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Veröffentlicht am 20.07.2021

Interessante Romanbiografie über eine bemerkenswerte Frau!

Frieda von Richthofen
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Diese Romanbiographie, in der wir Frieda von Richthofen näher kennenlernen, ist nicht nur interessant und unterhaltsam, sondern auch literarisch ansprechend.

Frieda von Richthofen ist eine Frau, die sich ...

Diese Romanbiographie, in der wir Frieda von Richthofen näher kennenlernen, ist nicht nur interessant und unterhaltsam, sondern auch literarisch ansprechend.

Frieda von Richthofen ist eine Frau, die sich nicht an Konventionen hält und Grenzen sprengt, weil sie mehr will, als das, was das beginnende 20. Jahrhundert ihr zugesteht.

Frieda von Richthofen ist die Frau, die den 1885 geborenen und 1930 verstorbenen englischen Schriftsteller D. H. Lawrence zu Werken wie „Lady Chatterley“ inspirierte.

Mit 20 Jahren heiratet sie 1899 den um 14 Jahre älteren britischen Philologen Ernest Weekley.
Das Paar wird in Nottingham sesshaft und bekommt drei Kinder.
Der Alltag mit dem rigiden Professor, die theatralische, gekünstelte und letztlich biedere und spröde Gesellschaft, ihre Rolle als Mutter und die ereignislose englische Provinz erfüllen diese außergewöhnliche junge Frau nicht und man fragt sich, was aus ihr geworden wäre, hätte sie nicht eines Tages im Jahr 1907 ihre ältere Schwester in München besucht.

In der Schwabinger Bohème fühlt sie sich erstmals frei und lebendig. Sie bekommt eine Ahnung davon, wer sie ist, was sie will und was alles sein könnte.

Ihre Begegnung mit dem Psychoanalytiker Otto Gross stellt einen weiteren Wendepunkt dar. Sie stürzt sich nicht nur in eine leidenschaftliche Affäre, sondern sie wird inspiriert von seinen Gedanken und Ideen.
Ihr inneres Korsett wird durch ihre Zeit in München und durch ihre Beziehung mit Otto Gross gesprengt.

Es ist nach diesen Erfahrungen eigentlich kaum anzunehmen, dass sie sich jemals wieder in ihr Leben in der englischen Provinz einfügen wird.

Zurück in England wird auch nichts mehr wie es war.
1912 begegnet sie dem unvermögenden und ambitiösen Schriftsteller D. H. Lawrence.
Ihre heftige Liebe ist aufsehenerregend und ungeheuerlich.
Sie erregt großen Unmut.

Wir erleben in dem lesenswerten Roman von Annabel Abbs die innere und äußere Veränderung einer bemerkenswerten Frau mit, die mit ihren inneren Ambivalenzen zu kämpfen hat und letztlich nicht anders kann, als sich zu emanzipieren.

Und wir erfahren sehr viel Wissenswertes über die Gepflogenheiten, Konventionen, Schwierigkeiten und Reformbewegungen der damaligen Zeit.

Es gefiel mir, auch andere Perspektiven, nämlich die ihres Ehemannes Ernest und ihres Sohnes Monty kennenzulernen.
Das brachte nicht nur Abwechslung, sondern erweiterte auch den Blickwinkel.

Ich empfehle diese gut recherchierte, unterhaltsam, interessant und feinfühlig geschriebene Romanbiographie sehr gerne weiter.


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Veröffentlicht am 14.07.2021

Eine literarische Perle!

Delilah
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„Delilah“ ist eine Perle voller Überraschung, Tiefgründigkeit, Metaphorik und Poesie.
Schon rein äußerlich ist dieses schmale Bändchen mit den rotbackigen Äpfeln, dem Symbol der Verführung, eine Pracht. ...

„Delilah“ ist eine Perle voller Überraschung, Tiefgründigkeit, Metaphorik und Poesie.
Schon rein äußerlich ist dieses schmale Bändchen mit den rotbackigen Äpfeln, dem Symbol der Verführung, eine Pracht.

Penelope sitzt in ihrem Jugendzimmer und erinnert sich an ihr letztes Schuljahr im Gymnasium.
Ein Jahr, das von der Freundschaft mit Delilah, einem 6-köpfigen „Freundschaftsgespinst“ und der ersten Liebe geprägt wurde.

Zu Beginn treffen wir auf zwei sehr gegensätzliche jugendliche Freundinnen im Abschlussjahr des Gymnasiums:
Die neue Mitschülerin Delilah und die Ich-Erzählerin Penelope.

Delilah ist ein unabhängiger, unbeschwerter und selbstbewusster Anführertyp und Penelope ist ein wohl behütetes, schüchternes und selbstunsicheres Mädchen, das sich als langweilig empfindet, Schutz sucht und sich gern anlehnt.

Die beiden schlendern durch den Vorort und pausierten auf einem Findling neben dem Fluss.

Und hier, auf dem Findling am Fluss, erzählt Delilah ihrer Freundin, die von ihr manchmal „kleines Entlein“ (S. 10) genannt wird, die Geschichte ihres Namens.

Im weiteren Verlauf der Geschichte erinnert sich Penelope an die Zeit mit der charismatischen, unabhängigen und schönen Delilah.

Wir lesen vom ersten Schultag im letzten Schuljahr auf dem Gymnasium.
Bereits in den ersten Augenblicken entstand ein besonderes Band zwischen den beiden Mädchen.

Wir erfahren vom ersten Ausflug mit Delilah, die die Fähigkeit hat, die Einzelgänger und Außenseiter der Klasse zu eine Gruppe zu vereinen und Freundschaften zu stiften.

Freundschaften zwischen Jan, Penelope, Tanja, Markus und Delilah selbst als imposantes Zentrum.

Wir lesen vom gemeinsamen Äpfelpflücken im Garten von Penelopes Eltern und von einer Mathematikstunde, in der der Lehrer eine Mitschülerin aufs Übelste beleidigt und erniedrigt.
Delilah kümmert sich nur um die reifen und schönen Äpfel und
Delilah verteidigt die gedemütigte Mitschülerin.

Eines Tages stößt Jonas, ein Freund von Jan, zu der Gruppe um Delilah. Als er eine Skizze von ihr anfertigen will, gerät sie in Rage und preist stattdessen Penelope als Modell an.

Penelope wird mehr als Jonas‘ Modell.

Von da an vollziehen sich Veränderungen im Kreis der sechs Freunde und v. a. mit Delilah:
„Mit jedem Tag wuchsen wir stärker zusammen, doch Delilah entfernte sich.“ (S. 46).

Die Geschichte umspannt ein Jahr, das mit einer Begegnung beginnt, die befreiend wirkt und allerlei Entwicklungen und Veränderungen in Gang setzt.
…und am Ende steht die schmerzliche Ambivalenz.

Dieses Werk zu lesen lohnt sich.
Die poetische Sprache mit ihren anschaulichen und eindrücklichen Bildern und Metaphern lädt dazu ein, sich hineinfallen zu lassen und zu genießen.
Die Geschichte selbst animiert zum Nachdenken.
Ganz von selbst und ausgelöst durch die nachvollziehbare Darstellung komplexer Gefühlswelten, kristallisieren sich Gedanken heraus, die sich auf das eigene Leben beziehen.
Es geht dabei vor allem um Fragen rund um Freiheit und Sicherheit sowie Abhängigkeit und Unabhängigkeit.

Die 1983 geborene Sandra Weihs verwöhnt den Leser mit präzisen, glaubhaften und tiefgründigen Charakterzeichnungen.
Die Proragonisten der Geschichte erwachen in all ihrer Vielschichtigkeit zum Leben.
Sie sind individuell und haben Ecken und Kanten, auch wenn sie im Großen und Ganzen Repräsentanten von Charakteren darstellen.

„Delilah“ bekommt einen dauerhaften Platz in meinem Bücherregal.
Es ist ein Büchlein, zu dem ich gern ein zweites Mal greifen werde.




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Veröffentlicht am 10.07.2021

Mal ein etwas anderer Welpen-Ratgeber…

Abenteuer Welpe
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Dieses Buch zeigt, wie sehr der Einzug eines Welpen mit Gefühlen und Erwartungen aufgeladen ist und beleuchtet neben all dem Schönen, das ein Welpe mit sich bringt, auch die Schattenseiten, Unklarheiten ...

Dieses Buch zeigt, wie sehr der Einzug eines Welpen mit Gefühlen und Erwartungen aufgeladen ist und beleuchtet neben all dem Schönen, das ein Welpe mit sich bringt, auch die Schattenseiten, Unklarheiten und Schwierigkeiten der ersten Zeit.

Das ist schon deshalb wichtig, weil man dadurch Illusionen verliert und Enttäuschungen vermeidet bzw. vermindert.

Aber es bleibt nicht beim bloßen BELEUCHTEN.
Tipps, Tricks, Trost und Ermunterungen helfen über schwierige Momente hinweg und machen es etwas leichter, Herausforderungen zu meistern.

Übermüdung sowie unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen führen nicht selten zu Frustration, intrafamiliären Spannungen oder Konflikten in der Beziehung.

Ein sich einmischendes oder besserwisserisches Umfeld strapaziert oft die Nerven der neuen Hundebesitzer und Diskussionen mit Bekannten lassen einen manchmal fast verzweifeln.

Die Hundetrainerin Jana Rätke und die Psychologin Barbara Perfahl gehen auf Fragen zum Verhalten von Welpen ein, erklären warum sie in gewissen Situationen so und nicht anders handeln, geben Tipps, wie man das Verhalten von Welpen beeinflussen kann und verraten Trainingsansätze und Lösungswege.

Sie fokussieren die häufigsten und typischen fünf Probleme der ersten Wochen:
Stubenreinheit, Schlafplätze, Spaziergänge, das Verhalten gegenüber anderen Hunden sowie die unerwarteten Konflikte im sozialen Umfeld.

Aber auch Themen wie Autofahren, Stadtbummel, Halsband und Leine, Leinenführigkeit, Freifolge und Hundeschule werden aufgegriffen.

Ich finde die grobe Einordnung der Hundehalter in Typen sehr interessant, v. a. weil in diesem Rahmen deren realistische, derzeit unrealistische oder gänzlich unrealistische Erwartungen ins Visier genommen werden.
Diese Auseinandersetzung ist außerordentlich wichtig, um Frustrationen, negativen Gefühlen und enttäuschten Erwartungen vorzubeugen.

Äußerst wertvoll sind die zahlreichen Fallbeispiele am Ende des Buches, in denen das Problem geschildert, die Ursache herausgearbeitet und eine Lösungsmöglichkeit genannt wird. Interessant dabei ist die wechselseitige Fokussierung von Mensch und Hund.

Auf die Frage, wie man möglichst unbeschadet durch die turbulente Welpenzeit kommt, gibt es neben den Tipps „Bleiben Sie trotz aller Widrigkeiten heiter und gelassen, denn die schwierigen Momente gehen vorüber!“, „In der Ruhe liegt die Kraft“ und „Setzen Sie Prioritäten!“ noch zahlreiche andere Möglichkeiten, die helfen können, die ersten Wochen zu meistern.
…und die Idee, ab Stunde Null ein sog. Glückstagebuch zu führen gefällt mir prima. Das werde ich bestimmt umsetzen, schon deshalb, um diese interessante, turbulente, anstrengende und letztlich wundervolle Zeit nicht zu vergessen.

Mir gefällt diese etwas andere Herangehensweise äußerst gut, weil man sich durch den offenen Umgang mit schwierigen Themen ein realistisches und rundes Bild der ersten Zeit mit seinem tierischen Familienzuwachs machen kann.

Ich empfehle diesen informativen, kurzweiligen, unterhaltsamen und hochwertig gestalteten Welpenratgeber, der in einem verständlichen und lockeren Plauderton geschrieben und mit schönen Fotos und aufschlussreichen Anekdoten versehen ist, sehr gerne weiter.



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Veröffentlicht am 02.07.2021

Ein tiefgründiges Buch über universelle Themen!

Das Land der Anderen
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Dieses Buch zu lesen, war eine Selbstverständlichkeit für mich, da mich bereits die beiden anderen preisgekrönten Werke von Frau Slimani, „Dann schlaf auch du“ und „All das zu verlieren“, überzeugten.

„Das ...

Dieses Buch zu lesen, war eine Selbstverständlichkeit für mich, da mich bereits die beiden anderen preisgekrönten Werke von Frau Slimani, „Dann schlaf auch du“ und „All das zu verlieren“, überzeugten.

„Das Land der Anderen“ ist eine Familiengeschichte, eine Liebesgeschichte und eine Geschichte, in der es um innere Ambivalenzen, sowie um die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängig geht.
Die Geschichte spielt in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Wir lernen Mathilde kennen, die mit ihrer Familie im Elsass lebt und 1947 dem Marokkaner Amine Belhaj, der als Offizier in der französischen Armee gekämpft hat, begegnet.
Schwer verliebt folgt sie ihm in seine Heimat Marokko, wo sie schon bald desillusioniert wird.
Das Paar bekommt zwei Kinder und bewirtschaftet ein karges Stück Land am Fuße des Atlasgebirges.
Ihr Alltag ist entbehrungsreich und hart, zuweilen auch einsam.

Es macht Freude, Mathilde und ihren Ehemann, dessen Bruder Omar, der für ein freies Marokko kämpft und seine Schwester Selma, die für ein freies Leben kämpft und etliche andere Menschen kennenzulernen und zu begleiten.

Die verschiedenen Ambivalenzen mitzuerleben, gibt Denkanstöße.
Da ist die Zerrissenheit einer jungen Frau zwischen ihrer europäischen Herkunft und der aktuellen marokkanischen Heimat.
Da ist die Polarität zwischen dem Islam und dem Christentum und da ist der Widerstreit zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Ansprüchen und Erwartungen der Familie.

Die 1981 geborene französisch-marokkanische Schriftstellerin widmet sich bedeutenden Themen wie Befreiung, Unabhängigkeit, Sehnsüchte, Wünsche und Illusionen.
Sie schreibt schnörkellos und nüchtern, aber gleichzeitig steckt das Buch voller Emotionen.
Anschaulich, präzise, glaubwürdig und atmosphärisch beschreibt sie die Szenerie und das Innenleben der Protagonisten.

Es ist äußerst interessant, in diese andere und fremde Lebenswelt einzutauchen und sich mit dem patriarchalisch orientierten Gesellschaftssystem auseinanderzusetzen. Sich „ganz nebenbei“ mit der Politik, der Geschichte und der Entwicklung dieses von 1912 bis 1956 unter französischem Protektorat lebenden Landes zu befassen war äußerst aufschlussreich und bereichernd.

Schade, dass es den Roman nicht schon vor meinem länger zurückliegenden Marokkourlaub gab. Er wäre eine unterhaltsame und informative Urlaubsvorbereitung gewesen.

Ich empfehle „Das Land der Anderen“ von Leila Slimani sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 30.06.2021

Ein wunderbares Portrait eines amerikanischen Kleinstadtlebens kurz nach dem zweiten Weltkrieg…

Country Place
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Gleich zu Beginn ein kleiner Abschnitt, der vielen Lesebegeisterten gefallen wird, weil sie sich darin wiederfinden:
„Die ganze Highschool durch verschlang er Bücher wie ein Allesfresser, im Stück. Die ...

Gleich zu Beginn ein kleiner Abschnitt, der vielen Lesebegeisterten gefallen wird, weil sie sich darin wiederfinden:
„Die ganze Highschool durch verschlang er Bücher wie ein Allesfresser, im Stück. Die Bibliothekarin sah ihn immer leicht verwundert an, wenn er ihr fünf, sechs, sieben Bücher auf einmal hinlegte. Sie sagte auch jedes Mal dasselbe. „Liest du die wirklich alle?“ Und er nickte und trat die Flucht an, um möglichst schnell ins Innere möglichst vieler Bücher zu gelangen.“ (S. 129)

Der Roman „Country Place“ spielt 1946 in Lennox, Connecticut, einem von überwiegend konservativen und rigiden Weißen bevölkerten fiktiven „Provinznest an der Mündung des Connecticut River“ (S. 9), das im Sommer ein Ferienort für Städter und die restliche Zeit über „allem Anschein nach ein stilles, verschlafenes Dorf“ (S. 10) ist.

Schon die erste Seite ist stark!
Was wir lesen, ist witzig, originell, verwunderlich und empörend.
Der Ich-Erzähler Doc Fraser, ein Apotheker mit eigenem Drugstore und Katze, stellt sich und eine seiner Grundhaltungen offenherzig und in locker-lebendigem Plauderton vor:
Er sei ein Durchschnittsmann und hege „Vorurteile gegenüber dem Weiblichen jeglicher Art und Gattung, menschlich wie tierisch.“ (S. 7)

Im Nu hat Ann Petri mich gepackt. Spätestens auf Seite 10, als der Ich-Erzähler, der etwas schrullig und altmodisch und trotz seiner freimütig eingestandenen Voreingenommenheit gegen Frauen irgendwie sympathisch wirkt, auf den oben genannten Begriff „allem Anschein nach“ eingeht und andeutet, dass sich im Vorjahr bedauerliche Dinge ereignet haben, von denen er auf den folgenden Seiten berichten möchte, konnte ich kaum mehr aufhören zu lesen.

Die Geschichte wird uns dann aber nicht nur von Doc Fraser in der Ich-Perspektive, sondern v.a. von einem allwissenden Erzähler nahegebracht, der uns neben der Handlung und den Orten des Geschehens v. a. die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Innenleben der Figuren lebendig, detailliert und nachvollziehbar schildert.

Wir erfahren, dass der 26-jährige Johnnie Roane eines morgens im September nach vier Jahren Abwesenheit mit dem Zug nach Lennox heimkehrt. „Frisch zurück aus dem Krieg, den Armeesack schräg über dem Rücken“. (S. 14)

Er nimmt ein Taxi und lässt sich heimfahren.

Er ist „so froh, zu Hause zu sein, dass es weh tut!“ (S. 20), voller Sehnsucht nach seiner jungen und schönen Ehefrau Glory und gleichzeitig voller Abneigung gegen diese „gottverdammte Stadt“ (S. 19) mit ihren selbstgefälligen alteingesessenen Bürgern und mit deren Klatsch, Tratsch und Gespött über andere. Schon als kleiner Junge wollte er in einer großen Stadt leben und jetzt, als Mann, träumt er davon, mit seiner Frau nach New York zu ziehen, zu studieren und Maler zu werden.

Das Misstrauen erweckende Gespräch mit dem Taxifahrer, genannt Wiesel, und die überfahrene Katze, „ein Matsch aus schwarzem Fell und dunkelrotem Blut“ entfachen eine Vorahnung, dass da etwas höchst Unangenehmes und vielleicht sogar Bedrohliches auf Johnnie, die Stadt bzw. uns Leser zukommt. Das aufkommende Unwetter, das uralte Bäume entwurzeln wird, tut sein Übriges…

Ich werde diesbezüglich nicht das Geringste verraten, da ich niemandes Lesegenuss verringern möchte.
Nur so viel: originelle Idee, klasse Komposition, wunderbare Sprache.

Im Verlauf der Lektüre lernen wir nicht nur Johnnie, sondern auch seine Frau Glory und deren äußere und innere Lebenswelten gut kennen.
Die selbstbezogene, arrogante und habgierige Glory, die sich gern selbst bemitleidet, neidisch auf Andere schaut, immer das Gefühl hat, zu kurz zu kommen und meint, sie sei etwas Besseres.
Der künstlerisch ambitionierte und empfindsame Kriegsheimkehrer Johnnie, der schon als Kind gern las und malte, bei der Armee einen Künstler kennengelernt hat und nun davon träumt, nach New York zu ziehen, zu studieren und Maler zu werden.
Es macht Spaß, ist bewegend, fesselnd und unterhaltsam, die beiden, deren Angehörige und weitere Bewohner von Lennox kennenzulernen und zu begleiten.

Ich bin angetan von Ann Petrys Stil. Sie vermittelt die Kleinstadtatmosphäre wunderbar und überzeugt mit glaubwürdigen Dialogen und authentischen Charakteren. Es gelingt ihr dabei scheinbar spielerisch, Spannung aufzubauen. Für mich war der Roman ein sehr unterhaltsamer Pageturner.

Ann Petry ist eine präzise Beobachterin, die das Beobachtete wunderbar und anschaulich in Worte fassen kann. Sie schmettert dem Leser keine Botschaften entgegen.
Stattdessen streift sie ganz unaufdringlich viele Themen und regt damit zum Nachdenken an. Es geht um Werte, Neid, Missgunst, Gier, Vorurteile, Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus, Klassengesellschaft und Betrügereien.
Daneben spielen Wandel und Veränderung … Phänomene, die von Erschütterungen ausgelöst werden, eine bedeutende Rolle.

„Country Place“ war nach „The Street“ der zweite Roman der 1908 geborenen afroamerikanischen Autorin Ann Petry.
Er erschien bereits 1947.
Die Geschichte spielt in Connecticut, wo die Schriftstellerin aufwuchs und nach kurzer Unterbrechung bis zu ihrem Tod lebte.
Ann Petry zeichnet ein wunderbares Porträt eines Kleinstadtlebens in Neuengland der damaligen Zeit. Und das konnte sie, weil sie es selbst hautnah miterlebt hatte.

Ich empfehle „Country Place“ sehr gerne weiter.
„The Street“ liegt schon bereit und auf „The Narrows“, ihren dritten Roman, der nächstes Jahr auf Deutsch erscheinen wird, freue ich mich schon!

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