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Veröffentlicht am 23.12.2021

Lesenswerte Fortsetzung - wie der Vorgänger ein kurzweiliger und packender Schmöker

Kinderklinik Weißensee – Jahre der Hoffnung (Die Kinderärztin 2)
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„Vielleicht ist der Umsturz eine Chance für uns Frauen. Die Zeit ist reif dafür, dass die alten verkrusteten Strukturen aufgebrochen werden.“

Berlin 1918: Marlene Lindow arbeitet mittlerweile als Ärztin ...

„Vielleicht ist der Umsturz eine Chance für uns Frauen. Die Zeit ist reif dafür, dass die alten verkrusteten Strukturen aufgebrochen werden.“

Berlin 1918: Marlene Lindow arbeitet mittlerweile als Ärztin an der Kinderklinik. Sie sorgt sich nicht nur um ihre kleinen Patienten, sondern auch um ihren Verlobten Max, der im Krieg an der Front verletzte Soldaten versorgt. Als Max aus dem Krieg zurückkehrt, ist er nicht mehr derselbe. Marlene steht vor weiteren Herausforderungen. Der neue ärztliche Leiter macht ihr das Leben schwer. Außerdem breitet sich die Spanische Grippe in Berlin rasant aus, die medizinische Versorgung aller Erkrankten wird immer unmöglicher.
Marlenes Schwester Emma geht in ihrer Tätigkeit als Krankenschwester auf. Sie wird mit einer neuen, zusätzlichen Aufgabe betraut, der Ausbildung der Schwesternschülerinnen. Als Emmas Sohn Theo an Typhus erkrankt, ist es unklar, ob er überleben wird. Und plötzlich taucht völlig unerwartet Tomasz, Theos Vater, in Berlin auf.

Antonia Blum erzählt auf sehr leichte, unkomplizierte Art. Sie schildert in der dritten Person, was Emma, Marlene und Maximilian erleben, nimmt aber auch manchmal die Perspektive des Arztes Waldemar Buttermilch ein. Der Roman liest sich angenehm flüssig, fast wie von selbst. Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, sofort in die Handlung hineinzufinden, auch wenn es schon etwas länger her ist, dass ich den Auftaktband der Reihe gelesen habe. Das Cover - ein Mädchen blickt auf die Klinik- erinnert stark an das des Vorgängerromans, ist sofort als Teil der Reihe zu erkennen.

Die Protagonistinnen sind besondere Sympathieträgerinnen, mit denen sich die Leserschaft sicher gut identifizieren kann. Mit den Schwestern musste ich einfach mitfiebern. Marlene ist Ärztin aus Leidenschaft, sie geht auf ihre kleinen Patienten ein, hört ihnen zu, engagiert sich persönlich mehr, als sie das müsste. Für die ehrgeizige junge Frau ist ihr Beruf Berufung. Ebenso ergeht es ihrer Schwester Emma, die einen besonderen Draht zu ihren Schützlingen hat und sich nun auch als Ausbilderin beweisen muss. Beide Schwestern mögen ein wenig naiv sein, glauben sie doch immer an das Gute, aber das ist für sie natürlich auch ein Vorteil. Sie packen es an, sind überzeugt, dass sie etwas bewirken können. Viele ihrer Weggefährten konnten sie durch ihren unermüdlichen Einsatz von sich überzeugen. Aber nicht alle: Marlene muss sich gegen ihren neuen Chef Waldemar Buttermilch durchsetzen, der generell nicht viel von Ärztinnen hält und eine etwas andere Sicht auf seinen Beruf hat als sie. Für ihn steht stets Wirtschaftlichkeit im Vordergrund.

Auch nach dem Krieg ist in Weißensee keine Ruhe eingekehrt. Autorin Antonia Blum schildert einige zentrale Probleme der damaligen Gesellschaft wie politische Unruhen, den Kampf gegen die Spanische Grippe oder die Schwierigkeiten der Frauen, sich zu emanzipierten und zu etablieren. Im Nachwort heißt es „Der Krieg hat keine Gewinner.“ Das zeigt der Roman anschaulich. Auch Männer, die scheinbar körperlich unversehrt aus dem Krieg zurückgekehrt sind, leiden danach unter ihren schrecklichen Erinnerungen und haben wie Max Schwierigkeiten, sich in ihrem alten Leben zurechtzufinden. Überhaupt richtet Antonia Blum ihr Augenmerk auch auf die generellen seelischen Aspekte einer Krankheit. Krankheit hat eben nicht nur physische, sondern auch psychische Dimensionen, was gerade aktuell überdeutlich wird.
Bei all den verstörenden Erlebnissen, den beruflichen und privaten Prüfungen, verlieren Marlene und Emma nie ihre Zuversicht und werden oft - wie zur Belohnung für ihren Optimismus- Zeuginnen kleiner Wunder.
„Jahre der Hoffnung“ ist nicht nur ein historischer Roman, auch die Liebe spielt hier eine große Rolle. Emma und Marlene müssen sich entscheiden, wen sie in Zukunft an ihrer Seite haben wollen und machen dabei auch schmerzliche Erfahrungen: „Sich auf Liebe einzulassen, macht verletzlich“, sagte Marlene und versank in Gedanken. „Liebe kann sehr weh tun.“
Auch wenn das Ende vielleicht ein bisschen zu viel Zuckerguss enthält und etwas kitschig wirken mag, habe ich auch den zweiten Band dieser Reihe sehr genossen. Für mich ein wirklich unterhaltsamer, packender Schmöker mit sympathischen „herzensguten“ Hauptfiguren, zahlreichen interessanten historischen Themen, einer überzeugenden, mitreißenden Handlung und viel Gefühl. Nach dem besonderen Cliffhanger bin ich sehr gespannt, wie es für die beiden Schwestern weitergeht.

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Veröffentlicht am 07.12.2021

Wenn die kleine Welt im Kopf plötzlich lebensgroß wird - phantastische, sehr originelle Geschichte

Die magische Schwelle
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Flo ist zwölf und ziemlich klein und schmächtig für sein Alter. Wenn es im echten Leben mal nicht so läuft, schleicht er sich heimlich auf den Dachboden zu Papas Modelleisenbahnwelt, der „kleinen Freiheit“, ...

Flo ist zwölf und ziemlich klein und schmächtig für sein Alter. Wenn es im echten Leben mal nicht so läuft, schleicht er sich heimlich auf den Dachboden zu Papas Modelleisenbahnwelt, der „kleinen Freiheit“, und denkt sich die wildesten Szenarien aus. Als er im alten Chevy, dem Oldtimer der Familie, eine kleine Auszeit nimmt, passiert es. Flo übertritt eine magische Schwelle. Plötzlich findet er sich in seiner eigenen Traummodelleisenbahnwelt wieder. Flo erkennt bald, dass er bestimmen kann, was in seiner Welt „Miniput“ alles passiert. Natürlich lässt Flo es sich nicht nehmen, die Fäden in der Hand zu behalten und ein wenig Gott zu spielen. Doch bald schon wird es gefährlich und Realität und Fantasie drohen sich immer mehr zu vermischen. Ob Flo da die Orientierung behält?

Autor Kai Pannen schreibt gut verständlich. Anfangs wirkte der Sprachstil auf uns etwas steif und altmodisch, doch nach ein paar Seiten hatten meine Mitleser und ich uns an die individuelle Sprache gewöhnt. Das Cover zeigt Figuren und Gegenstände älterer Modelleisenbahnenanlagen, erscheint ein wenig „retro“ und macht sehr neugierig. Am Anfang eines jeden Kapitels „laufen“ Gleise durch die Seiten und es ist jeweils ein Element aus der „Kleinen Freiheit“ dargestellt, zum Beispiel ein Haus oder eine Kuh. Das Buch ist zum Selberlesen für Kinder ab neun Jahren geeignet, jüngere Kinder dürften teilweise noch Schwierigkeiten mit der Überschneidung von Vorstellung und Wirklichkeit haben und werden daher die Handlung nicht vollständig erfassen können.

Flo ist nicht besonders beliebt, wenig sportlich, eher ein „Hänfling“ und nur ein durchschnittlicher Schüler. Er spielt mäßig Klavier, liest gerne und flüchtet sich immer wieder in seine besonderen Phantasien, um abzuschalten. Mit ihm können sich so manche Leserinnen und Leser sicher gut identifizieren. Als kleiner Bruder einer großen Schwester hat es Flo nicht leicht, er muss sich immer wieder die Sticheleien seiner Schwestern Heidi gefallen lassen.
Die Figuren in Miniput sind natürlich ganz besondere Figuren. Manche verhalten sich, wie Flo das bestimmt und andere verselbstständigen sich zu Flos Leidwesen. Und dann gibt es auch noch Personen, die Flo seltsam bekannt vorkommen. Eine überaus interessante und gelungene Figurenkonstellation.

Wie wäre es, wenn man sich eine Parallelwelt konstruieren könnte, um darin selbst erdachte Abenteuer hautnah am eigenen Leib zu erleben? Was für eine originelle, spannende und wirklich faszinierende Vorstellung!
Extrem kreativ und aufregend, was Flo sich ausdenkt und wie er plötzlich alles doch nicht mehr so unter Kontrolle hat, wie er das eigentlich geplant hatte. Gut gefallen haben uns auch die Anspielungen auf Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“, das Flo im Deutschunterricht für die Schule lesen muss. Meine Mitleser im Alter von sechs bis zehn Jahren waren von Flos spezieller Geschichte begeistert, schwelgten nach der Lektüre selbst in ihren eigenen Vorstellungswelten. Dieses Buch motiviert und regt zweifelsohne die Phantasie auf besondere Weise an. Kai Pannen hat mit „Die magische Schwelle“ ein sehr ungewöhnliches, aber absolut lesenswertes Kinderbuch geschrieben, das uns immer wieder überrascht hat, für einige Verwirrung und viel Nachdenken gesorgt hat und uns vor allem ganz prima unterhalten hat. Wir können Lesern mit Sinn für Phantasie nur wärmstens empfehlen, mit Flo die Reise nach Miniput anzutreten,

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Veröffentlicht am 16.11.2021

Fräulein Kniffke zum Zweiten - originelles Heldenabenteuer zum Pupsen komisch

Fräulein Kniffkes geheime Heldenschule 2: Verpupst noch mal!
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Was stinkt denn da? Seit Tagen ist die Luft in Arthurs neuer Heimatstadt alles andere als frisch. Und Arthur ist schnell klar, warum. Ein übles Virus grassiert in der Stadt und es befällt nur die Erwachsenen, ...

Was stinkt denn da? Seit Tagen ist die Luft in Arthurs neuer Heimatstadt alles andere als frisch. Und Arthur ist schnell klar, warum. Ein übles Virus grassiert in der Stadt und es befällt nur die Erwachsenen, die nach der Ansteckung pausenlos pupsen müssen. Das riecht nach der nächsten Mission für Fräulein Kniffke und ihre Heldenschüler mit den Blockflöten. Ob sie es schaffen, die Luft wieder rein zu machen?

Autorin Lena Havek schreibt flüssig, gut verständlich und sehr lebendig aus Arthurs Sicht in der ersten Person. Die Autorin hat ein „Händchen“ für irrsinnig komische Formulierungen und Ausdrücke wie beispielsweise ihre Passage über das „Furz-Yoga“ beweist. Trainerin Frau Diepfurth gibt ihren Kursteilnehmern folgende Anweisung: „»Eure Ventile sind blockiert«, schrie sie. »Lasst den überflüssigen Dampf ab, öffnet euch! Spürt ihr schon, wie die Energie wie eine Flutwelle durch eure Körpermitte fließt? Das ist das Chi! Befreit die Winde!«, befahl sie.“
Jan Bircks witzige, comicartige Illustrationen passen sehr gut zur Geschichte. Mitunter wiederholen sich die Bilder von den Figuren allerdings.
Zum Selberlesen ist das Buch für Kinder ab acht Jahren geeignet. Jüngere Kinder lassen sich die Geschichte sicher gerne vorlesen.

Fräulein Kniffke ist eine sehr originelle Figur. Unter ihrer Tarnung als harmlose Oma verbirgt sich eine durchtrainierte Superheldin mit rosa Igelfrisur, die ihre Blockflötenschüler in Kampftechnik unterrichtet, gemeinsam mit ihnen unterirdisch unterwegs ist und so schon mal die Welt rettet. Von einer derart coole Blockflötenlehrerin träumen bestimmt viele Kinder.
In Arthur, der etwas schüchtern ist und sich immer noch für durchschnittlich hält, werden sich die jungen Leserinnen und Leser gut hineinversetzen können. Arthur muss erst noch lernen, was es heißt, ein Held zu sein. Die forsche Maxi und Tim, der nur in der normalen Welt stottert, sind da schon etwas weiter. Während ihrer Mission lernen Arthur und Co die Power Papas kennen, die ähnliche Ambitionen haben wie Fräulein Kniffkes Truppe. Außerdem bekommen sie es mit einem besonderen Bösewicht zu tun, der ein überraschendes Motiv für seine Taten hat, und dann ist da noch die ehrgeizigen Sportlehrerin Frau Diepfurth, die aus der unangenehme Situation Kapital schlagen möchte. Die herrlich schrägen, witzigen Figuren machen großen Spaß.

Werden Fräulein Kniffke und ihre Schüler der Geruchsbelästigung den Garaus machen? Ihr Weg führt sie mal wieder in unterirdische Gefilde, diesmal sind sie mit der pfeilschnellen R.A.T.T.E unterwegs. „Fräulein Kniffkes streng geheime Heldenschule 2: Verpupst nochmal“ ist ein turbulentes, actionreichen, schräges und sehr phantasievolles Abenteuer, das nebenbei noch die Trennung von Arthurs Eltern thematisiert und auch auf die Conona-Situation anspielt, aber trotzdem nicht nervt. Dafür ist es viel zu lustig und absurd. Einfach Pupskomisch! Lena Havek hat sich eine absolut lesenswerte Figurenkonstellation und Reihe ausgedacht, deren Fortsetzung wir kaum erwarten können.

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Veröffentlicht am 10.11.2021

Vom Zerbrechen einer Familie - ein aktuelles Problem aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet

Wenn ich wiederkomme
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„Manchmal erscheint mir Liebe wie ein Luxus.“

Daniela ist Mutter und lebt in einfachen Verhältnissen in Rumänien. Um ihren Kindern Angelica und Manuel eine gute Ausbildung ermöglichen zu können, zieht ...

„Manchmal erscheint mir Liebe wie ein Luxus.“

Daniela ist Mutter und lebt in einfachen Verhältnissen in Rumänien. Um ihren Kindern Angelica und Manuel eine gute Ausbildung ermöglichen zu können, zieht sie nach Mailand, wo sie einen alten Mann rund um die Uhr pflegt. Ihren Verdienst schickt sie nach Hause. Doch in der alten Heimat gibt es große Probleme. Ihr Sohn Manuel, der in der Pubertät steckt, tut sich in der Schule sehr schwer. Als auch noch sein geliebter Großvater stirbt, verzweifelt er an der Situation und es kommt zu einem tragischen Unglück.

Autor Marco Balzano schreibt klar und gut verständlich in der ersten Person. Er wechselt die Erzählperspektive, schildert das Geschehen zunächst aus der Sicht Manuels, dann aus Danielas und schließlich aus Angelicas. Es wird chronologisch erzählt, was aktuell passiert, aber immer wieder fließen auch Erinnerungen der Figuren in die Geschichte mit ein. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen der Charaktere wird die Handlung im Verlauf um mehrere Aspekte erweitert. Eine Geschichte hat nie nur eine Seite, sondern stets mehrere und jeder Beteiligte wird sie anders erleben und erzählen. Das zeigt Marco Balzano mit seinem Roman sehr deutlich.

Die drei Hauptfiguren werden vom Autor vor allem in Hinblick darauf, was Danielas Weggang für sie konkret heißt, dargestellt. Auch wenn der Autor in der Ich-Perspektive schreibt, werden seine Figuren recht sachlich beschrieben, sie „erreichten“ mich als Leserin nicht immer emotional. Daniela ist Mutter, sie ist für ihre Kinder verantwortlich. Verantwortung bedeutet für sie vor allem, seinen Kindern ein Leben ohne materielle Entbehrungen zu ermöglichen. Die Kinder sollen eine gute Ausbildung bekommen, sich nicht „arm“ fühlen müssen. Dafür arbeitet sie sehr hart, gönnt sich kaum eine Pause, ist für ihre Arbeitgeber immer verfügbar, „entwurzelt“ sich und riskiert, sich von ihren Kindern zum entfremden.
Sohn Manuel „kämpft“ mit der Pubertät, zeigt sich emotional und impulsiv. Der Junge kommt ohne seine Mutter nur schlecht zurecht. Er verliert immer mehr Konstanten in seinem Leben, soll auf eine teure Schule gehen, obwohl er lieber die Landwirtschaftsschule besuchen würde. Er fühlt sich oft vollkommen alleine auf der Welt.
Seine ältere Schwester Angelica „kapiert“ nach Manuels Ansicht „die Welt“, sie muss früh Verantwortung übernehmen, kommt zuverlässig ihren Pflichten nach, kümmert sich. Wie ein „Lastesel“ tut sie, was getan werden muss, ohne sich zu beschweren. Doch irgendwann muss auch der stärkste Mensch einmal schwach sein dürfen.
Auf Danielas Mann Filip ist wenig Verlass. Aber Opa Mihal wird zum Fels in der Brandung, er sorgt sich um die Kinder und hat viele Lebensweisheiten in petto wie „Im Gehen löst man Probleme.“ Angelica erinnert sich an einen Satz von ihm: „Opa hat mal gesagt, wer sich wäscht und saubere Kleider trägt, der ist nie arm. Arm ist, wer den Dingen hinterherrennt, die alle wollen.“


Dass osteuropäische Frauen ihre Familien verlassen, um in Italien oder anderen Ländern ältere Leute zu Hause zu pflegen oder andere körperlich anstrengende Tätigkeiten zu verrichten, ist sehr traurig, aber leider gang und gäbe. Ich habe mir bisher nie Gedanken gemacht, was das für die betroffenen Frauen und ihre Kinder wirklich bedeutet.
Marco Balzano macht mit „Wenn ich wiederkomme“ auf dieses Problem aufmerksam. Er erzählt umfassend, mit welchen Schwierigkeiten die Familien der Pflegerinnen konfrontiert sind und stellt dabei immer wieder die Frage, was Liebe und Glück ausmachen. Was ist ein „besseres“ Leben? Braucht es materielle Sicherheit, um lieben zu können oder ist Liebe und füreinander Dasein nicht die Voraussetzung für echtes Glück? Kann man aus der Ferne lieben? Balzanos Figuren würden diese Fragen aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen sehr unterschiedlich beantworten und auch die Leserinnen und Leser werden sehr gründlich darüber nachdenken, wenn sie die komplette Geschichte gelesen haben. Fest steht aber, Danielas Entscheidung hat dramatische Folgen, kostet einen hohen Preis und verändert Identitäten. „Niemand gibt uns die Zeit zurück, die wir woanders verbracht haben.“ Besonders deutlich wurde mir während des Lesens wieder einmal eines. Von außen betrachtet scheint es manchmal so einfach, über andere zu urteilen. Wer nicht selbst betroffen ist, kann viel leichter werten. Wichtig ist es aber, alle Seiten zu beleuchten, Verständnis für alle Beteiligten aufzubringen und hierfür leistet Balzano mit seinem bemerkenswerten Roman auf alle Fälle einen Beitrag. Diese Familiengeschichte musste genau so erzählt werden. Für mich ein lesenswertes und wichtiges Buch, das mich noch länger beschäftigen wird.

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Veröffentlicht am 22.06.2021

Manchmal braucht das Glück etwas länger und kommt in ganz unerwarteter Gestalt

Man darf mit dem Glück nicht drängelig sein
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Dieser Urlaub sollte eigentlich ein ganz besonderer für Anna, Magnus und Linnea werden. Mama hat ein wunderbares, kleines rotes Ferienhaus in Schweden gemietet. Doch dann bekommt sie die Möglichkeit, eine ...

Dieser Urlaub sollte eigentlich ein ganz besonderer für Anna, Magnus und Linnea werden. Mama hat ein wunderbares, kleines rotes Ferienhaus in Schweden gemietet. Doch dann bekommt sie die Möglichkeit, eine langersehnte Fortbildung zu machen und Papa, der mit seiner neuen Freundin in Bremen lebt, soll an ihrer Stelle mit den Kindern in das Häuschen fahren. Papa hat leider so gar keine Lust auf diesen Urlaub. Und dann muss auch noch ausgerechnet Friedrich, der Sohn von Papas neuer Freundin, dazustoßen. Den findet Anna absolut unerträglich. Das läuft ja dann wohl auf den schrecklichsten Urlaub aller Zeiten hinaus. Oder etwa doch nicht?

Autorin Kirsten Boie erzählt gut verständlich, klar und sehr direkt aus Annas Sicht. Sie scheut sich nicht davor, auch Schimpfwörter und Kraftausdrücke zu verwenden, denn so reden Kinder eben manchmal. An Linneas permanentes „Du Dummi“ oder den wiederholt gebrauchten Ausdruck „Scheißkerl“ muss man sich beim Lesen erst einmal gewöhnen. Sicher durchaus authentisch, aber natürlich keine „schöne Sprache“.
Das Buch ist für Kinder ab zehn Jahren geschrieben, aber auch ein bisschen für deren Eltern. Mir fällt eine konkrete Alterseinschätzung schwer, denn die „Botschaft“ ist nicht ganz einfach zu umreißen. Über Linnea und Magnus amüsieren sich auch schon jüngere Kinder beim Vorlesen, die dann möglicherweise Annas komplizierte Situation und ihre Zerissenheit nur teilweise erfassen.

In Anna, die sehr klar und deutlich macht, wie sie sich fühlt, können sich die Leser wahrscheinlich problemlos hineinversetzen. Sie ist ein ganz normales, sensibles Mädchen, das mit ihrer neuen Situation „getrennte Eltern und neue Partnerin des Vaters“ Schwierigkeiten hat. Einerseits ist sie recht unkompliziert, hilft freiwillig im Haushalt und übernimmt wie selbstverständlich Verantwortung für die kleinen Geschwister. Andererseits reagiert sie sehr heftig auf die neue Partnerin ihres Vaters und deren Sohn. Sie fühlt sich zurückgesetzt und missverstanden und diese Empfindungen sind durchaus nachvollziehbar. Annas Gefühlsleben wird verständlich und authentisch dargestellt.
Annas Bruder Magnus ist extrem tierlieb, sensibel und harmoniebedürftig. Er reagiert oft wie ein typisches Sandwichkind, recht verletzlich, zeigt sich aber auch sehr tolerant, ausgleichend und mitfühlend.
Anders Linnea, die zwar in ihrer Naivität oft sehr drollig wirkt, aber regelmäßig und sehr direkt andere beschimpft. Sie benimmt sich wie Vierjährige das häufig tun, „eigensinnig“ und willensstark.
Papa ist leider ein etwas unangenehmer, unzugänglicher Charakter. Er steckt in der Zwickmühle, möchte für seine neue Partnerin Irene da sein, hat aber seinen Kindern gegenüber eine Pflicht zu erfüllen. Er schafft es oft nicht, sich rücksichtsvoll und mitfühlend zu verhalten und Geduld zu beweisen. Zu seinen Kindern hält er Distanz, weswegen Linnea ihn auch nicht Papa, sondern „Herr Schulze“ nennt. Er wirkt sehr hilflos und vermittelt oft den Eindruck, dass er keinen Wert darauf legt, mit den Kindern zusammen zu sein. Das macht die Situation sehr schwierig für alle.
Ein Lichtblick ist Friedrich, der Sohn von Papas neuer Freundin Irene. Auch für ihn ist dieser Urlaub alles andere als einfach. Er reagiert aber sehr verständnisvoll, ziemlich bewundernswert, baut zu den anderen eine „Brücke“. Friedrich wirkt sehr reif für sein Alter.

Der Titel passt ganz prima: „Man darf mit dem Glück nicht drängelig sein“. Noch blitzt das Glück nur an manchen Stellen im Buch hervor. Anna genießt besondere Glücksmomente, aber sie erlebt auch viele unangenehme, deprimierende, wütendmachende Situationen. Gegen Ende erkennt sie, dass man anderen Menschen eine Chance geben muss und sie doch ganz anderes sein können als man denkt. Es ist am Schluss noch nicht alles ganz gut, aber vieles besser. Manchmal braucht das Glück eben seine Zeit. Und zwischendrin gibts trotz der vielen traurigen Unstimmigkeiten auch sehr viel zu lachen. Zum Beispiel über Linnea, die zwar sehr harsch und direkt ist, aber auch immer wieder die Dinge erstaunlich präzise auf den Punkt bringt. Sie weiß und erfasst intuitiv mehr, als man ihr zutraut. Auch Magnus bringt zum Schmunzeln, denn seine Tierliebe geht ganz schön weit und lässt ihn ziemlich amüsante Rettungsaktionen durchführen.

Keine Käsekuchenglücksgeschichte mit dickem rosa Zuckerguss, sondern eine tiefgründige Erzählung mitten aus dem Leben mit Substanz, die trotz der schönen Momente auch nachdenklich stimmt und Probleme direkt anspricht. Vor allem auch zum gemeinsamen Vorlesen geeignet. Die anschließenden Gespräche mit Kindern über das Buch werden mit Sicherheit sehr interessant und bereichernd ausfallen.

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