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Veröffentlicht am 20.07.2021

Stunden der Entscheidung

Dreieinhalb Stunden
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Fährt der Interzonenzug von München nach Berlin am 13.August 1961 zum letzten Mal? Viele der Fahrgäste wollen in ihre ostdeutsche Heimat. Doch das Gerücht läuft durch den Zug wie ein Lauffeuer. „Sie bauen ...

Fährt der Interzonenzug von München nach Berlin am 13.August 1961 zum letzten Mal? Viele der Fahrgäste wollen in ihre ostdeutsche Heimat. Doch das Gerücht läuft durch den Zug wie ein Lauffeuer. „Sie bauen eine Mauer.“ Sollte dies der Wahrheit entsprechen, wäre es die vorerst letzte Chance im Westen zu bleiben. Wie wäre das für das Ehepaar mit zwei Kindern? Oder für die Mitglieder einer Band, die im Osten nichtmal ihren eigentlichen Namen führen dürfen? Wie würde die Ostdeutsche Lokführerin entscheiden, die den Zug hinter der Grenze im Westen übernimmt, um nach Berlin weiterzufahren?

Verschiedenste Charaktere treffen in diesem Zug aufeinander. Jung und alt, gesetzt oder im Aufbruch. Risse gehen teilweise durch die Familien und es ist fraglich, ob man trotz der Risse zusammenhalten wird. Und man kann sich auch fragen, ob in der DDR wirklich alles schlechter ist. Möglicherweise ist der Sozialismus in einigen Bereichen fortschrittlicher als der Westen, der an althergebrachte Werte anknüpfte. Kann man also die Augen verschließen und auf die Freiheit verzichten, die im Einzelnen vielleicht garnicht so groß ist? Die Reisenden stehen unerwartet vor diesem Dilemma und sie haben nur wenig Zeit, um eine Entscheidung zu treffen. In etwas über drei Stunden werden sie die Grenze erreichen und im Zug bleiben oder aussteigen.

Am 13.August jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum sechzigsten Mal. Aus diesem Anlass wird es einen TV-Film geben, der sich mit dieser Zugfahrt beschäftigt. Der Autor dieses Romans hat gemeinsam mit Beate Fraunholz auch das Drehbuch zu dem Film verfasst. Das erklärt vermutlich die szenischen Beschreibungen in kurzen Kapiteln, die dem Roman ein schnelles Tempo verleihen. Man ist dadurch auch sehr nah an den handelnden Personen, was einem einen eindringlichen Eindruck verschafft, wie diese Zugfahrt wohl abgelaufen sein könnte. Vielleicht kann man sich nicht in jeden gleich gut hineinversetzen, doch insgesamt ist man gepackt und berührt von den Schicksalen der Reisenden. Ein mitreißendes Buch, das sich relativ schnell inhalieren lässt und neugierig auf den Film macht.

Veröffentlicht am 17.07.2021

Zwei wie Pech und Schwefel

Alte Sorten
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Liss hat sich allein auf dem Elternhof eingerichtet. Sie lebt bodenständig mit der harten Feldarbeit, wobei sie nicht jedes moderne Gerät nutzt. Sally dagegen ist jung und sie möchte nur ihre Ruhe haben. ...

Liss hat sich allein auf dem Elternhof eingerichtet. Sie lebt bodenständig mit der harten Feldarbeit, wobei sie nicht jedes moderne Gerät nutzt. Sally dagegen ist jung und sie möchte nur ihre Ruhe haben. Bei ihren Eltern findet sie kein Verständnis, sie wollen sie behandeln, damit sie normal ist. Deshalb ist Sally kurz vor dem Abitur abgehauen. Und so landet sie im Dorf von Liss. Diese hat im Weinberg ihren Anhänger festgefahren und sie bittet Sally um Hilfe. Diese will sich wehren wie immer, doch sie merkt, dass es einfach nur eine Frage war, aus der Situation heraus und weil sie gerade da war. Und Sally hilft.

So beginnt eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten. Liss scheint im Dorf nur bei wenigen Leuten beliebt zu sein. So wie sie links liegen gelassen wird, lässt sie die anderen auch links liegen. Gesellschaft ist sie nicht mehr gewöhnt. Mit ihrer verschlossenen Art schließt sie nicht leicht Bekanntschaften. Sally, die so genommen werden möchte wie sie ist, findet bei Liss genau das. Liss fragt nicht viel und Sally erzählt nicht viel. Die Arbeit auf dem Hof, die Maschinen, die Früchte der Erde, das ist es was Liss erklären kann und das ist es, was Sally förmlich aufsaugt.

Die Bücher von Ewald Arenz sind alle gut bis sehr gut. Er hat einfach eine tolle Art zu schreiben. Auch wenn es am Schluss etwas sehr dramatisch wird, was nicht ganz zum Rest des Buches passt, wie der Autor die ungewöhnliche Freundschaft zwischen diesen sehr unterschiedlichen Frauen beschreibt, ist einfach klasse. Das einfache und arbeitsreiche Leben auf dem Hof kann man sich sehr gut vorstellen. Und immer wieder wird fast beiläufig eingeworfen, wie sich das Leben der Beiden bis zu diesem Punkt entwickelt hat.

Es ist eines dieser Bücher, die man in die Hand nimmt und die man nicht mehr niederlegt bis man sie ausgelesen hat. Genau richtig für einen Sommertag im Garten zwischen alten Obstbäumen.

Veröffentlicht am 11.07.2021

Rentner haben nie Zeit

Miss Merkel: Mord in der Uckermark
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Als Kanzlerin hatte Angela auch nie Zeit und sie ist mit Bedacht ins beschauliche Kleinfreudenstadt in der Uckermark gezogen, damit sie ihre neue Zeit mit ihrem Mann und ihrem neu angeschafften Mops genießen ...

Als Kanzlerin hatte Angela auch nie Zeit und sie ist mit Bedacht ins beschauliche Kleinfreudenstadt in der Uckermark gezogen, damit sie ihre neue Zeit mit ihrem Mann und ihrem neu angeschafften Mops genießen kann. Allerdings merkt Angela schnell, dass es nicht so einfach ist, Kontakt zu den Menschen zu bekommen, wenn man neu ist und keinen Kanzlerbonus mehr hat. Da denkt Angela doch mit Sehnsucht an Berlin zurück. Als sie zu einer Veranstaltung auf das Anwesen derer von Baugenwitz eingeladen wird und dann der Hausherr tot aufgefunden wird, ist es für Angela mit der Ruhe vorbei.

Endlich kann Angela ihren Kopf wieder einsetzen und sie merkt schnell, dass an diesem Tod etwas nicht stimmen kann. Ihr glaubt nur keiner, auch da ist der Kanzlerbonus weg. Aber mit ihrer zwar ruhigen und unaufgeregten Art lässt Angela nicht locker. Und sie hat Hilfe von ihrem Mann Achim und ihrem Personenschützer Mike, der manchmal denken mag, Flöhe hüten ist leichter. Und natürlich Putin, der Mops, der seine Nase gerne überall hineinsteckt und auf das eine oder andere Leckerli hofft. Man möchte fast hoffen, dass man hier irgendwann mal sagen kann, es sei Angelas erster Fall gewesen.

Das Hörbuch wird gelesen, nein, geschauspielert von Nana Spier. Ob das Buch gelesen genauso gut wirkt, muss jeder selbst herausfinden. Das Hörbuch jedoch erfreut außerordentlich. Fast würde man Frau Merkel so ein Rentnerleben wünschen und es bleibt zu hoffen, dass sie eine Ausfertigung des Buches/Hörbuchs bekommen hat und sich darüber amüsieren konnte. Vorstellbar ist es. Die gemeine Hörerin hat sich jedenfalls köstlich amüsiert. Da war es manchmal schwierig beim Einkaufen nicht laut loszulachen. Auch wenn Angela die, welche ihr nahestehen manchmal auf ihren Platz setzt, gelingt ihr das doch immer souverän. Und gerade ihre Geplänkel mit ihrem Achim sind so liebevoll geschildert, dass es einem einfach ein gutes Gefühl gibt. Dass sie dabei gewiefter ermittelt als die Polizei trägt ein Übriges zum Hörvergnügen bei. Auch wenn der Autor keine Serien schreibt, man würde Angela durchaus noch weitere Rentnerfälle wünschen.

Veröffentlicht am 13.06.2021

Die Ersten

Darktown (Darktown 1)
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Auf Drängen der Politik werden im Atlanta des Jahres 1948 erstmals schwarze Polizisten eingesetzt. Sie patrouillieren nur in ihren eigenen Wohnbezirken und wenn wirklich mal Maßnahmen ergriffen werden ...

Auf Drängen der Politik werden im Atlanta des Jahres 1948 erstmals schwarze Polizisten eingesetzt. Sie patrouillieren nur in ihren eigenen Wohnbezirken und wenn wirklich mal Maßnahmen ergriffen werden müssen, sind sie gehalten, die weißen Polizisten hinzu zu rufen. Außerdem ist ihre Wache nicht im Polizeipräsidium, sondern im YMCA und die weißen behandeln sie nicht wie Kollegen, sondern eher wie Hilfsarbeiter, die kaum wahrgenommen werden. Nicht einmal die Bewohner der Viertel bringen ihnen am Anfang Respekt entgegen. Eines Tages wird eine junge Schwarze tot aufgefunden und die Mitglieder der schwarzen Einheit Boggs und Smith wollen trotz aller Hindernisse alles tun, um den Fall zu lösen.

In diesem ersten Band einer Trilogie bekommt man einen Einblick in eine spannende geschichtliche Zeit. Es gibt erste Zeichen, dass die Rassentrennung in den USA aufgebrochen wird. Dies allerdings geschieht gegen große Widerstände, denn Diejenigen, die die Positionen innehaben, wollen nicht davon lassen. Gerade auch in der Polizei tun die Alteingessenen alles, um die vermeintliche Konkurrenz zu schikanieren und zu drangsalieren. Manchmal gehen sie förmlich über Leichen. Nur wenige der weißen Polizisten haben überhaupt nur den Ansatz einer akzeptablen Einstellung. Hin und wieder müssen sie zähneknirschend eingestehen, dass ihre ungeliebten und nicht anerkannten Kollegen doch ordentliche Arbeit leisten.

Es ist sehr gut, wenn man mal batsch vor den Kopf geknallt bekommt, wie sich Weiße manchmal so benehmen. Gewalttätig, wenig lernfähig, dumm. Ist das nun ein Zeichen für die amerikanische Polizei oder sind wir alle so? Ist es heute besser? Wahrscheinlich muss sich jeder fragen, ob er sich immer ordentlich benimmt. Eine ehrliche Antwort müsste nein lauten. Im hier vorliegenden Roman wird diese wachrüttelnde Thematik noch in einen spannenden Kriminalfall verpackt, der ebenso davon lebt, dass Schwarze nicht genauso behandelt werden wie die Weißen. Die Trägheit der weißen Polizisten in dem Mordfall an einer farbigen Frau auch nur zu ermitteln, die Untersuchung auch noch zu verfälschen, dass ist schon starker Tobak. Und anstatt, dass sie froh sind, dass die neue Einheit ihnen die Arbeit abnimmt, werden deren Nachforschungen auch noch behindert. Beim Lesen vermag man sich ein wenig in diese Welt hineinzuversetzen, obwohl man dies so richtig wohl nie schaffen wird. Ein packender Krimi, der zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 28.05.2021

Die Geschworene

Verweigerung
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Vor zehn Jahren wurde Maya Seale zur Geschworenen berufen. In einem Aufsehen erregenden Prozess sollten sie und die anderen Geschworenen ein Urteil fällen. Eine weiße Schülerin aus reichem Haus war verschwunden ...

Vor zehn Jahren wurde Maya Seale zur Geschworenen berufen. In einem Aufsehen erregenden Prozess sollten sie und die anderen Geschworenen ein Urteil fällen. Eine weiße Schülerin aus reichem Haus war verschwunden und ihr schwarzer Lehrer, der seine erste Stelle innehatte, wurde angeklagt, sie getötet zu haben. Die Geschworenen entschieden damals auf nicht schuldig. Und heute zehn Jahre später soll eine Dokumentation über den Fall erstellt werden, in der sich die ehemaligen Geschworenen wieder treffen sollen. Irgendwie hat die Sache alle nie losgelassen. Und einer von ihnen behauptet nun, er habe neue Beweise. Sie haben sich damals geirrt.

Auch Mayas Leben hat sich durch ihre Tätigkeit als Geschworene verändert. Sie hat Jura studiert, sie wollte das System durchdringen, in dem es nicht immer auf die Wahrheit ankommt, sondern auf das, was bewiesen werden kann. Sie meint, sie habe den Prozess hinter sich gelassen. Doch natürlich wurde ihre Lebensentscheidung davon bestimmt. An dieser Dokumentation will sie nicht teilnehmen, doch ihre Kanzlei hat nichts gegen die Publicity. Schon am ersten Abend wird einer der ehemaligen Geschworenen tot aufgefunden und ausgerechnet Maya ist es, die unter Verdacht gerät.

Ein Gerichtsthriller wie er im Buche steht. Auch wenn man nicht alles über das amerikanische Rechtssystem weiß, kann man hier sehr gut verfolgen, wie wenig es dabei um die Wahrheit und die wahren Täter geht. Vielmehr geht es um Strategien und das Wissen, wie andere reagieren werden oder wie sie am besten manipuliert werden können. Das beschreibt der Autor meisterlich. Zusätzlich schafft er es, gerade dann mit Überraschungen aufzuwarten, wenn man nicht damit rechnet. Die Polizei scheint nicht selten voreingenommen zu sein, so dass Anwälte gezwungen sind selbst zu ermitteln, wenn sie einen anderen Ansatz betrachten wollen. Auch Maya ist eine von diesen Anwälten, obwohl sie als Verdächtige besser überhaupt nichts tun sollte. Doch Maya kennt das System, sie will es nutzten, aber trotzdem die Wahrheit finden und Gerechtigkeit für die Opfer haben. Eine fast unlösbare Aufgabe, deren nicht unkomplizierter Weg zur Lösung, einen an die Seiten diesen ausgesprochen lesenswerten Romans bannt.