Herrliche Sprache, aber zu viele Längen und Namedropping
Flucht nach Patagonien„Flucht nach Patagonien“ zeichnet sich durch eine wundervolle Sprache aus und widmet sich zudem einem – zumindest mir – unbekannten Sujet. Weder Eugenia noch Jean-Michel, die wir hier im Jahr 1937 nach ...
„Flucht nach Patagonien“ zeichnet sich durch eine wundervolle Sprache aus und widmet sich zudem einem – zumindest mir – unbekannten Sujet. Weder Eugenia noch Jean-Michel, die wir hier im Jahr 1937 nach Patagonien begleiten, waren mir bisher bekannt, auch Patagonien selbst ist eine fremde Welt für mich.
Im ersten Drittel des Buches lernen wir Jean-Michel dadurch kennen, dass er die Schiffsreise von Europa nach Südamerika nutzt, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Die empfindsame, kunstvolle Sprache hat mich, wie der verletzliche Jean-Michel selbst, gleich in ihren Bann gezogen, obwohl Jean-Michels Lebensgeschichte distanziert, fast berichtartig erzählt wird. Es gibt herrliche Formulierungen und die herrschaftliche Welt der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg steigt farbenprächtig vor uns auf, ebenso wie die Ausschweifungen und kulturellen Umwälzungen der 20er Jahre. Die immer wieder durchblitzenden dunklen Anklänge haben mir besonders gut gefallen. „Ich bin alleine in einem dunklen Tunnel“ ist eine der Äußerungen, welche einer der Charaktere kurz vor seinem Suizid macht. Vieles in dieser Hinsicht bleibt Andeutung, die distanzierte Erzählweise führt zudem dazu, dass mir die meisten Charaktere eher fremd blieben.
Das erste Drittel des Buches widmet sich auf diese Art Jean-Michels Leben vor 1937 und obwohl die Erzählung eher ruhig dahinfließt, habe ich die Lektüre genossen, insbesondere wegen der herrlichen Sprache. Es gab einige Längen, gerade die ausführlichen Details zur Jean-Michels Profession, der Innenarchitektur, wurden ermüdend. Auch fand ich es anstrengend, dass die Autorin den Drang hat, möglichst viele bekannte Namen in das Buch zu quetschen. Man merkt, daß diese oft um ihrer selbst Willen erwähnt werden und zur Geschichte nichts beitragen. Insgesamt bin ich aber gerne in Jean-Michels Leben und jene Zeit eingetaucht.
Der mittlere Teil des Buches widmet sich dem Aufenthalt in Buenos Aires und Patagonien. Hier nahm mein Lesevergnügen über weite Teile hin ziemlich ab, denn nun häufen sich die beiden Punkte, die vorab nur ein wenig störten: die Längen und die Fülle berühmter Namen. Wir begleiten Jean-Michel und Eugenie von einem glänzenden Abendessen zum nächsten, werden mit sich stark ähnelnden Details prächtiger Häuser und illustrer Personen geradezu überschüttet. Das wurde leider schnell langweilig. Die Autorin verliert sich allgemein sehr in Details, was in diesem Teil zu vielen Längen führt. Auch tauchen hier plötzlich so viele neue Namen auf, daß man sie kaum noch zuordnen kann. Hier zeigen sich auch die Nachteile der distanzierten Erzählweise – die Charaktere bleiben einem fremd. Ich mußte ein wenig schmunzeln, als später im Buch erwähnt wird, daß Jean-Michel von Dalis „Namedropping ohne Ende“ genervt ist, denn bei der Lektüre des Buches ging es mir häufig genauso. Ich hätte das Buch wesentlich mehr genossen, wenn es sich auf die Geschichte Jean-Michels und Eugenias sowie eines ausgewählten Umfelds konzentriert hätte, ohne bei jeder sich bietenden Möglichkeit lauter Namen in die Geschichte zu werfen, welche diese eher verwässern als bereichern.
Der Aufhänger der Geschichte, das Grandhotel, war für mich eigentlich der am wenigsten interessante Aspekt, was aber auch daran liegen kann, daß er in zu viel Drumherum unterging. Interessant waren die zeitgeschichtlichen Aspekte, auch wenn ich an manchen Stellen etwas irritiert war – so scheint der Name „Eva Braun“ den Charakteren 1937 schon ein Begriff zu sein, was ich mir eher weniger vorstellen kann. Dahingegen wird Hollywood als kleines Dorf bezeichnet, das sicher noch bekannt werden wird, dabei war Hollywood Ende der 30er bereits weltweit ein Begriff. Allgemein aber scheint der historische Hintergrund ausgezeichnet recherchiert, auch eine ausführliche Literaturliste am Ende des Buches weist darauf hin. Jean-Michels Fluchthilfe für Juden ist z.B. ein interessanter Aspekt, der mehr Raum verdient hätte als das ganze Namedropping.
Das letzte Drittel des Buches beleuchtet Jean-Michels Geschichte nach 1937, leider etwas knapp (bzw. für mich ungünstig gewichtet – hier werden wieder zu viele andere Leute hineingepackt) und berichtartig. Hier kann aber auch wieder die schöne Sprache erfreuen, ebenso wie die tiefe Melancholie und Endzeitstimmung, welche die Nazis und der Zweite Weltkrieg mit sich bringen. Das Ende berührt. Ein Epilog berichtet über weitere Schicksale der Charaktere – von denen mir einige völlig fremd geblieben sind.
„Flucht nach Patagonien“ war in jedem Fall ein Leseerlebnis. In herrlichem Stil habe ich hier viel erfahren, konnte in eine andere Welt eintauchen. Hätte die Autorin sich an das Prinzip „weniger ist mehr“ gehalten, dem Jean-Michel seine Innenarchitektur widmete, wäre es ein überragendes Buch geworden.