Sie mussten nach links gehen
Liebe Daffy,
heute erreicht dich ein Brief über ein ganz besonderes Buch. Hierbei handelt es sich um Monica Hesses „Sie mussten nach links gehen“ (Original: „They Went Left“, 2020), das 2020 bei cbj erschienen ...
Liebe Daffy,
heute erreicht dich ein Brief über ein ganz besonderes Buch. Hierbei handelt es sich um Monica Hesses „Sie mussten nach links gehen“ (Original: „They Went Left“, 2020), das 2020 bei cbj erschienen ist. Die deutsche Übersetzung stammt von Cornelia Stoll.
Nachdem ich „Das Mädchen im blauen Mantel“ von der Autorin gelesen hatte, habe ich händeringend auf ein neues Buch gewartet. Monica Hesse versteht es, ganz besondere Geschichten in der Zeit des zweiten Weltkriegs anzusiedeln. Ihre Recherchen scheinen ausgesprochen umfangreich zu sein, was ihre Erzählung sehr dicht und emotional packend macht. Auf Grundlage wahrer Begebenheiten schafft sie fiktive Geschichten, die mir sehr nahe gehen und im Gedächtnis bleiben.
Inhalt
Das KZ Groß-Rosen wurde von den Alliierten befreit und der Krieg scheint zu Ende zu sein. Doch ein schreckliches Ereignis ist nicht beendet, nur weil es die Behauptung gibt, der Krieg sei vorbei. Zofia steht nach der Entlassung aus dem Krankenhaus vor dem Nichts. Ihre Familie hat sie bei der Ankunft im KZ verloren, da sie nach links – zu den Gaskammern – gehen mussten. Einzig ihren Bruder Abek kann sie nun suchen und so begibt sie sich auf die verzweifelte Suche nach ihm und einem Leben nach dem Krieg.
Handlung
Aufgrund meiner schulischen und akademischen Ausbildung habe ich mich schon vielfältig mit der Zeit des zweiten Weltkriegs beschäftigt. Dennoch habe ich noch nicht viele Bücher in Händen gehalten, die sich mit der Zeit unmittelbar nach Kriegsende befassen. Dieses Buch hat mir gezeigt, welche Wichtigkeit die Aufarbeitung dieser Zeit hat und wie wenig wir darüber beispielsweise in der Schule lernen.
Monica Hesse entwickelt hier eine hoch emotionale Geschichte, wie sie so oder so ähnlich ganz sicher stattgefunden haben kann. Zofia steht stellvertretend für unendlich viele Menschen, die ihre Familien, Freund*innen und ihr Zuhause verloren haben. Es gab kein Zurück zu einer bisher bekannten Normalität. Obwohl der Krieg als Beendet erklärt wurde, erlebt Zofia ein ständiges Gefühl der Unsicherheit, der Bedrohung und hat unendliche Zukunftsängste. Monica Hesse gelingt es, ihre Figuren vielschichtig zu gestalten, die Zeit greifbar zu zeichnen und jede Seite mit Emotionen zu füllen.
Figuren
Monica Hesse beschreibt in ihrem Nachwort einen kleinen Teil ihrer Recherche. Wie oben bereits erwähnt, schuf sie eine fiktive Geschichte, die jedoch auf wahren Begebenheiten beruht. Die ihr zugänglichen Biografien von Opfern des Holocaust haben in die Entwicklung der Figuren Einzug erhalten, weshalb ich dem Buch eine hohe Glaubwürdigkeit zuschreiben möchte. Ich empfinde ihre Arbeit als respektvollen Umgang mit dem Thema und als einen wichtigen Beitrag, damit wir lernen und besser verstehen können.
Zofia ist zum Zeitpunkt der Erzählung achtzehn Jahre alt. Sie gehört zu denen, die bei der Befreiung des KZ Groß-Rosen am Leben waren und nach dem Krankenhausaufenthalt zurück ins freie Leben finden musste. Wie schwer es für sie und die anderen Opfer gewesen sein muss, kann ich aufgrund des Buches nur erahnen. Die Gräueltaten, die die Menschen durchleben mussten sind unvorstellbar. Doch Monica Hesses dichte Erzählung lässt uns nachempfinden wie es gewesen sein könnte, indem sie uns Zofia vorstellt. Die junge Frau besitzt eine bewundernswerte Stärke und den Willen, für ihre Zukunft zu kämpfen. Immer wieder erleben wir Rückblicke, wenn sich Zofia an einen Moment im KZ erinnert und erschüttert uns beim Lesen dieser schrecklichen Erlebnisse. Doch die Hoffnung ist genauso zu spüren und wir sind nur allzu bereit, Zofia auf ihrer Suche nach ihrem Bruder bei jedem Schritt zu begleiten.
Auf diesem Weg lernt sie viele andere Überlebende und deren Geschichten kennen. Die Vielfalt der Figuren schafft einen Einblick in unterschiedliche Erlebnisse, Ansichten, Zukunftspläne und Wünsche. Obwohl alle eine unsagbar schreckliche Zeit erlebt haben, sprühen viele der Figuren nur so vor Lebensfreude und Ideen. Die Hilfsbereitschaft, aber auch das Misstrauen kann ganz toll dargestellt werden.
Schreibstil
Monica Hesse hat einen packenden Schreibstil, der mich wieder einmal nicht losgelassen hat. Ich wollte nur einmal in das Buch hineinlesen und hatte es dann innerhalb eines Tages verschlungen. Ich war zu keinem Zeitpunkt nicht emotional involviert. Die Geschichte hat mich zugleich beeindruckt, aber auch stark mitgenommen.
Eine besonders schöne Idee ist die Bezeichnung der Kapitel, da die Überschriften die Geschichte auf vielfältige Art und Weise widerspiegeln.
Ein Kritikpunkt sind sie unfassbar vielen Rechtschreib- und Druckfehler, die die deutsche Fassung hat. Hier sollte der Verlag bei einer Neuauflage dringend nachbessern.
Fazit
Mir bleibt an dieser Stelle nur zu sagen, dass ich dieses Buch allen wärmstens ans Herz legen möchte. Monica Hesse überzeugt mich mit dieser Erzählung wieder einmal vollkommen, sodass ich es kaum erwarten kann, wenn 2022 ihr nächstes Werk auf Deutsch erscheinen wird.
Deine Daisy