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Veröffentlicht am 16.04.2017

Von der Sehnsucht nach gestörten Kriminellen

Am Ende der Schmerz
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„An jedem Tag, den sie in ihrem Büro an der Uni verbrachte, sehnte sie sich nach ihrem alten Schreibtisch in der Polizeistation.“ S. 9 Die aus Deutschland stammende Andrea Thornton unterrichtet jetzt an ...

„An jedem Tag, den sie in ihrem Büro an der Uni verbrachte, sehnte sie sich nach ihrem alten Schreibtisch in der Polizeistation.“ S. 9 Die aus Deutschland stammende Andrea Thornton unterrichtet jetzt an der Uni – sie bildet Nachfolger für den Job als Profilerin aus – der Job, den sie selbst einst so erfolgreich ausgefüllt hatte und der sie ausgefüllt hatte. Sie hält noch den Kontakt zu ihren alten Kollegen. Da kommt – ausgerechnet – Andreas Mann Greg, den ihr früherer Beruf sonst immer in Angst und Schrecken versetzt hatte, und bittet sie, die Unschuld seines gerade verhafteten Cousins Matthias zu beweisen. Der steht in Bielefeld unter dem Verdacht, Frau und Kinder getötet zu haben. Greg kann sich diese Tat nicht vorstellen für seinen sanftmütigen Cousin – doch der erinnert sich nicht an den Tatabend.

Aus ihrer Wahlheimat England in ihre alte Heimat gereist, realisiert Andrea: „Dieser Job fehlte ihr wie ein amputiertes Körperteil, aber sie hatte Angst, ihn wieder zu machen.“ S. 37 Nach einem traumatischen Erlebnis vor über einem Jahr hatte ihr die professionelle Distanz gefehlt. Und das soll jetzt funktionieren? Doch Fachwissen, Erfahrung und Intuition kann man nicht so einfach ablegen, wie man eine Kündigung ausspricht. Andrea beginnt, den Tathergang zu analysieren. Warum hatte Matthias Geheimnisse vor seiner Frau? Und hatte seine Frau einen Liebhaber? Worauf deutet die Reihenfolge der Morde hin? Wo ist das schwarze Notizbuch mit den bunten Blumen?

Was bei diesem Buch besonders ist, ist die Perspektive: vordergründig könnte man von einer ruhigen Ermittlung sprechen. Das ganz eigene ist die komplexe Sicht: Autorin Dania Dicken erläutert, warum Andrea zu diesem Beruf kam, wo die Herausforderung liegt, sich mit den Abgründen der Gesellschaft zu beschäftigen, und wie diese Beschäftigung durchführbar ist, ohne dabei persönlich hineingezogen zu werden – oder, wie in speziellen Fällen, dann halt doch. Das passiert schrittweise und wirkt dadurch stark und glaubhaft. So kommt Andrea bald zu Erkenntnissen – doch diese nützen leider nichts ohne Beweise. Sollte hier ein Täter davonkommen? Und da wird es dann erst richtig spannend…

Es ist geradezu traurig, ich kann nicht mehr werben, ohne zu viel zu verraten! Toll geschrieben, schlüssig hinsichtlich der Personenzeichnung, der Handlungsmotivation und der gesamten Abläufe. Dazu ein sehr unüblicher Ablauf! Es passt einfach! Absolute Leseempfehlung für Fans von harten Psychothrillern – was gleichzeitig meine übliche Warnung ist.

Veröffentlicht am 03.04.2017

"Gute Nacht, Jonas"

Ein fauler Gott
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Jonas ist gestorben, er wurde nur acht Jahre alt – jetzt ist sein Bruder Ben, 11, ein Einzelkind. Aus der kindlichen Sicht von Ben im Wechsel mit der von seiner Mutter Ruth beschreibt Autor Stephan Lohse ...

Jonas ist gestorben, er wurde nur acht Jahre alt – jetzt ist sein Bruder Ben, 11, ein Einzelkind. Aus der kindlichen Sicht von Ben im Wechsel mit der von seiner Mutter Ruth beschreibt Autor Stephan Lohse das Leben danach, erlaubt aber auch durch eingestreute Rückblicke Einblicke in das Leben davor. Das ist nicht „noch so ein Buch über einen Sterbenden oder Todkranken“, es geht vielmehr darum, wie die „Überlebenden“ mit einem eher plötzlichen und völlig unerwarteten Tod umgehen. Die Handlung ist in den 70ern angesiedelt, mit Rex Gildo und Grastapete, Mark Spitz und Cordsamt.

Der Leser wechselt zwischen der Perspektive von Ruth und Ben, stets in der dritten Person. Ben sieht vieles noch sehr kindlich – trifft aber damit mich persönlich wesentlich unmittelbarer, weil viele der für ihn verwendeten Bilder so zielsicher Emotionalität vermitteln: „Der Platz hinter seiner Nase ist durchs Weinen gewachsen und stößt von innen gegen seine Augen. Eigentlich müsste er aufstehen. Doch er traut sich nicht. Gestern ist sein Bruder gestorben.“ S. 7 Der Autor findet wiederkehrende Bilder für Bens Verzweiflung, sein Erstarren, wie das Wachs im Körper oder Bens „innere Regale“, die in Unordnung geraten. Mutter Ruth muss sich neben dem schlimmsten, das Eltern widerfahren kann, mit den Anforderungen für das Weiter-Leben auseinandersetzen, dabei wird sie nicht von den Plattitüden ihrer Umwelt verschont: „Den eigenen Tod sterben wir, den unserer Kinder müssen wir leben“ S. 102

Der Debütroman ist mit sprachlich schönen Bildern geschrieben, wechselt gekonnt zwischen den Sichten der Erwachsenen und des Kindes und ist in der Lage, aus beiden Blickwinkeln Bedeutung auch zwischen den Zeilen zu transportieren, beispielsweise zur Rolle des Vaters Hans in den Erinnerungen der Mutter: „Während sie erst Ben, später Jonas fütterte, wickelte und badete, wartete Hans darauf, dass die Kinder sprechen lernten. Sobald sie es konnten, unterwies er sie darin, einen Bissen fünfzehn Mal zu kauen, die Schönheit eines herbstlich verfärbten Blattes zu würdigen oder dem Gesang eines Dompfaffs zu lauschen.“ S. 147 Der Autor setzt hier nicht nur auf Tragik, zu sehr geht gerade für den Jungen am Rande der einsetzenden Pubertät das Leben weiter, dadurch wirken die Komik und Tragikomik aus vielen der kindlichen Betrachtungen auf mich jedoch noch stärker: so reagiert der Vater von Bens bestem Freund auf seine Verkleidung als Mexikaner in Bens Wahrnehmung mit so etwas wie „Viva Zahnpasta“ S. 108 oder es wird beim Brand während Bens Kur-Aufenthalt von den erwachsenen Betreuerinnen, den „Tanten“, eher sinnlos agiert:
"Tante Regine rettet eine Sahnetorte." S. 170.

Durch das beschriebene Wechselspiel hatte das Buch auf mich eine sehr berührende Wirkung – ging mir aber schlicht teils so nah, dass ich oft Pausen setzen musste. Da ich das Buch in einer Leserunde gelesen habe, war es interessant, die Reaktionen anderer hierzu zu beobachten; ich vermute, dass – unabhängig vom Alter der Lesenden – die Nachvollziehbarkeit der oft eher absurden Reaktionen auf den Tod sowohl von Betroffenen als auch der Umwelt eher dort gegeben ist, wo eigene Erfahrungen bestehen. Das ist nicht wertend gemeint, eher als Hinweis für oder gegen die Lektüre (ich empfehle die Leseprobe); ich fühlte mich bereichert, auch und vielleicht gerade weil mir einiges fast ZU nah ging, und das, ohne dass es bei mir um ein Kind ging. Vermutlich muss ich hier jedoch DIE Warnung aussprechen, die ich sonst bei Krimis und Thrillern mache: dieses Buch könnte empfindsame Personen eventuell überfordern (und sollte dann eher „später“ gelesen werden).

Dabei ist gerade die Mutter zu Beginn sehr einfühlsam bei der Vermittlung des Unfassbaren an Ben „Dass sie glaubt, dass Gott nach Hilfe gesucht und sich für Jonas entschieden hat.“ S. 8 Der Titel ist vielleicht etwas unglücklich gewählt, da er hier die kindliche Reaktion Bens auf das Handeln Gottes widerspiegelt, jedoch dabei gläubige Leser eher verstören könnte, völlig unnötigerweise.

Eine Schwäche mag sein, dass Lesern, die nicht die Bundesrepublik der 70er Jahre erlebt haben, einige Bilder und Referenzen fremd bleiben dürften; ich habe mit Vergnügen die Bücher im Schuhgeschäft mit dem Wappentier des Firmengründers als Lurchis Abenteuer erkannt oder das Lied des Hundes über die Miezekatze https://www.youtube.com/watch?v=yW0gCjiFyFg
Von mir 6 Punkte von 5.

Folgebuch: den plötzlichen und unerwarteten Verlust, jedoch nicht den eines Kindes, sondern seiner Lebensgefährtin beschreibt Tom Malmpquist im gleichermaßen aktuellen „In jedem Augenblick unseres Lebens“. Da es sich hier um eine autobiographische Geschichte handelt (im Gegensatz zu „Ein fauler Gott“), sei hier erlaubt, zu verraten, dass mit dem Tod hier der (erfolgreiche) Not-Kaiserschnitt der gemeinsamen Tochter einher geht. Daraus erklärt sich die Motivation dieses Buches, in diesem Zusammenhang wählt der Autor dort eine völlig andere Textform und wirkt vor allem in der Darstellung von Emotionen völlig anders als speziell der Ben in der fiktiven Geschichte.

Veröffentlicht am 01.04.2017

„nur wer gar nichts muss, ist frei“

Drei Meter unter Null
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Ich bin fast in meine Lautsprecher hineingekrochen (ich hatte die Audio-CDs der ungekürzten Lesung) und wurde mehrfach von einer kompletten 180°-Wendung völlig überrascht. Ich schreibe direkt und noch ...

Ich bin fast in meine Lautsprecher hineingekrochen (ich hatte die Audio-CDs der ungekürzten Lesung) und wurde mehrfach von einer kompletten 180°-Wendung völlig überrascht. Ich schreibe direkt und noch völlig unter dem Eindruck dieser Buchentdeckung. Wer wie ich derart viele Krimis und Thriller liest und hört, findet fast immer das „Haar in der Suppe“. Das hier ist anders – doch was ist es überhaupt, ein Krimi, ein Thriller, ein psychologisches Drama? Irgendwas von allem davon. Hier ist nichts so, wie es zunächst zu sein scheint.

„Mein neues Ziel ist weniger Beruf als Berufung: Ich werde Mörderin“ – zu Beginn war ich fasziniert und gelegentlich abgestoßen von der lange namenlosen Ich-Erzählerin. Zu Beginn habe ich überlegt, ob hier eine psychische Störung vorliegen könne, und, wenn ja, welche. Zu Beginn fragte ich mich, wie ein Text, bei dem doch von Anfang an gesagt wird, um was es geht, über 5 CDs, 6 ½ Stunden, als Buch gut 250 Seiten tragen soll. Zu Beginn spekulierte ich, was an jenem Donnerstag geschehen war, das alles änderte – zu Beginn glaubte ich nicht, dass da wirklich ein Anstoß nötig gewesen war für etwas, das doch schon länger angelegt schien seit dem Kindergarten, dem Urlaub an der Ostsee, dem Studenten. Weit gefehlt.

Schon allein die Schilderung der Vorbereitungen und die Schilderung der Taten in der ersten Hälfte des Romans übten eine starke sogartige Wirkung auf mich aus, verstärkt noch durch den fulminanten Vortrag durch Anna Thalbach – oft atemlos, dann vortastend, eskalierend, explodierend. Hermann. Karl. Manfred. Das ist der Plan. Doch was dann passiert – Autorin Marina Heib baut das geschickt auf, mit einer Umkehrung der Reihenfolge, dem hinteren Teil nach vorne gezogen, wäre das schon ungewöhnlich, so ist es aber geradezu grandios.

Die übliche Warnung: was hier passiert, könnte empfindliche Gemüter schockieren, wobei man vermutlich bei Erreichen der entsprechenden Textstellen bereits ohne offensichtliche „Schock-Trigger“ ohnehin schon im Schockmodus ist. Mich störte eher besonders im Anfang die bei sonst guter Sprache teils recht vulgäre Ausdrucksweise etwa „seinen Schwanz in mich würde stoßen können, als wäre meine Möse das Tor zu Camelot“, Schwamm drüber, es geht vorbei und passt irgendwie zu der Ich-Erzählerin, hätte es für mich aber nicht gebraucht.

Richtig heftig wird „Drei Meter unter Null“ ohnehin noch einmal, wenn man am Ende des Buches allein gelassen wird – und über die mögliche Zukunft nachdenken darf.
6 Sterne von 5. Ernsthaft.

Was hat Frau Heib sonst noch geschrieben?

Veröffentlicht am 25.03.2017

Doerr-magic – “That’s how stories accumulate“

Alles Licht, das wir nicht sehen
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Ich habe die Original-Version des Buches gelesen; "All the Light We Cannot See"

It is 1934, pre-war Germany and pre-war France.

Marie-Laure is being asked whether she knows how diamonds grow: “By adding ...

Ich habe die Original-Version des Buches gelesen; "All the Light We Cannot See"

It is 1934, pre-war Germany and pre-war France.

Marie-Laure is being asked whether she knows how diamonds grow: “By adding microscopic layers, a few thousand atoms every month, each atop the next. Millenia after millenia. That’s how stories accumulate, too.“ p 51 She loses eyesight at a very young age – and will be tought from then on by her single dad, head locksmith of the National Museum of Natural History in Paris, along with many of his well-meaning colleagues. Thus, the girl will also learn about a mythological diamond, the Sea of Flames, allegedly hidden within the museum, priceless but doomed to make its respective owner live healthy forever while all his beloved ones miserable.

Werner is born a miner’s son near Essen, Zollhaus. He and his sister Jutta lost their father in a mining accident at an early age to live poorly but under the loving protection of Frau Elena in an orphanage. He is doomed to follow the region’s tradition and enter the mines at fifteen, no matter how gifted at repairing any given electrical device, radios of the neighbours in particular, he is. „Before long Werner can draw a map in his head of the locations of nearly every radio in their district…“ p 62

Both children share the fate to feel trapped by limitations, hindered to be who they wish to be. Both question the world around them, are eager to learn and bright. Both experience love – and each of them is put to the test of resisting the temptations Second World War imposes upon them. Doerr’s wonderful story will soon link their individual lives, if yet in a very distant, particular way. The storyline is chronological, though skipping in between different time levels. You will learn a lot about snails, gems, birds, and radio technology – and it did not feel a slight bit boring to me! It is in the way Doerr employs words – he may have wonderful general observations, he may use lengthy breathless sentences in moments of fear.

I did love the book – but still have to admit I am not capable to sum up which story “All the Light We Cannot See“ is actually telling. Is it on fear and hope, on holding out and giving up, on love and letting go, on friendship and failure. I did have the same “issue“ already with Doerr’s „Memory Wall“; I loved it but could not have pinned it down to “which (one) story is it that the author wants to tell us“. Basically, to me, Doerr is a great storyteller capable to link characters in very peculiar settings by exceptional situations – and enthralls the reader by the way he wraps him up in his words. The author will leave you pondering on trap words that link his stories together – here, it is word chains such as light, seeing, blind, perception, orientation, maps probably; same as light (waves), radio (waves), waves, ocean, transmission of messages, of meaning and so on – if it is does not fit your style of reading to find such links in a story and to dwell upon them, then Doerr is not your author!

There is a small number of breaches in Doerr’s story, like a German living in 1974’s Pforzheim who does receive pay checks from his employer – no way, everbody in Germany transfers wages directly to bank accounts (p. 498). Same, Jutta will later in life be a teacher for 6th graders – for algebra. That, again, is US kind of thinking – the German subject will be called maths, even if the topic at school might be algebra - and there are no end-of year exams at that age, they will rather have several ones throughout the year (p . 500). That will still make this story a 4,5 to me given how much I enjoyed it!

Veröffentlicht am 19.03.2017

Hélas! Welch vorzügliche Wahl…

Der grüne Palast
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…hat Peggy Hohmann getroffen, als sie sich für einen Briefroman entschied, um ihrem historischen Roman über das Leben der Erzherzogin Leopoldine von Österreich, geboren 1797 in Wien, gestorben 1826 im ...

…hat Peggy Hohmann getroffen, als sie sich für einen Briefroman entschied, um ihrem historischen Roman über das Leben der Erzherzogin Leopoldine von Österreich, geboren 1797 in Wien, gestorben 1826 im Palast Boa Vista bei Rio de Janeiro als Kaiserin von Brasilien, Form zu geben.

Häufig sind historische Roman nicht vor Kitsch gefeit, dient ein grober historischer Hintergrund nur als Kulisse für eine belanglose Liebesgeschichte. Nicht so hier, die Erzherzogin ist wie die meisten anderen Charaktere des Romans – unter anderem Fürst Metternich und der Vater Leopoldines, Kaiser Franz I. von Österreich – sehr real. Natürlich hat die Autorin damals „nicht die Lampe gehalten“, die Handlung kann nur nachempfunden sein – das tut sie aber, mit Verlaub, trefflich gut (ja, auch sprachlich, das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Leserin).

Jetzt hat umgekehrt der Briefroman oft den Nachteil einer gewissen Blutleere für heutige Leser durch gestelzt anmutende Formulierungen in nicht mehr gewohnter Länge, aber auch hier hat die Autorin wieder eine vorzügliche Wahl getroffen, indem sie sich entschieden hat, häufig kurze Briefe zwischen zu schieben, in denen die wechselnden Charaktere teils die gleiche Situation aus ihrer jeweiligen Sicht beschreiben, was die Dialoge eines konventionellen Romans gut zu ersetzen in der Lage ist UND die Handlung voranzutreiben vermag. Ein Briefroman ermöglicht einen Blick auf Situationen und Landschaften nur durch die Darstellung der jeweiligen Briefschreiber, ist somit naturgemäß indirekter; dafür eröffnet sich eine wunderbare Möglichkeit zu einer gewissen hintergründigen Ironie, die sonst schwer fallen dürfte. So kann die Gräfin Lazansky, Hofdame Leopoldines, an ihre Schwester schreiben „Jedenfalls lasse ich keinen Augenblick ungenutzt, vor allem Leopoldine in die weiblichen Strategien einzuweihen, Schicksalsschläge wie die Ehe zu meistern.“ S. 16 oder der Erzherzogin vor ihrer Hochzeitsnacht raten: „Tun Sie, was er von Ihnen verlangt. Denken Sie an Österreich.“ S. 152 Die Kapitel sind klug eingeteilt in die jeweiligen Lebensstationen; die Jugend, die Reise Richtung Brasilien und so weiter.

Ich fühlte mich gebannt, gut unterhalten und konnte Informationen aus der Lektüre quasi nebenbei ziehen, von einer Einordnung zu Zeitgenossen der Erzherzogin beginnend wie der Milder, Liszt, Goethe, den ersten schwarzen Hausdienern oder Wilhelmine Reichard mit ihrem Heißluftballon bis hin zur politischen Entwicklung Brasiliens als zunächst portugiesischer Kolonie mit bestehender Sklaverei und Ausbeutung von Bodenschätzen und Bevölkerung durch das Mutterland Portugal. Auch die Beweggründe Österreich und die Sorge vor republikanischen Bewegungen finden nachvollziehbaren Anklang, so dass ich begeistert zurückbleibe. „Der grüne Palast“, jener goldene Käfig, den Leopoldine in der überbordenden Landschaft Brasiliens letztlich erlebte, eignet sich somit sowohl als unterhaltsame wiewohl fesselnden Lektüre als auch für den historisch Interessierten, sowohl zu Brasilien, als auch zur Situation der Habsburger, Metternichs und Portugals zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der Zeit, die die Nachwirkungen Napoleons stark spürte.

Es empfiehlt sich der Einstieg über den Anhang ab S. 369, in dem ein kurzer Überblick über die realen und die zusätzlich erfundenen Personen und den jeweiligen Wahrheitsgehalt gegeben wird, darüber hinaus empfiehlt sich wie fast immer Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/MariaLeopoldinevon_%C3%96sterreich – wobei man die Recherche nicht wirklich zwingend unternommen haben muss, so hervorragend macht die Autorin ihre Arbeit, wie einem der Artikel vielleicht aber hinterher bestätigen mag.