Ein dunkler, mysteriöser Mix aus Fantasy, Romanze, Krimi und einigen Horror-Elementen
Wir Fans von Lynn Raven mussten ja eine ganze Weile auf ein neues Buch von ihr warten, vor drei Tagen war es aber endlich soweit und "Witchghost" hat die Welt erblickt. Nachdem die Autorin mich schon einmal ...
Wir Fans von Lynn Raven mussten ja eine ganze Weile auf ein neues Buch von ihr warten, vor drei Tagen war es aber endlich soweit und "Witchghost" hat die Welt erblickt. Nachdem die Autorin mich schon einmal im Dark Fantasy Genre mit "Blutbraut", welches zu einem wahren Jahreshighlight geworden ist, überzeugen konnte, hatte ich natürlich auch hohe Erwartungen an "Witchghost". Ganz an "Blutbraut" kommt die Geschichte von Cass und Luke nicht heran, aber auch hier reißt Lynn Raven mit dem dunklen, mysteriösen Mix aus Fantasy, Romanze, Krimi und einigen wohl platzierten Horror-Elementen mit.
Das Cover zeigt (wie eigentlich bei allen Standalones der Autorin, die im cbj-Verlag erschienen sind) das Close-Up einer Frau. Das hier abgebildete Modell hat dunkle Haare, einen stechenden Blick, rote Lippen und trägt ein weißes Kleid, wodurch sich ein interessanter Kontrast aus Hell-Dunkle mit einigen roten Akzenten ergibt. Abgerundet wird der mystische Effekt durch Nebelschwaden, die sich um den Kopf der Frau legen und die Andeutung eines düsteren Waldes im Hintergrund. Ob das Modell nun unsere Hauptfigur Cass, oder vielleicht den Geist der Hexe, die der Geschichte ihren Namen und ihre Spannung gibt, darstellen soll, ist mir nicht ganz klar, da es zu beiden nicht zu 100 Prozent passt. Da mir die Gesamtatmosphäre und Ausstrahlung des Covers aber sehr gut gefällt, ist das kein großes Problem. Das Hexen-Motiv wird auch innerhalb des Buches an den Kapitelanfängen umgesetzt. Hier ist jeweils ein Pentagramm zusehen, das bei den Erzählenden der Familie Castairs mit unterschiedlich vielen Blumen verziert ist, während bei Sarah Ann Wittmores Perspektive das Pentagramm auf dem Kopf steht und mit jedem Kapitel mehr Blätter verliert. Das finde ich sehr spannend umgesetzt, da mir die subtilen Änderungen während der ersten Kapitel gar nicht aufgefallen sind.
Erster Satz: "Die Katze starrte mich an."
Lynn Raven beginnt ihre Geschichte gleich aus mehreren Perspektiven. Zuerst lernen wir unsere Ich-Erzählerin Cassandra Castairs kennen, die bis zu ihrem 18. Geburtstag bei der Familie Wittmore in Neuengland unterkommen soll, da ihre gesamte Familie in kurzer Zeit auf geheimnisvolle Art gestorben ist. Unterbrochen wird ihre Erzählung immer wieder durch kurze Einschübe aus der Vergangenheit, in der Cass´ Urahn William Castairs als personaler Er-Erzähler fungiert und durch kurze Einblicke in Sarah-Ann Wittmores Leben, der Tochter von Cass´ Gastgeber, in der Jetzt-Zeit. Wie die drei Handlungsstränge miteinander verbunden sind und weshalb Lynn Raven ausgerechnet diese Figuren zu Erzählern gemacht hat, erfahren wir erst im Laufe der Geschichte. Schon die Zeitebenen alleine wären verwirrend genug, hinzukommt, dass die Autorin schon in den ersten Kapiteln mit Spezial-Begriffen wie "Coven", "Richter" oder "Vertrauter" um sich wirft, ohne diese genauer zu erklären. Auch im späteren Verlauf der Geschichte wartet man vergeblich auf eine genauere Einführung in die Welt der Hexen und muss sich fast alles aus dem Zusammenhang erschließen. Zuerst irritierte mich das sehr, aber dann habe ich mit der Zeit begriffen, dass genau diese Überforderung beim Lesen auch einen Teil des Reizes der Geschichte ausmacht.
"Da war eine Baumwurzel unter den Blüten... Ich legte die Fingerspitzen auf sie, schickte das Brennen zu ihr. Es strich über meine Haut.
Castairs... Hexe...
Wie ein Flüstern. Etwas, das man hörte, ohne es verstehen zu können. Oder sich daran erinnern. Ich schloss die Augen. Atmete tief und langsam aus. Ein.
Aus.
Castairs... Schwester..."
Nach sehr verwirrenden ersten Seiten in denen wir mit etlichen neuen Namen, Zusammenhängen und Gruppierungen konfrontiert werden und uns in der präsentierten Welt erst einmal zurechtfinden müssen, wird die Handlung ein weniger beständiger als Cass sich auf dem Anwesen der Wittmores einlebt. Die Fragen werden jedoch nicht gerade weniger: Was wollen die Wittmores von Cass? Was hat es mit den mysteriösen Todesfällen in der Gegend auf sich? Wer ist der Geist, der Cass immer wieder erscheint? Auf welcher Seite steht Luke? Welche Fähigkeiten hat er als sogenannter "Vertrauter"? Genau wie Cass wird man vollkommen unvorbereitet in immer neue Situationen geworfen und muss sich vieles selbst erschließen. Das macht die Geschichte anspruchsvoll zu lesen, ist aber äußerst kurzweilig und ermöglicht einen stärkeren Fokus auf die Handlung an sich. Trotz, dass das Buch ein wahrhaftiger Schmöker ist, habe ich es runtergelesen wie 200 Seiten. Die ständig brodelnde Grundspannung, die vielen mystischen Zwischenfälle, Actionszenen, das abwechslungsreiches Setting und nicht zuletzt die Vielfalt an verschiedenen Gefühlen, die hier präsentiert werden, machen das Buch zu einem einzigen Abenteuer, von dem ich gar nicht mehr wollte, dass es zu Ende ging.
"Irgendwie kam ich mir gerade vor wie die Heldin in einem schlechten Horror-Film, die ab einem gewissen Punkt mehr Fragen als Antworten hatte und obendrein noch sehenden Auges in ihr Verderben rannte."
Als ich gelesen habe, es ginge hier um Hexen, war ich mir im ersten Moment nicht ganz sicher, wie ich das finden soll, da dieses Thema genau wie Vampire mittlerweile ein kleines bisschen überstrapaziert ist. Lynn Raven schafft es hier jedoch, alle möglichen Elemente aus Mythen, Sagen, Legenden und Realität zu vermischen, sodass eine Geschichte entsteht, die man noch nie in dieser Form gelesen hat. Geister, Hexen, Tierflüsterer, Zirkel, Rituale, Morde - das ergibt einfach ein unwiderstehlicher Mix. Dazu schreibt Lynn Raven sehr flüssig und leicht verständlich, worunter aber nicht der Detailreichtum der Geschichte leidet. Gefühle bannt sie greifbar in die Seiten und schafft es immer wieder aufs Neue, den Seelenzustand der Protagonistin auch sprachlich zu verkörpern: mal dominieren malerisch schöne Beschreibungen das Bild, in anderen Szenen bekommen wir abgehackte, gehetzte Szenenbeschreibungen in Form von Ein-Wort-Sätzen und Wiederholungen vorgesetzt. Trotzdem schafft es die Autorin in all der dunklen, von Angst und Leidenschaft geprägten Stimmung wunderbar modern und unheimlich erfrischend zu erzählen und Szenen durch humorvolle, sogar ironische Bemerkungen aufzulockern. Natürlich ist irgendwie von Anfang an klar, dass Cass sich in Luke verlieben und das Rätsel um die Morde lösen muss muss. Der Grundverlauf der Handlung ist also relativ vorhersehbar, durch den großen Facettenreichtum und den tollen Schreibstil der Autorin, bildet sich jedoch bald eine unerbittliche Sogwirkung aus.
"Wieder ein Fluch. Noch einer, gefolgt von einem weiteren Schrei. Noch einem.
Krachen.
Prasseln.
Wieder Flüche...
Gefolgt von Stille.
Die blieb.
Lange
-
"
Auch bezüglich der Figuren wird nur wenig erklärt. Hat Cass nun magische Fähigkeiten? Wurde sie zur Hexe ausgebildet? Was ist mit ihrer Familie passiert? Zwar lesen wir die Geschichte über die meiste Zeit aus ihrer Perspektive, sie ist jedoch keine besonders redselige Erzählerin und teilt mehr spöttische Gedanken als Gefühle oder Erinnerungen mit uns. Insgesamt habe ich sie dadurch als zwar sehr interessanter aber auch etwas eigenwilliger Charakter empfunden. Auf der einen Seite tritt sie als machtvolle, kämpferische Castairs Hexe auf, auf der anderen Seite ist da das verstörte Mädchen, das seine Familie verloren hat. Für eine wirkliche Entwicklung bleibt neben der sehr dominanten Handlung nicht wirklich Raum, das wird aber dadurch wettgemacht, dass wir sie nur nach und nach kennenlernen und die Dynamik in ihrer Person also aus einer zunehmenden Öffnung auch gegenüber dem Leser besteht.
"Hier war... nichts. Als würde sich alles vor einem unsichtbaren Raubtier ducken und den Atem anhalten. Ein Raubtier, das sich nach Hexerei anfühlte. Dunkel. Alt. Und faulig..."
Überrascht hat mich auch, dass die Liebesgeschichte sehr stark im Hintergrund steht. Luke ist zwar ein netter Kerl, bleibt hier aber deutlich blasser, als ich das von z.B. "Blutbraut" gewohnt war. Über den dortigen Love Interest, Joaquín, könnte ich seitenweise schwadronieren, Luke hingegen ist echt nicht schlecht, wird mir aber keine schlaflosen Nächte bescheren. Positiv gesehen läuft die sich anbahnende Liebe zwischen Luke und Cass aufgrund der fast vollkommen fehlenden Romantik an keiner Stelle Gefahr, kitschig oder nervig zu werden. Kritisch betrachtet bekommen wir erst gegen Ende die erotische Anziehungskraft zwischen den Beiden mit und können die wachsende Nähe zwischen der geheimnisvollen Hexe und ihrem zwielichtigen Vertrauten nur erahnen. Wer also auf glühende Liebesszenen und Liebe, Drama, Wahnsinn wartet, wird wahrscheinlich enttäuscht. Wer jedoch dem Romantik-Anteil in Fantasy-Geschichten sowieso keine große Bedeutung beimisst, wird hier von der rasanten Handlung überzeugt werden.
"Die Toten tun dir nichts, Cassandra", hatte Granny immer gesagt. "Du musst nur die Lebenden im Auge behalten. Und jene, die zurückkommen."
Als die Geschichte gegen Ende nochmal auf einen absoluten Showdown zuging, begann ich die Vorhersehbarkeit des Buches noch einmal zu hinterfragen und war mir plötzlich absolut nicht mehr sicher, wie das alles wirklich ausgehen würde. Irgendwie hatte ich so das Gefühl, dass Lynn Raven da tatsächlich alles zuzutrauen wäre. Ich hielt alle virtuellen Daumen für meine Protagonisten gedrückt, dass sie doch bitte - bitte - ein halbwegs schönes Ende finden würden. Anscheinend haben meine Stoßgebete zum Lesegott auch etwas gebracht, denn auch wenn das Ende viel zu kurz war und eine Menge Potential verschenkte, bekamen eigentlich alle alles was sie wollten.
Fazit:
Ein dunkler, mysteriöser Mix aus Fantasy, Romanze, Krimi und einigen wohl platzierten Horror-Elementen. Schreibstil, Handlung und Figuren sind mal wieder "typisch Lynn Raven", was leicht enttäuscht sind die Liebesgeschichte und das Ende.