Die Geschichte einer Avon- Kosmetikberaterin- Gelungenes Sittengemälde und unterhaltsamer Roman in einem. Kristina Engel erzählt ein interessantes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte
Ein Koffer voller SchönheitLüneburg, Ende der 50er Jahre:
Anne hat einst in Benno Jensen ihre große Liebe gefunden und ihn auch direkt nach dem Krieg geheiratet. Mittlerweile haben die beiden zwei Kinder im Teenageralter, die Zwillinge ...
Lüneburg, Ende der 50er Jahre:
Anne hat einst in Benno Jensen ihre große Liebe gefunden und ihn auch direkt nach dem Krieg geheiratet. Mittlerweile haben die beiden zwei Kinder im Teenageralter, die Zwillinge Lili und Leo und könnten eigentlich glücklich sein. Doch Benno, der sich kürzlich zusammen mit einem alten Schulkollegen selbstständig gemacht und ein Möbelgeschäft eröffnet hat, macht sich neuerdings rar. Selbst an den Wochenenden bekommt Anne ihren Benno kaum noch zu Gesicht. Dazu gibt es Seiten an Benno seit Kriegsende, die ihr Angst machen. Immer verschlossener gibt er sich und so kommt es zu Spannungen in ihrer gemeinsamen Ehe. Als dann auch noch eine junge und attraktive Verkäuferin im Möbelladen eingestellt wird, fürchtet Annes Schwiegermutter Margarethe, die einen Friseursalon betreibt, dass ihr Sohn womöglich auf dumme Gedanken kommen könnte und versucht alles, um Anne aus ihrem biederen Schneckenhaus hervorzulocken. Obwohl Anne sich durchaus einige Jahre damit zufrieden gegeben hat, Hausfrau und Mutter zu sein, deren oberstes Ziel es ist, den Ehegatten glücklich zu machen, spürt aber auch sie tief in ihrem Inneren brodelnde Unzufriedenheit.
Margarethe schlägt der verdutzten Anne vor, sich bei der amerikanischen Kosmetikfirma Avon als Verkaufsberaterin zu bewerben. Und obwohl Anne erst Bedenken hat, lässt sie sich doch dazu überreden. Als Benno von Annes Vorhaben erfährt, will er es ihr verbieten. Er fürchtet um den guten Ruf der Familie, doch als sich seine und Annes Ehekrise immer mehr zuspitzt, gibt er nach.
Was keiner ahnt, Benno hat eigene Probleme, die ihn umtreiben. Obwohl er es nicht für möglich gehalten hätte, überrascht ihn seine Frau, denn sie ist überaus erfolgreich in ihrem neuen Job als Kosmetikberaterin. Kann Benno über seinen Schatten springen und zugeben, dass er im Unrecht war? Oder wachsen ihm seine Probleme dermaßen über den Kopf, dass er auch in ihrer Ehe versagen wird?
„Ein Koffer voller Schönheit“, von Kristina Engel, alias Brigitte Kanitz/Janson, erzählt die Geschichte einer jungen Frau und Mutter Ende der 50er Jahre, die als eine der ersten Avon-Kosmetikberaterinnen in Lüneburg, von Haus zu Haus zieht, um andere Hausfrauen und Damen zu verschönern.
Die Autorin stellt jedoch nicht unbedingt Annes Job in den Fokus des Geschehens, sondern vor allem erzählt sie die Geschichte einer Ehe im Laufe einiger Jahre. Die Höhen und Tiefen, die Anne und Benno dabei durchleben, werden wohl vielen Ehepaaren der damaligen Zeit nicht unbekannt gewesen sein. Durch die schrecklichen Kriegserlebnisse, kehrten viele Ehemänner mit PTBS zurück und für viele Ehefrauen wird es wohl auch eine Belastungsprobe gewesen sein. Zudem waren sich viele Ehepartner fremd, hastig geschlossene Ehen gab es zuhauf und selbst wenn man dann plötzlich feststellen musste, dass man überhastet geheiratet hatte, ließ man sich zur damaligen Zeit trotzdem nicht scheiden, aus Sorge um den guten Ruf.
Anne und Benno haben aber eigentlich aus Liebe geheiratet und lieben sich immer noch. Doch Benno ist, nicht nur wegen seiner PTBS, ein schwieriger Mensch. Er ist sehr traditionell eingestellt. Dazu gehört, dass er der Meinung ist, dass eine Frau ihren Platz kennen sollte.
Zugegeben, obwohl ich fand dass Benno sehr unsympathisch wirkte, muss man Kristina Engel zugute halten, dass sie ihn lediglich so geschaffen hat, wie Männer der damaligen Zeit halt gestrickt waren. Sicherlich ist es heutzutage schwer zu verstehen, dass sich Frauen zu Männern hingezogen fühlten, die ein solch vorsintflutliches Gedankengut verinnerlicht hatten und lebten. Dennoch muss man sich überlegen, dass es den Frauen von damals bereits von Kindesalter an eingetrichtert wurde, ihr einziger Lebenszweck wäre es, ihren Gatten glücklich zu machen- was man ja auch an der Werbung von einst gut sehen kann.
Und trotzdem gab es durchaus auch wenige Frauen, die eine andere, modernere Einstellung hatten. Wie etwa Annes Schwiegermutter Margarete. Warum sie ihren Sohn nicht besser erziehen konnte, bleibt allerdings ein Rätsel, obwohl sie ihm durchaus oft den Kopf wäscht.
In einer Sache agiert Benno allerdings dermaßen daneben, dass er ab diesem Moment sämtliche noch vorhandene Sympathiepunkte bei mir verspielt hatte und ich mir gewünscht hätte, dass Anne sich lieber einen anderen Mann sucht.
Gelungen fand ich das historische Flair, das diese Geschichte umwebt. Man fühlt sich nach wenigen Seiten bereits direkt in die damalige Zeit versetzt und Kristina Engel versäumt es dazu auch nicht, wichtige politische oder kulturelle Ereignisse, ganz natürlich, einzustreuen.
Ich gebe es zu, ich hätte mir ein wenig mehr „Avon-Beratungsgespräche“ zwischen Anne und ihren Kundinnen gewünscht, denn die wenigen, die in diesem Roman zu finden sind, mochte ich sehr. Das lag vor allem daran, dass Annes Kundinnen „frei von der Leber weg“ quasseln. Für mich gehörten sie zu den Highlights in „Ein Koffer voller Schönheit“.
Die Geschichte lässt sich, dank des flüssigen, wie immer ansprechenden Schreibstils, gut lesen und weckt zudem auch Erinnerungen an Erzählungen aus dem eigenen Familienkreis. Ein paar Rezensenten bemängelten das etwas offene Ende. Ich vermute allerdings, dass es womöglich noch weitergehen könnte mit Anne und Benno in einem zweiten Teil. Denn vieles würde dafür sprechen. Benno hat es mir sehr schwer gemacht, genauso hätte ich mir Anne ein wenig aufgeschlossener gewünscht, aber zumindest konnte man Annes Verhalten, dass mit ihrer schwierigen Jungendzeit zu tun hatte, nachvollziehen. Trotzdem fand ich „Ein Koffer voller Schönheit“ lesenswert und empfehle ihn sehr gerne weiter.
Kurz gefasst: Die Geschichte einer Avon- Kosmetikberaterin- Gelungenes Sittengemälde und unterhaltsamer Roman in einem. Kristina Engel erzählt ein interessantes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte.