Zynisch, aktuell, voll ins Schwarze
Wir werden in die Geschichte eingelassen am absoluten Tiefpunkt von Maximilian Wenger. Abgeladen in einer neuen Wohnung, umgeben von unausgepackten Umzugskartons, weil die Frau den Verbrauchten nicht mehr ...
Wir werden in die Geschichte eingelassen am absoluten Tiefpunkt von Maximilian Wenger. Abgeladen in einer neuen Wohnung, umgeben von unausgepackten Umzugskartons, weil die Frau den Verbrauchten nicht mehr wollte und sich einen Jüngeren genommen hat, den Kindern mittlerweile genauso entfremdet wie seinem einstigen Erfolg. Wenger ist Schriftsteller, der sich für einen unverstandenen Avantgardisten hält und doch ein Ewiggestriger ist, seinen früheren Glanzzeiten nachtrauernd. In seinem persönlichen Chaos hält allein seine Schwester Ordnung, die ab und zu vorbeikommt und ihn mit vorgekochtem Essen versorgt sowie die Wohnung putzt.
Wengers vergangener Erfolg beruht auf Stimmen von mit ihm bekannten Frauen, die seine Geschichten antreiben. Er selbst offenbart sich im Laufe des Buches als jemand, der die Frauen so wenig kennt wie seine eigenen Kinder. Parallel eröffnet sich uns nämlich ein Zugang zu seiner Tochter Zoey, die aus der momentanen und früheren Familiensituation erzählt. In ihrem jungen Leben hadert sie mit vielem; dem abwesenden Vater, der selbstzentrierten Mutter, die aus Zoey gerne ein socialmediales Ebenbild schaffen würde, einer unerfüllten Liebe.
Zum Leben erwacht Wenger erst wieder, als ein Brief, adressiert an den Vormieter, bei ihm eintrifft. Seiner Neugier folgend öffnet er das Kuvert und labt sich an den leiderfüllten Worten einer enttäuschten Frau, die an ihre frühere Liebe schreibt. Im Laufe der nächsten Wochen erreichen ihn weitere Briefe, die er ebenfalls gierig öffnet. Durch sie inspiriert fängt er wieder an zu schreiben und beutet ihren Gram auf eine perfide Weise aus auf seinem Weg zurück an die literarische Spitze.
Zoey wird eines Abends in eine furchtbare Situation gezwungen. Als sie dann auch noch erfährt, dass ihr Vater die Briefe der fremden Frau gnadenlos ausnutzt, bricht aus ihr eine Stimme hervor, die das Verhalten der Männer verurteilt sich zu nehmen, was immer sie auch wollen, für die andere und deren Schicksal nur etwas ist, aus das man Gewinn schlagen muss. Man fragt sich bis zuletzt, ob wenigstens anhand der eigenen Tochter eine Veränderung im Wenger vorgeht.
Mareike Fallwickl platziert unterschiedliche Frauen in ihrem Buch, von denen mein Eindruck ist, dass sie allesamt wie ein Kaleidoskop von Wenger verzerrt werden, denn sie richtig zu erfassen und verstehen bleibt ihm durch gepflegte Vorurteile und seinem männlichen Narzissmus völlig verwehrt. Er ist ein blinder Spiegel, der die ihm begegnenden Frauen nicht darzustellen vermag, und der doch meint, dass er alles durchschaut.
Mit ihrem Protagonisten hat sie eine Figur in ihren Roman gesetzt, der ohne die Frauen, die ihn in seinem Leben berührt haben, nicht Geltung kommt und völlig von ihnen abhängig ist.