Kann man dem Tod jemals den Stachel nehmen?
NiemehrzeitDas Titelbild zeigt die Eltern des Autoren, Ingrid und Hans Jürgen Dittloff. Beide waren als Teenager zusammen, trennten sich dann wieder, waren anderweitig verheiratet, blieben kinderlos und kamen erst ...
Das Titelbild zeigt die Eltern des Autoren, Ingrid und Hans Jürgen Dittloff. Beide waren als Teenager zusammen, trennten sich dann wieder, waren anderweitig verheiratet, blieben kinderlos und kamen erst als nach Mitte 35jährige wieder zusammen. 1983 war Christian ihr erstes und einziges Kind, das in der Stadt an der Alster geboren wurde.
2018 war ein traumatisches Jahr für den Autoren, denn mit einem Abstand von nicht einmal 3 ½ Monaten verlor er erst seinen Vater ( 1943 ) und dann seine Mutter ( 1946 ).
Er liebte beide und sie ihn auch, obwohl sie etwas hilflos waren, das offen auszudrücken. Dafür zeigte sich diese in vielen anderen Gesten. Als der Vater, der an COPD litt, offenbar an einer Lungenentzündung starb, im Hospital, war das ein harter Schlag für Frau wie Sohn.
All die Formalitäten, die immense Bürokratie, die damit verbunden ist. Der Vater hatte zwar eine Liste erstellt, aber das ändert nichts an den Pflichten, auch wenn man sich waidwund am liebsten verkriechen will.
Seine Mutter, schon schwächelnd und kränkelnd, ja, dann krank, verwindet den Verlust gar nicht. Sie wird immer mehr der Welt entrückt, kappt selbst alle Fäden, die sie noch verbinden, resigniert seelisch und stirbt, noch in Kurzzeitpflege in einem Hamburger Altenheim.
Für den Tod der Eltern gibt es keine Generalprobe. Dieses "Stück" hat zugleich Premiere und wird nur einmal aufgeführt. Wirklich vorbereiten kann man sich darauf nicht. Man wird urplötzlich ins eiskalte Wasser geworfen und kann von Glück sagen, wenn man nicht ertrinkt oder an Unterkühlung stirbt. Mehr Leute, als dem Autoren zu dieser Zeit bewußt sein konnte, hielten seinen Kopf über die Wasserlinie.
Seine Lebensgefährtin, C., ist in diesem seinem Falle eine große, geduldige, empathische, ihn äußerst liebende Hilfe, weil auch sie selbst in jenem Jahr einige Schicksalsschläge erlitt.
Sehr gut finde ich, daß der Autor die landläufigen Meinungen und Ansichten über Trauer, auch die Erkenntnisse der Wissenschaft hinterfragt. Es gibt kein allgemeingültiges Schema für Trauer, die Intensität, gar Dauer. Manche entsprechen den Schemata, manche trauern gar nicht, manche reagieren paradox und bei anderen hört sie nie auf. Ich empfinde es als übergriffige Frechheit, daß Trauer, "die zu lange dauert", als pathologisch bezeichnet wird. Mit welchem Recht? Warum reagieren Freunde genervt? Sind diese dann überhaupt Freunde?
Das Buch ist melancholisch und assoziativ im Erzählstil, weil immer wieder Reminiszenzen auftauchen. Autofiktional, so nennt er das Buch, weil er bezüglich des Lebens seiner Eltern Leerstellen hat, die er mit imaginativer Kraft auffüllt.
Es ist mutig von ihm, so offen darüber zu schreiben und auch einzugestehen, was er falsch gemacht hat. Ich glaube, es gibt fast keinen, der im Angesicht des Todes Heißgeliebter nicht irgendetwas bereut.
Seine Traurigkeit ist greifbar und er ruft eine tiefe Resonanz bei der Leserschaft hervor. Denn zwangsläufig werden durch seine Art zu erzählen, Erinnerungen mannigfaltigster Art bei den Leser / innen erweckt. Wie er selbst schreibt, partizipiert man ohnehin bei der Rezeption, wird ein Teil des Buches, das dadurch wächst.
Das Buch ist aufwühlend, aber nicht bleiern. Tiefgründig und ruft ein profundes Echo beim Lesen hervor, daß sich wiederum auf den Autor zurück überträgt, wenn er von den Reaktionen der Leser / innen erfährt. Und das wird er wohl.
Er beschreibt prägnant, was in ihm psychisch vorgeht, und sich das auch nach außen auswirkt. Ich kann das alles nachvollziehen. Die Wut, die Traurigkeit, das Überbordende des Weinens und die Unfähigkeit selbiges zu tun, das Verkriechen, die Abwehr, die Kaskade der Erinnerungen ...
Er liest außerdem diverse Literatur, die Trauer und Tod tangieren, um zu entdecken, ob er sich reflektiert sieht und es ist eine großartige Hilfe für ihn. Nebenbei bekommt man dadurch sogar noch Literaturtipps! Klasse!
Allerdings stieß mir etwas auf, falls dies der Realität entsprechen sollte: Daß der Bestatter in einer Luxuskarosse vorfuhr — einem schwarzen Jaguar. Das ist pietätlos, weil Bestatter sowieso bei vielen im Ruf stehen, Abzocker zu sein. (2 Euro für ein Totenhemd im Einkauf, bis zu fünfzig Euro bei der Abrechnung für die Hinterbliebenen? Das stand in einem Enthüllungsbuch. Ich jedenfalls machte mit diesen Genossen keine gute Erfahrungen gemacht. Ich nehme mal an, es gibt Anständige, aber diese werden durch die anderen in Verruf gebracht! ) Wenn er mit solch einer Karre ankommt, "schreit" er geradezu: "Seht her, was ich mir mit den überteuert abgerechneten und unnötig aufgeschwatzten Leistungen mir anschaffen konnte!" Privat kann er fahren, was er will, aber beruflich?
Das ist im Buch nur ein Satz, also eigentlich eine Marginalie, ohne, daß der Autor dies bewertet. Nun wird sich der eine oder die andere fragen, warum ich solch einen Aufstand mache. Weil es mich nun einmal gewaltig stört, daß die Trauer Angehöriger ausgenutzt wird, um Geld zu machen. Wozu muß ein Sarg ausgekleidet sein, der Tote ein Kissen, Decke und Totenhemd benötigen? Ich habe dies alles hier erwähnt, weil das mal gesagt werden mußte.
Christian Dittloff jedenfalls hat hier ein Buch geschaffen, das ihm gewiß ebenso von therapeutischem Nutzen war, gleichzeitig ist es eine berührende Liebeserklärung, Elegie und Hymnus an seine verlorenen Eltern. Du kannst noch so alt sein als "Kind", wenn deine Eltern beide tot sind, ist die Kindheit endgültig Geschichte und du fühlst dich als Vollwaise. Ein eminentes Buch! Danke, Christian Dittloff!!! Danke, Berlin Verlag ( Piper )!!!