Unter dem Brennglas der Pandemie
Die Wütenden und die SchuldigenDeutschland im Frühjahr 2020: Während die Corona-Pandemie den Alltag beherrscht, treten die Probleme unter dem Brennglas der Ausnahmesituation besonders zutage. Richard, ein Pfarrer im Ruhestand, ist schwer ...
Deutschland im Frühjahr 2020: Während die Corona-Pandemie den Alltag beherrscht, treten die Probleme unter dem Brennglas der Ausnahmesituation besonders zutage. Richard, ein Pfarrer im Ruhestand, ist schwer an Krebs erkrankt und hat nur noch kurze Zeit zu leben, die er in seinem Haus in der Uckermark verbringt. Seine Enkelin Selma macht sich zusammen mit einer Palliativmedizinerin auf den Weg dorthin. Selmas Mutter Maria Thomann, Anästhesistin in Berlin, muss sofort in Quarantäne, die sie mit einem Rabbi verbringt. Das Verhältnis zu ihrem Sohn Jakob, der Bruder von Selma, ist darüber hinaus derzeit schwierig. Der Kunststudent würde gerne bei ihr Unterschlupf finden und kämpft mit seinen eigenen Problemen...
„Die Wütenden und die Schuldigen“ ist ein Roman von John von Düffel.
Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen, die wiederum mehrere Kapitel umfassen. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven: der von Selma, Richard, Jakob und Maria. Manchmal sind die Kapitel recht kurz und die Perspektivwechsel zu schnell für meinen Geschmack. Meistens passt der Aufbau jedoch gut.
Der Schreibstil hat mir sehr gefallen. Er ist atmosphärisch stark, einfühlsam und voller gelungener Sprachbilder und Beschreibungen. Dem Buch ist immer wieder anzumerken, dass der Autor vortrefflich mit Worten umgehen kann.
Die Idee, gleich vier Protagonisten in den Fokus zu rücken, sagt mir sehr zu. Besonders reizvoll ist es, dass mehrere Generationen einer Familie beleuchtet werden. Zwar ist es zu Beginn nicht einfach, die Personenkonstellation zu entwirren. In die einzelnen Figuren, die lebensnah und mit ausreichend psychologischer Tiefe dargestellt werden, konnte ich mich aber von Anfang an gut einfühlen. Zudem mag ich das interessante Spektrum unterschiedlicher Charaktere.
Inhaltlich ist der Roman keine leichte Kost. Einerseits wird das aktuelle Thema der Corona-Pandemie aufgegriffen und in gelungener Weise verarbeitet. Andererseits geht es um viele große Fragen des Lebens. Wie der Titel erahnen lässt, spielen Wut und Schuld eine zentrale Rolle in der Geschichte. Aber auch physische und psychische Krankheiten, das Sterben und verschiedene zwischenmenschliche Konflikte stehen im Vordergrund. Außerdem dreht sich die Geschichte um Leerstellen und Lücken im Leben der Familienmitglieder. Der Roman hat mich immer wieder zum Innehalten und Nachdenken gebracht.
Den ersten Teil habe ich als am stärksten empfunden. Später zerfasert der Roman ein wenig und fällt etwas ab. Nicht alle losen Fäden werden am Ende noch einmal aufgegriffen. Das hat mich in diesem Fall allerdings nicht gestört, weil es gut zur Geschichte und den dargestellten Situationen passt. Auf den rund 300 Seiten ist nur wenig Raum für langatmige Passagen, sodass ich mich im Großen und Ganzen gut unterhalten gefühlt habe.
Die moderne, reduzierte Aufmachung des Hardcovers hat mich auf Anhieb angesprochen, wenngleich sie nicht besonders aussagekräftig ist. Der Titel ist äußerst treffend.
Mein Fazit:
Trotz kleinerer Schwächen hat mich „Die Wütenden und die Schuldigen“ von John von Düffel nicht enttäuscht. Ein durchaus lesenswerter Corona-Roman mit Anspruch.