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Veröffentlicht am 20.07.2021

Die Zuflucht des Gefängnisses

Raum
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„Ich glaube, in der Welt verteilt sich die Zeit ganz dünn überall hin, über die ganzen Straßen und die Häuser und die Spielplätze und die Geschäfte, deshalb gibt es an jedem Ort nur einen kleinen Klecks ...

„Ich glaube, in der Welt verteilt sich die Zeit ganz dünn überall hin, über die ganzen Straßen und die Häuser und die Spielplätze und die Geschäfte, deshalb gibt es an jedem Ort nur einen kleinen Klecks davon, und alle müssen schnell weiter zum nächsten.“

Inhalt

Jack ist 5 Jahre alt geworden, als seine Mutter ihm klar macht, dass die Welt, die er bis dato kennt, gar nicht die richtige ist, sondern nur ein Gefängnis. Ein Bunker, in dem „Old Nick“ ihr Versorger und Peiniger gleichermaßen, sie eingesperrt hält und ihnen damit das Recht auf Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben nimmt. Jacks Mutter ist dort schon viele Jahre, nachdem sie mit 19 entführt wurde und an diesen dunklen, traurigen Ort gebracht wurde. Jack mag es gar nicht glauben, dass es außerhalb von „RAUM“ noch etwas anderes geben soll und warum seine Mutter dort unbedingt hinwill und sich nicht länger mit dem gemeinsamen Alltag begnügen möchte. Jack wird zur Schlüsselfigur in einer sorgsam geplanten Flucht aus der Entführungshölle, nur bleibt er auch ein Risikofaktor, denn er kennt überhaupt nichts anderes als seine Mutter, die karge Einrichtung in RAUM und „Old Nick“, doch wenn es ihm nicht gelingt, den Plan nach den genauen Vorgaben einzuhalten, steht ihr Leben auf dem Spiel.

Meinung

Zunächst verfügt dieses Buch natürlich über eine absolut fesselnde Ausgangssituation, die nicht nur den Alltag eines Missbrauchsopfers abzubilden versucht, sondern auch die Schäden, die lebenslange Isolationshaft, ohne Kenntnisse einer normalen Welt nach sich zieht. Umso beängstigender wird das Szenario, weil die irische Autorin Emma Donoghue die Erzählperspektive in die Hände eines Kindes legt, dessen Welt nicht nur winzig klein ist, sondern auch kreuzgefährlich und lebensbedrohlich, sobald eine falsche Entscheidung getroffen wird. Doch gerade diese Sicht auf die Dinge, hat mir zunächst einige Probleme bereitet, denn Jack erzählt mit seinen Worten von einem Alltag, der sich dem Leser erst nach und nach erschließt und oftmals die Schrecken umschreibt, die andernfalls ganz ungefiltert ankommen würden. So versteckt sich der Junge zum Beispiel im Schrank, wenn „Old Nick“ mal wieder Bett quietscht und zählt die Quietscher, bis ein seltsames Stöhnen die Geräuschkulisse unterbricht.

Im ersten Drittel des Buches bin ich gar nicht so richtig damit warmgeworden, doch nachdem es dem Jungen und seiner Mutter tatsächlich gelungen ist, aus „RAUM“ zu fliehen, beginnt für mich der Teil, der einen regelrechten Lesesog verursacht hat, denn plötzlich steht man genauso wie Jack mitten in einer Welt, die so anders und gefährlich ist, dass man sich sehr gut vorstellen kann, warum sich das Kind zunächst in die Sicherheit und Zuflucht seiner bekannten Umgebung zurücksehnt. Gerade der psychologische Aspekt hat mich sehr inspiriert, denn was ist, wenn es nicht nur die vor Angst gepeinigte Mutter gibt, sondern plötzlich andere Kinder, Menschen, Verwandte, Ärzte und eine Welt, die unermesslich groß ist und doch so wenig Anteil nimmt am Leben des Einzelnen.

In nur wenigen Tagen wird Jack mit all dem konfrontiert und versucht, wenigstens ein paar gute Dinge zu finden, die es ihm möglich machen das „draußen“ ebenso zu mögen, wie das „drinnen“, selbst wenn es voller Entbehrungen und Belastungen war.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für eine krasse, beängstigende Story, die gerade auf Grund der Erzählperspektive so verstörend wirkt. Und obwohl das Buch keine sensationellen Überraschungen bereithält und trotz der bedrückenden Lage glaubwürdig erscheint, kann man sich der Geschichte bald nicht mehr entziehen und fiebert dem weiteren Geschehen entgegen. Möglicherweise hätte mich das ganze auch auf der Ebene eines Thrillers angesprochen, dann aber aus Sicht der Mutter, die mir hier doch etwas zu blass geblieben ist, was aber nicht an ihrer Persönlichkeit liegt, sondern schlicht und einfach an der Fokussierung des Kindes auf die Umstände.

Auf jeden Fall möchte ich mir hier jetzt die Verfilmung anschauen, denn möglicherweise füllen sich dort die Lücken, die der Text trotz seiner thematischen Dichte hatte. Ich empfehle diese Lektüre gerne weiter, sie vermittelt einen komplett anderen Blick auf die Schrecken einer Entführung und einer langen, ungewollten Haft in den Fängen des Bösen.

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Veröffentlicht am 16.06.2021

Subjektive Unmöglichkeiten

Echo des Schweigens
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„Sie haben getan, was ein guter Verteidiger tut: Sie haben geredet, wo es zu reden galt. Und sie haben geschwiegen, wenn Schweigen das einzig Richtige war. Ein guter Verteidiger weiß, dass es nicht seine ...

„Sie haben getan, was ein guter Verteidiger tut: Sie haben geredet, wo es zu reden galt. Und sie haben geschwiegen, wenn Schweigen das einzig Richtige war. Ein guter Verteidiger weiß, dass es nicht seine Aufgabe ist, Lücken der Anklage zu füllen.“

Inhalt

Hannes Jansen bekommt mit seinem derzeitigen Fall die Möglichkeit zugespielt, sich endlich als würdiger Nachfolger in seiner Kanzlei zu erweisen und damit in die Fußstapfen seines Chefs zu treten, der mit dem Gedanken liebäugelt sich allmählich von der vordersten Anwaltsfront zurückzuziehen, um seinen Ruhestand zu genießen. Umso wichtiger scheint ihm dieser Mordprozess, bei dem ein Polizist, ein Familienvater, ein angesehener Bürger angeklagt wurde, dass er einen bereits inhaftierten Afrikaner in seiner Zelle verbrannt haben soll. Ursprünglich wurde der Beschuldigte schon einmal freigesprochen, weil die Indizien nicht reichten, ihn den Mord zweifelsfrei nachzuweisen. Doch nun existiert ein neues Gutachten, bei dem die Pathologin Sophie Tauber eindeutig nachgewiesen hat, dass die Verbrennungen des Opfers nur durch Fremdeinwirkung und einen Brandbeschleuniger zustande gekommen sein können. Mit Erschrecken stellt Hannes fest, dass es sich bei seiner Kontrahentin vor Gericht um seine neue Bekanntschaft handelt, mit der er eigentlich eine Beziehung beginnen wollte, doch nun stehen sie auf gegnerischen Seiten und zwischen ihnen offenbaren sich ganz verschiedene Ansichten bezüglich Gerechtigkeit, Schuld und Moral. Schlagartig kühlt die erste Leidenschaft wieder ab, aber so ganz können sie nicht voneinander lassen, zumal sich immer mehr Schnittstellen zwischen Sophies Vergangenheit und der von Hannes ergeben …

Meinung

Nachdem ich vor kurzem mit absoluter Begeisterung „Die Wahrheit der Dinge“ gelesen habe, wollte ich unbedingt den vorherigen Roman des als Anwalt agierenden Schriftstellers Markus Thiele kennenlernen und bin mit entsprechend hoher Erwartungshaltung an die Lektüre herangetreten. Und zugegeben, sowohl der Schreibstil als auch der Plot an sich, bieten genau das richtige Maß an Unterhaltung, Spannung und tiefgreifenden Gedankengängen, die ich bei guter Belletristik zu schätzen weiß.

Gerade der Beruf des Strafverteidigers, mit seinen vielfältigen Aufgaben und der ständigen Belastung damit leben zu müssen, möglicherweise einen Mörder zu decken, bzw. dessen Strafmaß ausschlaggebend zu minimieren, wurde hier bestens und glaubwürdig umgesetzt. Insbesondere die Gesprächsanteile zwischen dem Seniorchef der Kanzlei und dem Hauptprotagonisten machen dabei deutlich, wie schmal der Grat zwischen moralischer Vertretbarkeit, tatsächlicher Schuld und gängigen Moralvorstellungen ist. Und dieser Zwiespalt scheint in der Berufsgruppe keine Ausnahme zu sein, sondern sich mit jedem Fall, mit jeder Gerichtsverhandlung zu verfestigen und klare Grenzen zwischen dem persönlichen Empfinden und den tatsächlichen Möglichkeiten der Verteidigung aufzuzeigen. Eine Vermischung zwischen Gesetz und Moral darf nicht erfolgen, wenn man als Strafverteidiger einen guten Job ausüben möchte.

Der Autor entwirft in diesem Roman zwei verschiedene Handlungsstränge, die zwar miteinander in Verbindung stehen, deren klare Zusammenhänge aber erst relativ spät im Text offenbart werden. Neben der gegenwärtigen Gerichtssituation und der Anbahnung einer Liebesbeziehung zwischen Anwalt und Pathologin, reist der Leser in die Vergangenheit und begleitet Sophies Mutter und Großmutter auf deren Lebensreise durch das nationalsozialistische Deutschland.

Mir persönlich hat dieser Schachzug von Markus Thiele nicht so gut gefallen, denn obwohl er das Unterhaltungsniveau des Buches aufwertet, geraten die beiden Handlungsstränge miteinander in Konflikt, insbesondere deswegen, weil sie sich stets abwechseln. Und wenn der Leser gedanklich bei der Judenverfolgung verweilt, schwenkt die Story wieder in den Gerichtsprozess, der damit in keiner direkten Verbindung steht, bzw. umgekehrt. Bei Thrillern mag ich diesen Wechsel zwischen dem Gestern und Heute immer ausgesprochen gern, hier hat mir dieses Spannungselement eher missfallen. Andererseits handelt es sich hier um Kritik auf hohem Niveau, denn über den Aufbau der Story kann man eigentlich nicht meckern und das Lesevergnügen bleibt trotz dieser Unterbrechungen gleichbleibend gut erhalten.

Fazit

Zu 5 Sternen reicht es diesmal nicht ganz aber es werden vier gute Punkte und eine Leseempfehlung meinerseits. Nach wie vor kann ich der Mischung zwischen Fiktion und Realität in der Verhandlungsführung und im Gerichtssaal viel abgewinnen. Im Nachwort richtet sich der Autor dann klar aus und beschreibt, die zu Grunde liegenden wahren Fälle, die er als Ideensammlung für den vorliegenden Roman genutzt hat.

Und darin liegt für mich auch der besondere Reiz der Bücher – weit über die Tatsachen hinaus entsteht eine berührende Geschichte, die sich mit wichtigen menschlichen Grundsatzfragen beschäftigt und den Leser mitnimmt auf die Gedankenreise zwischen Gut und Böse und diversen Schattierungen dazwischen. All die Dinge, die den Berufszweig der Juristerei so trocken erscheinen lassen, werden hier ausgeblendet und stattdessen so komprimiert dargestellt, dass man auch als Laie einen geschärften Blick fürs Detail bekommt. Markus Thiele steht auf meiner Watch-List, sehr gern verfolge ich seine weiteren Ausführungen der zeitgenössischen Gerichtsbarkeit und ihrer Stolpersteine.

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Veröffentlicht am 26.05.2021

Ideen, die das Schicksal hat

Das Licht ist hier viel heller
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„Wenn Wenger an seine Kinder denkt, dann wie Nebenfiguren in einem Roman. Sie sind da, aber man konzentriert sich nicht so auf sie, man glaubt, sie seien nicht so wichtig. Doch das ist nicht wahr. Denn ...

„Wenn Wenger an seine Kinder denkt, dann wie Nebenfiguren in einem Roman. Sie sind da, aber man konzentriert sich nicht so auf sie, man glaubt, sie seien nicht so wichtig. Doch das ist nicht wahr. Denn vernachlässigt man die Nebenfiguren, bricht das Ganze zusammen. Was man allerdings erst merkt, wenn der Geschichte, nein, dem ganzen Leben plötzlich die Stimmen fehlen, die die Melodie so vielschichtig gemacht haben.“

Inhalt

Maximilian Wenger ist in seiner Midlife Crisis angekommen, denn weder privat noch beruflich läuft irgendetwas. Die Kinder sind groß, die Frau hat ihn für einen viel jüngeren Fitnessguru verlassen und ihm, dem einstigen Stern am Autorenhimmel sind nun definitiv die Ideen ausgegangen und so wird es wohl nichts werden mit dem erträumten Erfolg eines weiteren Bestsellers. In seiner neuen Junggesellenbude, die er schnell verwahrlosen lässt, öffnet er ein paar Briefe, die eigentlich an seinen Vormieter adressiert waren und lässt sich von den Worten einer ihm unbekannten Frau fesseln, die ihn wachrütteln. Denn das Männerbild, welches sie in Textform heraufbeschwört, erinnert ihn zu sehr an sein eigenes Leben, zwischen zahlreichen Geliebten und immer auf der Sonnenseite des Lebens. Doch gerade jetzt, wo er ganz unten ist, und etwas Zuspruch gebrauchen könnte, haben sich alle von ihm abgewandt. Für Herrn Wenger werden die Briefe zur Inspirationsquelle und plötzlich scheint wieder alles möglich, zumindest auf dem Papier …Währenddessen kämpft seine fast 18-jährige Tochter mit ebenjenen Beschuldigungen, die Inhalt der Briefe sind, denn auch sie hat aus Neugier einen Blick in die fremden Dokumente geworfen. Umso enttäuschter ist sie von ihrem Vater, der ihr zwar immer alles bieten konnte, nur nicht den Schutz und die Zuneigung, die sie sich über viele Jahre von ihm gewünscht hätte …

Meinung

Die österreichische Autorin Mareike Fallwickl konnte mich schon mit ihrem Debütroman „Dunkelgrün fast schwarz“ überzeugen und deshalb habe ich mir gleich nach dem Erscheinungstermin 2019 ihren zweiten Roman zugelegt, der nun leider noch etwas warten musste, bis ich ihn von meinem SUB befreit habe. Ein wenig ins Grübeln bekommen bin ich auf Grund der Worte, die der Klappentext formuliert: „Ein soghafter Roman über das Gelingen und Scheitern von Beziehungen, über Macht und Machtmissbrauch, über Männer und Frauen und alles, was sie einander antun.“ So ganz klar war es mir nämlich nicht, auf was ich mich hier einlassen würde. Aber meine Zweifel bezüglich des Gefallens wurden schnell zerstreut, denn allein schon der Schreibstil und die Ausarbeitung der verschiedenen Charaktere lassen kaum Wünsche offen und entführen den Leser schnell in die fiktive Welt des Maximilian Wengers, der mit seinen ausgesprochen unsympathischen Wesenszügen, gleich einmal als Sinnbild für einen bestimmten Männertyp steht und dem man eigentlich nur die kalte Schulter zeigen kann.

Der Plot selbst hat mich eher wenig inspiriert, denn weder die Schaffenskrise des Literaten, noch die schwere Zeit, die dessen Tochter durchmacht (Schwerpunkt sexueller Missbrauch), konnten mich so richtig fesseln. Es sind einfach Themen, die mich nur bedingt interessieren, und gerade, weil es hier zwei Einzelerzählungen sind, die lediglich geringfügige Berührungspunkte aufweisen, fehlte mir eine Verbindungslinie. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Herr Wenger und seine Tochter schlicht und einfach zwei gänzlich verschiedene Leben führen und einander so gut wie nichts zu sagen haben. Dadurch konnte man sich zwar hervorragend die beiden divergierenden Lebensentwürfe vorstellen, aber zu den einzelnen Protagonisten entsteht eine zu schwache Bindung. Denn irgendwie habe ich mich immer so gefühlt, als würde ich beiden gerne eine ganze Menge Dinge mitteilen, über die sie anscheinend noch nicht nachgedacht haben.

Das sind aber schon die einzigen Kritikpunkte, die ich anzumerken habe und die sind wohl persönlicher Natur. Was dieses Buch aber tatsächlich zum Lesevergnügen macht, ist die vielschichtige emotionale Ebene, die man vorrangig zwischen den Zeilen herauslesen kann. Gerade das zerbrechende Familiengefüge, die zahlreichen Verletzungen zwischen Eltern und Kindern, die Kluft, die sich über Jahre entwickelt und auch nicht mehr überbrücken lässt – all diese familiären Stolpersteine, sind bei den Wengers schon zu regelrechten Felsblöcken geworden. Und dieser Aspekt zwischen Eltern und Kindern schimmert immer wieder durch und hätte gern das zentrale Thema des Buches sein dürfen, denn darin liegt für mich die eigentliche Aussagekraft des Romans.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen aktuellen, intelligenten und gut beobachteten Roman, der stereotypische Verhaltensweisen anprangert, im Kern wirklich wichtige Lebensfragen behandelt und Gesellschaftskritik gekonnt humoristisch verpackt. Und obwohl mich der Inhalt nicht restlos überzeugen konnte, war es eine unterhaltsame Leseerfahrung mit Mehrwert. Bei diesem Buch ging es mir ähnlich wie beim Vorgänger, die reine Handlungsebene erreicht mein Herz nicht, dafür spürt man beim Lesen viel tiefere Gedankengänge, über die man gewillt ist, länger nachzudenken. Insgesamt ein empfehlenswertes Buch: authentische Figuren, glaubwürdige Entwicklungen und genügend Raum für eigene Spekulationen. Die Autorin behalte ich im Auge, sie ist nah dran am Puls der Zeit und schafft es, eigene Erzählwelten zu schaffen, die man gerne aus der Zuschauerperspektive erkundet.

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Veröffentlicht am 14.05.2021

Das Lebkuchenhaus im Wald

Der Mädchenwald
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„Ich spüre einen Druck in meinem Kopf, als wollte etwas herausplatzen. Ich will sie weiter beruhigen, aber meine Zähne mahlen und machen ein schreckliches knirschendes Geräusch. Gretels grüne Augen flackern ...

„Ich spüre einen Druck in meinem Kopf, als wollte etwas herausplatzen. Ich will sie weiter beruhigen, aber meine Zähne mahlen und machen ein schreckliches knirschendes Geräusch. Gretels grüne Augen flackern auf. Sie weicht zurück, als hätte etwas in meiner Stimme sie erschreckt.“

Inhalt

Die 13-jährige Elissa wird am helllichten Tag von einem Parkplatz entführt, als sie nur mal kurz zum Auto ihrer Mutter lief, die währenddessen drinnen beim Schachturnier auf ihre Tochter wartete. Wenig später sind alle alarmiert und eine Großfahndung nach dem jungen Mädchen ist angelaufen, denn gerade die ersten Stunden nach einer Entführung können die entscheidenden sein. Und trotz der Tatsache, dass es Zeugen gibt und die Fahndung nach einem verbeulten, weißen Lieferwagen initiiert wurde, tappt die Polizei im Dunkeln.

Elissa hingegen, muss sich in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden – ein dunkles, kaltes Kellerloch, in dem sie der Willkür ihres Entführers ausgesetzt ist und in Handschellen ihr Dasein fristet. Doch als sie Besuch von Elijah erhält, der anscheinend selbst ein verstörtes Kind ist, vielleicht sogar der Sohn des Entführers wittert die schlaue Elissa ihre Chance: wenn es ihr gelingt, den Jungen auf ihre Seite zu ziehen, gibt es vielleicht die Möglichkeit zur Flucht. Aber bei jedem Treffen spürt sie, dass Elijah kein normaler Junge sein kann, sein Verhalten ist unberechenbar und die Geschichten, die er erzählt, offenbaren ihr, dass sie längst nicht die erste ist, die hier gefangen gehalten wird. Und noch während sie herausfinden möchte, ob sie dem sonderbaren Jungen vertrauen kann, spitzt sich ihre Situation dramatisch zu und es bleibt nur wenig Zeit, der unterirdischen Hölle zu entkommen …

Meinung

Bei diesem Buch hat mich zunächst das Cover, der Klappentext und die Leseprobe fasziniert und ich wollte unbedingt wissen, wie es der armen, entführten Elissa eingesperrt in einem Keller unter der Erde wohl ergehen wird und wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sie in diesem dunklen Verlies mitten im Mädchenwald gelandet ist. Entführungsfälle bei Kindern, die als Grundlage eines spannenden Thrillers dienen, reizen mich immer besonders, sind sie doch geprägt von einer gewissen Ausweglosigkeit und manchmal auch begleitet durch unvorhergesehene, glückliche Zufälle – während ich im realen Leben diesen Umstand wohl kaum ertragen könnte …

Der englische Autor Sam Lloyd, aufgewachsen im englischen Hampshire fängt in seinem Thrillerdebüt den Reiz einer abgelegenen Gegend, umgeben von dichten Wäldern und Einsamkeit hervorragend ein, denn sowohl die beschriebenen Szenen als auch die Bilder, die sich der Leser während des Buches vorstellt, sind lebensecht und versetzen uns mitten hinein in die erschaffene Welt des Buches.

Besonders gut gefallen hat mir der psychologische Aspekt der Geschichte: zwei Kinder gefangen in einem Haus, eins ist das hilflose Opfer, das andere möglicherweise ein gefährliches, zumindest aber undurchschaubares Subjekt – beide möchten, die erzwungene Zwangslage beenden und gleichzeitig ihr Leben behalten. Seltsamerweise scheint nur eine dieser beiden Möglichkeiten erreichbar.

Die Bedrückung und Angst aber auch die Hoffnungsschimmer werden besonders gut sichtbar, weil der Autor jeweils verschiedene Erzählperspektiven wählt, die sich abwechseln und für den Leser mit Fortschreiten des Buches immer neue Erkenntnisse bieten. Zu Wort kommt der sonderbare Elijah, die verzweifelte Elissa und die engagierte Polizistin Máiread MacCullagh – sie alle haben nur ein Ziel – raus aus der Hölle, hinein in ein normales Leben.

Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich trotzdem: das Spannungsniveau hätte noch etwas höher sein können, dazu wäre vielleicht nur eine Straffung des Textes notwendig gewesen (100 Seiten weniger hätten auch gereicht). Die Täterperspektive, die zwar einige Wendungen bereithält, hätte noch eindringlicher und schwerpunktmäßiger erzählt werden können, während man im Gegenzug die drohende Fehlgeburt der Ermittlerin hätte streichen können, weil sie für das Buch keine Relevanz besitzt. Ebenso interessant wäre ein Blick in den Kopf der Mutter gewesen, die als Alleinerziehende nun der Tatsache ins Auge sehen muss, dass sie ihre geliebte Tochter an einen Mörder verliert, der ohne Rücksicht auf Verluste ihre Kleinstfamilie zerstören wird.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen interessanten Thriller mit der Thematik Kindesentführung, der mehr durch seine psychologischen Feinheiten als durch Action und Spannungsmomente überzeugen kann. Insgesamt ein solider, unterhaltsamer Roman, der nach und nach die Schrecken offenbart, die den Menschen hier widerfahren – empfehlenswert vor allem auf Grund der düsteren, beklemmenden Szenen, der kurzen informativen Lichtblicke und der emotionalen Hintergründe, die sich auf traumatisierte Kinder und deren Entwicklung stützen. Ich würde gerne noch ein weiteres Buch des Autors kennenlernen und behalte ihn im Auge.

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Veröffentlicht am 04.05.2021

Wenn man es ausspricht, wird es anders

Die Geschichte von Kat und Easy
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„Ach, und ich habe heute noch etwas gelernt: Wir waren jung damals, aber wir waren trotzdem längst die, die wir heute sind. Das ist erschreckend und tröstlich zugleich, oder?“

Inhalt

1973 waren Kat und ...

„Ach, und ich habe heute noch etwas gelernt: Wir waren jung damals, aber wir waren trotzdem längst die, die wir heute sind. Das ist erschreckend und tröstlich zugleich, oder?“

Inhalt

1973 waren Kat und Easy beste Freundinnen, doch sie haben sich schon lange, lange aus den Augen verloren und das ist nicht nur ihrer unterschiedlichen Lebenseinstellung geschuldet, sondern vielmehr einer inneren Entfremdung, deren Ursache die Liebe zum gleichen jungen Mann war. Damals war Easy die Glückliche, die mit dem etwas älteren Fripp aus dem Jugendzentrum anbandeln konnte, obwohl Kat ihn doch noch viel mehr geliebt hat und immer hoffte, dass aus dem gemeinsamen Sex irgendwann eine Beziehung werden könnte.

Gut 40 Jahre später treffen sich die beiden Frauen, die sich über Kats Blog wiedergefunden haben zu einer gemeinsamen Urlaubsreise auf der griechischen Insel Kreta. Easy besitzt dort ein Ferienhaus, welches ihr, ihr dritter Ehemann, ein ortsansässiger Grieche, nach der Trennung überlassen hat. Langsam nähern sich die beiden Frauen einander an, sie strecken ihre Fühler in Richtung Vergangenheit aus und erzählen sich Geschichten aus den Jahren dazwischen, in denen sie sich nicht mehr gesehen haben. Doch die Verletzungen aus der Zeit ihrer ersten gemeinsamen Liebe sitzen tief und jede meint, eine Unmenge an Fehlern gemacht zu haben. Kat und Easy müssen einsehen, dass die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hat, als gewünscht, sie haben aber auch die Möglichkeit, sich endlich mit ihren persönlichen Entscheidungen auszusöhnen und das Glück der späten Jahre auszukosten, in denen Erfahrungswerte mehr Gewicht besitzen als die Flüchtigkeit eines besonderen Augenblicks.

Meinung

Vor einigen Jahren habe ich voller Begeisterung den Roman „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ der in Soltau geborenen Autorin Susann Pásztor gelesen und wollte nun unbedingt noch ein weiteres Buch von ihr kennenlernen, gerade weil ich auch hier wieder eine Geschichte voller Empathie und Wichtigkeit vermutet habe. Doch der vorliegende Roman über eine authentische Frauenfreundschaft, die mehr oder weniger durch die Liebe zum gleichen Mann auseinanderbrach, besitzt zwar einerseits sehr viel Einfühlungsvermögen und emotionale Beweggründe bleibt aber andererseits hinter meinen Erwartungen zurück. Der Grund dafür ist ganz einfach: die Geschichte, so wie sie hier erzählt wird, ist nahezu perfekt, so ausgewogen und abgeschlossen erzählt, dass man beim Zuklappen des Buches tatsächlich das Gefühl hat: hier wurde alles gesagt, was es zu sagen gibt.

Für mich ist das ein Wohlfühlroman, der Nostalgie aufkommen lässt, ohne alles zu beschönigen, der nah an der Realität dran ist und die unterschiedlichen Gefühle der Protagonisten gut zusammenfasst, sie deutlich macht und dadurch glaubwürdige Charaktere hervorbringt. Die beiden Frauen und ihre unterschiedliche Einstellung, die sich dennoch mögen, vielleicht gerade weil jede etwas besitzt, was die andere gerne hätte und damit meine ich nicht den etwas blassen Fripp, der eher zufällig ins Spiel geraten ist. Die Autorin vermag es gekonnt große Themen auf kleine Begebenheiten herunterzubrechen und dadurch eine unbedingt Lesernähe herzustellen, denn obwohl ich weder mit Kat noch Easy sympathisieren würde, kann ich mir die Interaktion der beiden hervorragend vorstellen und es gelingt ebenso mühelos, mit beiden Frauen mitzufühlen.

Für die notwendige Abwechslung sorgt der Wechsel der Schauplätze und damit auch der zeitlichen Hintergründe, denn der Leser ist einmal im beschaulichen Laustedt des Jahres 1973, der eigentlichen Kerngeschichte und wechselt dann in die Gegenwart zu zwei Frauen, beide Anfang 60, die nun erneut aufeinandertreffen, diesmal vor der Kulisse eines griechischen Dorfes, dem Müßiggang ausgesetzt. Auch diese Einteilung des Textes kommt dem Leser sehr entgegen, weil er sofort, mit dem Lesen der Überschrift weiß, wo genau er sich jetzt wieder befindet und wenn das Kapitel endet schnell weiterlesen möchte, um noch mehr zu erfahren.

Prinzipiell gibt es fast keine Kritikpunkte, die ich hier anbringen kann, denn wer gute, ausgewogene Unterhaltungsliteratur sucht, ist hier genau richtig und dennoch habe ich gerade im Vergleich zu dem oben genannten Roman der Autorin etwas Essentielles vermisst: Gedankengänge, die während des Lesens angeregt werden, Fragen, die bleiben, Gründe über das Gelesene nachdenken zu wollen …dieses Buch schafft genau jene Hürde nicht, die es zu etwas Besonderem für mich machen würden.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen umfassenden, fast alltäglichen Roman, der sich mit den Fallstricken einer Freundschaft beschäftigt, damit wie schwer es fällt, Dinge anzunehmen und auszuhalten und dabei nicht das Gegenüber aus den Augen zu verlieren. Grundlegende Verhaltensmuster, die sich im Laufe eines Lebens herausbilden, ebenso wie Vermeidungsstrategien und das Aufrechterhalten eigener Überzeugungen, selbst wenn sie nur das Ergebnis jahrelanger Manipulation sind. Loslassen und Verzeihen sind ebenso Schwerpunkte wie Zuwendung und Einsicht. Gefallen hat mir die Lebensweisheit, die hier präsent ist, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger daherzukommen. Dieses Buch ist eine runde Erzählung, die für schöne Lesestunden sorgt und deren Warmherzigkeit ein Gefühl der Nähe hinterlässt, aber in Erinnerung wird sie mir trotzdem nicht lange bleiben.

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