4,5 Sterne: Erfrischende, spannende Dystopie mit starker Protagonistin
Spoilerfreie Rezension
Inhalt
Die Zukunft: Menschen, Tiere und Pflanzen lassen sich mit Apps spielend leicht genetisch modifizieren. Mit einem Panel im Arm, dessen Ausläufer den ganzen Körper durchziehen, ...
Spoilerfreie Rezension
Inhalt
Die Zukunft: Menschen, Tiere und Pflanzen lassen sich mit Apps spielend leicht genetisch modifizieren. Mit einem Panel im Arm, dessen Ausläufer den ganzen Körper durchziehen, kann man sich Vampirzähne wachsen lassen, die Haarfarbe ändern, übermenschlich gut sehen und unmenschlich schnell heilen. Die großartigen technischen Errungenschaften werden jedoch von einer gefährlichen Seuche getrübt, die einen Großteil der Menschheit ausgelöscht hat. Die infizierten Körper bersten nach ein paar Tagen und setzen eine hochinfektiöse Staubwolke frei. Die Welt hofft atemlos auf einen Impfstoff – bis dahin gibt es nur einen Weg immun zu werden: indem man das Fleisch eines Infizierten zu sich nimmt. Nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters, liegt es in den Händen von Cat, einer talentierten Hackerin, den Impfstoff zu entschlüsseln und die Menschheit zu retten…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Verlag: Thienemann-Esslinger
Seitenzahl: 480
Altersempfehlung: 14-17 Jahre
Erzählweise: Ich-Erzähler, hauptsächlich Präsens (& Präteritum)
Perspektive: aus weiblicher Perspektive (Cat)
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: - Es werden Versuche an Ratten, Affen und vielen weiteren Tierarten besprochen und für akzeptabel und notwendig gehalten, Vögel werden getötet, um mehr über sie herauszufinden. Einmal geht jemand auf die Jagd, um „Druck abzulassen“, er tötet also aus Spaß, was absolut nicht in Ordnung ist! An dieser Stelle wieder mein Verweis – für alle Menschen, denen Tierversuche ein Dorn im Auge sind – zum Verein „Ärzte gegen Tierversuche“, die teilweise schon recht erfolgreich gegen Tierversuche (die aus verschiedenen Gründen sinnlos sind) und für tierversuchsfreie Forschungsalternativen kämpfen.
Warum dieses Buch?
Der Titel klang ehrlich gesagt nach einer 0815-Dystopie (er wird dem Buch gar nicht gerecht), aber der Klappentext konnte mich schlussendlich überzeugen. Diese Geschichte klang sehr frisch und spannend, da konnte ich natürlich nicht widerstehen.
Meine Meinung
Einstieg (+/-)
Es dauerte ein paar Seiten, bis ich vollkommen in der Geschichte angekommen war. Aber spätestens nach dem zweiten Kapitel fieberte ich sehr mit Cat mit.
„Ein Atemzug ist alles, was nötig ist: ein Moment, in dem sich die Lunge mit den unsichtbar schwebenden Viruspartikeln füllt, die sich danach in jeder Zelle meines Körpers ausbreiten werden. Man bekommt Fieber; das Virus vervielfältigt sich; und zwei Wochen später explodiert man wie eine Granate, um jeden in einem Umkreis von einer Meile zu infizieren.“ E-Book, Position 103
Schreibstil (+/-)
Emily Suvada hat einen sehr angenehmen Schreibstil: Er ist flüssig, angenehm lesbar und für ein Jugendbuch im genau richtigen Maße komplex (viele Satzgefüge). Zudem gelingt es der Autorin spielend leicht, Emotionen und Spannung zu erzeugen, so dass man schon recht früh emotional sehr involviert ist. Beeindruckt hat mich auch, auf wie viele verschiedene Arten und wie intensiv die Autorin Schmerz und Angst beschreiben kann.
Obwohl sich der Schreibstil also eigentlich perfekt für die junge Zielgruppe eignet, hatte ich mit einem Aspekt große Probleme: Man merkt, dass sich Emily Suvada, die selbst Mathematik studiert hat, sehr gut mit den Themen Coding, Gentech und genetische Programmierung auskennt und auf viel Hintergrundwissen zugreifen kann. Teilweise sind ihre Erklärungen (die einen großen Teil des Buches ausmachen, aber niemals langweilig waren) jedoch für Anfänger viel zu ungenau. Ich kann es leider überhaupt nicht ausstehen, wenn ich etwas nur halb und nicht im Detail verstehe, weshalb mich die schwammigen Beschreibungen das ganze Buch über wahnsinnig gemacht haben. Und: Wissen Sie zufällig, was Wörter wie „geodätisch“ heißen? Das wurde nämlich beispielsweise nicht näher erklärt. Ich kann mir vorstellen, dass Jugendliche (wenn sie sich nicht gerade in diesem Bereich selbst viel Wissen angeeignet haben) hiermit noch viel größere Probleme haben werden. Hier hätte sich die Autorin besser in die Zielgruppe und generell in LeserInnen, die sich mit dem Thema nicht auskennen, einfühlen müssen.
Inhalt, Themen, Botschaften & Ende (♥)
Emily Suvada hat in ihrer Dystopie eine faszinierende, aber auch erschreckende Zukunft erschaffen. Die Autorin hat hier ohne Zweifel eine gruselige, brutale Welt kreiert, die mich vor allem auf den ersten Seiten positiv an das tolle Videospiel „The Last of Us“ erinnert hat. Die Brutalität und Gewalt im Buch könnten für sensible Jugendliche zu viel sein, hier sollte individuell entschieden werden, ob die Geschichte geeignet ist. Jedoch ist sehr positiv anzumerken, dass die Konsequenzen von Gewalt und dem ständigen Überlebenskampf in diesem Buch (im Gegensatz beispielsweise zu „Children of Blood and Bone“ von Tomi Adeyemi) schmerzhaft deutlich aufgezeigt werden. Moralisch richtiges Handeln wird immer wieder thematisiert und steht im Fokus der Geschichte. Dieser Aspekt ist wirklich sehr gut gelungen!
Das Buch beschäftigt sich mit unzähligen verschiedenen, vor allem ernsten Themen: Es geht um Selbstfindung in einer zerstörten Welt, darum, was Familie ausmacht, um zwiespältige Gefühle, um Altruismus, Vertrauen, Überleben, das Bringen von Opfern, moralisch schwierige Entscheidungen, Schuld und noch viel mehr. Eines kann man nach dem Lesen dieses Jugendbuches mit Sicherheit nicht behaupten: dass es sich die Autorin leicht gemacht hätte oder auf Klischees zurückgegriffen hätte. Im Gegenteil – „Cat & Cole: Die letzte Generation“ ist ein Buch, das vielschichtig ist, Tiefe besitzt, und Jugendlichen einiges zutraut. Das ist schön.
Das Ende wartet noch einmal mit einer gänzlich unerwarteten Wendung auf, und obwohl ich irgendwie finde, dass dieses Buch besser als Einteiler konzipiert worden wäre, bin ich dennoch sehr neugierig und freue mich auf den Folgeband.
Protagonistin (♥)
Die starke, komplexe Protagonistin fand ich von Anfang an großartig – sie ist selbstbewusst, intelligent und wild, lässt sich nicht einschüchtern und nichts gefallen. Gleichzeitig ist sie jedoch eine mitfühlende Person mit einem Gewissen, die sich immer wieder die Frage stellt, was die richtige Entscheidung ist. Stellenweise hat mich die mutige Cat, die auch gerne mal stur ist und in ihrem Eifer übers Ziel hinausschießt, an Katniss aus den „Tributen von Panem“ erinnert (großes Lob!). Man merkt, dass die Autorin viele Liebe und Zeit in die Figurenentwicklung gesteckt hat – und das lohnt sich. Die technisch versierte Heldin hat ohne Zweifel Vorbildwirkung für Mädchen, weswegen ich dieses Buch Jugendlichen ohne ein Zögern empfehlen würde. Müsste ich Cat in fünf Worten beschreiben, würde ich sagen: „badass“, mit einem großen Herzen. Und das sind mir die liebsten Protagonistinnen.
„‘Wenn ich dich anweise, in Deckung zu bleiben, musst du mir gehorchen.‘
‚Ich nehme keine Befehle von dir entgegen‘, sage ich, als ich das Gaspedal bis auf den Boden durchdrücke.“ E-Book, Position 1955
Figuren (♥)
Die Figuren sind bis in die Nebenfiguren sehr liebevoll gezeichnet, viele davon sind wirklich sympathisch und wachsen einem schneller ans Herz, als man schauen kann. Vor allem Cole hat etwas in mir berührt, ich fand ihn mit all seinen Macken, Stärken, seiner schlimmen Vergangenheit und seinem Humor einfach wundervoll.
Spannung & Atmosphäre (+)
Auch hier hat die Autorin alles richtig gemacht: Sie hat sich einen interessanten Plot überlegt, der wirklich voller absolut (und ich meine absolut!) unvorhersehbarer Twists und Wendungen steckt, die mich vollkommen überrascht haben und oft sogar richtig baff zurückließen. Geschickt platzierte Cliffhanger ziehen zusätzlich das Tempo an und helfen, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu halten. Trotz dieser Spannung bin ich nicht immer so leicht und schnell im Buch vorangekommen, wie ich mir das gewünscht hätte. Woran das genau lag, kann ich nicht sagen, denn man hätte eigentlich kaum kürzen können, weil ziemlich viel im Buch passiert.
Die Atmosphäre ist immer wieder sehr dicht und schlägt in Sekunden von hoffnungsvoll, romantisch oder glücklich zu actionreich, traurig oder ernst um. Auch dieses Kunstwerk gelingt hervorragend.
Humor (♥)
Es gibt nicht viele lustige Stellen, aber der Humor, der immer wieder (manchmal auch unerwartet) durchblitzt, hat mir sehr gefallen.
Love is in the Air (♥)
Ja, dieses Mal tatsächlich. Zwischen Cole und Cat entwickelt sich eine der authentischsten Liebesgeschichten, von denen ich seit Langem in einem Jugendbuch gelesen habe. Auch wenn mir das Wort Liebe am Ende zu hastig in den Mund genommen wurde, so war ich dennoch sehr angetan – das Knistern, die Chemie und die langsam wachsende Zuneigung zwischen Cat und Cole drang durch die Seiten direkt bis in mein Leserherz. Ich würde mir wünschen, dass sich manche Autorin an Emily Suvada diesbezüglich zum Vorbild nehmen.
Geschlechterrollen (♥)
Man merkt, dass die Autorin eine moderne, feministische Frau ist, denn ihre Hauptfigur ist alles andere als stereotyp: Sie bricht Klischees, indem sie wild, mutig, stark, technisch hochbegabt und ziemlich „badass“ ist. Immer wieder gibt sie den Ton an, durchschaut Dinge schnell und gibt den Männern in ihrem Leben ordentlich Kontra. Doch auch Männer werden nicht in Schubladen gepresst: Sie dürfen stark sein, aber auch weinen, verletzlich, sanft und verliebt sein, können teilweise sehr gut kochen und machen den Abwasch. Emily Suvada ist definitiv eine Bereicherung für das Jugendbuchgenre, weil sie sehr sensibel mit dem Thema umgeht und so mithilft, unsere Zukunft zu einer besseren zu machen, in der sich jedes Geschlecht so entfalten darf, wie es will. Dafür ein Herz!
Mein Fazit
„Cat & Cole: Die letzte Generation“ ist ein innovatives, erfrischendes Jugendbuch, das mit faszinierendem Worldbuilding, einem angenehmen Schreibstil und liebevoll ausgearbeiteten Figuren überzeugt. Die Atmosphäre im Buch ist dicht, die Protagonistin (die mich vage an Katniss erinnerte) ist mutig, stark und hochintelligent (und hat so Vorbildwirkung für Mädchen/junge Frauen). Zahlreiche geschickt platzierte Cliffhanger und vollkommen unerwartete Wendungen kreieren atemlose Spannung. Emily Suvada beschäftigt sich in ihrem Debüt mit ernsten Themen und scheut sich nicht davor, in die Tiefe zu gehen. Geschlechterklischees werden zudem gezielt gebrochen, und die emotionale Geschichte wartet mit einer Lovestory auf, bei der es beim Lesen kribbelt und warm ums Herz wird. Lediglich mehr, anschaulichere, verständlichere und detailliertere Erklärungen zu den Innovationen hätte die Autorin ihrer Leserschaft bieten müssen, dann wäre dieses Buch perfekt gewesen. Aber auch so ist eine wirklich gelungene Jugend-Dystopie daraus geworden!
Den zweiten Band werde ich sehr wahrscheinlich auch lesen.
Leseempfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung für Dystopie-Fans!
Bewertung
Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Worldbuilding: 5 Sterne
Ausführung: 4,5 Sterne
Einstieg: 4,5 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Nebenfiguren: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Spannung: 5 Sterne
Ende: 5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Geschlechterrollen: ♥ (Vorbildwirkung für Mädchen!)
Insgesamt:
❀❀❀❀,5 Lilien
Dieses Buch bekommt von mir 4,5 sehr gute Lilien!