Harvey ist gerade erst sechs Jahre alt, da verliert sie ihre Eltern bei einem Autounfall. Ihr einziger Verwandter ist ihr Onkel Jason. Der war aber bei Harveys Eltern immer ein Tabuthema, sodass sie quasi nichts über ihn weiß. Denn: Er saß im Gefängnis, trinkt, und ist aggressiv (wenn nicht sogar cholerisch). Aus diesen Gründen wollte Harveys Mutter keinen Kontakt zu ihm haben. Nun entschließt er sich, sein Leben endgültig in den Griff zu bekommen und sich seiner Nicht anzunehmen.
Auch wenn sich diese kurze Inhaltsangabe nicht spektakulär anhört – das Buch ist es. Im Vordergrund steht für mich die Botschaft „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Jasons Leben ist, wie er auch selber merkt, alles andere als ein gutes Umfeld für ein sechsjähriges Mädchen. Für sie möchte er aber nun alles ändern: einen geregelten Tagesablauf, Dinge planen und entspannt angehen, und vor allem Verantwortung übernehmen um den Leuten zu zeigen, dass „jemand wie der da“ es schaffen kann und durchaus ein gutes Vorbild sein kann.
In den ersten Kapiteln wird die heile Welt beschrieben – Harvey lebt gut behütet bei ihren Eltern, bevor der Unfall alles auf den Kopf stellt. Es wird abwechselnd in der Gegenwart (Harvey studiert inzwischen) und der Vergangenheit erzählt, was der Geschichte einen schönen Effekt gibt: einer der schönsten und wahrsten Sätze in diesem Buch lautet: "Das ist die Wahrheit, Harvey, nicht das, was auf einem Stück Papier steht oder im Blut, was sowieso keiner sehen kann – sondern die Erinnerung, wie es sich angefühlt hat, zusammen zu sein.“ Harvey erinnert sich in den Rückblenden an schöne Momente mit Jason, an nicht so schöne, aber es ist nicht zu leugnen: aus ihnen ist eine Familie geworden – trotz der Tatsache, dass es ihnen durch Jasons Vergangenheit schwer gemacht wurde. Aber auch Jason, der sich der Verantwortung bewusst ist, vieles aber erst im Laufe der Zeit lernt, hat eine wichtige Erkenntnis: "[…] dass es lauter kleine Dinge waren – der Pizzaabend, Schlagzeug spielen, Zeichentrickfilme angucken –, die das Leben lebenswert machten.“
Die Story ist nicht außergewöhnlich: keine romantische Liebesgeschichte, kein raffinierter Thriller, es gibt keine unerwarteten Wendungen oder Kniffe. Aber genau das alltägliche Leben, was in diesem Buch beschrieben wird, macht es besonders. Auch die Entwicklung der Charaktere, die beide unweigerlich durchmachen, ist authentisch und realistisch. Jason zeigt, dass es schwer ist, sein Leben komplett umzukrempeln, aber möglich, wenn man es wirklich möchte. Und Harvey zeigt, wie leicht man einen Menschen lieben kann, der nicht den Konventionen entspricht, der eine schwere Vergangenheit hatte und auch Fehler macht. Die beiden sind unterschiedlich und passen dennoch gut zusammen. Für mich sind logische Charaktere in einem Buch mit das wichtigste, und diese beiden könnten aus dem wahren Leben gegriffen sein.
Mit seinem leichten Schreibstil fängt Simon van Booy die alltäglichen Momente gekonnt ein, macht sie zu etwas besonderem. Es gibt keine Schachtelsätze, keine Stolpersteine, die Geschichte erweckt den Anschein, als ob die Gedanken sofort zu Papier gebracht wurden.
Dieses Buch bekommt von mir eine klare Leseempfehlung.