Sommer der Veränderung
Ich liebe Bücher, die in den Achziger Jahren spielen und mich an meine eigene Jugend erinnern. Benedict Wells hat dieses Gefühl, mich in dieser Zeit wiederzufinden, sehr gut umgesetzt, obwohl die Geschichte ...
Ich liebe Bücher, die in den Achziger Jahren spielen und mich an meine eigene Jugend erinnern. Benedict Wells hat dieses Gefühl, mich in dieser Zeit wiederzufinden, sehr gut umgesetzt, obwohl die Geschichte in den USA spielt und er selbst erst 1984 geboren wurde.
Letztes Jahr habe ich von Ewald Arenz "Ein großer Sommer" gelesen, das ebenfalls ein Comining-of-Age Roman ist und in den Achzigern spielt. Für mich ebenfalls ein 5 Sterne Buch.
Sam ist ein schüchterner 15jähriger Junge, dessen bester Freund vor kurzem mit seiner Familie aus der aussterbenden Kleinstadt Grady weggezogen ist. Seit der größte Arbeitgeber die Produktionsstätte verlegt hat, verlassen die Einwohner nach und nach den Ort in Missouri. Durch die Schließung der Firma ist auch Sam's Vater arbeitslos geworden. Seine schwerkranke Mutter arbeitet weiterhin in ihrer Buchhandlung. Die Ferien soll Sam bei seinen Kousins verbringen, was dieser ablehnt. In der Not sucht er sich einen Ferialjob im einzigen Kino, wo er auf Kristie, die Tochter des Kinobesitzers, Cameron und "Hightower" trifft. Alle drei sind älter als Sam und haben die Schule beendet. Im Herbst wechseln sie aufs College und werden Grady verlassen.
Sam ahnt noch nicht, dass dieser Sommer für ihn immer in Erinnerung bleiben wird und das nicht nur, weil seine Mutter sterben wird. Das ist kein Spoiler, denn diese Tatsache wird bereits im ersten Satz des Buches erzählt.
Wir begleiten Sam durch den Sommer. Es sind elf Wochen, die er mit seinen neuen Freunden verbringt, seinen ersten Ferialjob hat und sich zum ersten Mal verliebt.
Sam ist ein Außenseiter und seit sein einziger Freund Grady verlassen hat, ziemlich einsam. Zu seinem arbeitslosen Vater hat er keinen wirklichen Zugang, seine ältere Schwester hat die Kleinstadt schon als junges Mädchen verlassen und seine Mutter ist schwerkrank. Sam war mir von Beginn an sympathisch. Er steht genau an der Schwelle zum Erwachsen werden und erlebt einen unvergesslichen Sommer, der nicht nur positives für ihn bringt, ihn aber reifen lässt. Durch den Zuspruch seiner neu gewonnen Freunde findet er etwas Abwechslung und kommt mehr aus sich heraus. Seine Gedanken kreisen nicht immer nur um seine kranke Mutter, sondern auch um Freundschaft, erste Liebe und Abenteuer. Die Entwicklung von Sam ist wunderbar beschrieben und spannend zu lesen. Trotz einiger schwerer Themen schimmert in Wells Roman immer wieder Lebensfreude, Hoffnung und Optimismus durch.
Für mich sind Kirstie, Cameron und "Hightower" doch etwas klischeehaft geworden. Kirstie ist ein etwas ausgeflipptes junges Mädchen, das immer wieder ihre Grenzen austestet. Film-Nerd Cameron hat Angst vor seinem Coming-out und "Hightower" ist zwar der lokale Sport-Star, aber schwarz. Somit hat Wells auch das momentan vielbesprochene Thema LGBTQ in seinen Roman mit eingebaut.
Hier kommt neben dieser etwas kleinen negativ angehauchten Einschätzung auch mein einziger Kritikpunkt. Das Ende. Ich fand es etwas zu unglaubwürdig und kitschig und wäre mit einem anderen Schlusspunkt besser zurechtgekommen. Aber das ist natürlich Ansichtssache und verändert auch meine Bewertung nicht.
Interessant fand ich, wie Wells das Spiel mit dem Roman im Roman verwendet hat. In der Kleinstadt gibt es einen berühmten Autor, dessen Buch „Hard Land“ regelmäßig alle Schüler lesen müssen und trotzdem nicht verstehen. Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden und der Begriff Coming-of-Age wird direkt im Buch erklärt.
Besonders gefreut habe ich mich natürlich auf das Achziger Jahre Feeling und das Kino. Ich bin selbst ein Kino-Fan und habe meine Jugend in diesem Jahrzehnt verbracht. Die Musik von Billy Idol, INXS und ELO begleiteten auch mich durch diese Zeit, genauso wie Marty McFly aus "Zurück in die Zukunft".
Fazit:
Ein wundervoller Roman über das Erwachsenwerden, authentisch und ruhig erzählt. Benedict Wells lässt die Achziger Jahre wieder auferstehen und den Leser elf Wochen lang Sam während eines wichtigen Lebensabschnittes begleiten. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!