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Veröffentlicht am 19.02.2023

Ein Kuscheltier-Monster sorgt für Ordnung

Alex und die Monster
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Alex oder Agus, wie er im spanischen Original heißt, ist ein sympathischer, aber ausgesprochen unordentlicher und vergesslicher Junge. Sein Zimmer versinkt im Chaos, die sich täglich wiederholenden Mahnungen ...

Alex oder Agus, wie er im spanischen Original heißt, ist ein sympathischer, aber ausgesprochen unordentlicher und vergesslicher Junge. Sein Zimmer versinkt im Chaos, die sich täglich wiederholenden Mahnungen seiner Mutter, endlich aufzuräumen, lassen ihn kalt. Schule ist auch nicht sein Ding und Hausaufgaben schiebt er so lange auf, bis ihm ganz entfallen ist, dass da noch etwas zu machen ist. Dass er deshalb ständig in Schwierigkeiten gerät und die ihm unliebe Klassenstreberin, die zu allem Überfluss auch noch in der Wohnung neben ihm wohnt, um Rat fragen muss, nimmt er zwar innerlich seufzend, aber billigend in Kauf. Nachdem ihm in der Schulbibliothek beim unerlaubten Versteckspielen einige Bücher zu Boden gefallen waren, die er – natürlich! - vergessen hat, wieder einzusortieren, wird er zur Strafe zum Ausräumen des Büchereilagers beordert – Widerstand zwecklos – und entdeckt dabei ein orangefarbenes Etwas, wohl ein Plüschtier, das dort vergessen vor sich hin gammelt. Emma, die Bibliothekarin, schenkt es ihm – und von nun an wird Alex-Agus' Leben nicht mehr dasselbe sein!
Zuhause nämlich entpuppt sich das vermeintliche Stofftier als lesewütiges Monster, das dem 'ganz normalen Jungen', als der Alex sich selber bezeichnet (nun ja, vielleicht untertreibt er da ein wenig, denn er ist wirklich ein absoluter Chaot, der lieber Strafen und Sanktionen erträgt, als zu tun, worum er ohnehin nicht herumkommt), tüchtig Dampf macht, ihn aber auf eine Weise aus seiner Lethargie reißt, wie er es nie für möglich gehalten und auch gar nicht für erstrebenswert gehalten hätte. Plötzlich entdeckt Alex-Agus, wie toll Bücherlesen sein kann, kann sich dieser Erkenntnis gar nicht entziehen, denn Mr. Flat, als der sich das Monster vorstellt, besteht darauf, dass Alex alle Bücher aus seinem Bestand, in die er zuvor nie einen Blick geworfen hatte, heranschleppt, um sie gemeinsam wenn schon nicht ganz, so aber doch ausschnittweise zu lesen. Dabei erfährt der Junge auch von der großen Familie des Mr. Flat, die in alle Winde verstreut wurde, nachdem ein gewisser Dr. Brat sie zusammen mit seinem Kumpan Nap aus dem 'Buch der Monster' herauskatapultiert hatte. Alex verspricht seinem neuen Freund Mr. Flat, ihm bei der Suche nach dem garstigen Dr. Brat und der Heimstatt der Monster, eben jenem Buch, zu helfen, doch bis er sein Versprechen in die Tat umsetzen kann, muss der Junge noch einige Aufregungen überstehen, für die er durch seine Schludrigkeit beste Vorarbeiten geleistet hat...
Der Autor der Agus-Serie, der Katalane Jaume Copons, ist ein in seiner Heimat sehr bekannter Kinderbuchautor oder, wie er sich selber sieht, Geschichtenerzähler – was man nur bestätigen kann, wenn man Alex erstes Abenteuer gelesen hat! Seit 2014 schreibt er die von Liliana Fortuny illustrierten comicartigen Bücher um Agus – mit großem Erfolg, wie man liest! Und nun hat also der erste Band auch seinen Weg nach Deutschland gefunden und es bleibt zu hoffen, dass der Verlag 'Edition Helden' demnächst auch die weiteren mehr als zwanzig Folgebände herausbringen wird! Eigentlich herausbringen muss, denn am Ende des hier zu besprechenden Buches beginnt die Geschichte erst so richtig! Der zu Alex mutierte Agus hat ja schließlich Mr. Flat, der einen in jedweder Hinsicht positiven Einfluss auf ihn hat, ein Versprechen gegeben. Und es ist für den wie umgewandelten Jungen Ehrensache, dieses auch zu halten!
Ja, manchmal braucht man etwas im Leben, das einem die Richtung weist, das einen Dinge tun lässt, ganz freiwillig, vor denen man sich immer gedrückt hat, der einen motiviert und die Folgen des eigenen nachlässigen Handelns vor Augen führt. Erst dann ist man oft bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ein Buch mit Botschaft also? Ja, das könnte man meinen, aber da dies das erste (Comic-)Kinderbuch ist, das ich von Jaume Copons lese, kann ich dies nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls wird die 'Botschaft' nicht mit dem Holzhammer vermittelt, wie man das häufig in sogenannten lehrreichen, pädagogisch wertvollen Kinderbüchern findet (wobei in sehr vielen von diesen die Unterhaltung, der Spaß, regelmäßig zu kurz kommen), sondern sachte und humorvoll. Das gefällt mir als Erwachsener und sicher genauso der jungen Zielgruppe. Und die Art, wie hier ein Comic zwischen Erzählpassagen eingebaut ist, finde ich ebenso originell und clever zugleich, zudem ich mir gut vorstellen kann, dass sich auch ausgesprochene Lesemuffel auf so etwas einlassen.
Der einzige wirkliche Schwachpunkt des Buches sind für mein ganz persönliches Empfinden jedoch die als Karikaturen angelegten Illustrationen der Liliana Fortuny, die ich weder witzig noch gekonnt finde, sondern die mir teilweise als liebloses Gekrakel, wenn auch mit Wiedererkennungswert, erscheinen. Ein Comic halt? Nun, ich kenne großartige Comic-Zeichner, die natürlich mehr oder minder die Wirklichkeit verzerren, dabei aber nie ein solch unüberschaubares Durcheinander anrichten, wie die Illustratorin der 'Alex und die Monster'-Reihe. Aber nun, alles ist eben eine Frage des Geschmacks – und nach dem riesigen Erfolg zu urteilen, den die Serie in Spanien hatte respektive immer noch hat, stört sich außer mir offenbar niemand am karikierenden Stil der Zeichnerin....

Veröffentlicht am 27.11.2022

Eine Entdeckung mit Folgen

Der Herr der Meere
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Suli, der entzückende Protagonist der Geschichte, die sich im Übrigen erfreulicherweise durch besonders liebenswerte Charaktere auszeichnet, ist zu Beginn der Serie 'Der Herr der Meere', dessen erster ...

Suli, der entzückende Protagonist der Geschichte, die sich im Übrigen erfreulicherweise durch besonders liebenswerte Charaktere auszeichnet, ist zu Beginn der Serie 'Der Herr der Meere', dessen erster Band Gegenstand meiner Betrachtungen ist, etwa 12 Jahre alt. Er gehört zum Volk der Faraner, eines von sechs Meeresvölkern, von denen keines dem anderen gleicht und die in den unterschiedlichen Ozeanen unseres Planeten beheimatet sind. Das Reich Faranon befindet sich am Korallenriff vor Australien im Südpazifik, ist bunt und lädt regelrecht zum Verweilen ein. Seine Bewohner gehen, wie die Menschen auch, einem geregelten Tagesablauf nach, üben Berufe aus, die Kinder gehen zur Schule, man lebt in Familienverbänden – alles wirkt in seiner Fremdartigkeit dennoch irgendwie vertraut, und damit sind die besten Voraussetzungen gegeben, dass junge Leser sich sofort wie zuhause fühlen und keinerlei Eingewöhnungsschwierigkeiten haben.
Nach dem Tod seiner Großmutter wird der elternlose Suli von dem Heilerehepaar Adin und Kara Neron aufgenommen, in denen er liebevolle Ersatzeltern findet. Gleichzeitig bekommt er eine Schwester, Bonka, ein neugieriges und aufgewecktes Mädchen, mit dem man buchstäblich Pferde stehlen kann. Man kümmert sich mit großer Fürsorge umeinander, geht rücksichtsvoll und tolerant miteinander um und kennt keine größeren Probleme. Ein wunderbares Leben, fürwahr!
Doch eines schönen Tages gerät Sulis Welt und mit ihr das geregelte Leben in den sieben Hügeln des Königreichs Faranon tüchtig ins Wanken! Und ausgerechnet der kleine Suli, mit dessen Wachstum es nicht so recht vorangehen will, bringt mit einem unheimlichen Fund – um nicht zu viel verraten zu wollen – die Sache ins Rollen, die am Ende der Geschichte zu einer Lawine angewachsen sein wird, die nur Sulis Reise in den Eispalast zum mächtigen König Eburon, dem Herrn aller Meeresvölker, aufhalten kann. Das wenigstens hofft der Leser, wenn er sich – vorläufig, denn es sind, wie man erfährt, eine ganze Reihe von Folgebänden geplant – schließlich von Suli und dem Reich der Faraner verabschieden muss.
Und genau hier liegt die Crux des Ganzen! Kaum hat man sich eingelebt in dem farbenfrohen Unterwasserreich, erfreut sich an den phantasievoll ersonnenen kleinen Bewohnern des Riffvolkes und verfolgt mit zunehmender Spannung die unerklärlichen Vorfälle und deren Entwicklung, da ist die Geschichte auch schon zu Ende, bricht einfach ab, den Leser mit jeder Menge Fragen, aber nur wenigen Antworten zurücklassend. Zwar werden einige wenige Punkte geklärt, aber das, worum es eigentlich geht, die Ursache dafür, dass das Paradies am Korallenriff Risse und Scharten bekommen hat, bleibt in der Schwebe, man ist ihr im Grunde keinen Zentimeter näher gekommen. Das mag angehen, wenn ein erklärender, auflösender Folgeband nur noch auf seine Veröffentlichung warten würde, so aber wird wohl mancher Leser, so wie ich, das Buch nicht recht befriedigt zuklappen.
Die hübsche, auch für jüngere Kinder leicht zu lesende Erzählweise der Autorin und die vielen kleinen Einzelheiten aus dem Leben in den sieben Hügeln der Faraner, die deren Staat wunderbar plastisch erscheinen lassen und dennoch genügend Raum lassen für die Imagination der Leser, mag zwar ein gewisser Trost sein, kann aber an meinem Gesamteindruck kaum etwas ändern. Ich verstehe schon, dass es von Verlagen festgesetzte Seitenzahlbeschränkungen gibt, doch in Anbetracht dessen wäre es vielleicht sinnvoll, in jedem Falle aber für mich wünschenswert gewesen, die vielen Detailschilderungen weniger ausführlich zu halten und dafür die Handlung selbst zügiger voranschreiten zu lassen, am Ende dann nicht nur eine Zäsur zu setzen, sondern einen vorläufigen Abschluss, der fürs Erste zufriedenstellende Antworten gibt. Es hätte der Spannung keinen Abbruch getan und die Vorfreude auf einen hoffentlich zeitnahen Folgeband mit Sicherheit gesteigert! - Nichtsdestotrotz betrachte ich M. C. Marchs Unterwasserabenteuer als lesens- und empfehlenswerte Lektüre für junge und nicht mehr ganz so junge Leser und werde ganz gewiss die Augen aufhalten nach einer Fortsetzung, die den reizenden kleinen Suli seinen Auftrag hoffentlich bravourös zum Abschluss bringen lässt....

Veröffentlicht am 07.03.2022

Für den Rest des Lebens....

Fast am Ende der Welt
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Da haben sich zwei gefunden, denkt nicht nur Kellnerin Kathi, wenn man den langen, dünnen Josef Peukert und den kleinen, untersetzten Attila Bauer in ihrem Münchner Stammlokal zusammenhocken sieht und ...

Da haben sich zwei gefunden, denkt nicht nur Kellnerin Kathi, wenn man den langen, dünnen Josef Peukert und den kleinen, untersetzten Attila Bauer in ihrem Münchner Stammlokal zusammenhocken sieht und ihren Plänen lauscht! Auf's Land wollen sie, raus aus dem Großstadtgetriebe, die Stille suchen sie, das einfache Leben direkt am Busen der Natur. Ob die, vor allem bei dem Schickeria-Gewächs Attila, überschäumende Begeisterung die nicht vorhandene Erfahrung wettmacht, die es nun einmal braucht, wenn man einen zugemüllten, verfallenen Aussiedlerhof im tiefsten Bayern, jenseits aller Zivilisation, wie Siegfriedsruh, das einst als Sobeckhof bekannt war, instandsetzen und ihn schließlich bewirtschaften möchte? Und werden die beiden grundverschiedenen Münchner, deren bisherige Lebensentwürfe Lichtjahre voneinander entfernt waren, überhaupt auf lange Sicht miteinander klarkommen? Ist der gemeinsame, der große Traum als Bindeglied tragfähig genug? Die beiden nicht mehr jungen Herren scheinen sich darüber viel weniger Gedanken zu machen als all die unkenden Menschen in ihrem Umfeld. Sie schmieden Pläne und gehen die Sache an, nachdem das geeignete Objekt einmal gefunden wurde!
Das könnte denjenigen unter den Lesern, die ebenso heimliche Sehnsüchte nach einem einfachen Leben abseits der Hektik der modernen Zeit verspüren, Auftrieb geben, könnte sie ihren ganzen Mut zusammennehmen lassen, könnte man nun vielleicht denken, denn es sieht ganz danach aus, als würde den beiden ein wenig seltsamen Männern ihr Vorhaben gelingen, nachdem zu vernachlässigende Kleinigkeiten wie ein eingestürztes Dach, eine ob der strengen winterlichen Kälte komplett versagende Heizung und zugeschneite Zufahrtswege nach der Zwangsüberwinterung in den jeweiligen Münchner Wohnungen, die beide klugerweise behalten haben, erfolgreich behoben werden. Nun, alles kein oder doch wenigstens kein unlösbares Problem, wenn man über scheinbar unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt, wie der ehemals erfolgreiche Antiquitätenhändler Attila, der durch nicht ganz astreine Geschäfte bei den Reichen und, dank Botox und Co., einigermaßen Schönen aus der zweifelhaften feinen Gesellschaft Münchens – aber die Stadt könnte dabei durchaus austauschbar sein, denn die Geldleut' sind überall gleich! - in Ungnade gefallen aber, wie das nun einmal seiner Stehaufmännchennatur entspricht, sicher auf allen Vieren gelandet ist. Und wenn man dank seiner quirligen, durchaus menschenfreundlichen Natur auch in Zeiten, in denen Handwerker so gesucht und so schwer zu bekommen sind wie nie, auf einen Haufen nützlicher Kontakte zurückgreifen kann! Denn obwohl Schreiner von Beruf ist Attila niemand, der praktische Tätigkeiten verrichten könnte oder möchte. Er versteht sich als Organisator – und dieses Metier beherrscht er meisterhaft – und als Ideengeber, worin er, das muss man ihm lassen, geradezu unschlagbar ist. Doch leider verfliegt seine Begeisterung oft genauso schnell, wie sie gekommen ist! Das stellt einerseits ein Risiko für diejenigen dar, die sich mit ihm einlassen, ist anderseits jedoch eine Erleichterung für den besonnenen, vorsichtigen Josef, wenn's der Attila einmal gar zu bunt treibt mit seinen exotischen Einfällen!
Ja, nun ist es an der Zeit, dem Mitbewohner des Paradiesvogels, dem Josef Peukert, ein paar Gedanken zu widmen! Ein merkwürdiger Kauz ist er, der auf seine Art nicht weniger eigenartig ist als sein neugefundener Kumpel mit dem großspurigen Namen, für den ein gewisser Hunnenkönig Pate gestanden haben mag – aber vielleicht, wenn man seinem Vater begegnet, der noch immer die Welt mit seinen verrotteten Ansichten unsicher macht, auch nur der Vorstellung von Originalität seitens der Eltern, die offensichtlich nicht die hellsten Lichter am Kronleuchter waren, entsprungen ist. Ein an Reduziertheit nicht zu übertreffendes Leben hat der Josef geführt, 65 Jahre lang – bis er dem kunterbunt gekleideten Attila begegnete. Bis zu ihrem Tod hat er mit der früh verwitweten Mutter in einer recht geräumigen Wohnung in der Münchner Innenstadt gelebt, wie's ausschaut haben sich die Zwei sogar ein Bett geteilt. Freunde hat er nicht gehabt, auch nicht in der Eisenwarenhandlung, in der er zeitlebens gearbeitet hat, immer pünktlich, immer korrekt, jedes Schräubchen beim Namen nennen könnend, ohne es je an seinen ihm bestimmten Platz angebracht zu haben. Die Stille liebt er, der Herr Josef, das ist das, was ihn wohl am besten beschreibt. Und eine tiefe Sehnsucht hegt er – wie man im Laufe der Geschichte langsam begreift, nach Zugehörigkeit, nach Menschen, ganz wenige reichen ihm, mit denen er eine Familie sein kann. Diese Glückes wird er, der Leser wird es bald feststellen, da draußen auf dem Land teilhaftig, für eine unvergessliche, aber leider nur kurze Zeit. Aber auch wenn er auf traurige Weise verliert, was er immer gesucht hatte – ist ein zwar kurzes, aber intensiv gelebtes Glück nicht tausendmal mehr wert als ein Leben, das nur aus unerfüllten Sehnsüchten besteht? Ob Josef das schließlich auch so sehen wird, bleibt dahingestellt, auch, ob er wirklich bereit ist, sich auf ein neues Abenteuer oder, wenn man so will, eine neue Suche nach dem Glück einzulassen, mit dem unverwüstlichen Attila an seiner Seite.
Zwei interessante Charaktere hat Bernd Schroeder mit den beiden Münchnern, die sich einen Lebenstraum erfüllen, geschaffen. Nicht sofort erschließen sie sich dem Leser, es braucht die gesamte Geschichte mit all ihren Ver- und Entwicklungen, um tiefer in sie hineinzuschauen, sie zu begreifen. Tiefgründigkeit kann man bei Josef früher vermuten als bei Attila, dem man, je mehr man von seinem reichlich unsteten Leben erfährt, in dem er ständig auf der Suche nach etwas Neuem war, in dem eine Begeisterung die andere ablöste, vielleicht vorschnell Oberflächlichkeit attestieren würde, ebenso wie Unzuverlässigkeit und Egoismus. Doch weit gefehlt! Menschen, die ihm etwas bedeuten, lässt er nicht fallen; er kümmert sich, kann eine Beharrlichkeit entwickeln, die seine Sprunghaftigkeit Lügen straft. Dem Josef ist er ein treuer Freund, wobei man eher umgekehrte Rollen erwartet hätte! Dass es schließlich der Josef sein würde, der den gemeinsamen Traum ziehen lässt und einen Rückzieher macht, überrascht. Die Entwicklung der Handlung überrascht ebenfalls, das Ende war ganz und gar nicht vorhersehbar – und ich bin mir auch jetzt, nachdem ich Muße hatte, das Gelesene zu reflektieren, nicht sicher, ob es mir gefällt, ob es das einzig logische war oder ob es nicht noch andere Wege gegeben hätte, die Geschichte enden zu lassen. Enden? Das ist nicht der richtige Ausdruck, denn der Schluss ist im Grunde offen, der Leser kann sich ausmalen, wie das nun weitergeht mit Attila und Josef, oder ob überhaupt. Ob die alte von Sehnsucht von einer neuen abgelöst wird? Zu dem Josef, wie er sich mir zum Abschluss zeigt, würde das nicht passen, ich empfände es als nicht stimmig. Ja, in seiner Figur gibt es für mich nicht nachzuvollziehbare Brüche angesichts dieses, vom Autor gewählten Ausgangs.
Dass ich das Buch dennoch gerne gelesen habe, muss hinzugefügt werden, obschon der schöngeschriebene, einfühlsam erzählte Anfang denn doch nicht gehalten hat, was er versprach und ich darüberhinaus ein eingefügtes Krimielement als vollkommen überflüssig und der Geschichte selbst nicht dienlich erachte, was auch für den unerwarteten und wenig gewinnenden Besuch aus Amerika gilt. Beides stört den ruhigen Fluss der sich langsam und ansonsten folgerichtigen entwickelnden Erzählung mit dem rührend altmodischen Touch, der mich zu Beginn meiner Lektüre so unwiderstehlich in seinen Bann gezogen hatte. Schade, dass dieser Eindruck kein bleibender war und die durchaus realistische Geschichte abgeflacht ist, je weiter sie sich entwickelte. Nicht alles, meine ich, muss an das Vorbild der Realität angepasst werden; in Romanen darf man als Autor über das Schicksal ruhig mal selber bestimmen und es in eine verheißungsvolle Richtung lenken!

Veröffentlicht am 28.02.2022

Happy End für Außenseiter

Nordlichtträume am Fjord
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Wie der Titel bereits andeutet, ist Norwegen der Schauplatz der romantischen Geschichte, die Julie Larsen ihren Leserinnen in dem hier zu besprechenden Roman erzählt. Norwegen in der Gegend um Trondheim, ...

Wie der Titel bereits andeutet, ist Norwegen der Schauplatz der romantischen Geschichte, die Julie Larsen ihren Leserinnen in dem hier zu besprechenden Roman erzählt. Norwegen in der Gegend um Trondheim, um genau zu sein, einer überwältigend schönen Landschaft, in der die Protagonistin Annabell aus Hamburg landet, um dort auf dem Hof der Familie Solberg für eine Weile zu arbeiten. Auf eine Stellenanzeige hatte sie sich beworben, nicht ahnend, dass es ganz sicher nicht die Besitzerin des Hofes mit ehemaliger Spinnerei war, die ihren Arbeitsvertrag online unterschrieben hatte, und die von Annabells Ankunft genauso überrascht war wie Annabell enttäuscht von der Tatsache, dass es keinen Arbeitsplatz für sie geben sollte. Zurück nach Hamburg? Unmöglich, denn vor ihrem Leben dort – und vor sich selbst, wie die Leser erfahren werden – war die schicke junge Frau geflohen, nachdem sie nicht nur ihre Arbeit verloren hatte sondern zu ihrem Entsetzen auch noch schwanger geworden war nach einer Nacht mit einer Zufallsbekanntschaft. Zum Glück ist Berit Solberg zwar eine schnell aufbrausende, aber eben auch eine patente Frau mit dem Herz auf dem rechten Fleck und findet nach der ersten rechtschaffenen Empörung flugs eine Beschäftigung für die aus den Bahnen ihres geregelten und kontrollierten Lebens geworfenen Annabell, die in ihren Designerklamotten und großstädtischem Auftreten so gar nicht in die raue Gegend hoch oben im Norden passen will, zu ihrer eigenen Überraschung aber sehr bald Gefallen findet an ihrer leicht chaotischen, doch überaus toleranten Gastgeberin nebst Familie und der ungezwungenen Freundlichkeit, die ihr entgegengebracht wird. Und als sie dann auch noch dem zurückhaltenden, gar menschenscheuen Schafbauern und Sonderling Bjarne, der seine eigenen Geheimnisse hütet, näherkommt und überdies ihre organisatorischen Fähigkeiten als Marketingfachfrau, als die sie in Hamburg erfolgreich war, gefragt sind für die Bildung einer Kooperative, von der die kreativen Bewohner des Örtchens Elvasund träumen, um die Traditionen zu wahren und ihnen Zukunft zu geben, beginnt Annabell allmählich, nicht nur die Scherben, in die ihr bisheriges Leben vermeintlich zerfallen ist, aufzusammeln, sondern sich gleichzeitig auch mit sich selbst und der Person, die sie glaubte zu sein, auseinanderzusetzen – und schließlich an eine Zukunft zu glauben, für die es allerdings den Mut braucht, über den eigenen Schatten zu springen....
Einen gefühlvollen Roman mit insgesamt liebenswerten Charakteren hat die Autorin mit ihren „Nordlichtträumen“ geschrieben, den ich mit geringen Abstrichen gern gelesen habe. Sie vermittelt durch das gerade richtige Maß an immer wieder wie zufällig eingestreuten, dankenswerterweise niemals episch ausgedehnten Landschaftsschilderungen, auch denjenigen unter den Leserinnen (denn es ist ganz gewiss ein Frauenroman, dem ich hier ein paar Gedanken widme), deren Weg sie nie hinauf in den Norden Europas geführt hat, einen bildhaften Eindruck des ob seiner Naturschönheiten als Urlaubsziel so beliebten skandinavischen Landes, das durch den Ölboom vor wenigen Jahrzehnten aus seinem Dornröschenschlaf gerissen wurde und nun eines der europäischen Länder mit dem höchsten Lebensstandard ist. Doch was noch wichtiger ist – ihre Charaktere sind so gezeichnet, dass sie nicht austauschbar sind, man sie nur in einer Geschichte finden kann, die eben in Norwegen spielt. Kurz und gut – sie sind authentisch in ihrer gelassenen Fröhlichkeit und Freundlichkeit, ihrer Unkompliziertheit und Bereitschaft, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, entschlossen, ihm in jeder Lebenslage etwas abzugewinnen, das beste aus jedem Tag zu machen.
Die Figur der Annabell ist das genaue Gegenteil zu den Menschen, die sie vorurteilsfrei aufnehmen und deren Freundschaft sie sich schon bald wünscht. Oberflächlich betrachtet ist sie eine typische Vertreterin ihrer Generation, ihres Landes und ihres Berufsstandes: erfolgreich, dynamisch, unabhängig und reichlich selbstbezogen. Dass viel mehr in ihr steckt, lernt sie im Laufe der Geschichte – durch die Begegnung mit einer Welt, die der eigenen so gar nicht ähnelt, mit Menschen, die alles andere als oberflächlich sind, die in ihrer unkomplizierten Schlichtheit begriffen haben, worum es im Leben geht.
So schön, so gut! Allerdings ist auch die sich wandelnde Annabell eine eher schwache Protagonistin, nicht so ganz glaubwürdig, nicht fassbar (und als sehr störend empfand ich, dass sie in nicht einmal zwei Wochen Norwegisch so gut gelernt haben will, dass sie sich schon vom ersten Tag an flüssig über alle anfallenden Themen unterhalten kann! Das ist des Guten denn doch zuviel, sogar wenn man über eine außergewöhnliche Sprachbegabung verfügt!). Sie ist bedauerlicherweise niemand, dem ich mich tiefer annähern konnte. Und das gilt auch für den eigentlich sympathischen Bjarne, dessen Seelenleben jedoch so überaus kompliziert ist und dessen ihn ständig aufs Neue überfallenden Selbstvorwürfe im letzten Drittel des Romans ermüdend waren. Was verbindet die beiden, habe ich mich immer wieder gefragt. Ihre Einsamkeit, ihr Außenseitertum? Es muss wohl so sein! Sie scheinen einander genau das zu geben, was der jeweils andere braucht. Aber so recht überzeugen will mich das nicht...
Doch sei's drum! Ob der vielen klugen Gedanken, mit denen man des öfteren überrascht wird und nicht zuletzt den liebevoll geschilderten Details, den sichtbaren wie auch unsichtbaren, den häufig zu lesenden Andeutungen einer reichen Sagenwelt, die zum Alltag der ländlichen Bevölkerung im schönen Norwegen gehören, betrachte ich Julie Larsens Roman als wirklich lesenswert. Perfekt für die Romantiker unter den Leserinnen, denen eine Liebesgeschichte, die sich zart entfaltet und nach einigen Hindernissen direkt ins Happy End mündet, über alles geht!

Veröffentlicht am 20.06.2021

Und das Sterben nimmt kein Ende....

Es wird jemand sterben
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Verweilen wir zunächst einen Moment beim Titel „Es wird jemand sterben“, ausgesprochen von der wunderlichen alten Dorfbewohnerin Sofia Henschenmacher, der Dorfhexe, wie es sie auch noch in den 50er Jahren ...

Verweilen wir zunächst einen Moment beim Titel „Es wird jemand sterben“, ausgesprochen von der wunderlichen alten Dorfbewohnerin Sofia Henschenmacher, der Dorfhexe, wie es sie auch noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – der Roman spielt im Jahre 1955 – allenthalben gab, denn da stand der Aberglaube noch in voller Blüte. Jemand? Nun, es wird tüchtig gestorben in diesem düsteren Buch – totgeschlagen, gelyncht, mitleidlos sterben gelassen, gemordet! Die ganze Bandbreite!
Alles beginnt mit dem Verschwinden der jungen, lebensfrohen Ursula, die mit ihrer Mutter nach der Flucht aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in dem kleinen Dorf am Rande der Eifel, in dem die Geschichte spielt, eine Behelfsunterkunft, aber beileibe keine Heimat gefunden hat. Flüchtlinge gehören nun einmal nicht zu einer eingeschworenen und unerträglich selbstgerechten Dorfgemeinschaft. Damals genauso wenig wie heute! Ein Verdächtiger ist schnell gefunden in dem Dorfdeppen Martin, der der oben zitierten eingeschworenen Gemeinschaft, die sich gerade auf das kommende Wirtschaftswunder vorbereitet, schon seit langem ein Dorn im Auge war. Behinderte passen eben auch nicht in das ehrenwerte Dorf, sie gehören weggesperrt! Wie gut, dass man längst gelernt hat, andere Wege zu gehen und um Integration und Inklusion zumindest bemüht ist.
Der junge Martin also wird zum nächsten Opfer, hingemetzelt von vier Gerechtigkeitsbürgern. Und damit wird eine Lawine in Gang gesetzt, die das vordergründig heile Dorf in eine eigentümliche Mischung aus Passivität, Wegschauen, Angst, Misstrauen, Hass, unbändige Aggressionen und Gewalt – da kann es einen schon gewaltig schaudern! - versetzt und sich unaufhaltsam ihren Weg bahnt. Die unwillig und höchstens zaghaft ermittelnde Polizei steht vor einer Mauer des Schweigens, niemand will etwas wissen und diejenigen, die Informationen geben könnten, stellen sich unwissend. Der Polizei vertraut man noch lange nicht und ist überdies sicher, mit dem Unheil, das über das Dorf gekommen ist, selbst fertig zu werden, zumal es Dinge hinter den bürgerlichen Fassaden gibt, die dort auch bleiben sollen und auf keinen Fall das Licht des Tages erblicken dürfen.
Und so kommt es, wie es in einem Roman wie diesem kommen muss: zur Katastrophe, die durchaus hätte verhindert werden können. So könnte man meinen, bekommt aber Zweifel, wenn man verfolgt, wie oberflächlich, geradezu dilettantisch der Polizeiapparat, der nur langsam in die Gänge kommt, ermittelt! Der im Klappentext angekündigte junge, ehrgeizige Kommissar, der aus der Kreisstadt zu Hilfe gerufen wurde und angeblich einen Blick „hinter die biederen Fassaden“ wagt, tut nämlich genau das nicht! Sehr schnell schießt er sich auf den Apothekersohn Felix, der Ursula heiraten wollte, als Mörder ein, hinterfragt nichts, zieht keine andere Möglichkeit auch nur in Betracht, sondern steckt den jungen Mann ins Gefängnis und reibt sich zufrieden die Hände! Kann man denn noch dilettantischer vorgehen – um dieses Adjektiv noch einmal zu benutzen?
Und kein Wunder, dass die Dörfler sich für bessere Ermittler halten – aber eigentlich schlagen sie nur vorurteilsbehaftet um sich! - als diese Polizei, die in Herbert Pelzers Roman vertreten ist. Ein arg negatives Bild und man sollte nicht auf den Polizeiapparat an sich schließen! Genauso wenig, wie man das hier beschriebene Dorfleben mit all seinen abstoßenden Abartigkeiten als repräsentativ ansehen sollte. Hier hat beinahe jeder eine Leiche im Keller, von teilweise monströsen Ausmaßen – und man scheut davor zurück, so tief zu blicken, wie es der Autor seine Leser tun lässt. Mit erschreckender Rohheit und äußerster Brutalität wird man konfrontiert, mit unbegreiflicher Kaltblütigkeit und Gewissenlosigkeit nicht nur einer einzigen Person. Um das ertragen zu können, braucht man vielleicht stärkere Nerven, als ich sie habe...
Lange habe ich mich gefragt, ob es in dem Roman, von dem ich auch jetzt noch nicht weiß, ob ich ihn wirklich als Kriminalroman bezeichnen möchte, denn auch positive, aufrechte Charaktere gibt. Zum Glück ist das so, doch wird ihnen, gerade ihnen, viel Leid zugemutet, an dem sie entweder zerbrechen oder zu zerbrechen drohen. Mit den Bösewichten wird aber genauso gnadenlos verfahren – keiner kommt mit dem Leben beziehungsweise gänzlich ungeschoren davon! Ausgleichende Gerechtigkeit? Ja, aber mit dem Vorschlaghammer, roh und brutal!
Bücher müssen ihre Leser finden, das heißt, dass Leser und Buch zusammenpassen müssen. Doch gelegentlich ist dem nicht so – das ist enttäuschend für den Leser wie auch für den Autor. Was ich hier gelesen habe, ist ein pechschwarzes, deprimierendes, beinahe durchweg negatives Buch. Dass die Geschichte realistisch ist oder sein soll – wiewohl in einzelnen Aspekten zu kategorisch verallgemeinernd -, macht es nicht besser. Unbestreitbar aber ist, dass der Roman gut, logisch und enorm spannend geschrieben ist; und auch wenn er nicht der meine ist, so wird er doch ganz gewiss seinen begeisterten Leserkreis finden.