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Fever

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Veröffentlicht am 29.11.2021

Unterhaltsam, aber mit weniger Tiefgang als erwartet

Wir sind schließlich wer
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„Wir sind schließlich wer“ von Anne Gesthuysen brilliert mit einer überaus ungewöhnlichen und dadurch hochinteressanten Protagonistin: Anna von Betteray entstammt einer katholischen Adelsfamilie, hat sich ...

„Wir sind schließlich wer“ von Anne Gesthuysen brilliert mit einer überaus ungewöhnlichen und dadurch hochinteressanten Protagonistin: Anna von Betteray entstammt einer katholischen Adelsfamilie, hat sich aber für eine Laufbahn als evangelische Pfarrerin entschieden und mischt nun das kleine Dörfchen Alpen auf, in dem das Wort „Privatleben“ ein Fremdwort zu sein scheint. Was zunächst wie eine klassische Familienkomödie klingt, bekommt bald ernstere Züge, ist darin aber nicht konsequent und bleibt dadurch eher mittelmäßig.

Anna hat keine leichte Stellung an ihrem neuen Arbeitsplatz, denn im Dorf zerreißt man sich das Maul über sie und hätte lieber den alten Herrn Pfarrer zurück. Auch ihre Familie lässt sie gehörig spüren, dass sie die Erwartungen (einen Adligen heiraten und die Füße stillhalten) nicht erfüllt. Und dann ist da noch ein dunkles Trauma in Annas Vergangenheit, das ihr Leben gewaltig aus der Bahn geworfen hat. Einzig ihr Neffe Sascha ist ein echter Lichtblick für sie – bis er eines Tages spurlos verschwindet und sie bei der Suche nach ihm den unliebsamen Kontakt mit ihrer Familie intensivieren muss. Dabei kommt so einige schmutzige Wäsche ans Tageslicht …

In „Wir sind schließlich wer“ geht es viel um Status, gesellschaftliche und familiäre Erwartungen, Verpflichtungen und Vorurteile. Der Ansatz zur Diskussion dieser Themen ist klug gewählt, denn Anna sitzt irgendwie zwischen allen Stühlen und ist dadurch eine ausgesprochen interessante Figur. Jedoch wird das leider ein wenig dadurch zunichte gemacht, dass das Buch viel mit flachem Humor und stereotypen Figuren arbeitet. Da sind die Klatschbasen aus dem Dorf, die Anna auf völlig überzogene Weise ständig irgendwelche Affären unterstellen, die adlige Mutter, die die Nase unfassbar weit oben trägt, der unsympathische Graf von und zu, der natürlich auch Steuern hinterzieht, und die rigorose, aber herzensgute alte Tante, die alle Fäden in der Hand hält. Dieses Figureninventar sorgt, zusammen mit einigen eher unglaubwürdigen Entwicklungen und der ständigen Präsenz eines möglichen Love Interest, dafür, dass das Buch vor allem gegen Ende doch stark in Richtung Familienkomödie abgleitet.

Das ist ein wenig schade, denn die Autorin hat einen sehr angenehm lesbaren Stil und hat mit Anna eine wirklich vielschichtige und nahbare Protagonistin mit viel Potenzial erschaffen. „Wir sind schließlich wer“ ist ein durchaus unterhaltsames Buch, bleibt aber deutlich hinter den Erwartungen zurück, die es zu Beginn geschürt hat.

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Veröffentlicht am 08.06.2021

Eine sympathische Ermittlerin in einem Heimatkrimi mit einigen Längen

Heidewut
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Wer Regionalkrimis mag, wird sicher hellhörig bei „Heidewut“ von Angela L. Forster, denn der Roman spielt in der idyllischen Lüneburger Heide, mitten im Naturschutzgebiet. Aber all die naturverbundene ...

Wer Regionalkrimis mag, wird sicher hellhörig bei „Heidewut“ von Angela L. Forster, denn der Roman spielt in der idyllischen Lüneburger Heide, mitten im Naturschutzgebiet. Aber all die naturverbundene ländliche Idylle schützt nicht vor Mord – und leider auch nicht vor einigen Längen und verwirrenden Verstrickungen.

Kommissarin Inka Brandt und ihr Team ermitteln in gleich mehreren Fällen, die Inka vom wohlverdienten Urlaub mit ihrer kleinen Tochter abhalten. Inkas Patenonkel, der Ratsvorsitzende von Schneverding, wird erschossen aufgefunden, kurz zuvor verschwindet die junge Heidekönigin spurlos. Ein Zusammenhang wird vermutet, und so hat das Ermittlerteam alle Hände voll zu tun. Als sich dann auch noch eine Verbindung zu den örtlichen Schweinebauern auftut, wird das Chaos perfekt.

All das belegt Inka allerdings nicht so mit Beschlag, dass ihr Privatleben nicht auch ausführlich thematisiert werden könnte. Ihr Ex bereitet ihr Schwierigkeiten, ihre Lebenssituation auf dem Hof ihrer Schwester ist nicht ideal, und ihre neue Flamme Sebastian macht die Lage mit seiner traumatischen Vergangenheit und seinen Privatermittlungen noch komplizierter. Kurzum: Es passieren zu viele Dinge gleichzeitig, sodass der Lesefluss ein wenig holprig ist. Dazu kommen ausführliche Naturbeschreibungen, lange, sich teils wiederholende Verhöre und regelmäßige Updates darüber, was gerade gegessen wird.

All das trägt durchaus dazu bei, die Heidelandschaft und ihre Bewohner*innen vor unseren Augen etwas aufblühen zu lassen, zieht sich mitunter aber auch in die Länge. Der Fall ist durchaus spannend, wird aber an einem bestimmten Punkt recht vorhersehbar, sodass die Lektüre insgesamt ein wenig zäh ist. Aufgrund des ausgeprägten Lokalkolorits und einiger spannender Ideen trotzdem ein Roman, den es sich zu lesen lohnt, wenn man ein wenig Geduld und Gemütlichkeit mitbringt.

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Veröffentlicht am 06.06.2021

Ein Agentenroman im West-Berlin der 60er Jahre

Teufelsberg (Wolf Heller ermittelt 2)
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„Teufelsberg“ ist ein Spannungsroman mit historischen Bezügen, die die Leserschaft in der Zeit zurückversetzen – ein Kriminalroman ist es nicht.

Kommissar Wolf Heller ermittelt zunächst in einem Mordfall, ...

„Teufelsberg“ ist ein Spannungsroman mit historischen Bezügen, die die Leserschaft in der Zeit zurückversetzen – ein Kriminalroman ist es nicht.

Kommissar Wolf Heller ermittelt zunächst in einem Mordfall, auf den sich jedoch bald eine Reihe weiterer Fälle und ein drohender Bombenanschlag auf die jüdische Gemeinde häufen. Das Chaos wird perfekt, als nach und nach Verbindungen in die Sowjetunion ans Licht kommen und einige zwielichtige Gestalten in diesem Zusammenhang auftauchen.

„Teufelsberg“ spinnt eine Geschichte um eine Reihe historischer Fixpunkte, was an sich sehr reizvoll ist. Den Zeitgeist fängt das Autorentrio „Lutz Wilhelm Kellerhoff“ wunderbar ein – so könnte das Leben damals tatsächlich gewesen sein. Über all die zeitgeschichtlichen Aspekte verlieren sich die Autoren aber immer wieder in dem dichten Geflecht an Kriminalfällen und Verdächtigen, das sie aufgebaut haben. Das sorgt für Verwirrung, streckenweise sogar für etwas Langatmigkeit.

Heller hat alle Hände voll zu tun und steht auch persönlich aus mehreren Gründen unter Stress, sodass es menschlich nachvollziehbar ist, dass er hin und wieder den Überblick über seine Fälle verliert. Als Leserin lässt es mich allerdings etwas unbefriedigt zurück, dass die Ermittlungen immer weiter in den Hintergrund rücken und einzelne Fälle im Laufe des Buches einfach untergehen. Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass eigentlich nicht eine Mordermittlung im Vordergrund steht, sondern Geheimdienste, Agenten und Unterwanderungsversuche aus der Sowjetunion. So präsentiert sich der vermeintliche Kriminalroman nach einer Weile viel eher als Agenten- oder Spionagethriller.

Wer das mag, der wird sicher viel Freude an diesem authentisch angelegten Buch haben. Für Krimifreunde, die in der Erwartung einer komplexen Ermittlung an das Buch herangehen, ist das Leseerlebnis ein wenig enttäuschend. Insgesamt aber ein spannendes Buch, das vor allem durch seine zeitgeschichtliche Einbettung Pluspunkte sammeln kann.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Ein wunderbar konzipiertes Buch, das leider etwas sprunghaft daherkommt

Girl A
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Von „Girl A“ von Abigail Dean habe ich mir ein Buch vom Kaliber von „Raum“ erwacht. Vorweg: Das ist es nicht. Trotzdem ist es eine lohnenswerte Lektüre zu einem komplexen und emotionalen Thema.

Lex hat ...

Von „Girl A“ von Abigail Dean habe ich mir ein Buch vom Kaliber von „Raum“ erwacht. Vorweg: Das ist es nicht. Trotzdem ist es eine lohnenswerte Lektüre zu einem komplexen und emotionalen Thema.

Lex hat als Kind und Jugendliche Furchtbares durchgemacht: Ihr Vater war ein fanatisch religiöser Mann, der Lex und ihren sechs Geschwistern durch seine fixen Ideen und Wutanfälle das Leben im Gefängnis ihres Hauses zur Hölle gemacht hat, bis Lex mit 15 Jahren aus dem „Horror-Haus“ fliehen und das Leid beenden konnte. Von der passiven und unterwürfigen Mutter konnten sich die Kinder nie Unterstützung erhoffen, dennoch ernennt sie Lex, mittlerweile eine erfolgreiche Anwältin, als Testamentsverwalterin nach ihrem Tod. Nun muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen und die teils schwierigen Beziehungen zu ihren Geschwistern wieder aufleben lassen.

„Girl A“ ist ein Buch, das weniger auf Schockmomente setzt, sondern eher auf emotionale Verarbeitung und Psychisches. Das sorgt für Tiefgang und einige wirklich bestürzende Realisierungen, die wir als Leser*innen hautnah mitmachen und miterleben. Jedoch sind diese Momente eher rar gesät und werden überlagert von viel Belanglosem, manchmal zäh Erzähltem. Die Erzählweise ist episodenhaft mit vielen Zeitsprüngen und Figurenwechseln, was immer mal wieder verwirrend wirkt oder sogar den Lesefluss ganz unterbricht. Teilweise ist dies als Stilmittel sehr clever eingesetzt und spiegelt den inneren Konflikt, die Schwierigkeiten beim Erinnernmüssen wider, teilweise wirkt es einfach erratisch.

Das Konzept und die Idee hinter „Girl A“ sind großartig, an der Umsetzung hapert es leider hier und da, auch wenn der Roman stilistisch angenehm lesbar ist. Da es sich um ein Debüt handelt, denke ich, dass die Autorin ihre Stimme vielleicht noch finden muss – hervorragende Anlagen sind auf jeden Fall vorhanden, und es lohnt sich mit Sicherheit, ihre weiteren Veröffentlichungen zu verfolgen.

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Veröffentlicht am 16.12.2020

Ein Roman mit starker Prämisse, aber nur mittelmäßiger Umsetzung

Seelen unter dem Eis
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In „Seelen unter dem Eis“ von Astrid Korten begleiten wir den zum Tode verurteilen Werbemacher Tom in seinen letzten Tagen auf der Death Row. Während er seine letzten Angelegenheiten regelt, wird in Rückblenden ...

In „Seelen unter dem Eis“ von Astrid Korten begleiten wir den zum Tode verurteilen Werbemacher Tom in seinen letzten Tagen auf der Death Row. Während er seine letzten Angelegenheiten regelt, wird in Rückblenden erzählt, wie es dazu kam: von seiner tödlich endenden Affäre mit seiner Studentin Amal und der immer schwieriger werdenden Beziehung zu seiner Frau Helen.

Der Roman beginnt leise und traurig, ein erschütternder Einstieg in die Lebensrealität eines Mannes, der seinen Tod vor Augen hat. Wir begleiten Toms Alltag im Hochsicherheitstrakt, den er mit anderen Todeskandidaten und dem erstaunlich empathischen Wärter „Goodman“ verbringt. Auf dieser Zeitebene war ich als Leserin ganz gefesselt, habe mit Tom gelitten und empathisiert, obwohl er wegen Mordes verurteilt ist. Ein fein gezeichnetes Porträt eines Menschen, der große Fehler gemacht hat.

Leider gibt es jedoch nicht nur Positives über diesen Roman zu sagen. Der Autorin gelingt es nicht, mich als Leserin in eine US-amerikanische Lebenswelt hineinzuziehen: Da wird dann plötzlich Goethe zitiert, Weizenbier bestellt, und ein Trakt im Gefängnis ist der „Zauberberg“. Das deutsche Bildungsbürgertum mogelt sich so immer wieder in ein vorgeblich amerikanisches Setting.

Die Frauenfiguren, allen voran die „Verführerin“ Amal, werden leider nie mehr als Stereotype: Als femme fatale begeht Amal Tom gegenüber richtiggehende Gräueltaten, ist sexuell unersättlich, und ihr Leben dreht sich einzig und allein um ihn. Eine Biographie, einen Einblick in ihr Warum erhalten wir dabei nie. Auch Helen bedient eine ganze Reihe typisch weiblicher literarischer Topoi, ohne dass ihr eine echte Persönlichkeit oder eine Geschichte zugestanden wird.

Der Roman krankt ganz klar an der fehlenden Tiefe der Frauenfiguren, die jedoch absolut zentral für die Geschichte sind. Auf der Handlungsebene überzeugt er hingegen mit einem intensiven, sich langsam, aber stetig aufbauenden Spannungsboden und einem explosiven Twist. Ein Buch, das ich mit gemischten Gefühlen zur Seite lege.

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