Werden sie sich wiedersehen?
Der Vogel vor dem Fenster„...Sie nahm die Jahreszeiten auf eine sinnliche Weise war, schmeckte die Schneeflocken auf der Zunge, fühlte die glatte Schale der niederprasselnden Kastanienfrüchte mit der Handfläche, atmete den Frühling ...
„...Sie nahm die Jahreszeiten auf eine sinnliche Weise war, schmeckte die Schneeflocken auf der Zunge, fühlte die glatte Schale der niederprasselnden Kastanienfrüchte mit der Handfläche, atmete den Frühling ein...“
Die 17jährige Felicitas ist Novizin im Katharinenkloster in Augsburg. Sie möchte das Kloster verlassen und hofft auf die Erlaubnis ihres Vaters. Dann wandern ihre Gedanken einige Jahre zurück in eine behütete Kindheit. Damals war Martin Luther zu Besuch in ihrem Elternhaus. Mit 15 Jahren lernt Felicitas auf einen Fest Lienhard kennen, den Sohn eines Webers.
Die Autorin hat einen spannenden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Die Zeitverhältnisse erlauben keine Liebe über Standesgrenzen hinweg. Daran hatte auch die Reformation nichts geändert.
Während ich als Leser Felicitas` Erinnerungen verfolgen darf, erfahre ich gleichzeitig, wie es Lienhard in dieser Zeit gegangen ist. Die Liebe der beiden blieb nicht verborgen. Felicitas` Vater reagierte schnell und brachte seine Tochter ins Kloster. Allerdings war das sowieso geplant, denn die Äbtissin ist ihre Tante und Felicitas hatte im Kloster die Möglichkeit zu lernen. Jetzt wurden die Regeln insofern geändert, das ein Besuch bei der Familie außerhalb der Klostermauern kein Thema mehr war.
Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen und ist sehr facettenreich. Felicitas` Sehnsucht nach ihrem Geliebten ist in jeder Zeile spürbar. Sehr behutsam wird das erste Zusammentreffen von Felicitas und Lienhard geschildert. Hier bedient sich die Autorin eines romantischen Sprachstils. Obiges Zitat, was Felicitas` Situation beschreibt, zeigt, wie gekonnt passende Metapher verwendet werden. Bei Lienhards Erleben im Krieg wird ein völlig anderer Stil gewählt. Nun dominieren Angst und Schrecken. Die Hoffnung, als wohlhabender Mann aus den Kämpfen zurückkehren zu können, war trügerisch.
Auch Felicitas` Leben im Kloster hat nichts mehr mit Romantik zu tun. Aus Tante Veronika wird Mutter Oberin. Felicitas kann dem Klosterleben nichts abgewinnen. Sie wartet auf den Tag der Freiheit.
Gut dargestellt wird insbesondere bei Lienhard der Zwiespalt darüber, welche Religion nun für ihn die Richtige ist. Häufig ist es besser zu schweigen, denn man weiß nie, was der Gegenüber denkt. Im Elternhaus musste Lienhard erleben, dass die Zerrissenheit des Landes und die vielen Kleinkriege für die Handwerker der Untergang waren. Erwartete Wollliefungen blieben aus. Die Reserven schmolzen dahin.
Einen interessanten Protagonisten hat die Autorin in Felicitas` Vater kreiert. Er ist ein Mann seiner Zeit, aber an Recht und Gerechtigkeit gebunden. Zwar tut er alles, um seine Tochter zu beschützen und sie von Lienhard zu trennen, aber ersteht auch zu seinem Wort. Ersteres kann ich ihm nicht einmal verdenken, denn er sieht das Verhältnis realistischer als die Liebenden. Sicher denkt er auch weiter.
Das Cover passt, denn Vögel spielen im Geschehen öfter eine Rolle.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Das lag insbesondere auch an dem ausgewogenen Schriftstil der Autorin, den sie gekonnt der jeweiligen Situation angepasst hat.