der sich an Beverleys Spuren heftet, kommt aus Ungarn. Und mit Wetteranarchisten Dragan findet Beverley nicht nur einen Partner in crime, sondern noch viel mehr.

Zwischen Slivovitz und Wodka, illegalen Wettbüros und internationalem Kunstraub wird so ziemlich alles aufgeboten. Dass die Männer des Kaczmarek-Clans allesamt in Trainingsanzügen auftauchen - man hört beim Lesen förmlich das Rascheln von Nylonstoff, sieht lange Koteletten und hört das Rattern von Ladas - gehört da nur zum Spiel mit den Klischees. Bandwurmsätze voller bildhafter Ausschmückungen a la Raymond Chandler mögen an die Serie noir erinnern, hier aber ist alles bevorzugt neongrell mit einer Note Berliner Schmuddelecke. Beverley erinnert an eine kriminelle Pippi Langstrumpf, die Autoritäten in Frage stellt, ihr Ding durchzieht und sich nichts gefallen lässt.

Schon allein der witzigen Dialoge und Beverleys Gedankengängen wegen lohnt sich die Lektüre der "Kobra von Kreuzberg". Bis zu den kleinsten Nebenfiguren wird genüsslich alles auf die Spitze getrieben. Ziemlich klar, dass Michel Decar beim Schreiben eine Menge Spaß hatte. Mir ging es beim Lesen ebenso.

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Veröffentlicht am 26.05.2021

Väter, Söhne, Schuhe und ein China im Wandel

Im Reich der Schuhe
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Die Rolle als Kronprinz des "Kaisers der Schuhe" hat nicht nur Vorteile: Alex Cohen, Sohn eines Schuhfabrikanten in China, muss es erst noch schaffen, sich aus dem Schatten seines Übervaters hervorzuarbeiten. ...

Die Rolle als Kronprinz des "Kaisers der Schuhe" hat nicht nur Vorteile: Alex Cohen, Sohn eines Schuhfabrikanten in China, muss es erst noch schaffen, sich aus dem Schatten seines Übervaters hervorzuarbeiten. Wie sehr er als verkleinerte Fortsetzung des Macher-Menschen gesehen wird, zeigt sich schon an der Tatsache, dass sowohl die Angestellten des Hotels, in dem die Cohens wie all die anderen Expats leben, als auch die Mitarbeiter der Schuhfabrik ihn als "Mr Younger Cohen" anreden.

In Spencer Wises Roman "Im Reich der Schuhe" geht es aber nicht nur um eine Vater-Sohn-Geschichte, sondern auch um Identität und Herkunft, um eine Liebe über soziale und kulturelle Schranken hinweg, um ein China, dessen wirtschaftlicher Erfolg von Wanderarbeiten bezahlt wird, die der Perspektivlosigkeit des Dorfes entkommen wollen, in den Städten aber nicht ankommen dürfen.

Als Cohen Senior Alex zum Teilhaber befördert, könnte das eine Krönung der bisherigen Laufbahn des 26-jährigen sein - oder doch die totale Vereinnahmung? Dem Schuhgeschäft kann Alex nicht entkommen, schon der Urgroßvater, damals noch im litauischen Stetls, fertigte Schuhe an. Der Familientradition lässt sich nicht entkommen. Alex zeigt Interesse an den Chinesen, muss aber erkennen, dass er für sie stets der "Gweilo" bleibt - der Geistermensch, der Fremde. Und ist damit die jüdische Diaspora-Erfahrung wieder gerade gerückt, das Gefühl, überall ein Außenseiter zu sein und nicht, wie in den USA, gewissermaßen in der weißen Masse unterzugehen?

Die Näherin Ivy ermöglicht Alex einen Blick in das China, das den Fremden verschlossen ist - die Traditionen der engen Verbindung zu den Ahnen, das Trauma des blutig niedergeschlagenen Protests auf dem Tiananmen-Platz, den sie als junge Frau erlebte, die Hoffnungen auf Wandel. Alex verliebt sich in Ivy und wird von ihr für eine Protestbewegung rekrutiert. Doch der örtliche Parteichef will ihn ebenfalls als Spitzel. Ähnelt die Erfahrung der niedergewalzten Demokratiebewegung nicht dem Leid seiner Litvak-Vorfahren, die Opfer von Pogromen wurden?

Nur sehr vordergründig erzählt "Im Reich der Schuhe" eine Liebesgeschichte. Sehr viel mehr geht es um die Konflikte, die Alex beschäftigen - das Verhältnis zum übermächtigen Vater, das Vermächtnis von Generationen Schuhe herstellender Cohens, der Wunsch, Teil einer Veränderung zu sein - sowohl wenn es um die Lebensbedingungen der Arbeiter geht als auch um unternehmerische Neuausrichtung. Für eine Coming of Age-Geschichte mag Alex schon ein wenig alt sein, aber auch hier geht es um Entscheidungen und Weichenstellungen. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse sind dabei ein Katalysator, denn reflektiert wird immer auch Alex´s eigener Hintergrund als junger, jüdischer Amerikaner.

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