Berührend und bereichernd
Der Fremde aus ParisDie Hauptfigur in diesem Roman ist Midhat Kamal, ein Palästinenser, der als junger Mann kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges zum Studium nach Frankreich geschickt wird. Nach fünf Jahren kehrt er in ...
Die Hauptfigur in diesem Roman ist Midhat Kamal, ein Palästinenser, der als junger Mann kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges zum Studium nach Frankreich geschickt wird. Nach fünf Jahren kehrt er in seine Heimat, das palästinensische Dorf Nablus, zurück. Wir verfolgen seine Geschichte und Probleme, die seiner Wegbegleiter und irgendwie auch die des palästinensischen Volkes über gut zwanzig Jahre, also bis in die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts.
Mein erster Eindruck dieses imposanten Werkes von über 700 Seiten war das lange Personenverzeichnis am Anfang – voller arabischer Namen, was mich zunächst ein wenig schockierte. Würde ich damit klarkommen? Aber ich überschlug dann diese Seiten und widmete mich der Handlung. Schließlich würden die Personen nicht alle gleichzeitig auftreten, sondern ich könnte sie nach und nach kennenlernen, so dass ich mit den Namen dann konkrete Figuren verbinden könnte. Eine goldrichtige Entscheidung!
Ich war sofort in die Handlung hineingezogen. Ich liebe gute historische Romane, die mein Kopfkino aktivieren. Dieser Roman schaltete es im „HD-Super-Surround-Modus“ ein. Ich war den handelnden Personen nahe und lernte nebenbei eine Menge über fremde Kultur, Geschichte und Geografie.
Die Story ist meisterhaft erzählt. Die Personen aus der langen Liste am Anfang treten dann auch alle auf und ich fand es erstaunlich, dass ich nicht ein einziges Mal im Personenverzeichnis nachschlagen musste. Das zeigt, dass die Autorin es geschafft hat, mich innerhalb des Buches tatsächlich mit allen bekannt zu machen.
Außerdem hat die Autorin sehr viele Wendungen aus der arabischen Sprache in den wörtlichen Reden benutzt. Beim Lesen habe ich diese irgendwie intuitiv verstanden, ohne die Sprache zu kennen. Ich empfinde diesen gewagten Kunstgriff als äußerst gelungen, denn so wirkt das Ganze noch authentischer. Dass es am Ende ein Glossar mit Übersetzungen gibt, habe ich erst festgestellt, als ich den Roman zu Ende gelesen hatte.
Darüber hinaus war ich völlig verblüfft, dass dies der Debütroman der Autorin ist. Sie hat zwar palästinensische Wurzeln und der Roman ist angelehnt an die Lebensgeschichte ihres Urgroßvaters, aber das allein macht noch nicht die Fähigkeit aus, solch ein Meisterwerk zu verfassen.
Mein Fazit: Ich bin sehr froh, dass ich mich nicht vom langen Personenverzeichnis am Anfang abschrecken lassen habe und fühle mich durch die Lektüre dieses Buches sowohl berührt als auch bereichert.