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Veröffentlicht am 08.12.2021

Langatmig, emotionslos und eine sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Thema Intersexualität. Der/ die Leser*in wird am Ende mit vielen offenen Fragen im Unklaren gelassen.

Sein Name war Annabel
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In der kanadischen Provinz Labrador kommt im Jahr 1968 ein Baby zur Welt, das weder eindeutig Junge noch Mädchen ist. Es hat beide Geschlechtsmerkmale und von dem Geheimnis wissen nur seine Eltern, Jacinta ...

In der kanadischen Provinz Labrador kommt im Jahr 1968 ein Baby zur Welt, das weder eindeutig Junge noch Mädchen ist. Es hat beide Geschlechtsmerkmale und von dem Geheimnis wissen nur seine Eltern, Jacinta und Treadway, sowie die Nachbarin und Freundin Thomasina, die bei der Geburt dabei war. Treadway trifft die Entscheidung, das Baby als Jungen großzuziehen und versucht ihm Freude an Jungssachen zu vermitteln, während Jacinta auch die sensible, weibliche Seit des Jungen akzeptiert. Thomasina, deren Tochter kurz nach der Geburt von Wayne ertrunken ist, nennt ihn dagegen heimlich Annabel. Wayne macht sich darüber keine Gedanken, denn er weiß nicht, dass er anders ist. Erst als er in die Pubertät kommt und von Bauschmerzen gequält wird, klärt ihn Thomasina während eines Arztbesuches auf, dass er ein Hermaphrodit ist.

Die ersten 300 Seiten beschreiben die Kindheit Waynes und die Unsicherheit seiner Eltern im Umgang mit seiner Besonderheit. Dass Wayne weder eindeutig Junge noch eindeutig Mädchen ist, ist ein Tabuthema, das totgeschwiegen wird. Auch sonst sprechen die Eltern wenig miteinander und führen eine distanzierte Beziehung.




Über die Gefühle der handelnden Figuren erfährt man wenig, was insbesondere in Bezug auf Wayne schade ist. Weder unmittelbar nach der Geburt noch im weiteren Verlauf des Heranwachsens wurde das Thema Intersexualität von den Eltern mit einander, mit Ärzten oder Psychologen diskutiert. Lange weiß Wayne selbst nicht, dass er ungewöhnlich ist und als ihm die Tatsache notgedrungen offenbart wird, hinterfragt er sie nicht oder ist gar erschüttert. Diese Nicht-Reaktion empfand ich als vollkommen unrealistisch - gerade im Alter eines verunsicherten Teenagers, die selbst unter "normalen" Bedingungen mit den Veränderungen ihres Körpers hadern. Auch blieb im Dunkeln, welche Medikamente Wayne (vermutlich zur Unterdrückung der weiblichen Hormone) einnimmt und weshalb er trotzdem seine Periode bekommt.

Im sehr langatmigen Mittelteil entwickeln sich die Charaktere nicht wirklich weiter, es ereignet sich wenig. Die Abreise von Wayne in die größere Stadt St. John's erfolgt abrupt, nachdem ihm eine weitere Offenbarung gemacht wurde, mit der sich das Buch jedoch nicht tiefer beschäftigte, so dass diese - wenig wahrscheinliche - "Nebenwirkung" der Intersexualität an dieser Stelle reißerisch wirkte. Die Geschichte bleibt durchgehend emotionslos und beklemmend kühl. Darüber kann auch die blumige, poetische Sprache nicht hinweghelfen.









Von dem Roman hatte ich mir eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, mit Ausgrenzung, Toleranz und Diskussionen über psychologisch fundierte Lösungswege gewünscht, wurde jedoch enttäuscht. Die Geschichte mäandert ohne klares Ziel vor sich hin und klammert viele Fragen und Details, die sich bei der Geburt eines intersexuellen Kindes unweigerlich ergeben, einfach aus. Selbst wenn man in Betracht zieht, in welcher Zeit der Roman handelt und dass die schlichte Hilflosigkeit aller Beteiligten ein wesentlicher Faktor ist, bleibt die Auseinandersetzung mit dieser Besonderheit durch das allgegenwärtige Schweigen zu oberflächlich. Erklärungen zur medizinischen Behandlung Waynes blieben genauso außen vor wie zur Entwicklung seines Körpers unter der Verabreichung von Medikamenten. Gerade in Bezug auf die Fragestellungen richtig oder falsch bzw. wann der Zeitpunkt ist, sich auf ein Geschlecht festzulegen und ob dies aus ärztlicher Sicht überhaupt erforderlich ist, wird der Leser völlig allein gelassen, weshalb der Roman meiner Meinung nach viel Potenzial in Sachen Aufklärung und Toleranz verschenkt hat.

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Veröffentlicht am 02.08.2021

Konstruierte, oberflächliche Geschichte mit einer unglaubwürdigen Räuberpistole und einer Romanze, bei der man am Ende nur den Kopf schütten konnte.

Ein Herz voll Leben
3

Als Isabellas beste Freundin Melanie für sie überraschend an einem Aneurysma im Herzen stirbt, übernimmt sie die Vormundschaft für deren vierjährige Tochter Leni, für die sie bisher die Patentante war. ...

Als Isabellas beste Freundin Melanie für sie überraschend an einem Aneurysma im Herzen stirbt, übernimmt sie die Vormundschaft für deren vierjährige Tochter Leni, für die sie bisher die Patentante war. Unterstützung erhält sie von ihrer Großmutter, deren Bäckerei Isabella vor wenigen Jahren übernommen und zu einem erfolgreichen kleinen Cupcake-Laden direkt an der Ostseeküste umgebaut hat.
Um mehr Zeit für Leni zu haben, stellt sie Maximilian ein, der als Zwischenlösung einen Aushilfsjob gesucht hatte. Isabella ahnt nicht, dass sich Maximilian mit einem Hintergedanken in ihr Café eingeschlichen hat, der ihre berufliche Existenz bedrohen könnte.

Der Klappentext suggeriert einen Schwerpunkt auf der Geschichte um Isabella, den Verlust ihrer Freundin und die Abarbeitung einer so genannten Löffelliste, die ihr Melanie posthum zukommen lässt. Der Roman ist jedoch abwechselnd aus der Perspektive von Isabella und Maximilian geschildert, so dass man auch Einblicke in sein Leben erhält.
Isabella ist eine sympathische junge Frau, die sich selbstständig gemacht hat und deren Ansinnen es ist, ihre Kund*innen mit ihren Cupcakes glücklich zu machen. Sie ist Single und vermisst auch keinen Mann in ihrem Leben. Der Tod von Melanie trifft sie schwer, sie vermisst ihre Freundin jeden Tag. Die Löffelliste gibt ihr ein Stück Melanie zurück, weshalb sie sehnsüchtig auf neue Nachrichten von der unbekannten Versenderin der E-Mails wartet.

Mit Max wurde ich hingegen gar nicht warm. Sein Charakter war mir zu ambivalent und unglaubwürdig. In Bezug auf seinen achtjährigen Sohn Henry, der bei seiner Mutter lebt, reagiert er sehr emotional, wirkt jedoch darüber hinaus durchtrieben, überheblich und arrogant. Um Geld zu verdienen, um Henry etwas in den Sommerferien bieten zu können, nimmt er gegen Bezahlung ein unmoralisches Angebot seines Onkels an. Das Problem mit seinem Sohn ist aber weniger das fehlende Geld, als vielmehr seine Exfreundin, die ihm aus unbekannten Gründen keine gemeinsame Zeit mit seinem Sohn vergönnt.
In Bezug auf Isabellas Geschäft zeigt er zwar Anzeichen eines schlechten Gewissens, geht aber dennoch auf die Skrupellosigkeit seines raffgierigen Onkels ein. Nach kürzester Zeit hat Maximilian jedoch plötzlich ein gutes Gefühl in dem bonbonfarbenen Cupcake-Shop und fühlt sich so glücklich, die kleinen Kostbarkeiten zu verkaufen, was möglicherweise an der berührenden Herzlichkeit der Bäckerin liegen könnte, dass ihm doch Zweifel an seinem Handeln kommen.

Von Violet Thomas habe ich den Roman "Jeden Tag ein neuer Himmel" gelesen, der mir gut gefallen hat und in dem es auch über Trauer ging, weshalb ich mich auf "Ein Herz voll Leben" gefreut hatte. Die Geschichte konnte mich aber leider gar nicht überzeugen. Mir blieb sie in Bezug auf die Trauer um die verstorbene Freundin, die zu selbstverständlich angenommene Vormundschaft und den Alltag mit einer Vierjährigen, die gar nicht versteht, dass ihre Mama nie wieder kommen wird, zu oberflächlich. Melanies Aufgaben, die eigentlich Isabellas Leben hätten auf den Kopf stellen sollen, nahmen weitaus weniger Raum ein, als ich aufgrund des Klappentextes erwartet hatte. Die Handvoll Anregungen waren wenig lebensverändernd, wenn sie auch Isabella helfen, den Tod zu verarbeiten und Melanie an letztes Mal nahe zu sein.

Die Beziehung oder Romanze, die sich zwischen Isabella und Maximilian trotz aller Intrigen, Lügen und Täuschungen anbahnte, fand ich weder glaubwürdig, noch romantisch. Weder konnte ich verstehen, warum der unterkühlte Maximilian aus heiterem Himmel und so schnell Gefühle für Isabella entwickelte, noch konnte ich nachvollziehen, warum sich Isabella auf seinen schönen Schein einlässt und dem "Tollpatsch" am Ende verzeiht.

"Ein Herz voll Leben" hatte das Potenzial für eine anrührende Geschichte über Tod, Trauer, das Abarbeiten einer Bucketlist, Sorgen um die berufliche Existenz, über die Verantwortung für eine (Halb-)waise und einen Neubeginn. Durch die konstruierte Räuberpistole um Maximilian und seinen manipulativen Onkel verliert die Erzählung jedoch ihre Ernsthaftigkeit und all die schwierigen Themen bleiben dabei nur oberflächlich. Die Liebesgeschichte weckte keinerlei Gefühle und Isabellas fieser Gegenspieler wirkte seifenopernartig lächerlich. Zu keinem Zeitpunkt entstand die Sorge, dass Isabellas kleiner Cupcake-Laden nachhaltig in seiner Existenz bedroht würde.
Positiv sind jedoch die Botschaften, die der Roman vermittelt: dass auf gute Freundinnen in der Not Verlass ist und dass ein geliebter Mensch durch Erinnerungen an ihn lebendig bleibt und im Herzen der Hinterbliebenen weiterlebt. Der bonbonfarbene Cupcake-Shop am Meer ist zudem ein süßes Setting, auch wenn die Heimeligkeit, die er vermitteln sollte, etwas zu kurz kam.

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Veröffentlicht am 07.07.2021

Unrealistische Handlung, machohafter Erzählstil und enttäuschend banale Auflösung

WATCH – Glaub nicht alles, was du siehst
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Nachdem ihr Vater gestorben ist und Tina in finanziellen Schwierigkeiten ist, nimmt sie ein dubioses Angebot ein, das ihr überraschend eröffnet wird. Sie soll für eine größere Summe für ein paar Wochen ...

Nachdem ihr Vater gestorben ist und Tina in finanziellen Schwierigkeiten ist, nimmt sie ein dubioses Angebot ein, das ihr überraschend eröffnet wird. Sie soll für eine größere Summe für ein paar Wochen in London leben, ohne Bezug zu ihrem bisherigen Leben herzustellen. Tina fällt dies in ihrer Situation nicht schwer und lässt sich bereitwillig darauf ein. Schnell findet sie durch Bezirzen ihres Aufsehers heraus, dass sie das Double einer Tochter eines kriminellen arabischen Clan mimen soll, was ihr jedoch bald zu heiß wird.
Europol vermutet, dass der Clan, der von deutschen Neonazis Sprengstoff erworben hat, einen Terroranschlag plant und ist dabei, den Verdacht mittels des Überwachungssystems "Watch" aufzuklären.

Nach einem spannenden Einstieg mit dem ominösen Jobangebot, das Tina offeriert wird, war ich wenige Kapitel später kurz davor das Buch abzubrechen. Da mich die unnötig vulgäre Sprache der Charaktere nervte und ich gelangweilt von belanglosen und völlig überflüssigen Sexszenen und Sexfantasien der Protagonisten war. Da ich aber dennoch wissen wollte, was es mit der Strategie der Araber auf sich hatte, eine Doppelgängerin für Clan-Tochter Alia zu engagieren, habe ich weitergelesen.
Die Perspektive wechselte sodann weg von der schlüpfrigen Tina zu den Ermittlern von Europol, die im Rahmen ihrer Ermittlung gegen den arabischen Clan auf das Double stoßen. Dabei benutzen sie eine das System Watch eine Gesichtserkennungssoftware gekoppelt mit einem Zugriff auf offenbar alle Kameras der Welt. Sie beobachten damit, wen sie ins System einspeisen und können dabei ganze Bewegungsbilder erstellen, ohne dass der Betroffene etwas davon merkt.
Dieses Szenario, in dem Datenschutz und realistische Polizeiarbeit keine Rolle spielten, erinnerte mich mehr an einen Science-Fiction-Roman als an einen spannenden, glaubwürdigen Thriller.

Ich hatte ganz andere Erwartungen an das Buch und die Rolle von Tina, konnte mich in keine der zahlreichen handelnden Personen hineinversetzen und fand weder eines der Opfer noch einen der Ermittler sympathisch. Die Verfolgung der Doppelgängerin ist zwar spannend, aber da die Methode so an den Haaren herbeigezogen ist, konnte mich die Geschichte nicht wirklich fesseln. Die Erklärung am Ende, wie alles zusammenhängt, ist im Vergleich zum fortwährenden Terrorismusverdacht enttäuschend banal, Tinas Rolle im Showdown fernab jeder Realität.
Das Frauenbild, das vor allem zu Beginn vermittelt wird, ist zum Davonlaufen, aber auch Klischees gegenüber anderen Ethnien wie Arabern und Asiaten werden allzu plakativ plattgetreten.
Die Arbeit von Europol, kriminelle Clan-Strukturen, korrupte Ermittler - all dies hätte zu einem spannenden Kriminalfall beitragen können. Der machohafte Erzählstil hat mir aber leider gar nicht zugesagt und auch die Handlung war für mich nicht stimmig.

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Veröffentlicht am 23.06.2021

Leere Worthülsen statt eines tief gehenden Familiendramas - am Ende haarsträubend kitschig.

Die Farbe von Glück
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Als die 30-jährige Ehefrau des Richters Jules nach mehreren Fehlgeburten ein Kind zur Welt bringt, ist die Freude darüber getrübt, denn das kleine Mädchen kann kaum atmen und scheint keine lange Lebenserwartung ...

Als die 30-jährige Ehefrau des Richters Jules nach mehreren Fehlgeburten ein Kind zur Welt bringt, ist die Freude darüber getrübt, denn das kleine Mädchen kann kaum atmen und scheint keine lange Lebenserwartung zu haben. Jules kann seine Frau nicht länger leiden sehen und zwingt deshalb in einer Kurzschlussreaktion die Krankenschwester Charlotte, das Neugeborene gegen ein gesundes, kräftiges Mädchen zu tauschen, das von Eltern stammt, die bereits zwei Kinder haben. Der Richter weiß, dass Charlotte ein Pflegekind hat, das sie liebt, aber nie offiziell adoptiert hat und erpresst sie, ihr den achtjährigen Antoine in seiner Funktion als Richter zu entziehen.
Beide schweigen sie jahrelang über die Entscheidung, die sie getroffen haben, plagen sich mit einem schlechten Gewissen und haben Schuldgefühle gegenüber den Mädchen und was sie der anderen Familie angetan haben. Jules Ehe zerbricht daran, bis er beschließt, sein Gewissen zu erleichtern und zu handeln. Charlotte hatte nach dem Kindstausch das Land verlasen und in Asien ein neues Leben angefangen. Sie hat nie über den Vorfall gesprochen und auch Antoine gegenüber verschweigt sie Details aus seiner Vergangenheit, die ihm zu dem machen, was er ist. Seine Mutter hatte ihn als kleinen Jungen im Stich gelassen und er konnte sie nie erklären, wie sie ihm das antun konnte.

Von dem Roman hatte ich mir aufgrund der verwerflichen Entscheidung, die aufgrund verschiedenster, verzweifelter Zwänge der Protagonisten getroffen wurde, ein spannendes Familiendrama erwartet. Weder die inhaltliche Darstellung der Geschichte noch die poetisch anmutende Erzählweise konnte mich jedoch überzeugen.

Der Beginn des Buches mit dem Verlassenwerden Antoines und dem Säuglingstausch ist tragisch und bewegend und ließ auf eine emotionale Geschichte hoffen. Der Schreibstil ist allerdings alles andere als unterhaltend und lebendig. Als Leser hat man das Gefühl, nur am Rande zu stehen und auf die Protagonisten aus der Distanz zu blicken. Diese blieben blass und entwickeln sich nicht weiter.
Man erfährt nur Fragmente aus deren Leben, ohne dass ihr Lebenslauf über die Jahre klar ersichtlich wird. Die Personen bleiben passiv und der Roman ohne packende Handlung. Stattdessen werden in den Dialogen, insbesondere zwischen Charlotte und Antoine, philosophisch anmutende Floskeln und Lebensweisheiten aneinandergereiht, die den Leser letztlich ermüden. Jules leidet und leidet und leidet bis er nach 20 Jahren endlich aufbricht, um zu handeln. Was ihn genau zu diesem Zeitpunkt bewegt hat, zu agieren, erschließt sich genauso wenig wie Charlottes jahrzehntelanges Schweigen über das Schicksal von Antoines Familie.
Diese unklare Motivlage ließ die Geschichte für mich unglaubwürdig erscheinen, nachdem ich es bereits schon unrealistisch empfunden habe, dass Charlotte sich in keiner Weise gegen den Tausch der Babys wehrt, dem Richter nicht ins Gewissen redet oder nach der schicksalhaften Nacht noch ins Geschehen eingreift.

Der Roman enthielt mir entschieden zu viele leere Worthülsen statt einer spannenden und vor allem tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den Themen Schuld und Sühne. Die Vermittlung eines Strebens nach Glück ging komplett an mir vorbei und das kitschige Ende empfand ich geradezu haarsträubend und schon fast eine Beleidigung des Lesers, nach der Ankündigung des Verlags als "weisen, großartigen Roman".

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Veröffentlicht am 22.05.2021

Verlassene Kinder in einem Dorf - wer, wann, wo, weshalb erschließt sich nicht. Eine Dystopie, die mehr Fragen als Antworten aufwirft.

Wir verlassenen Kinder
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In einem Dorf sind nur noch wenige Häuser bewohnt. Die allermeisten Erwachsenen hab es verlassen, übrig geblieben sind die Kinder und ein paar wenige Großeltern, die sich noch so gut es geht, um sie kümmern. ...

In einem Dorf sind nur noch wenige Häuser bewohnt. Die allermeisten Erwachsenen hab es verlassen, übrig geblieben sind die Kinder und ein paar wenige Großeltern, die sich noch so gut es geht, um sie kümmern. Die Erwachsenen haben das Dorf verlassen, um in der nächsten Stadt Arbeit zu finden. Offenbar schwelt ein Konflikt, der sich zu einem Krieg ausweiten könnte.
Die Kinder sind zunehmend auf sich alleingestellt. Die Pakete aus der Stadt und auch die Nahrungsmittel werden weniger. Die Kinder beginnen damit ihre eigenen Regeln aufzustellen, denn ohne einen geregelten Tagesablauf herrscht keine Struktur mehr. Mila, die Tochter des Bürgermeisters, der immer noch die Stellung hält, beugt sich nicht den Regeln. Sie glaubt nicht mehr daran, dass die Erwachsenen zurückkehren werden, bricht in leerstehende Häuser ein und bedient sich dort an den Utensilien. Das erzürnt die anderen Kinder und macht sie zur Außenseiterin. Mila bleibt jedoch standhaft. Ihr Traum ist es, Lehrerin zu werden und die Kinder zu unterrichten, um ihnen eine Perspektive zu geben.

Der Roman ist aus der Sicht der Kinder - ein kollektives "Wir" - aus der Perspektive von Mila und vereinzelten Erwachsenen geschildert, die auch rückblickend von der Zeit im Dorf berichten. Dabei kommt insbesondere die Brutalität der Kinder zutage, die so erschreckend ist, dass man sich fragt, ob es nicht die Kinder gewesen sind, die die Eltern vertrieben haben.

Das Dorf ist fiktiv und es ist nicht möglich, die Situation einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort zuzuordnen. Fakt ist nur, die Kinder wurden verlassen und je weniger Erwachsene übrig sind, desto weniger kommen die Kinder mit der Situation zurecht. Warum die Eltern das Dorf wirklich verlassen hab, ob tatsächlich irgendwo Krieg herrscht und warum sich aus der Stadt oder Regierung niemand darum kümmert, ist unklar. Auch die Rolle des Bürgermeisters, der zumindest die Funktion eines Regierenden hat, ist hinreichend unbestimmt.

"Wir verlassenen Kinder" ist eine Dystopie, die auf wenigen Seiten in einer bildhaften, metaphorischen Sprache ein düsteres Szenario zeichnet. Da der Hintergrund des Verlassenwerdens im Dunkeln blieb, hatte ich Schwierigkeiten, Gefallen an der Geschichte zu finden. Auch fand ich schade, dass die Protagonisten, insbesondere die verbliebenen Kinder, namenlos blieben, obwohl man aufgrund der geringen Anzahl an Personen einige Charaktere hätte hervorheben und ihnen ein Gesicht geben können. So gab es nur Mila und ein anonymes "Wir". Dabei empfand ich es als unrealistisch, dass sich innerhalb des Wir keine Struktur herausbildete. Es gab keine erkennbare Gruppendynamik oder Rollen, die die Kinder typischerweise eingenommen hätten.
Die Geschichte ist zudem weder spannend noch empathisch erzählt. Das Dorf, das im luftleeren Raum zu schweben scheint, und die Einzelschicksale bewegen nicht. Am Ende bliebt dem Leser ein enormer Interpretationsspielraum hinsichtlich der Sinnhaftigkeit dieser Parabel (?). Ich hatte mehr Fragen als Antworten.

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