Eine wundersame "Verkettung von Umständen"
"Und jetzt lass uns tanzen" von Karine Lambert ist im Diana-Verlag 2017 (HC, gebunden) erschienen. Übersetzt wurde der Roman aus dem Französischen von Pauline Kurbasik.Es ist der zweite Roman der Autorin, ...
"Und jetzt lass uns tanzen" von Karine Lambert ist im Diana-Verlag 2017 (HC, gebunden) erschienen. Übersetzt wurde der Roman aus dem Französischen von Pauline Kurbasik.Es ist der zweite Roman der Autorin, die in Frankreich bereits Erfolge erzielen konnte und nun erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.Es handelt sich um einen Roman über 'späte Liebe', aber auch über Selbstbestimmung seines Lebens bis ins hohe Alter hinein, das mit sehr sanften und äußerst sensiblen Klängen literarisch brilliert.
"Beinahe wären sie einander nie begegnet. Marcel, der den Sternenhimmel liebt, und Marguerite, die nur dem Tag Schönheit abgewinnen kann. Er, für den nur die Freiheit zählt, und sie, die ausnahmslos allen Regeln folgt. Doch dann verlieren beide ihre langjährigen Ehepartner. An diesem Wendepunkt in ihrem Leben treffen sie aufeinander und stellen überrascht fest, dass sie über die gleichen Dinge lachen. Wagen sie es auch, noch einmal zu lieben?"(Quelle: Buchrückentext)
Meine Meinung:
Die beiden Hauptprotagonisten Marguerite und Marcel sind mir auf Anhieb sympathisch; der Autorin gelingt es in sehr sensibler Weise, beide Charaktere zu beschreiben:
Marguerite, deren Leben durch ihren Mann, einem Notar, sehr vorbestimmt war und die sich zeitlebens seinen Regeln unterwarf, überlegt nun im hohen Alter von 78 Jahren nach seiner Beerdigung, was sie mit ihrem restlichen Leben anfangen solle.... Sie vertraut sich ihrem Hausarzt an, der ihr eine Thermalkur in den Pyrenäen verschreibt... Ihr Sohn Frédéric, selbst verheiratet mit Carole, reagiert mit Unverständnis und nicht nur im beruflichen Leben ist er das Abbild seines gestrengen Vaters. Dennoch fährt Marguerite, die sich mit ihrem Enkel Ludovic bestens versteht; die Beziehung zu ihrem Sohn allerdings ist schwieriger...
Marcel, der als Kind mit seiner Familie aus Algerien nach Frankreich emigrierte und Nora, eine Nachbarstochter, die sich ihnen anschließen, ist von Kindertagen an in Nora verliebt und die beiden werden ein glückliches Paar; in späten Jahren verreisen sie oft mit dem Scrabble-Club, dem sie beide mit Leidenschaft angehören. Auf einer Reise nach Nizza wird Nora durch einen tragischen Unfall Marcel nun jäh entrissen....
Die Fassungslosigkeit Marcels, die sich nach einem solchen Verlust in einem Menschen abzeichnet, ist von Karine Lambert wunderbar beschrieben worden; ebenso die Tatsache, dass Marguerite sich auch erleichtert fühlt, und noch immer an ihre Schwester Hélène denkt, die sie sehr liebte - und die dem Leben zugewandt war, bis ein Unfall sie früh aus dem Leben riss....
Marguerite und Marcel treffen nun in einer Thermalbad-Kur aufeinander und begegnen sich zufällig auf der Terrasse: Sie stellen fest, dass sie über die gleichen Dinge lachen können und sofort ist eine gewisse Sympathie füreinander da. Marcel lädt Marguerite ein, nach der Kur noch einige Tage gemeinsam zu verbringen und die beiden alten Menschen kommen sich näher...
Mit viel Feingefühl und leisen Tönen erzählt dieser Roman von der Entwicklung zweier alter Menschen, die einen Verlust erlitten haben, jedoch hier nicht für den Rest ihres Lebens in eine Art Schockstarre verfallen, sondern sich ganz langsam aufeinander zu bewegen (das Cover porträtiert dies sehr treffend). Es sind sanfte, aber zuweilen auch sehr herzergreifende Töne, die das Alter und Älterwerden beschreiben; Marguerite und Marcel lernen sich kennen - und mögen. Marguerite kürzt ihr Haar und lässt den strengen Knoten - und damit ihr altes Leben - im Frisiersalon, bevor sie Marcel wiedertrifft. Hierin liegt auch ein gewisser Mut, das Leben nochmals neu zu beginnen. Während Marcel eher Unterstützung in seiner Tochter findet, die Liaison zu Marguerite betreffend, stellt Frédéric hier für Marguerite eine große Herausforderung dar:
Besonders gut gefallen mir die detaillierten Beschreibungen, wo sich die Rollen/Beziehungen von Eltern und Kinder oftmals ins Gegenteil verkehren und besorgte Kinder, die auch überreagieren, ihren Eltern alles verbieten möchten, was Spaß und Freude machen könnte, dies hat sicher einen sehr realen Hintergrund ("in Wirklichkeit will er nur an Dein Tafelsilber" - O-Ton Frédéric). Letztendlich lernt der Sohn durch die Mutter, mal die Krawatte und die Steifheit seines Lebens abzulegen ;)
Es gibt wunderschöne Sätze über das Älterwerden "den neuen Rhythmus annehmen" (Zitat S. 141) und den zentralen, zeitlosen Satz:
"Manche Begegnungen begleiten einen bis ans Lebensende".
Marguerite und Marcel haben durch viel Mut und die Fähigkeit, erneut zu lieben, noch viele schöne Jahre miteinander, die sie mit Reisen verbringen, so oft sich ihnen die Möglichkeit bietet.
Fazit:
Ein wunderschöner Roman mit leisen Tönen voller Ehrfurcht vor dem Leben selbst, über das Älterwerden, den Verlust und auch den möglichen Neubeginn. Eine feinsinnige, teils humorvolle und poetisch geschilderte "Verkettung von Umständen" mit lebensbejahenden und mutigen Auswirkungen auf die beiden liebenswerten Protagonisten; auch ein Beweis in Romanform, dass Liebe kein Alter kennt. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung und 5 Sterne!