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Veröffentlicht am 01.09.2021

Seifenoper ohne Erkenntnisgewinn

Die Frauen von New York - Glanz der Freiheit
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Ausgangspunkt ist das Jahr 1942, die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs sind in den Vereinigten Staaten bisher kaum zu süren. Aber die Zeiten ändern sich.

Lily Rose kommt aus einer wohlhabenden Familie, ...

Ausgangspunkt ist das Jahr 1942, die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs sind in den Vereinigten Staaten bisher kaum zu süren. Aber die Zeiten ändern sich.

Lily Rose kommt aus einer wohlhabenden Familie, ihr Lebensweg scheint vorgezeichnet. Sie lebt ihren Traum als Köchin in einem angesagten Uptown Restaurant, nach Meinung ihrer Familie allerdings nur eine kurze Episode, die hoffentlich schnell zu Ende geht, denn ihre Mutter hat bereits eine lukrative Verbindung für sie arrangiert, die auch der Familie zu Gute kommen soll. Doch darauf lässt sich Lily nicht ein, denn sie hat andere Pläne. Sie träumt davon Küchenchefin zu werden, ihr eigenes Restaurant zu führen, hat jedoch nicht mit dem erbitterten Widerstand ihrer Familie gerechnet…

Eigentlich hatte ich gehofft, in diesem Roman etwas über die Lebensumstände der Frauen zu erfahren, die während der Kriegsjahre dafür sorgen mussten, dass das Leben in der Heimat weitergeht. Die den Platz der Männer übernehmen mussten, die an die Front geschickt wurden. Dieses Versprechen löst die Autorin leider nur teilweise ein, was vor allem an ihrer Protagonistin liegt. Lily ist privilegiert, und es ist ihre Auseinandersetzung mit diesem Milieu, das den Großteil der Handlung bestimmt. Anderes fehlt wiederum, was eigentlich prägend für diese Zeit gewesen wäre. Der Umgang „normaler“ Menschen mit dem Mangel, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt bekommen sollen. Der Alltagsrassismus, die ethnischen Diskriminierungen, nur in leichten Ansätzen vorhanden. New York ist (und war) ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, was aber hier scheinbar auch keine größere Rolle spielt. Die Vorbehalte, mit denen Frauen, die sich in traditionell männliche Domänen vorwagen, auch in dieser Zeit zu kämpfen haben, werden zwar thematisiert, wirken aber eher halbherzig und unbeholfen.

Auch wenn man diesem historischen Schmöker einen gewissen Unterhaltungswert nicht absprechen kann, bleibt doch eher der Eindruck einer Seifenoper ohne Erkenntnisgewinn. Leider.

Veröffentlicht am 29.08.2021

Der Mensch ist des Menschen Wolf

Pacific Crest Trail Killer
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Der Pacific Crest Trail ist neben dem Appalachian Trail der wohl bekannteste und spektakulärste Fernwanderweg in den Vereinigten Staaten. Auf einer Länge von 4.300 km durchquert er die drei Bundesstaaten ...

Der Pacific Crest Trail ist neben dem Appalachian Trail der wohl bekannteste und spektakulärste Fernwanderweg in den Vereinigten Staaten. Auf einer Länge von 4.300 km durchquert er die drei Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington, ein äußerst zeitintensives und anspruchsvolles Unterfangen für jeden Wanderer, der sich entscheidet, diese Herausforderung anzunehmen.

Soweit die geografische Verortung dieser Story, und der PCT ist neben Mark „Sarge“ Stetson die heimliche Hauptfigur in Christian Piskullas zweitem Thriller. Stetson ist ein ehemaliger Polizist, der sich einen Jugendtraum erfüllen möchte und nach Beendigung seines Militärdienstes auf dem Trail unterwegs ist. Als die verkohlte Leiche einer jungen Frau gefunden wird und das FBI die Untersuchungen übernimmt, bitten sie ihn, sich als freier Mitarbeiter bzw. „Mann vor Ort“ an den Ermittlungen zu beteiligen, denn alle Hinweise lassen vermuten, dass ein Serientäter sein Unwesen auf dem Wanderweg treibt…

Serienkiller-Thriller sind üblicherweise nicht das, was ich lesen möchte, da sich üblicherweise für meinen Geschmack die Stories zu ähnlich sind und vor allem durch Brutalität punkten. In diesem Fall haben aber zwei Dinge aus dem Klappentext und der Leseprobe mein Interesse geweckt. Zum einen der Handlungsort. Ich bin zwar kein Wanderer, schätze aber gut gemachte Naturbeschreibungen. Der PCT fasziniert mich, seit ich vor einigen Jahren Cheryl Strayeds „Der große Trip“ gelesen habe, die Geschichte einer jungen Frau, die auf der Suche nach sich selbst diesen Trail geht. Zum anderen das Versprechen des Autors, neben diesem Wanderweg auch einen kritischen Blick hinter die Kulissen des amerikanischen Traums zu werfen. Auf die Probleme, die die Menschen am Rand der Gesellschaft haben, deren Dach über dem Kopf aus einem tageweise gemieteten Bett in einem schäbigen Motel, einem abgeranzten Trailerpark oder einem Schrottauto besteht, wenn sie nicht eh obdach- und/oder arbeitslos sind.

Diese beiden Erwartungen wurden von Piskulla zufriedenstellend eingelöst, auch wenn mir die Beschreibungen über weite Strecken etwas zu detailverliebt und ausführlich waren. Hier hätte die eine oder andere Kürzung sich durchaus förderlich auf den Lesefluss ausgewirkt.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zu einem besonderen Anliegen des Autors, das er im Nachwort thematisiert. Hier setzt er sich mit der Rolle der Medien und der einschlägigen Druckwerke auseinander, die mit pornografischen Inhalten und der ausführlichen Schilderung von Gewalt, meist gegen Frauen, Kasse machen und so einer allgemeinen Verrohung Vorschub leisten. Natürlich kann/muss man ihm zustimmen, so ist die Realität. Aber leider muss auch er sich an dieser Aussage messen lassen, und wir stellen fest, dass genau die von ihm kritisierten Punkte auch in seinem Thriller auftauchen. So hat diese Aussage für mich eher den Charakter eines Lippenbekenntnisses. Schade!

Veröffentlicht am 23.08.2021

Innenansichten

Russische Botschaften
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Yassin Musharbash bezeichnet sich selbst als „Terroronkel“. Als Investigativjournalist beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Thematik und hat dazu in den vergangenen Jahren bereits zwei spannende ...

Yassin Musharbash bezeichnet sich selbst als „Terroronkel“. Als Investigativjournalist beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Thematik und hat dazu in den vergangenen Jahren bereits zwei spannende Politthriller („Radikal“ und „Jenseits“) geschrieben. In seinem neuen Roman „Russische Botschaften“ steht allerdings ein anderes Thema im Fokus. Es geht um gezielt lancierte Desinformationskampagnen des russischen Geheimdienstes. Und wo könnte man diese Ereignisse besser verorten als in Berlin, der Hauptstadt der Spione, ein Setting, das bereits den großen John le Carré inspiriert hat, für den Musharbash einige Zeit als Rechercheur tätig war.

Merle Schwalb, Journalistin beim Nachrichtenmagazin Globus wird zu den investigativen Drei Fragezeichen versetzt, dem Mini-Team, das besonders heikle Themen an- und ausgräbt. Und die werden ihr in Form eines Selbstmörders quasi auf dem silbernen Tablett präsentiert, denn dieser landet nach einem Sturz vom Balkon direkt vor Merles Füßen. Die öffentlich zugänglichen Informationen zu diesem Todesfall wecken ihr Misstrauen, und als dann noch eine geheimnisvolle Namensliste auftaucht, die Verbindungen zum russischen Geheimdienst vermuten lässt, schließen sich die Investigativen des Globus mit den Kollegen der Norddeutschen Zeitung NZ zusammen, um Licht in das Dunkel zu bringen. Ein brisantes Unterfangen, denn auf der Liste sind auch die Namen zweier Kollegen zu finden.

Musharbash lässt uns mit diesem Roman tief in die klein-klein Recherchearbeit von Investigativjournalisten eintauchen, die im vorliegenden Fall ihr Konkurrenzdenken zur Seite schieben. Ein Sonderfall, denn hier geht es weniger darum, welches Nachrichtenorgan die Lorbeeren einstreicht und zuerst mit einer wasserdichten Story an die Öffentlichkeit geht. Es geht vielmehr um Journalistenehre, um Propaganda, um Wahrheit und Lüge, um Fake-News und die Rolle der Cyberkriminalität im Nachrichtenwesen. Es geht um die Wege, die gegangen werden müssen, um belastbare Fakten vorlegen zu können. Es geht um das Wer und das Warum, wobei letzteres, zumindest in den Fällen der westlichen Beteiligten, relativ schnell geklärt ist, Money makes the world go round.

Keine Frage, diese Innenansichten sind spannend, aber mir unterm Strich zu einseitig, denn sie bedienen einmal mehr die Mär der bösen Russen samt ihres Staatsoberhauptes, ganz im Sinne des westlichen Narrativs. Eine etwas differenziertere Herangehensweise an das Thema wäre wünschenswert gewesen.

Veröffentlicht am 28.07.2021

Exotisches Setting ist kein Garant für die Qualität

Wild Card
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Der afrikanische Handlungsort von Tade Thomspons „Wild Card“ (im Original „Making Wolf“) ist ungewöhnlich, aber leider ist ein exotisches Setting noch lange kein Garant für die Qualität eines Thrillers. ...

Der afrikanische Handlungsort von Tade Thomspons „Wild Card“ (im Original „Making Wolf“) ist ungewöhnlich, aber leider ist ein exotisches Setting noch lange kein Garant für die Qualität eines Thrillers. Dazu bedarf es gerade dann, wenn man eine Story in Afrika ansiedelt, auch einen kritischen Blick auf die gesellschaftspolitischen Probleme des Kontinents.

Weston Kogi ist mit seiner Schwester während des Bürgerkriegs aus Westafrika geflohen und hat sich mittlerweile eine neue Existenz in London aufgebaut. Als seine Tante stirbt, reist er zu ihrer Beerdigung zurück in die alte Heimat. Das Wiedersehen mit alten Bekannten wird zum riskanten Unternehmen, woran er nicht unschuldig ist. Um zu renommieren und seinen Status aufzupolieren, ändert er nämlich kurzerhand seine Profession vom Supermarkt-Wachmann zum Detective bei der Londoner Mordkommission. Und schon erwartet ihn ein Auftrag, denn der allseits geachtete Papa Busi wurde ermordet, und Weston soll den Fall aufklären. Keine gute Idee, wie er bald feststellen muss, denn mit diesem Auftrag gerät er zwischen alle Fronten.

Die Story kommt im Gewand eines Hardboilers daher und weckt Assoziationen zu den Filmen Tarantinos. Blut fließt reichlich, mit roher Gewalt und Sex wird auch nicht gegeizt. Zwar werden immer wieder Passagen zur afrikanischen Realität eingestreut, diese gehen aber in dem Meer der brutalen Gewaltdarstellungen unter. Ich hatte mir mehr erwartet. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Veröffentlicht am 20.07.2021

Amerikanisches Mittelklasse-Bullerbü

Gute Nachbarn
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Vor einiger Zeit habe ich hier „American Dirt“ besprochen (zur Erinnerung: Konnte mich nicht überzeugen), ein Buch, das in den USA heftige Kontroversen darüber ausgelöst hat, inwieweit ein/e Autor/in ein ...

Vor einiger Zeit habe ich hier „American Dirt“ besprochen (zur Erinnerung: Konnte mich nicht überzeugen), ein Buch, das in den USA heftige Kontroversen darüber ausgelöst hat, inwieweit ein/e Autor/in ein gesellschaftspolitisch relevantes Thema beackern bzw. aus einer Perspektive schreiben darf, die er/sie nicht kennt. Was das angeht, bin ich skeptisch, denn wenn dem so wäre, würde der Krimi-/Thrillermarkt gewaltig einbrechen.

Therese Anne Fowler will dieser Diskussion aus dem Weg gehen. Deshalb stellt sie ihrem Roman erklärende Worte voran, die allerdings eher halbherzig klingen und ihre Motivation für mich nur unzureichend erklären. Die typisch politisch korrekte Argumentation einer weißen, liberalen Amerikanerin und ein Roman-Experiment, das meiner Meinung nach misslungen ist.

Fowler richtet unseren Blick auf eine Neighbourhood in Oak Knoll, North Carolina und lässt eine nicht personifizierte Erzählstimme - die Nachbarschaft – schildern, was sich dort nach dem Zuzug der neureichen Whitmans an Dramen zuträgt. Die Initialzündung ist das Fällen eines Baumes, danach öffnet die Autorin quasi die Büchse der Pandora und macht einen thematischen Rundumschlag, der so gut wie alles abdeckt, was (nicht nur) in der amerikanischen Gesellschaft schiefläuft: Ökologie, Rassismus, Klasse, Gentrifizierung, sexuelle Gewalt, um nur einige zu nennen. Alles vorhanden und schön unterteilt in Gut und Böse, nur leider nicht repräsentativ. Schauen wir auf die Zusammensetzung der Bewohner: Alle gebildet, mit angesehenen Berufen, stabile finanzielle Verhältnisse, freundlich im Umgang, keine Probleme. Man hat das Gefühl, in ein amerikanisches Mittelklasse-Bullerbü geraten zu sein. Bis der böse Umweltzerstörer alles durcheinander wirbelt. Was mich beim Lesen aber am meisten gestört hat, war diese ständig kommentierende Erzählstimme, bei der ich von Beginn an den Eindruck hatte, dass hier die Autorin jeden kritischen Einwand des Lesers vorwegnimmt und ihre eigene Position rechtfertigt. Wenig souverän.