Der 3. historische Roman von Liz Trenow "Das Haus der Seidenblüten" (Originaltitel "The Silk Weaver") erschien 2018 als im blanvalet-Verlag.
England, 1760:
"Das Leben der jungen Anna Butterfield ändert sich grundlegend, als sie vom idyllischen Suffolk zur Familie ihres Onkels nach London zieht. Kurz nach ihrer Ankunft begegnet sie dem französischen Seidenweber Henri und wird hineingezogen in die faszinierende Welt des Seidenhandels. Henri arbeitet an seinem Meisterstück, während Anna sich danach sehnt, Künstlerin zu werden, anstatt einen reichen Anwalt zu heiraten wie von ihrer Familie gewünscht. Henri erkennt, dass Annas Blütenzeichnungen ihnen beiden die Chance auf Unabhängigkeit schenken könnten. Doch sein Leben als Einwanderer wird täglich gefährlicher, bis die dramatischen Zeiten ihn und Anna für immer auseinanderzureißen drohen." (Quelle: Buchrückentext)
Meine Meinung:
In der Zeit der Aufklärung begegnen sich die 18jährige Pfarrerstochter Anna Butterfield und Henri Vendome, der seine 7jährige Lehre bei dem hochgeachteten Meisterweber Monsieur Lavalle fast beendet hat und das künstlerische Zeichentalent von Anna entdeckt: Die beiden verlieben sich ineinander, obgleich sie aus verschiedenen Standesschichten kommen und eine gemeinsame Zukunft perspektivlos scheint. Anna lebt im Hause ihres Onkels, einem Tuchhändler, und ihrer Tante Sarah, deren größter Wunsch der gesellschaftliche Aufstieg ist. Die Nichte erlebt London, aus Suffolk kommend, wo sie inmitten der prächtigen Natur im Pfarrhaus aufwuchs, als eine Metropole mit solch pulsierendem Leben, das sie zuvor nicht kannte. Jedoch fühlt sie sich eingesperrt und einsam, da der Standesdünkel ihrer Tante, die sich eine gute Partie für sie wünscht, jede Eigeninitiative, das Haus zu verlassen, zum Scheitern verurteilt. Doch Anna findet einen Weg und verlässt mit Korb, Papier und Zeichenstiften das Haus des Onkels...
Der Roman ist flüssig und leicht zu lesen. Liz Trenow gelingt es, eine Atmosphäre des Londons aus dem Jahre 1760 zu schaffen, die mir sehr gut gefallen hat, da sie alles gewohnt bildhaft und detailreich schildert. Jedem Kapitel geht ein Auszug eines Buches über die "Umgangsformen der feinen Dame" (Anna) bzw. ein Auszug des "Handbuch für Lehrjungen und Gesellen oder Wie man zu Reichtum und Ansehen kommt" (Henri) voraus; diese sind zwar mitunter amüsant zu lesen, hätten jedoch m.E. auch weggelassen werden können. Schön und sehr passend fand ich die französischen Dialog-"Einsprengsel", da die zugewanderten Hugenotten natürlich ihre Muttersprache sprachen - und es gab sehr viele französische Seidenweber anno 1760 in London!
Es geht um die Themen Einwanderung, Henri ist als verfolgter Hugenotte mit seiner Mutter aus Frankreich geflohen und diese sehr bedrohte Minderheit der Calvinisten fand in England anfangs eine Willkommenskultur vor, die jedoch abnahm, je mehr weitere Wellen von Einwanderern damals ins Land kamen. Diese politischen bzw. religiösen Bezüge und die Not der Hugenotten hat Liz Trenow sehr gut anhand der Familie Vendome beschrieben. Hauptsächlich geht es jedoch - neben der Liebesgeschichte zwischen Anna und Henri, die sehr anrührend und romantisch erscheint - um das Handwerk der Weber, um ihre Arbeitswelt und die schlechte Entlohnung, die sie erfuhren und die zu Aufständen führte, die teils gewaltsam waren. Die Informationen über die Seidenweberei fand ich äußerst interessant, da es hier um die Übertragung der Skizzen Annas auf die textile Webfläche auf Henris Webstuhl ging: Ein Botaniker und ein bekannter Maler, der vor allem für seine naturnahen Werke geachtet war, und deren Bekanntschaft Anna im Roman machen kann, fließen ebenfalls in den Roman ein und geben ihm damit eine kreativ-künstlerische Note. Manches fand ich sehr informativ, manches inspirierend, jedoch konnte mich dieser Roman nicht ganz so mitreißen wie seine beiden Vorgänger. Die Figurenzeichnung sowohl der beiden Hauptprotagonisten Anna und Henri als auch der Schneiderin Charlotte, Meister Lavalle, dem Cousin William u.a. ist jedoch sehr gelungen und die jeweiligen Charaktere sind feingezeichnet. Besonders der eigenwillige Charakter von Anna, die sich über die vorherrschenden Standesdünkel hinwegsetzte, war mir sehr sympathisch.
Die Anmerkungen der Autorin zur Romanidee, eine Zeittafel und literarische Quellen des gutrecherchierten Romans runden den Roman ab.
Fazit:
Wer sich in die Zeit der Aufklärung ins London des 18. Jahrhunderts, in eine Tuchhändler- und in die Seidenwebergilde begeben möchte, einen sehr informativen und unterhaltsamen Roman lesen möchte, in dem es natürlich um Liebe, aber vorrangig um Kunst, Naturmotive, Mode, edle Stoffe, das Handwerk des Webers geht, ist hier gut beraten, zuzugreifen. Ich fühlte mich gut unterhalten, habe selbst einen Bezug zum Weben und kann den neuen Roman von Liz Trenow weiterempfehlen. 4* und 85° auf der Histo-Couch erhält er von mir.