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Veröffentlicht am 03.07.2021

Ein - beinahe - unbeschwertes Sommerferienabenteuer

Kalle Blomquist 1. Meisterdetektiv
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Sind die drei Kalle Blomquist Romane der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren, in den 40er und frühen 50er Jahren erschienen, überhaupt noch zeitgemäß, habe ich mich gefragt, als mir der hier ...

Sind die drei Kalle Blomquist Romane der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren, in den 40er und frühen 50er Jahren erschienen, überhaupt noch zeitgemäß, habe ich mich gefragt, als mir der hier zu besprechende Band aus den Tiefen eines übervollen Regals buchstäblich in die Hände purzelte? Eine unnütze Frage, wie ich mir hätte denken können, gibt es doch einige wenige Autoren, deren Werke, und zwar jedes einzelne davon, die Zeiten überdauern, die so frisch und unverbraucht erscheinen wie damals, als sie geschrieben und erstveröffentlicht wurden. Astrid Lindgren zählt natürlich zu besagten Autoren, denn alles, was sie je zu Papier gebracht hat, ist und bleibt des Lesens wert, kommt bei den Enkeln ebenso gut an wie einstmals bei ihren Großeltern.
„DIE ZEIT“ hat den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie die berühmte, 2002 verstorbene, Schwedin mit dem besonderen psychologischen Einfühlungsvermögen in die Welt eines Kindes, als die „wunderbarste Kinderbuchautorin aller Zeiten“ bezeichnet! So eine wie sie gibt es nicht wieder!
Für die drei Blomquist Detektivgeschichten ließ sie sich, so sagt man, durch ihre Tätigkeit als Stenographin für den Stockholmer Professor für Kriminalistik Harry Södermann, der auch unter dem Namen „Revolver-Harry“ bekannt war, inspirieren – und herausgekommen sind so idyllische wie amüsante und gleichzeitig spannende Romane, bei denen es mitunter auch recht grausam zugehen konnte.
Die heile Welt ist Hintergrund aller Geschichten der Autorin, die Welt ihrer eigenen, sehr glücklichen Kindheit auf dem Hof ihrer Eltern nahe der südschwedischen Stadt Vimmerby. Gleichzeitig aber lauern immer kleinere oder größere Gefahren im Hintergrund, ist das Unheil nie fern, das unvermittelt in die scheinbare Idylle einbrechen kann und das man dann so gut wie möglich und mit so viel Mut, wie man aufbringen kann, zu bewältigen versuchen muss. Das Unheil stört und bringt Unordnung und Angst, aber es zerstört niemals die Welt, in der die Autorin ihre tapferen Protagonisten agieren lässt. Der Faktor Hoffnung ist immer gegenwärtig!
Ihr unvergesslicher Kalle Blomquist, unser Protagonist, ist ein verträumter, phantasiebegabter Junge aus dem fiktiven Städtchen Kleinköping, in dem er mit seinen beiden besten Freunden Anders und Eva-Lotte die wundervollsten Sommerferien verbringt, die sich Kinder nur wünschen können. Die Zeit ist ausgefüllt mit Zirkusspielen, dem hingebungsvollen Verzehr von köstlichem Gebäck von Eva-Lottes Vater, dem Bäckermeister Lisander, und freundschaftlichen Kämpfen gegen drei weitere Freunde, Sixtus, Benka und Jonte, ihrerseits die Angehörigen der Bande der „Roten Rose“, während Kalle und seine Freunde die „Weiße Rose“ darstellen. Herrlich frei ist dieses Leben – zumal die Erwachsenen angenehm zurückhaltend sind, ihre Kinder gewähren und weitgehend in Ruhe lassen. Gelegentlich aber schleicht sich Kalle zu seinem Rückzugsort unter dem Birnbaum im Blomquistschen Garten und träumt davon, ein weltberühmter Detektiv zu sein, einer, der mit Hercule Poirot, Lord Peter Wimsey und Sherlock Holmes auf Augenhöhe steht. Und während er sich die kniffligsten Fälle ausmalt, die er natürlich mit Bravour löst, bedauert er gleichzeitig, dass er nicht das Glück hat, in einer der Metropolen des Verbrechens wie London oder Chicago zu leben, sondern stattdessen in dem verschlafenen, in der Sommerhitze flirrenden Kleinköping ausharren muss.
Doch unverhofft werden seine detektivischen Fähigkeiten, von seinen Freunden liebevoll belächelt, auf die Probe gestellt, als ein gewisser Onkel Einar, der Cousin von Eva-Lottes Mutter, in der kleinen Stadt, in der doch sonst nie etwas geschieht, auftaucht. Und dieser Einar ist Kalle und seinen Freunden nicht nur von Beginn an herzlich unsympathisch, sondern er benimmt sich zudem äußerst seltsam. Kalles Neugierde ist geweckt! Nun endlich kann er seine über die Jahre erworbenen detektivischen Kenntnisse in der Praxis unter Beweis stellen! Dass er gemeinsam mit Anders und Eva-Lotte mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest stechen würde, hat er nicht bedacht, vielleicht nicht einmal geahnt. Und als die drei Kinder unversehens in große Gefahr geraten, erkennt unser Meisterdetektiv, dass ein reales Verbrechen eben doch etwas anderes ist als eines, das nur in seiner Phantasie existiert – und dass er, Kalle Blomquist, vielleicht besser unter dem Birnbaum liegengeblieben wäre! Oder etwa doch nicht? Denn wie war das bei Astrid Lindgren? Schwierigkeiten muss man mutig entgegentreten, auch wenn es schwer ist und man sich überwinden muss, und wenn einem vor Angst das Herz in die Hosen rutscht.
Ob und wie Kalle diesen, seinen ersten echten, Fall löst, soll hier nicht vorweggenommen werden, es lohnt sich, es selber herauszufinden; und wenn man Glück hat, erwischt man noch eine ganz alte, den Lesegenuss um ein Vielfaches steigernde Ausgabe im Original oder der Originalübersetzung, die vielleicht bei den Großeltern in einer vergessenen Ecke des Bücherschrankes wohnt und die so voller herrlich altmodischer Wörter und Ausdrücke ist, die unbedingt aus der Vergessenheit geholt werden und bewahrt werden sollten!

Veröffentlicht am 01.07.2021

Neubeginn auf der Insel aus Feuer und Eis

Nordstern – Der Ruf der freien Pferde
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Erla und ihre Mutter verlassen Deutschland, in dem sie in den Nachkriegsjahren keine Zukunft mehr sehen, um auf Island neu zu beginnen. Warum aber ausgerechnet „auf einer Insel aus Eis, ganz oben im Norden“, ...

Erla und ihre Mutter verlassen Deutschland, in dem sie in den Nachkriegsjahren keine Zukunft mehr sehen, um auf Island neu zu beginnen. Warum aber ausgerechnet „auf einer Insel aus Eis, ganz oben im Norden“, wie Erlas Mutter die künftige Heimat beschreibt? Nun, es wurden Arbeitskräfte auf den Bauernhöfen gebraucht, die in dem kleinen Land nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen und die man deshalb im Ausland suchte – eine neue Chance für viele, denen der Zweite Weltkrieg jegliche Perspektive geraubt hatte!
Unglücklicherweise aber werden Erla und ihre Mutter kurz nach der Ankunft voneinander getrennt und das 14jährige Mädchen landet bei einer Bauernfamilie, die es als Arbeitssklavin missbraucht und ihr Möglichstes tut, um den Kontakt zur Mutter zu verhindern. Doch Erla kämpft sich durch – nicht zuletzt dank ihres Pferdes Drifa und einer besonderen Gabe, die ihre Mutter nicht nur ärgerlich macht, sondern die sie auch um jeden Preis verschweigen möchte. Schon immer nämlich konnte das Mädchen Wesen sehen, Stimmen hören, die anderen verborgen blieben. Und so mutet es geradezu wie eine Bestimmung an, dass Erla ausgerechnet in Island gelandet ist, der Insel, auf der man an lebendig gewordene uralte Mythen glaubt, an Zauberwesen, an Elfen, Gnome und Trolle und auf der die Huldu, die Unsichtbaren, beheimatet sind, Menschen gleiche Wesen in einer Parallelwelt.
Unsichtbar sind sie aber nicht für Erla! Unmittelbar nach ihrer Ankunft macht sie die Bekanntschaft von Floki, einem Huldu, und seiner Familie und lässt sich immer stärker hineinziehen in seine Welt. Dies bleibt der ungastlichen Familie, bei der sie untergekommen ist, nicht verborgen, was deren Misstrauen noch stärker werden lässt. Misstrauen, freilich gepaart mit Angst. Einerseits glaubt man, bis auf den Großvater, der ebenfalls über die Gabe, gleich Erlas, verfügt, allerdings nicht darüber spricht, nicht an die Unsichtbaren, andererseits aber kann man nie wissen, muss man sich besser gut mit ihnen stellen, um sich nicht den Zorn des verborgenen Volkes, Beschützer der Natur und Hüter ihrer Schätze, zuzuziehen. Und wenn Erla mit den Huldu im Bunde steht, nun ja, man muss vorsichtig sein!
Während ihre Mutter, die sie schließlich nach vielen Umwegen doch wiedersieht, sich entschlossen zur Isländerin mausert, nimmt Erla einen ganz anderen Weg, fühlt sich wie magisch angezogen von den Unsichtbaren, spürt immer stärker, dass hier bei ihnen ihre wahre Heimat ist, ohne den Grund dafür zu verstehen, spürt Verbindungen, die ihr aber auch Angst machen, zumal die Freunde, die sie unter den Huldu findet, sich in geheimnisvollen Andeutungen ergehen – allen voran Jorunn, eine sehr alte Frau, eine Weise, eine Heilerin, die von jedermann mit Ehrfurcht behandelt wird. Jorunn weiß mehr als alle, sie kennt Erlas Schicksal, das auf unerklärliche Weise mit dem Volk der Huldu verbunden ist, so wie sie weiß, dass ein mächtiges Unheil auf ihr Volk zukommen wird, durch Erla und die Ereignisse, die ihr Kommen aus dem fernen Lübeck in Gang setzt.
Fesselnd ist er ganz ohne Frage, dieser erste Band einer Trilogie, in deren Mittelpunkt Erla steht, das Mädchen mit den besonderen Fähigkeiten selbst, dessen Schicksal sich, wie sich hier bereits abzeichnet, auf der Insel aus Feuer und Eis, in der die alten Überlieferungen so lebendig sind, wie wohl nirgendwo sonst, erfüllen wird. Worin dieses Schicksal besteht, kann man nur dunkel ahnen. Der Leser wird, genau wie die Protagonistin, vor nicht nur ein Rätsel gestellt, von denen kein einziges aufgelöst wird – man wird also auf den Folgeband beziehungsweise auf die beiden Folgebände warten und seine Neugierde zügeln müssen, um mehr zu erfahren. Ein Nachteil, den Buchreihen dieser Art mit sehr offenem und, wie hier, geradezu abruptem Ende nun einmal mit sich bringen! Aber ob das wirklich ein Nachteil ist, ist wohl Ansichtssache, und jeder Leser mag das anders empfinden.
Erlas Geschichte jedenfalls, denn dass wir genau diese hier lesen verspricht bereits das Vorwort, das allerdings nur ein weiteres Rätsel von vielen ist, ist sehr schön und bewegend erzählt, sie lässt Anteil nehmen an dem, was dem jungen Mädchen in dem fremden, zunächst wenig gastlichen Lande, widerfährt. Erla ist eine Protagonistin, die Sympathien weckt, deren Partei man ergreift. Ein mutiges Mädchen ist sie, das, obwohl sie sich verloren fühlt und obwohl das gute neue Leben, das ihr ihre Mutter verheißen hat, auf sich warten lässt oder gar nie kommen wird, nicht aufgibt. Eine echte Persönlichkeit begegnet uns in ihr, von großer innerer Stärke, trotz aller Ungewissheiten und Zweifel. Dabei aber immer auch eine ganz normale 14jährige, mit den gleichen Wünschen und Sehnsüchten wie ihre Altersgenossen. Das macht sie sehr glaubwürdig!
Berührend und stets nachvollziehbar erzählt ist ihre erwachende Liebe zu der unwirtlichen und doch seltsam schönen, wunderbar anschaulich beschriebenen Insel nahe des Polarkreises, das immer stärker werdende Gefühl, hierher zu gehören, das Sich einlassen auf das Fremde, das Unbekannte, auf eine Welt jenseits der sichtbaren Realität, gar das Einswerden mit dieser, dank auch der Freunde, die sie findet und dem bereits erwähnten Pferd Drifa, das eine wichtige Rolle spielt und, so ist zu vermuten, auch weiterhin spielen wird.
Das schreibt jemand, dachte ich mir während der Lektüre, die sich auskennt, die die alten Sagen nicht als Unsinn abtut, der Island, das ich als zweite Protagonistin bezeichnen möchte, vertraut ist und die womöglich mehr sieht als nur das, was mit dem Auge zu erfassen ist, oder aber die ganz einfach nur anders hinschaut, tiefer blickt. Wie Erla eben, genau so wie sie!

Veröffentlicht am 22.06.2021

Wunderschönes Fantasyabenteuer

Elma Wortesammlerin
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Elma gehört zum Volk der Elfen. Dieses lebt in unserer Geschichte in Städten hoch oben in den Baumwipfeln und meidet tunlichst den Kontakt mit den Menschen. Doch das war nicht immer so, wie wir im Laufe ...

Elma gehört zum Volk der Elfen. Dieses lebt in unserer Geschichte in Städten hoch oben in den Baumwipfeln und meidet tunlichst den Kontakt mit den Menschen. Doch das war nicht immer so, wie wir im Laufe dieses so einnehmenden Romans erfahren – und es wird auch nicht immer so bleiben! Aber zurück zu Elma! Sie ist, wie der Titel schon sagt, eine Wortesammlerin, vielmehr will eine werden, wozu sie bei dem weisen alten Elf Ungiel in die Lehre geht. Dieser verfügt über das gesammelte Wissen der Elfenwelt und dessen spannender Geschichte, das er in Form von Liedern weitergibt, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Elma nun ist nicht nur ein aufgewecktes Mädchen, sondern auch neugierig. Sie will wissen, wie es in der Menschenwelt aussieht, die sie bisher nur aus den Liedern und den Erzählungen ihres vorwitzigen Cousins Luno kennt; und so steigt sie eines schönen Tages verbotenerweise aus den hohen Lüften der Elfenstadt hinab in eine Welt, die so fremd und neu, so anziehend wie bedrohlich ist, wie sie sehr bald feststellt, als ihr die etwa gleichaltrige Wendala, ein Menschenkind, über den Weg läuft. Wendala muss sich verstecken, denn die Häscher, eine Gruppe vermummter Kapuzenmänner mit rot glühenden Augen, hat ihr Dorf überfallen, die Kinder verschleppt und die Erwachsenen in Sklaverei genommen. Wendala ist wild entschlossen, sich auf die Suche nach dem Ort zu machen, an dem die Kinder gefangen gehalten werden – die Schwebende Stadt – und sie zu befreien. Ein wagemutiges, ein riskantes Unterfangen, aber, wie man sehr schnell sehen wird, Wendala ist nicht zu bremsen. Und sie ist so voller Tatendrang, dass sie Elma, eher vorsichtig und überlegt, einfach mitzieht! Ja, und dann beginnt ein gefährliches Abenteuer, bei dem den Mädchen zum Glück der ebenfalls entkommene Dorfälteste, die Graue Zarga, eine weise alte Frau, die über Zauberkräfte verfügt, sowie Elmas Vetter Luno, auf der Suche nach ihr, zur Seite stehen. Mehr als einmal geraten die Gefährten in scheinbar aussichtslose Situationen, aus denen sie sich mit Mut und Klugheit – eine unwiderstehliche Mischung! - retten können. Oft nur um Haaresbreite und dank der einen oder anderen glücklichen Fügung.
Doch das Schlimmste und Erschreckendste steht ihnen noch bevor, als sie mit einem vom Ältesten besorgten fliegenden Schiff – dem Fortbewegungsmittel der Häscher, Hauptmänner und Soldaten – die Schwebende Stadt erreicht haben und dem Großmeister, dem Herrscher dieses Stadtungetüms, gegenüberstehen. Und dieser allmächtige Mann, von schönem Antlitz, becircendem Charme und enormer Willenskraft, verfallen Wendala und vor allem Elma auf der Stelle – entgegen dem eigenen festen Willen, sich zu widersetzen. Unter dem Bann dieser Figur sind die entführten Kinder, die er zu willfährigen Soldaten gemacht hat, ihm ausgeliefert. Er dringt in ihre Gedanken ein, kann sie lesen, wann immer ihm danach zu Mute ist, zwingt sie, sich ihm zu öffnen.
Bekannte Strukturen! Wie jeder Diktator strebt auch dieser selbsternannte Großmeister nach Weltherrschaft und der totalen Kontrolle, macht seine Untergebenen, die im Buch nicht umsonst allesamt Kinder sind, denn der Bann funktioniert nur bei ihnen, deren Geist noch formbar ist, zu Instrumenten seiner Macht und seines Größenwahns.
Doch noch ist nicht aller Tage Abend! Bevor sie unter des Großmeisters Bann geriet und fürchtend, dass genau dies geschehen würde, hat Elma nämlich, denn das kann sie inzwischen so gut, dass Ungiel stolz auf sie wäre, könnte er sie denn sehen, ein Lied erfunden, das sie daran erinnern soll, wer sie ist, nämlich nur sie selbst. Und dieses Lied könnte letztlich ihre und die Rettung all der versklavten, manipulierten Kinder in dieser so grausigen Stadt sein....
Ein wirklich schönes Fantasyabenteuer mit sehr realistischen Zügen, parabelhaft anmutend, habe ich mit „Elma Wortesammlerin“ gelesen! Ein Jugendbuch – doch anziehend für jedwede Altersgruppe, für alle, wenn sie denn für die Märchen ihrer Kindheit offen geblieben sind. Eine Geschichte von erstaunlicher Tiefe, an der rein gar nichts auszusetzen ist. Kein Wort war zu viel, keine Szene zu lang – obwohl das Buch ein recht umfangreiches ist. Neugierig bin ich den Ideen gefolgt, mit denen der Autor seine Handlung sich hat entwickeln lassen, wobei der rote Faden, die inhärente Logik, nie abgerissen ist. Ich bin Figuren begegnet, die so einnehmend wie überzeugend waren, deren Interaktionen und Gespräche nie aufgesetzt oder an den Haaren herbeigezogen waren. Gemeinsam mit den Protagonisten habe ich mich dem Bösen, dem Manipulativen, verkörpert beileibe nicht nur in der schauerlich-attraktiven Figur des Großmeisters, gegenüber gesehen – und dabei immer wieder Parallelen gezogen zur Realität, der gegenwärtigen und der vergangenen. Und immer wieder auch hängengeblieben bin ich an der Gedankenfreiheit, die hier zunichte gemacht wird durch aggressivste Gehirnwäsche – auch dies ist durchaus bekannt aus der Realität, zu der jeder seine eigenen Assoziationen entwickeln mag. Elma aber, eine genaue Beobachterin, durchschaut die Mechanismen, nach denen der Großmeister vorgeht, und wehrt sich dagegen. Mit aller Macht! „Ich will immer nur ich selber sein“. Ihr Lied. Das genau ist es, das ist für mich die Quintessenz dieser mitreißenden Geschichte. Und sich diese Aussage immer wieder bewusst zu machen ist der beste Schutz gegen alles, was von außen an Üblem an einen herangetragen wird! Ich bin ich und ich entscheide über das, was ich tun möchte und was nicht, ich alleine entscheide über meine Gedanken.
Summa summarum: Ein wunderschönes Märchen – aber noch viel mehr, wie man beim Lesen gewahr wird – mit ganz bezauberndem Ende, Trost in dunklen Zeiten, eine unbestimmte Sehnsucht weckend nach Freundschaft, Zusammenhalt, Füreinanderdasein. Was für ein helles, lichtes, mutmachendes Buch! Danke dafür!

Veröffentlicht am 04.06.2021

Dieser Tag ein Leben

Ferien auf Saltkrokan
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Astrid Lindgren, die laut DIE ZEIT „berühmteste Kinderbuchautorin der Welt“, engagierte Schutzpatronin aller Kinder und in ihrem eigenen Land ehrfürchtig als „das kulturelle Herz Schwedens“ angesehen, ...

Astrid Lindgren, die laut DIE ZEIT „berühmteste Kinderbuchautorin der Welt“, engagierte Schutzpatronin aller Kinder und in ihrem eigenen Land ehrfürchtig als „das kulturelle Herz Schwedens“ angesehen, schrieb ihre Kinderbücher nach eigener Aussage für das Kind in ihr, schrieb sie so, wie sie sich ein Buch wünschte, wenn sie selbst noch ein Kind wäre – und trifft damit mitten in die Herzen ihrer jungen Leser! Sie hat die Erinnerungen und Gefühle aus ihrer eigenen glücklichen Kindheit, von Geborgenheit und Freiheit geprägt, bewahrt und durch ihre Erzählungen wiedergegeben. Ihre Romane, vor allem die, so ist zu mutmaßen, haben unser Bild von Schweden entscheidend geprägt, nämlich Sommeridylle mit roten Holzhäusern am Wasser.
Und genau dieses Bild finden wir in dem hier zu besprechenden, im Jahre 1964 erschienenen Roman, von dem die 'Süddeutsche Zeitung' meint, dass er ohne Handlung auskäme, dass er einfach nur Sommergefühle auf einer Insel beschreibe, die zum Fischen, Baden, Umherstreifen und Träumen einlädt, von Freundschaft mit Menschen und Tieren erzählt. Keine Handlung also, wenigstens nicht so, wie man das aus den allermeisten anderen Kinderbüchern, inklusive der übrigen Werke der schwedischen Schriftstellerin gewohnt ist – aber was für ein ganz bezauberndes Buch wir hier in die Hand gelegt bekommen haben! Ein Buch, das tröstet, obwohl es zum Trösten gar nicht gedacht ist, ein zutiefst menschliches Buch, eines, bei dem gleichzeitig geweint und gelacht werden darf, bei dem alle Regungen dicht beieinander liegen und zugelassen werden dürfen, das eben nicht nur eine Idylle heraufbeschwört sondern auch kleines und größeres Unheil einbrechen lässt, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Dafür ist Tapferkeit gefragt – das weiß Astrid Lindgren genauso wie Malin, die große Schwester des kleinen Pelle, der untröstlich ist über den Verlust seines geliebten Kaninchens Jocke. Wie schon Michel aus Lönneberga und vielen anderen unvergesslichen Figuren der Schriftstellerin klar war, spürt auch Pelle, dass man stark wird, wenn man muss, dass man an den Hürden, die man manchmal zu überwinden gezwungen ist, wächst.
Malin und Pelle sind das älteste und das jüngste Kind des verwitweten, von den Schwierigkeiten des Alltags häufig überforderten und nicht allzu praktischen Schriftstellers Melcher Melcherson aus Stockholm, der sich nichts sehnlicher wünscht, als seinen Kindern, zu denen noch Johann und Niklas gehören, ein guter Vater zu sein und ihnen eine Kindheit zu ermöglichen, die sie auch als Erwachsene nie vergessen sollen. 'Jeder Tag ein Leben' ist sein Motto – und wacker arbeitet er an dessen Umsetzung. Doch fühlt er sich oft unzulänglich, zweifelt an sich, hält sich ob der vielen Pannen, die unvermeidlicher Bestandteil seines Lebens sind, gar für einen schlechten Vater – was seine Kinder, die ihn ebenso lieben, wie er sie, vehement zurückweisen. Und diese Szenen, die sich wiederholen, sind sehr berührend zu lesen! Doch Melcher kann auch Tobsuchtsanfälle bekommen, die aber eher komisch wirken und sich nie gegen andere Menschen, schon gar nicht gegen seine Kinder, sondern immer nur gegen sich selbst richten. Dann muss die hübsche Malin, die nach dem frühen Tod ihrer Mutter nicht nur deren Stelle bei ihren Brüdern eingenommen hat sondern sich genauso auch um ihren Vater kümmert, die Wogen glätten – zur Freude der eigentlichen Hauptperson der Geschichte ohne Handlung, der kleinen Tjorven, die mit ihren Eltern, den Kaufleuten Grankvist, und den Schwestern Teddy und Freddy auf der fiktiven Insel Saltkrokan im Schärengebiet vor Stockholm lebt, auf der die Familie Melchersen – unbesehen! - das baufällige, aber sofort heißgeliebte 'Schreinerhaus' für einen unvergesslichen Sommer gemietet hat. Tjorven ist gut Freund mit allen Bewohnern der kleinen Insel, sie kennt jedermann und jedermann mag sie und hat ein freundliches Wort für sie, wenn sie mit ihrem riesigen Bernhardiner Bootsmann umherstreift. Mit Melcher ist sie sofort gut Freund, obwohl sie ihn mir ihrer ehrlichen und praktischen Art schon auch zur Verzweiflung bringen kann.
Der Sommer ist lang, doch er vergeht wie im Fluge mit allerhand kleinen und großen Abenteuern, mit Seeräuberspielen, Angeln, Bootstouren – und für Malins Brüder mit der Beaufsichtigung ihrer Schwester! Jeder junge Mann, der sich der hübschen 19jährigen nähert, wird sofort vergrault, aus Angst, ihre Malin könne heiraten und sie verlassen! Doch wenn dann plötzlich der Traumprinz aus einem Boot steigt, sind auch die wachsamsten Brüder machtlos.... Genauso wie Melcher, als dieser erfährt, dass das geliebte 'Schreinerhaus', sein Synonym für die perfekte Kindheit für seine Sprösslinge, verkauft werden soll, ja dass der Verkauf schon so gut wie abgeschlossen ist. Doch da gibt es zum Glück noch den empfindsamen Pelle mit den überdimensionalen Antennen, seinen Jüngsten, und dessen findige Freundin Tjorven, die am Ende dafür sorgen, dass alles so kommt, wie es sein muss, auf dass das Paradies erhalten bleibe für viele, viele Sommer mehr! Und für Generationen von Kindern, die auch als Erwachsene gerne an 'ihre' Zeit auf Saltkrokan zurückdenken – sofern es ihnen gelungen ist, ihr inneres Kind am Leben zu erhalten!

Veröffentlicht am 31.05.2021

Doppelleben

Das fremde Gesicht
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Obwohl die im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Erfolgsautorin Mary Higgins Clark, auch mit dem ehrenvollen Titel „Queen of Suspense“ bedacht, mit beinahe jedem ihrer weit über dreißig eleganten ...

Obwohl die im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Erfolgsautorin Mary Higgins Clark, auch mit dem ehrenvollen Titel „Queen of Suspense“ bedacht, mit beinahe jedem ihrer weit über dreißig eleganten psychologischen Thrillern regelmäßig auf der New York Times – Bestsellerliste auftauchte, finden sich die meisten ihrer Kritiker ausgerechnet in ihrem Heimatland. Sie bescheinigen ihr beharrlich nicht nur langweilige und stereotype Protagonisten, vorhersehbare Plots, die den einen zu simpel, den anderen zu komplex und verwirrend sind, und Oberflächlichkeit, sondern auch noch eine zu flache, zu einfach konstruierte Sprache, allenfalls Leser nicht älter als 14 ansprechend, allerdings angefüllt mit zu vielen komplizierten und zu langen Sätzen, die darüberhinaus auch noch voller Adjektive, Adverbien und unnötiger Passivkonstruktionen seien – alles Dinge, die unbedingt zu vermeiden seien, wie die zahlreichen 'Creative Writing Teachers' dozieren!
Nun ja, der Prophet im eigenen Lande... kann man da nur sagen – und zum Beispiel hinüberschauen nach Frankreich, wo Mary Higgins Clarks Spannungsromane einen überwältigenden Zuspruch haben, was auch für Deutschland gilt, beziehungsweise in Mary Higgins Hoch-Zeit, also in den 80er und 90er Jahren galt.
„I'll be Seeing You“ (deutscher Titel „Das fremde Gesicht“) erschien 1993, also während der so erfolgreichen Schaffensperiode der gebürtigen New Yorkerin mit den irischen Wurzeln, die sie nicht müde wurde zu betonen, und vereint all jene Ingredienzien, die ihr Erfolgsrezept ausmachten: eine attraktive Protagonistin, die, zugegeben, immer einem bestimmten Typus zugehörig ist (schön, gebildet, erfolgreich, aus der gehobenen weißen Mittelschicht kommend, katholisch-irischer beziehungsweise katholisch-italienischer Abstammung), eine klug ausgedachte Handlung vor sorgfältig recherchiertem Hintergrund (soviel zur 'Oberflächlichkeit'!), Spannung von der ersten Seite an, mindestens zwei Handlungsstränge, die sich immer mehr annähern und oft sehr raffiniert zusammengeführt werden. Und – bei Mary Higgins Clark muss man einfach auf das Unerwartete vorbereitet sein! Niemand beherrscht das Hakenschlagen so wie sie, niemand auch legt so gekonnt falsche Fährten – selbstverständlich abgesehen von ihrer englischen Schriftstellerkollegin Agatha Christie, der 'Lady of Crime'.
Und so lässt sie ihre Geschichte, die hier besprochen werden soll, auch gleich mit einem Paukenschlag beginnen: die diesmal ersonnene Protagonistin, Meghan Collins, im Journalismus tätig, den sie einer Karriere als Juristin vorgezogen hat, befindet sich im Einsatz in der Notaufnahme einer New Yorker Klinik, als das sterbende Opfer eines Raubüberfalls hereingeschoben wird. Bei einem Blick auf die junge Frau sieht sie – ihr eigenes Gesicht! Und das lässt sie fortan nicht mehr los, wird umso verstörender, als sie wenig später ein Fax erhält, das suggeriert, dass eigentlich sie, Meghan, das Opfer hätte sein sollen....
Reporter sind neugierig, wie man weiß – und so nimmt es nicht wunder, dass Meghan Nachforschungen anstellt, die der Beginn von Enthüllungen sind, von denen sie es vorgezogen hätte, dass sie im Dunkeln geblieben wären, denn sie führen zu der Erkenntnis, dass ihr bei einem Brückenunglück ums Leben gekommener Vater ein Doppelleben geführt hatte.
Als sei das noch nicht belastend genug, tauchen plötzlich Zweifel an dem Unfalltod des Vaters, dessen Leiche nie gefunden wurde, auf, zumal sein Auto ausgerechnet vor dem Haus einer Embryologin gesehen wurde, die ermordet wurde, kurz nachdem Meghan sie bei den Dreharbeiten zu einer Reportage über künstliche Befruchtung kennengelernt hatte, zu der sie in die Manning-Klinik abgeordnet worden war....
Das ist der Stoff, aus dem die 'Queen of Suspense' ihren Roman gewebt hat und mit dem sie ihre Leser in Atem hält. Buchstäblich, denn ein unerwartetes Ereignis folgt auf das andere, jedes ihrer kurzen Kapitel – ein weiteres Markenzeichen der Autorin – endet so, dass man gar nicht anders kann, als weiterzulesen. Man hat eine Ahnung, wohin das alles führen, worauf es hinauslaufen mag, aber sicher kann man sich nicht sein, denn schon das nächste Kapitel kann die gerade gezogenen Schlüsse null und nichtig machen.
Gewiss ist allerdings, dass die hübsche Protagonistin, einmal mehr eine kraftvolle, starke Persönlichkeit, in immer größere Gefahr gerät. Denn da gibt es einen gewissen Bernie Heffermann, der Protagonist aus der Parallelhandlung, ein unterbelichteter, doch psychisch stark geschädigter Mann (verwirrte Geister wie ihn lässt Higgins Clark immer wieder gerne in ihren Thrillern auftauchen), der eine fatale Obsession für Meghan hegt, die ihn jeden ihrer Schritte verfolgen lässt und an dessen Gedanken der Leser direkt teilhat, womit er der fast bis zum Ende ahnungslosen Protagonistin immer mehrere Schritte voraus ist.
Nicht komplex genug sollten Higgins Clarks Handlungen sein? Gerade das Gegenteil, möchte man meinen, denn da ist ja noch die Reportage über die Manning-Klinik, die geradezu unaussprechliche, ethisch auf keinen Fall vertretbare Praktiken ans Tageslicht bringt, die jemand unter allen Umständen verborgen halten möchte. Jemand, bei dem letztlich alle Stränge in einem fulminanten Finale zusammenlaufen werden....
Summa summarum: „I'll be seeing you“ ist unzweifelhaft einer der stärksten, vielschichtigsten, ausgefeiltesten und spannendsten Romane, die Mary Higgins Clark in ihrer mehr als 40 Jahre währenden Schriftstellerkarriere auf den Markt gebracht hat – und das ganz ohne die heute so beliebten ausgeweiteten und brutalen Grausamkeitsszenen! Atemlose Spannung, prickelnden Nervenkitzel, das hat sie immer wieder bewiesen, kann man, ist man denn des Schreibens mächtig, viel effektiver auch auf ganz andere Weise erzeugen!