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Veröffentlicht am 13.06.2021

Bitterböse

Das Baby ist meins
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Auch in ihrem zweiten Roman nach „Meine Schwester, die Serienmörderin“ behandelt Braithwaite ein kurioses Thema. Ihre Erzählung spielt wiederum in Nigeria, diesmal vor dem Hintergrund des Corona-Lockdowns. ...

Auch in ihrem zweiten Roman nach „Meine Schwester, die Serienmörderin“ behandelt Braithwaite ein kurioses Thema. Ihre Erzählung spielt wiederum in Nigeria, diesmal vor dem Hintergrund des Corona-Lockdowns. Bambi, ein junger Macho, zieht nach dem Rauswurf durch seine derzeitige Freundin Mide zu seiner Tante, die vor kurzem Witwe geworden ist. Allerdings ist noch jemand bei Aunty Bidemi untergeschlüpft: Esohe, pikanterweise eine Geliebte seines toten Onkels, mit ihrem Baby.
In ihrem gewohnt lockeren, unkonventionellen Schreibstil lässt die Autorin Bambi selbst erzählen und kommentieren. Provozierend böse schildert Braithwaite heftige Szenen, in denen sich Bambi in die rücksichtslosen Streitigkeiten der beiden Frauen um Baby Remi verwickelt sieht, die durchaus handfeste Ausmaße annehmen. Bambis Reaktionen, die (alles andere als salomonisch) patriarchalisch geprägt sind und seine eigene Erziehung deutlich widerspiegeln, präsentiert sie zutiefst ironisch. Denn bei aller Autorität, die der junge Mann sich geben mag, wirkt er eher naiv, lebensunerfahren und etwas unsicher den beiden Frauen gegenüber. Alle drei Protagonisten und ihre Handlungsweisen erscheinen uns merkwürdig und fremd - wie die nigerianische Kultur.

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Veröffentlicht am 06.06.2021

Am Rand der Gesellschaft

Krumholz
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Erst spät erfährt Agatha, dass sie einen Namen besitzt: taubstumm und in armen Verhältnissen geboren, hat sich niemand so recht mit der kleinen Halbwaise beschäftigt. Nach dem Selbstmord des Vaters wird ...

Erst spät erfährt Agatha, dass sie einen Namen besitzt: taubstumm und in armen Verhältnissen geboren, hat sich niemand so recht mit der kleinen Halbwaise beschäftigt. Nach dem Selbstmord des Vaters wird sie in einem Heim untergebracht, wo Arbeit, Willkür und Missbrauch ihr Dasein bestimmen. Erst als sie sechzehn Jahre alt ist, erscheint eine Frau, die sich mit viel Geduld um sie kümmert. Agathes Leben scheint nun eine glückliche Wendung zu nehmen bis sie eines Tages dem jungen Zenz begegnet …
Äußerst eindrucksvoll beschreibt Flavio Steimann das Aufwachsen der taubstummen Agatha zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in absoluter Stille und ohne viel Zuwendung. Sehr sensibel versetzt er sich (und den Leser) in die Situation des Mädchens, das über viele Jahre hinweg einfach „das Kind" ist, ohne Selbstbewusstsein, nur geduldet in ihrer Umgebung und für einfache Arbeiten zu gebrauchen. Die präzise, starke, teilweise auch archaische Sprache des Autors beschwört klare Bilder von Menschen und Landschaft. In der zweiten Hälfte des Buches steht Zenz im Mittelpunkt, der Agatha im „Krumholz" begegnet. Auch wenn diese Begegnung nicht direkt vom Autor erzählt wird, bestimmt sie das weitere Schicksal beider Protagonisten. Ebenso psychologisch feinfühlig wie in Agathas Fall schildert Steimann das Leben und die Gedankenwelt von Zenz Torecht, der - ebenso wie Agatha - zu den Menschen gehört, die am Rande der Gesellschaft existieren, ausgebeutet und mit wenig Hoffnung.
Steimann greift zwar ein authentisches Verbrechen auf, das 1914 in der Schweiz geschah, gibt dem Thema in seinem Roman jedoch etwas Allgemeingültiges, Gesellschaftspolitisches, das durchaus zeitübergreifend ist.

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Veröffentlicht am 29.05.2021

Schreiben als Flucht

Jugend
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Schreiben erscheint Tove Ditlevsen immer mehr als Ausweg: begonnen hat sie als Kind mit der Niederschrift von Gedichten; nun, als Jugendlicher, dient es ihr immer mehr als Flucht aus ihrem tristen Alltag. ...

Schreiben erscheint Tove Ditlevsen immer mehr als Ausweg: begonnen hat sie als Kind mit der Niederschrift von Gedichten; nun, als Jugendlicher, dient es ihr immer mehr als Flucht aus ihrem tristen Alltag. Während der erste Band der Autobiographie von ihrer kargen Kindheit im Arbeiterviertel Kopenhagens handelt, erzählt die Autorin im zweiten Teil in ihrem schlichten, aber dennoch mitreißenden Stil, wie sie ihre Jugendjahre in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Es macht sie unglücklich, ihre Zeit verkaufen zu müssen, um an mehr oder weniger ungeliebten Arbeitsstellen ihren Lebensunterhalt zu verdienen; es macht sie ebenso unglücklich, als Heranwachsende nicht völlig über sich selbst bestimmen zu können. „Das Jungsein ist ein vorübergehender, zerbrechlicher und unbeständiger Zustand. Er muss überwunden werden, einen anderen Sinn hat er nicht."
Ob es für sie einfacher wird, wenn sie erst verheiratet ist und sich von einem Mann „versorgen lassen kann“, wie ihre Mutter (und vermutlich die meisten Frauen in jener Zeit) überzeugt ist? Auf Tanzveranstaltungen und durch die Vermittlung einer Freundin erhält sie Kontakte zu ganz unterschiedlichen Männern, über die sie sehr offen und schonungslos berichtet.
Ditlevsen verlebte ihre Jugendjahre in einer politisch sehr bewegten Zeit: Hitlers Machtergreifung und der drohende Weltkrieg warfen Schatten. Doch Politik steht für sie eher im Hintergrund; sie ist zu intensiv mit sich selbst und ihrem Erwachsenwerden beschäftigt.


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Veröffentlicht am 17.05.2021

So leicht und luftig wie ein Sommertag

Der große Sommer
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… erscheint Ewald Arenz´ neuer Roman „Der große Sommer“. Einen Sommer lang begleiten wir seinen Protagonisten Friedrich, der sich unter Aufsicht seiner Großeltern auf die Nachprüfung in Mathematik und ...

… erscheint Ewald Arenz´ neuer Roman „Der große Sommer“. Einen Sommer lang begleiten wir seinen Protagonisten Friedrich, der sich unter Aufsicht seiner Großeltern auf die Nachprüfung in Mathematik und Latein vorbereiten muss, um nach den Ferien doch noch versetzt zu werden. Friedrich, sechzehn Jahre alt und frisch verliebt, verbringt die verbleibende freie Zeit mit seinem Schulfreund Johann, Schwester Alma und Beate, seiner ersten Liebe - bis Johanns Vater plötzlich stirbt und sich alles für die vier Freunde ändert…
Auf einfühlsame Art schildert Arenz die kleinen und großen Probleme eines Jungen in der Pubertät. Er empfindet seine Gefühle nach, ohne dabei kitschig zu werden, beschreibt die Hochs und Tiefs, d
enen Friedrich ausgesetzt ist, und an die sich bestimmt auch jeder von uns erinnern kann. Überhaupt gelingt es dem Autor, alle Sinne des Lesers anzusprechen: der Geruch von frisch gemähtem Gras, flirrendes Licht in den Bäumen und das Rufen der Mauersegler - Eindrücke eines herrlichen Sommertages. Bei aller Leichtigkeit und Frische seiner Geschichte geht Arenz auch ernste, tiefgehende psychische Probleme an, welche die Freundschaft der vier Jugendlichen belasten. und fast zerbrechen lassen. Doch Optimismus und Lebensfreude überwiegen und lassen den Roman harmonisch ausklingen.

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Veröffentlicht am 15.04.2021

Schwarz oder weiß

Die verschwindende Hälfte
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Man sieht es den Zwillingsschwestern Desiree und Stella Vignes nicht an: sie sind hellhäutige Schwarze. Aufgewachsen in dem kleinen Ort Mallard, beschließen sie als Teenager, ihre enge Heimat zu verlassen ...


Man sieht es den Zwillingsschwestern Desiree und Stella Vignes nicht an: sie sind hellhäutige Schwarze. Aufgewachsen in dem kleinen Ort Mallard, beschließen sie als Teenager, ihre enge Heimat zu verlassen und in der Stadt New Orleans ihr Glück zu versuchen. Stella, die sich für ihre Arbeit als Weiße ausgibt, verschwindet jedoch eines Tages, um ganz neu anzufangen und ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Desiree kämpft sich weiter durch, kehrt jedoch nach einer Ehe mit einem gewalttätigen Mann mit ihrer kleinen dunkelhäutigen Tochter zurück zu ihrer Mutter nach Mallard. Die Zwillinge leiden unter der Trennung, doch Stella kann nicht so ohne weiteres an ihre Vergangenheit wieder anknüpfen. Wie hoch ist der Preis für ein privilegiertes, „weißes“ Leben?
Außerordentlich sensibel erzählt Brit Bennett die Geschichte der unterschiedlichen Zwillinge in den Jahren 1968 bis 1988 und ihrer (auch äußerlich) so verschiedenen Töchter. Neben ihrer Schilderung von Rassismus und Vorurteilen, die das Leben der Mädchen bestimmen, streift sie auch andere gesellschaftliche und soziale Probleme der 60er und 70er Jahre. Eindrucksvoll versteht sie den Lesern deutlich zu machen, wie die Probleme der Mütter unwissentlich auf die nächste Generation übertragen werden und wie die jungen Mädchen damit umgehen. Ein Roman, der lange nachhallt.

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