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Veröffentlicht am 09.07.2021

Angst ist das beste Gift

Das perfekte Gift
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Nur in James Bond-Filmen ist die Welt der Agenten stylish, elegant und spektakulär, möglicherweise sogar mit Begriffen von Gut und Böse arbeitend. In den Romanen eines John Le Carré kommt das Milieu der ...

Nur in James Bond-Filmen ist die Welt der Agenten stylish, elegant und spektakulär, möglicherweise sogar mit Begriffen von Gut und Böse arbeitend. In den Romanen eines John Le Carré kommt das Milieu der Schlapphüte schon wesentlich desillusionierter daher und es ist wohl kein Zufall, dass happy ends in seinen Büchern eine Seltenheit sind. Sergej Lebedew hat mit seinem Roman "Das perfekte Gift" die Welt der Gegenspieler des "Circus" in den Mittelpunkt gestellt.

Auch wenn es sich nicht um einen klassischen Agententhriller handelt, geht es um die Geheimdienste und ihre Diener - seien es Wissenschaftler, die sich in den Dienst des Systems stellen, seien es die Vollstrecker und Folterknechte, die für die "wet operations" zuständig sind. In diesem Buch sind die wahren Killer allerdings klein, unscheinbar und aus den geheimen Forschungslaboren entnommen.

Lebedew zeigt in seinem mit 263 Seiten eher schlanken Roman den langen Schatten Stalins, doch zugleich hat er mit Giftmorden ein Thema voller Aktualität gewählt - man denke nur an Litwineko, Poroshenko, Nawalny usw.

Gleich zu Beginn des Buches erwischt es den Überläufer Wyrin. Der hat sich bislang erfolgreich verborgen mit einer Biographie, "die Meister der Lüge für ihn erdacht hatten" - nicht nur mit einem neuen Gesicht, sondern mit einer anderen Sprache, anderen Gewohnheiten, ja selbst die Träume, so schreibt Lebedew, waren andere. Nur die Allergie gegen Insektenstiche ist geblieben. Und als ihm bei einem Restaurantbesuch Wespengift verabreicht wird, ist der einzige Patzer in Vorgehen der Killer, dass der sterbende Wyrin einem Kellner noch zuflüstern kann, dies sei Mord.

Die westlichen Geheimdienste brauchen Beweise - und wer weiß mehr über die geheimen Stoffe als einer ihrer Väter, der Chemiker Kalitin, der sich vor Jahren ebenfalls in den Westen abgesetzt hat und untergetaucht ist. Seine einstigen Oberen schicken zwei Agenten aus, die Kalitin endgültig zum Schweigen bringen sollen. In seinem Roman lässt Lebedew die Handlung zwischen Kalitin und dem KGB-Oberstleutnant Schernjow und der Vergangenheit beider Männer wechsel. Führte Kalitin seit seiner Kindheit während des Stalinismus ein geradezu behüteten Leben in einer abgeschlossenen, geheimen Stadt, ist Schernjow schon immer ein Mann für die blutige Arbeit gewesen, der bei Verhören seiner eigenen Lust an der Gewalt nachgehen konnte. Doch auch Kalitin hat Blut an den Händen, wurden doch für seine Forschung an biochemischen Stoffen Experimente an Gefangenen durchgeführt. Die "Gliederpuppen" wurden diese Todeskandidaten in den Protokollen genannt.

Die Welt in Lebedews Roman ist eine voller Paranoia: Die Jäger wissen nie, ob ein politischer Richtungswechsel nicht auch sie zu Gejagten macht, ob der Kollege nicht eigentlich derjenige ist, der sie bespitzeln, Zweifel säen soll. Kein Wunder, dass ihr ganzes Verhalten auf die ewige Furcht vor Verrat ausgerichtet, ihre Existenz gewissermaßen selbst vergiftet ist: "Aber ihre spezifische Sprache - ausgeklügelt und voller berufsmäßiger Euphemismen - ermöglichte es ihnen, Sätze nicht zu Ende zu sprechen und so zu konstruieren, dass sie sowohl als Gewissheit wie auch als Zweifel ausgelegt werden konnten ." Denn man weiß ja nie....

Der Chemiker Kalitin hat sich der Welt der Geheimnisse entzogen, hütet nur noch das eigene. Doch er weiß - was in den geheimen Laboren ersonnen wurde, ist immer noch tödliches Wissen, das jederzeit reaktiviert werden kann, "wenn schon die gute alte Jagd auf Menschen neu begonnen hatte". Der Chemiker kann die Zeichen lesen, wenn seine Stoffe und die seiner Kollegen wieder in Aktion treten, "Weit verstreut hinterließen sie unerklärliche Todesfälle, nachgewiesene Attentate,Unfälle"

Und der Wissenschaftler, anders als seine Häscher nicht von der Liebe zur rohen Gewalt angetrieben, kann über das System und seine Rolle darin ganz anders reflektieren als Schernjow, der nur darüber nachdenkt, ob sein Co-Agent ihn beobachten soll und heimlich Berichte über ihn anfertigt.

"Kalitin wusste, dass er nicht nur einfache, in Ampullen verpackte Mordwaffen erzeugt hatte. Er hatte Angst erzeugt. Ihm gefiel der paradoxe, aber einleuchtende Gedanke, dass Angst das beste Gift ist. Die beste Vergiftung ist jene, bei der sich jemand selbst vergiftet."

Wird der "Debütant", der tödliche Stoff, den Kalitin mit ins Exil nahm und der seine eigene Ehefrau bei einem Experiment tötete, die Besitzer wechseln oder gar für einen Anschlag eingesetzt? Kann sich Kalitin seinen Häschern entziehen, die vom Wetter über Autoprobleme bis hin zu Magenproblemen aeine Mission voller Widerstände erleben? Und welche Rolle spielt der Landpfarrer, der immer wieder das Gespräch mit Kalitin sucht?

"Das perfekte Gift" ist düster und voll vergifteter Atmosphäre mit allgegenwärtiger Paranoia. Dabei gelingt es Lebedew, nachvollziehbar zu erzählen, wie Wissenschafler sich in den Dienst von Zerstörung und tödlicher Forschung stellten und wissenschaftliche Neugier und Forschungsgeist ihre Unschuld verlieren. Sein Buch ist ausgesprochen spannend zu lesen. Wer Le Carrés Romane und Dürrenmatts "Physiker" mag, wird auch "das perfekte Gift" genießen.

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Veröffentlicht am 06.07.2021

Schachtalent zwischen Genie und Abgrund

Das Damengambit
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Nein, das ist nicht das Buch zur Serie. Walter Trevis, der Autor von "Damengambit", starb im Jahr 1984. Den Erfolg seines Romans als Netflix-Serie hat er, ebenso wie Netflix, Streaming, Serienbinging ...

Nein, das ist nicht das Buch zur Serie. Walter Trevis, der Autor von "Damengambit", starb im Jahr 1984. Den Erfolg seines Romans als Netflix-Serie hat er, ebenso wie Netflix, Streaming, Serienbinging und andere Erscheinungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr erlebt. Mit seiner Hauptfigur Beth Harmon hatte er allerdings einiges gemeinsam: die Liebe zum Schach und das Suchtverhalten. Kann er gerade deshalb so nahe herankommen mit seinem Blick auf selbstzerstörerisches Verhalten, auf Pillenkonsum und Alkohol zum Frühstück?

Wer Damengambit liest, ist sicherlich im Vorteil, wenn er oder sie wenigstens Grundkenntnisse im Schachspielen hat. Ich weiß vom Spiel der Könige gerade mal so viel, dass die Dame die wichtigste Figur ist und sich auch Bauern, Türme, Springer und ein König auf dem Brett tummeln. Nein, Ahnung haben sieht anders aus.

Doch auch, wenn sich mir die Raffinesse von Schachduellen somit leider nicht voll erschließen kann, habe ich "Damengambit" sehr gerne gelesen. Denn mit Beth Harmon hat das Buch eine Protagonistin zwischen Genie und Abgrund, mit einer berührenden Geschichte und unglaublichem Ehrgeiz. Wie leicht könnte ein Autor hier in Kitsch abgleiten mit der Geschichte eines Waisenkindes, mit Pillen ruhiggestellt, das beim Hausmeister im Keller des Waisenhauses zum ersten Mal ein Schachbrett sieht und sofort von dem Spiel fasziniert ist.

Geradezu spröde, ohne jede Gefühlsduselei beschreibt Trevis den tristen Alltag im Heim, das viel zu frühe Wohlgefallen an den Pillen, die zwar irgendwann mal von den Behörden verboten werden, auf die Beth aber mittlerweile nicht mehr verzichten will. Als sie im Alter von zwölf Jahren adoptiert wird, hat das Mädchen aus Kentucky gerade mal an der örtlichen high School gespielt, doch als ihre Adoptivmutter merkt, dass Schachturniere auch erhebliche Preisgelder einbringen können, unterstützt sie Beth´s Ambitionen.

Doch so obsessiv die Begeisterung von Beth für das Schachspiel ist, so obsessiv ist auch ihr Umgang mit Beruhigungsmitteln und Alkohol. Zerstört sie ihr Potential, ehe sie es überhaupt entwickeln kann? Kann sie dem intuitiven Zugang zum Spiel eine Tiefe hinzufügen, die sie bei Begegnungen mit den Großmeistern des Spiels braucht, ganz besonders den Russen? Das amerikanische Schachtalent ist in Zeiten des Kalten Krieges plötzlich selbst eine Figur auf dem Brett der Großmächte - dabei will sie doch nur Schach spielen.

Autor Trevis schafft es, bei Beschreibung von Schachpartien und der Vorbereitung Beths auf Turniere die Partien so zu beschreiben, dass auch Schachlaien in das Spiel gezogen werden. Intelligenz, mentale Stärke und Kampfgeist machen die Begegnungen zu echten Duellen voller Spannung. Mir ist es jedenfalls schwer gefallen, das Buch aus der Hand zu legen.

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Veröffentlicht am 04.07.2021

Ein Kaleidoskop voller Schmerz und Suche nach Versöhnung

Apeirogon
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Der Autor selbst spricht von einem Hybrid-Roman. Mehr als 1000 Kapitel, die manchmal nur ein Gedankensprengsel, ein Satz sind. "Apeirogon" vom Colum McCann ist ein Kaleidoskop des Nahostkonflikts, der ...

Der Autor selbst spricht von einem Hybrid-Roman. Mehr als 1000 Kapitel, die manchmal nur ein Gedankensprengsel, ein Satz sind. "Apeirogon" vom Colum McCann ist ein Kaleidoskop des Nahostkonflikts, der verschiedenen Lebenswelten in Israel, ganz abhängig davon, in welche Religion, ethnische Gruppe, Region jemand hineingeboren wurde. Und dennoch gibt es diese enorme, lebenserschütternder Gemeinsamkeit, die der Palästinenser Bassam, geboren in einer Höhle bei Hebron, und Rami - väterlicherseits Sohn eines ungarischen Holocaust-Überlebenden, müttericherseits Jerusalemer in der siebten Generation, miteinander teilen: Sie sind verwaiste Eltern, jeder von ihnen hat eine Tochter gewaltsam verloren. Ramis Tochter Smadar starb im Alter von 13 Jahren in einer Jerusalemer Einkaufsstraße, als sich drei Selbstmordattentäter in die Luft sprengten. Abir, die zehnjährige Tochter Bassams, wurde von dem Gummigeschoss eines israelischen Soldaten in den Schädel getroffen, als sie sich in der Schulpause im Laden gegenüber Süßigkeiten kaufte.

So sehr McCann verändert, hinzugefügt, fiktive Szenen geschaffen und eigene Gedanken hinzugefügt hat: Die Geschichten von Abir und Smadar sind wahr, die Freundschaft ihrer Väter, buchstäblich in Schmerz und Trauer geboren, ebenso. Bassam hatte sieben Jahre in einem israelischen Gefängnis gesessen, weil er alte Handgranaten auf israelische Militärfahrzeuge geworfen hatte. Da war er 17. Die Erfahrung von Misshandlungen und Gewalt verstärkte nur den noch vorhandenen Hass. Als er eine Dokumentation über den Holocaust sah, konnte er erstmals das Leid erkennen, dass vor der Staatsgründung Israels gelegen hatte. Rami war nach Smadars Tod nur widerwillig einer Einladung zum Parents Circle gefolgt. Als er eines Palästinenserin mit dem Bild ihrer toten Tochter sah, erkannte er, dass der eigene Schmerz auch auf der "anderen Seite" bekannt ist.

In "Apeirogon" gibt es vielfältige Betrachtungen, zu Vögeln und zu Musik, zu ausgedörrten Landschaften und längst nicht alles davon spielt für die Handlung eine Rolle. Am eindruckvollsten sind die Szenen, die sich um das Leben von Bassam und Rami und ihren Familien drehen, das durch den Tod von Smada und Abir aus der Bahn geworfen wird, in denen es um den Schmerz geht, der nicht vergeht. und den Weg zu der Entscheidung, nicht zu hassen, sich für ein friedliches Miteinander und eine Aussöhnung einzusetzen. Zu reden, egal wie oft sie niedergeschrien werden, "Es ist erst vorbei, wenn wir miteinander reden" steht auf einem Aufkleber an Ramis Motorrad.

Eine Analyse des Nahostkonflikts, das kann und will der Autor nicht bieten. Statt dessen stellt er Fragen. Wie kann man weiterleben nach dem Verlust eines Kindes? Wie kann man wieder Frieden finden - mit sich, aber auch mit anderen? Und klar: Rami und Bassam stehen in ihren jeweiligen Gemeinschaften für eine Minderheit. In einer Gesellschaft, in der Gewalt oder zumindest die Gefahr von Gewalt allgegenwärtig ist, ist es nun mal leichter, an den Mauern, Vorurteilen und Verurteilungen der anderen Seite festzuhalten. Aber gerade deshalb ist die Stärke des Ramis und Bassams dieser Welt, die sich mit Hass nicht abfinden wollen, um so beeindruckender.

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Veröffentlicht am 01.07.2021

Menschliche und andere Abgründe

Tiefer Fjord
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Eine Rezension über Ruth Lillegravens Buch "Tiefer Fjord" zu schreiben, ist nicht ganz einfach - und das liegt keineswegs daran, dass mit dem Buch etwas nicht stimmt, im Gegenteil. Es hat mich von Anfang ...

Eine Rezension über Ruth Lillegravens Buch "Tiefer Fjord" zu schreiben, ist nicht ganz einfach - und das liegt keineswegs daran, dass mit dem Buch etwas nicht stimmt, im Gegenteil. Es hat mich von Anfang an gefangen genommen und in Atem gehalten. Doch wie über die Essenz dieses Romans zwischen Thriller und Krimi schreiben, ohne zu spoilern? Denn ein "Whodunnit" ist dies keineswegs, sehr schnell schon ist klar, wer für mehrere Todesfälle verantwortlich ist. Doch wer muss noch dran glauben, wer ist wem auf der Spur und wie werden sich Liebe, Schuld, Loyalität und Verrat schließlich auseinanderdividieren?

Der Titel ist jedenfalls Programm. Nicht nur, weil ein Fjord in Westnorwegen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart der Romanhandlung eine Rolle spielt, es geht auch um innere Abgründe in einer scheinbar heilen Welt, um Schuldzuschreibungen und Sterotypisierungen, um glatte Fassaden und politische Ränkespiele. Insofern ein sehr skandinavischer Krimi, der Spannung und reale Missstände verbindet.

Das große Thema ist häusliche Gewalt, Kindesmisshandlung. Der Arzt Haavard hat in der Klinik immer wieder damit zu tun, seine Frau Clara arbeitet im Justizministerium einen entsprechenden Gesetzesentwurf aus, den sie auch gegen politische Widerstände unbedingt durchsetzen will. Als ein kleiner Junge, angeblich vom Baum gefallen, an seinen schweren und den Ärzten verdächtigen Verletzungen stirbt, wird sein Vater kurz danach im Gebetsraum der Klinik erschossen.

Die Autorin präsentiert zunächst mehrere mögliche Verdächtige, die zudem alle aus der Ich-Perspektive erzählen. Doch es ist Haavard, der nach einem weiteren gewaltsamen Todesfall festgenommen wird. Er beteuert seine Unschuld. Clara muss schon allein wegen ihrer plötzlich bedrohten politischen Karriere zu ihrem Mann stehen, auch wenn das Verhältnis zwischen den beiden schon lange in Lieblosigkeit erstarrt ist.

Hat die Polizei ein unschuldiges Opfer falsch platzierter Hinweise festgenommen oder einen durchtriebenen Täter? Geschieht es den Opfern nicht irgendwie recht? Was haben all die anderen Ich-Erzähler zu verbergen, die theoretisch auch die Taten hätten begehen können? Welche Bedeutung spielt Claras Vergangenheit sowohl für ihr Engagement als auch für den Fall? das soll hier natürlich nicht verraten werden, aber Lillegraven schafft es, Misstrauen zu säen und in Abgründe blicken zu lassen. Die grandiose Fjordlandschaft mit zerklüfteten Bergen und eiskaltem Wasser, mit den Wirbeln und Strömungen steht dabei auch für die Zerrissenheit der Hauptfiguren. Heile Welt? Nein, überhaupt nicht, aber ein spannendes und fesselndes Buch, dass ich einfach nicht aus der Hand legen konnte.

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Veröffentlicht am 24.06.2021

Identitätssuche voller Wut und Zärtlichkeit

Die jüngste Tochter
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"Die jüngste Tochter", der Debütroman von Fatima Daas ist im vergangenen Monat erschienen, aber er passt noch besser in den Juni, den Pride-Monat der LGBTQI-Community. Fatima Daas ist ein Pseudonym, und ...

"Die jüngste Tochter", der Debütroman von Fatima Daas ist im vergangenen Monat erschienen, aber er passt noch besser in den Juni, den Pride-Monat der LGBTQI-Community. Fatima Daas ist ein Pseudonym, und hat mit ihrer gleichnamigen Ich-Erzählerin viel gemeinsam: Sie ist die Tochter einer algerischen Einwandererfamilie, und sie ist lesbisch. Sie ist auch eine gläubige Muslima - und ringt um eine Vereinbarkeit ihrer Religion und ihrer auch von ihr selbst als sündig wahrgenommenen Lebensweise.

Eine Autobiografie oder Literatur mit autobiografischen Elementen? Auf jeden Fall ein eindrücklicher Roman mit einer Sprache voller Wut und Zärtlichkeit, zwischen dem Aufbegehren eines in der Schule auffälligen Mädchens aus der Vorstadt und der schreibenden jungen Frau, die nicht nur ihre Rolle in der Metropole Paris sucht, sondern ihre verschiedenen Leben miteinander versöhnen will.

Geradezu meditativ, wie die Perlen einer Gebetskette, wie die Sätze der Koransuren und Gebetsrufe ist die immer wiederkehrend Wiederholung ihres Namens und seiner Bedeutung: "Ich heiße Fatima", Fatima, wie die jüngste und liebste Tochter des Propheten. Die jüngste der Familie ist auch sie, die erste, die in Frankreich geboren wurde, diejenige, die dort schon mehr heimisch ist als im Geburtsland der Eltern, wo die Großmutter bereits Schwierigkeiten hat, sie zu verstehen, weil sie den algerischen Dialekt nur fehlerhaft beherrscht. Ihr Arabisch ist das der Ban-lieus.

Gesprochen wird aber nicht viel in ihrer Familie. Die Mutter flüchtet sich in Haushalt und Kochen, die beiden älteren Schwestern proben früh den Ausbruch, da der Vater sie brutal schlägt. Fatima bleibt davon verschont, sie ist zwar nicht der ersehnte Sohn, aber der Vater behandelt sie wie einen Jungen. Das macht es ihr später zunächst leichter - ihre burschikose Kleidung, die Freundschaft fast nur mit Jungen - das fällt zunächst nicht auf. Ihre beste Freundin ist anfangs die einzige, die weiß, dass Fatima Frauen liebt, bei der sie über Frust und Lust reden kann, die sie akzeptiert und bestärkt.

Fatima sucht Intimität, kann sich aber selbst nur schwer hingeben. Sie sucht Nähe und hält Distanz, auch, indem sie Parallelbeziehungen pflegt. Sie will ihre Sexualität ausleben und leidet unter Schuldgefühlen, sucht das Gespräch mit Imamen, auch hier nur mit Distanz, nach dem Motto "Ich habe eine gute Freundin, die liebt anders als normal."

Diesen Zwiespalt, die Zerrissenheit, die Probleme, sich selbst mit ihrer Homosexualität anzunehmen, berühren, stehen im Gegensatz zu dem brachialen Umgang, den sie als Jugendliche im Umgang mit Lehrern und als schwach empfundenen Mitschülern zeigte. Die kurzen Sätze, die unsentimentale Sprache, Direktheit und Verletzlichkeit prägen dieses Buch einer doppelten Identitätssuche. Ein Debüt, das neugierig macht auf mehr von Fatima Daas .

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