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Veröffentlicht am 20.07.2021

Manchmal muss man weit reisen, um zu erkennen, was doch so naheliegt - leichte, kurzweilige Liebesromanze mit trauriger Vorgeschichte

Irgendwo ist immer irgendwer verliebt
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„Du hast mir erzählt, dass du dich wiederfinden wolltest, aber du musstest gar nicht gehen, um dich zu finden, Chelsea. Du musstest gehen, damit ich dich finden konnte.“

Chelseas Vater möchte wieder heiraten. ...

„Du hast mir erzählt, dass du dich wiederfinden wolltest, aber du musstest gar nicht gehen, um dich zu finden, Chelsea. Du musstest gehen, damit ich dich finden konnte.“

Chelseas Vater möchte wieder heiraten. Und das, obwohl er seine Verlobte Sheri gerade mal zwei Wochen kennt. Chelsea ist entsetzt, sie kann ihre Mutter nicht vergessen, die vor sieben Jahren an Krebs starb. Doch dann wird Chelsea klar, dass ihr Leben seit dem Tod ihrer Mutter eigentlich gar nicht richtig stattfand. Sie beschließt, sich eine Auszeit zu nehmen, um die Liebe wiederzufinden. In Irland, Paris und in der Toskana möchte sie die drei Männer treffen, die sie während ihrer Europareise kurz vor dem Tod ihrer Mutter so glücklich gemacht haben. Ob einer von ihnen immer noch der Richtige für sie ist?

Autorin Jenn McKinlay schreibt flüssig, klar und nachvollziehbar aus Sicht ihrer Protagonistin Chelsea in Ich-Form. Anfangs wirkt Chelsea noch recht distanziert, unnahbar und steif, blieb mir daher noch etwas fremd, aber im Verlauf der Geschichte gelang es mir immer besser, mich in Chelsea und ihre Geschichte hineinzuversetzen.

Chelsea hat ein großes Problem, das ihre Schwester Annabelle auf den Punkt bringt: „Nachdem Mom gestorben ist, hast Du Dich zurückgezogen und nie damit aufgehört. Ich erkenne dich nicht mehr wieder. Du lässt keinen mehr an dich ran.“ Während andere leben, hat Chelsea bloß das Gefühl auf der Stelle zu treten. Chelsea will sich ändern: „Ich möchte die optimistische, fröhliche, abenteuerlustige Frau sein, die ich einmal war. Ich will nicht der emotionslose Zombie sein, zu dem ich geworden bin.“
Drei Männer, der irische Barkeeper Colin, der Pariser Modeschöpfer Jean Claude und Weinbauer Marcellino aus Italien gaben Chelsea auf ihrer Europareise, während der sie so glücklich war, das Gefühl, geliebt zu werden und lieben zu können. Ob die drei ganz unterschiedlichen Männer, Chelsea während ihrer Reise zurück ins Leben bringen? Und dann gibt es da noch ihren Kollegen Jason, den Chelsea eigentlich ziemlich nervtötend findet, der sich aber nun auffällig für sie zu interessieren scheint.

Findet Chelsea ihr Liebesglück? Und wenn ja mit wem und wo?
Chelseas Europatour ist ziemlich spannend, mitreißend und mit einigen Missverständnissen, Enttäuschungen, Unwägbarkeiten, Überraschungen, traurigen und rührenden Momenten, aber auch lehrreichen Erfahrungen gepflastert. Ihr Gesprächspartner hat durchaus recht, wenn er meint „Du bist so beschäftigt damit, eine Version von dir selbst zu finden, die es nicht mehr gibt, dass du verpasst, was vor deiner Nase liegt.“ Ohne Irrungen funktioniert Liebe für Chelsea nicht.
Bei aller Heiter- und Leichtigkeit hat es mich ziemlich mitgenommen zu lesen, wie es ist, mitzuerleben, wenn der Krebs geliebte Menschen immer weniger werden lässt und einem nichts übrigbleibt, als machtlos dabei zuzusehen.
Wie schwer der Verlust eines wichtigen Vertrauten wiegt, das wird in „Irgendwo ist immer irgendwer verliebt“ sehr deutlich und eindrücklich dargestellt. Für Chelsea „sind Liebe und Verlust auf alle Zeiten miteinander verbunden, weshalb“ sie in ihrer „Liebe vorsichtiger“ ist, „aber auch tiefer“ geht.
Am Ende kommt es dann, wie es für mich von Anfang an kommen musste. Ein herzerwärmendes Finale mit Zuckerguss, das perfekt zu dieser leichten Sommerliebesromanze passt. Manchmal nicht ganz realistisch und etwas naiv, aber durchgehend unterhaltsam und optimistisch. Ein bisschen märchenhaft darf eine eine romantische, kurzweilige Liebesgeschichte ruhig sein. Mir hat diese jedenfalls gut gefallen.

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Veröffentlicht am 14.07.2021

Wenn ein plötzliches Ereignis alles verändert - emotional mitreißende Dreiecksgeschichte

Zwischen zwei Herzschlägen
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„Niemand küsst schlecht, wenn er den richtigen Menschen küsst.“

Kerry und Tim sind beste Freunde und planen, nach der Schule Medizin zu studieren. Kerry ist schon länger heimlich in Joel, den Star der ...

„Niemand küsst schlecht, wenn er den richtigen Menschen küsst.“

Kerry und Tim sind beste Freunde und planen, nach der Schule Medizin zu studieren. Kerry ist schon länger heimlich in Joel, den Star der Schulfußballmannschaft verliebt, der Profifußballer werden will. Tim hingegen möchte von Kerry mehr als nur ihre Freundschaft. In der Silvesternacht zur Jahrtausendwende werden die drei auf schicksalhafte Weise für immer verbunden: Joel erleidet einen Herzstillstand. Kerry ergreift die Initiative und schafft es mit Beatmung und Herz-Lungen-Massage, ihn wiederzubeleben. Tim kann zunächst nur geschockt daneben stehen.
Zunächst erfüllen sich die Träume der drei Figuren nicht und sie müssen sich neu orientieren: Kerry wird die ersehnte Zulassung zum Studium verweigert, Tim quälen permanent Versagensängste und Joels Herzproblem macht eine Profikarriere als Fußballer unmöglich. Und es gibt ein weiteres Problem: Die drei schaffen es nicht, einander und die Nacht, die alles veränderte, aus dem Kopf zu kriegen.

Autorin Eva Carter schreibt flüssig und klar in der ersten Person Singular, nimmt dabei abwechselnd die Perspektive der Hauptfiguren Kerry, Joel und Tim ein. Die Handlung wird chronologisch erzählt, vom 31. Dezember 1999 bis zum 1. Januar 2018. Der Roman beginnt nicht mit der eigentlichen Geschichte sondern mit einem Abschnitt, der mit „Die Überlebenskette: Teil eins“ betitelt ist. Hier werden die Leser direkt angesprochen und es wird erklärt, wie wichtig es ist, einen Notruf abzusetzen, wenn jemand einen Herzstillstand erleidet. Im Verlauf der Geschichte werden noch drei weitere Texte zur „Überlebenskette“ eingeschoben.

Eva Carter hat sehr besondere Figuren gezeichnet. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sie durch ein extrem dramatisches Ereignis stark geprägt werden. Danach müssen sich die drei erst wiederfinden.
Für die ehrgeizige Kerry steht nach Joels Herzinfarkt umso mehr fest, dass sie erst recht als Ärztin arbeiten möchte. Doch ihr Traum rückt zunehmend in weite Ferne.
Tim hingegen beginnt zu zweifeln. Immer wieder kreisen seine Gedanken darum, nicht gut genug zu sein und nicht mehr als ein ahnungsloser Medizinstudent zu sein. Er gesteht: „„Ich weiß nicht, ob ich jemals gut genug sein werde, um als Arzt zu praktizieren.“ Meine tiefste Angst in einem Satz.“ Tim kann Kerry nicht glauben, wenn sie ihm antwortet: „Du wirst dich nicht immer so ahnungslos fühlen, Tim. Und in gewisser Weise ist es sogar besser, sich seiner selbst nicht immer ganz so sicher zu sein. Dann macht man weniger Fehler.“
Joel trifft es am härtesten. Seine Krankheit wirft ihn vollkommen aus der Bahn, zerstört all seine Pläne. Er hielt sich vorher für unverwundbar und muss nun mit seiner körperlichen Schwäche umzugehen lernen. Kerry erklärt er: „Ich bin ein Verlierer, Kerry. Sieh mich doch an. Rausgeputzt, um auf der Party von jemand anderem Drinks auszuschenken. Mehr wird aus mir nicht werden.“
Die interessante Figurenkonstellation ist nicht hauptsächlich durch die Eigenschaften der Personen, ihre Charakterisierung, definiert, sondern durch ihre Beziehung untereinander, die ständig präsent ist, auch wenn sich die Figuren nicht sehen. Das macht sie sehr reizvoll. Joel hat Probleme mit Tim: „Aber wir sind nicht befreundet. Ihn zu treffen, ist immer, als streue jemand Salz in meine Wunde.“ Mit Kerry, die für ihn sehr wichtig ist, ist es für Joel kaum leichter, wie dieser Satz beweist: „Kerry blinzelt. Ich habe sie wieder verletzt, weil das das Einzige ist, was ich kann.“

Die packende Dreiecksbeziehung bestimmt den Roman. Wer ist der Richtige für Kerry? Tim oder Joel? Und was werden die drei letztendlich aus ihrem Leben machen?
Eva Carter gelingt es, sehr eindrücklich zu zeigen, wie es ihren Figuren wirklich geht und was sie bewegt. Man leidet dabei zwangsläufig mit. Insgeheim war mir als Leserin längst klar, welchen Ausgang ich mir für die Figuren erhoffte und wer für Kerry der Richtige ist. Bis zum Ende macht es die Autorin aber mehr als spannend. Für mich war das ewige Hin und Her zwischen den Figuren ein bisschen zu viel der Verwirrung, dadurch wurde es mitunter fast langatmig und ich hätte mir an der ein oder anderen Stelle eine Straffung des Plots gewünscht.
Der Roman sensibilisiert für ein ernstes und wichtiges Thema: plötzliche Herzinfarkte, die jederzeit auftreten können. Es wird sehr deutlich, wie überlebenswichtig es ist, dass Ersthelfer sofort aktiv werden.
Auch das Thema Drogen spielt in der Geschichte eine wichtige Rolle. Einmal mehr wird der Teufelskreis der Drogensucht einsichtig und mit all seinen Schrecken dargestellt.

Trotz kleiner Schwächen im Plot hat mich die Geschichte um Kerry, Tim und Joel emotional gepackt und dabei ganz schön gefordert. Eva Carter zeigt, wie sehr Träume unser Sein bestimmen. Ihre drei Figuren demonstrieren, dass es manchmal richtig sein kann, daran festzuhalten und man manchmal aber auch akzeptieren muss, dass Träume unerreichbar sind, es aber durchaus Alternativen gibt.
Für mich hat „Zwischen zwei Herzschlägen“ nicht ganz die Qualität und Kraft von „Zwei an einem Tag“, aber es ist dennoch ein lesenswerter Roman voller Gefühle, der mir nicht so schnell aus dem Kopf gehen wird.

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Veröffentlicht am 30.06.2021

Ein klassischer Noll: unterhaltsam, bitterböse und sehr lesenswert

Kein Feuer kann brennen so heiß
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„Kein Feuer, keine Kohle, kann brennen so heiß, als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß.“

Lorina ist nicht gerade eine leichtfüßige Schönheit, von ihrer Familie wird sie wegen ihrer Tollpatschigkeit ...

„Kein Feuer, keine Kohle, kann brennen so heiß, als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß.“

Lorina ist nicht gerade eine leichtfüßige Schönheit, von ihrer Familie wird sie wegen ihrer Tollpatschigkeit auch „Plumplori“ genannt. Die Männer stehen daher nicht gerade Schlange bei der Altenpflegerin. Doch als sie die Stelle der Privatpflegerin in der Villa Alsfelder annimmt, sammelt sie im Geheimen ganz unerwartet neue Erfahrungen in Sachen Liebe. Und auch sonst kommt es in der Villa zu einigen überraschenden, nicht immer ganz legalen Zwischenfällen…

Ingrid Noll erzählt klar und sehr direkt aus Lorinas Sicht in Ich-Form und lässt dabei stets ihren typischen Humor durchblitzen. Bitterböse Sätze wie „Schon früh musste ich mir die Rolle einer Prinzessin abschminken. Man wäre sowieso nie auf die Idee gekommen, mich in rosa Tüllröckchen zu stecken, denn man hätte mich am Ende für einen kleinen Transvestiten halten können.“ machen Ingrid Nolls individuellen, unterhaltsamen Schreibstil aus.

Lorina ist eine klassische „Noll-Heldin“. Unauffällig, nicht besonders attraktiv und anfangs ohne Selbstbewusstsein. So erklärt sie zu Beginn „Am liebsten wollte ich etwas mit Menschen zu tun haben, denen mein Aussehen egal war, zum Beispiel Blinde, Kleinkinder oder demente Greise.“ Im Laufe der Handlung macht Lorina eine erstaunliche Entwicklung durch. Nicht zuletzt Männer wie Boris, der mehr als rücksichtslos, egoistisch und unsensibel agiert, bewirken Lorinas Veränderung. Lorina hat gewaltiges Potential, in ihr steckt viel mehr, als sie selbst und die Leser ahnen. Wieder einmal gelingt es der Erfolgsautorin auf beeindruckende Weise, die Leser für ihre Figuren einzunehmen, das ist Nolls große Stärke. Obwohl Lorina mitunter vom „Pfad der Tugend“ abweicht und unzweifelhaft falsch handelt, hoffte ich sehr, dass sie damit „durchkommen“ wird und „verschont“ bleibt.

Ingrid Nolls neuester Roman macht wieder einmal deutlich: Kriminelle Energien lauern überall, im banalen Alltag, in den Vorstellungen der Menschen, in ihren Reaktionen und Handlungen. Sie entfalten sich oft ganz spontan und ohne Plan. Vor allem der Durst nach Rache lässt Nolls Figuren wiederholt Grenzen überschreiten.
Niemand schreibt wie Ingrid Noll, ihre Romane gehören für mich zu einem ganz eigenen Genre, das sie auch hier wieder bedient: literarische Krimikomödien, bitterböse, mit unerwarteten Wendungen und ganz besonderen Protagonisten, die mitreißen. Auch mit weit über 80 Jahren hat Noll den klaren Blick aufs Leben, den Sinn für menschliche Abgründe, den Bezug zur Aktualität und zum Zeitgeist nicht verloren. „Kein Feuer kann brennen so heiß“ ist für mich nicht ihr bester, aber ein sehr guter, lesenswerter Roman. Ingrid Noll kann es definitiv immer noch und ich hoffe, sie macht noch lange mit dem Schreiben weiter.

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Gelungene Fortsetzung, die den Zeitgeist 60er Jahre wunderbar einfängt

Die Wunderfrauen
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„Was Helga alles leistete, dachte Luise. So eine Wunderfrau.“

Die Wunderfrauen sind zurück: Anfang der 1960er Jahre ist Luise Dahlmanns Lebensmittelladen mittlerweile aus Starnberg nicht mehr wegzudenken. ...

„Was Helga alles leistete, dachte Luise. So eine Wunderfrau.“

Die Wunderfrauen sind zurück: Anfang der 1960er Jahre ist Luise Dahlmanns Lebensmittelladen mittlerweile aus Starnberg nicht mehr wegzudenken. Luise bietet ihren Kunden stets besonderen Service, hat zuverlässig raffinierte und praktische Rezepttipps parat. Doch sie muss immer am Ball bleiben, um den Anforderungen ihrer Kundschaft gerecht zu werden, denn die Konkurrenz schläft nicht. Nach einem schlimmen Streit hat Luise mit ihrer ehemaligen Freundin Helga kein Wort mehr gesprochen. Doch plötzlich ist Helga wieder da. Arztgattin Annabel erleidet einen Schicksalsschlag, der die Beziehung zu ihrem Mann Konstantin auf eine harte Probe stellt. Und Luises Schwägerin Marie ist mittlerweile mehrfache Mutter, was die Arbeit auf dem Hof nicht leichter und die Beziehung zu ihrem Mann Martin nicht unkomplizierter macht.

Stefanie Schuster versetzt sich abwechselnd in ihre vier Protagonistinnen hinein und schreibt flüssig, klar und schnörkellos aus deren Sicht. Zwischen den Kapiteln sind Auszüge aus „Luises Ladenkunden-Album“ abgedruckt, ein bunt gemischtes Sammelsurium aus Listen, praktischen Tipps oder Anekdoten. Diese wirken sehr authentisch und sind amüsant zu lesen.

Die „Wunderfrauen“ sind vier grundverschiedene Frauen, die mitten im Leben stehen. Luise lebt für ihren Laden, packt zu, weiß immer Rat. Ihr neues Hobby „Tanzen“ bringt sie nun ganz schön in die Bredouille. Als Helga wieder auftaucht, kommen bei Luise schlimme Erinnerungen an die Vergangenheit wieder hoch. Helga hat es endlich geschafft: Sie ist nun Ärztin. Die Patienten sind ihr sehr wichtig, für sie riskiert sie einiges. Marie ist mit Luises Bruder Martin verheiratet. Sie trägt große Verantwortung für eine große Familie, muss immer funktionieren. Dabei geht sie selbst ein wenig verloren und dann sucht ihr Mann Martin auch immer häufiger Ablenkung im Alkohol. Arztgattin Annabel ist am Ziel ihrer Wünsche, sie wird zum zweiten Mal Mutter, doch es kommt nicht so, wie sie sich das vorgestellt hat. Ihr Mann Konstantin geht auf Distanz und Annabel möchte endlich wieder arbeiten, statt sich nur um die Kinder zu kümmern.
Dass die Charaktere so vielfältig sind, macht ihren Reiz aus. Man erfährt anhand der Figuren, wie Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten damals lebten. Männer kommen dabei nur mäßig gut weg. Richtige Sympathieträger sind die männlichen Figuren oft nicht, aber es stehen ja auch „Die Wunderfrauen“ im Fokus.

Während die Frauen ihre ganz persönlichen Schicksalsschläge erleiden, erfasst die Autoren auch auf ganz unkomplizierte, unaufgeregte Art den damals herrschenden Zeitgeist. Wichtige Ereignisse wie die Debatte um Abtreibungen, der Contergan-Skandal oder die Entwicklung zur Massentierhaltung werden angesprochen. Heraus kommt dabei ein leichter, unterhaltsamer Roman, der wie ein buntes Farbfoto das Besondere der 60er Jahre einfängt. Ein Stück interessante Zeitgeschichte, kurzweilig verpackt. Nach dem spannenden Cliffhanger von „Die Wunderfrauen- Von allem nur das Beste“ bin ich schon sehr neugierig, was die 70er Jahre für die vier Hauptfiguren bringen werden.

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Veröffentlicht am 28.06.2021

Eine verwunschene Insel und eine spannende Reise in die Vergangenheit

Die Roseninsel
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„Das ist… wunderbar“, sagt sie. „Es ist doch eine merkwürdige Vorstellung - ein Mensch, der vor so langer Zeit das Muster einritzte und hier bin ich und sehe und fühle es genauso.“ Sie sah auf. „Das ist, ...

„Das ist… wunderbar“, sagt sie. „Es ist doch eine merkwürdige Vorstellung - ein Mensch, der vor so langer Zeit das Muster einritzte und hier bin ich und sehe und fühle es genauso.“ Sie sah auf. „Das ist, als würde es uns verbinden.“

Liv Dahl arbeitet als Ärztin an der Berliner Charité. Die Arbeit ist anstrengend und psychisch belastend. Nach einem dramatischen Ereignis braucht Liv eine Pause und übernimmt vertretungsweise die Stelle als Verwalterin auf der Roseninsel im Starnberger See. Dort findet sie das Tagebuch der früheren Bewohnerin Magdalena, Tochter des einst als verrückt geltenden Bayrischen Königs Otto. Liv begibt sich auf Spurensuche und taucht in das Leben der geheimnisvollen Königstochter ein. Schmerzhaft muss sie feststellen, dass sie vor ihren eigenen Problemen allerdings nicht davonlaufen kann. Zum Glück gibt es Segellehrer Johannes, der Liv nicht nur mit Lebensmitteln versorgt, sondern sich auch für sie zu interessieren scheint.

Anna Reitners einfacher, flüssiger Sprachstil macht es ihren Lesern leicht, sich sofort in Livs Geschichte hineinzuversetzen. Auch die Passagen, die sich auf Magdalenas Leben beziehen, sind unkompliziert und gut verständlich formuliert.

Zwei Frauen. Zwei Hauptfiguren, die auf der Roseninsel zeitweise von der Außenwelt abgeschottet sind und mehr als genug Zeit haben, sich mit sich und ihren Gedanken zu beschäftigen. Für Liv ist der Aufenthalt auf der Roseninsel eine Flucht aus ihrem Alltag, doch eigentlich ist ihr eines sehr wohl bewusst: „Wem machte sie etwas vor? Man konnte nicht fliehen vor dem, was man war.“ Die sensible, verletzliche Frau kämpft mit Schuldgefühlen und glaubt, versagt zu haben und Glück nicht zu verdienen. Magdalenas Geschichte wird für sie zum Sog in die Vergangenheit : „Oh, oh Liv“ bemerkt sie „langsam lebst Du wirklich mehr in diesem alten Buch als in der Wirklichkeit.“
Magdalena wünscht sich hingegen nichts mehr als von der Insel, auf der sie von ihrer penetranten Aufpasserin Baronin von Zeiss streng überwacht wird und sich wie eine Gefangene fühlt, und aus ihrem eintönigen Leben fliehen zu können. Beide Frauen warten auf ihre „Erlösung“. Vielleicht in Gestalt des verständnisvollen „Richtigen“?

Eine sehr interessante und spannende Spurensuche erlebt Liv. Die Geschichte des real existierenden Königs Otto und seiner fiktiven Tochter Magdalena fesselt nicht nur Liv, sondern auch mich als Leserin. Magdalena selbst fühlt sich ebenso mit der Vergangenheit verbunden, liest archäologische Bücher, beschäftigt sich mit Heinrich Schliemann und möchte wissen, was in der Vergangenheit auf der Insel geschah.
Unbedingt wollte ich zudem erfahren, welches Trauma Liv selbst zu bewältigen hat. Die beiden Handlungsstränge - Gegenwart und Vergangenheit - sind geschickt miteinander verwoben, lesen sich fast wie von selbst und das Ende sorgt durchaus noch für Überraschungen, zumindest Magdalenas. Ein locker-leichter, kurzweiliger Roman über Neuanfänge und ganz besondere Verbindungen zur Vergangenheit, der Lust macht, die verwunschene „Roseninsel“ mit ihrer faszinierenden Geschichte selbst einmal zu besuchen. Ein Buch ideal für eine Auszeit mit unterhaltsamen Lesestunden zu Hause oder noch besser im Liegestuhl mit Blick auf den Starnberger See.

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