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Veröffentlicht am 03.05.2017

Solider Toskana-Krimi mit außergewöhnlichen Hobbydetektiven

Die Morde von Morcone
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Der Anwalt Dr. Robert Lichtenwald wird von seiner Frau verlassen und flüchtet sich in sein Bauernhaus in das kleine toskanische Städtchen Morcone, um Abstand zu gewinnen und sein Leben zu überdenken. Er ...

Der Anwalt Dr. Robert Lichtenwald wird von seiner Frau verlassen und flüchtet sich in sein Bauernhaus in das kleine toskanische Städtchen Morcone, um Abstand zu gewinnen und sein Leben zu überdenken. Er neigt dazu, sich zu verkriechen, doch sein Vermieter, der Conte di Montecivetta, reißt ihn aus seinen Grübeleien. Bei einem ihrer Streifzüge stoßen die beiden auf eine Leiche, die sich bei genauem Hinschauen als Hermaphrodit entpuppt und der der Buchstabe „L“ eingeritzt wurde. Die örtliche Polizei und die hinzugerufene Carabinieri-Offizierin Donatella Laganà stehen vor einem Rätsel. Da geschieht am darauf folgenden Montag erneut ein Mord – diesmal wird ein „A“ eingeritzt. Handelt es sich um einen Serientäter? Was haben die Buchstaben zu bedeuten? Die Bewohner Morcones bekommen es zunehmend mit der Angst zu tun, und die Teilzeit-Reporterin Giada Bianci schürt mit ihren reißerischen Artikeln Ängste und befeuert Spekulationen, die Moralapostel wittern gar die Rache Gottes. Als ihr bester Freund Antonio verhaftet wird, bittet Giada Robert um Hilfe. Widerwillig lässt er sich darauf ein, und beide finden bald einiges Interessantes heraus. Bei ihren Recherchen kommen sie dem Mörder gefährlich nahe, und alles erreicht seinen Höhepunkt, als Giadas Sohn Leo entführt wird…

Sehr solider und spannender Krimi, der seine Spannung recht langsam aufbaut. Es wird zunächst viel Zeit darauf verwendet, Protagonisten vorzustellen, Landschaften und die Morde zu beschreiben, die Schlag auf Schlag folgen. Besonders Roberts seelischer Zustand, sein Innenleben, seine Angst seine Familie zu verlieren und sein Versuch sich abzulenken nimmt großen Raum ein. Er ist der typische Antiheld und will eigentlich lieber seine Ruhe. Die Morde stehen denn auch erst einmal so im Raum, es wird wild spekuliert, Biancha schreibt ihre Artikel, doch über die Ermittlungsarbeit wird fast gar nicht berichtet. Dementsprechend ist dies auch kein Krimi mit der klassischen Reihenfolge Mord-Befragungen-analytische Ermittlungen-Auflösung, sondern es wird sehr viel intuitiv erforscht und Emotionen spielen überhaupt eine sehr große Rolle.

Der Autor hat einen sehr flüssigen und bildhaften Schreibstil und versteht es durchaus, Spannung zu erzeugen. Besonders gelingt dies durch die Perspektivwechsel und die Beschreibungen seiner Charaktere und Landschaften. Seine Personen sind liebevoll und teilweise skurril gezeichnet, mit zunehmender Lektüre wachsen sie einem ans Herz, so dass man gerne mehr über sie erfahren würde. Die beiden Hauptperspektiven bilden Robert und Biancha, der Leser erhält wertvolle Informationen über das Innenleben und die Vergangenheit der beiden, und von diesen beiden lebt die Geschichte auch so ziemlich. Anfangs war mir Robert zu statisch und alles zu sehr auf seine Vergangenheit und Selbstfindung fokussiert, Biancha wiederum zu flippig und sehr betont unkonventionell, beide wurden aber immer sympathischer, je aktiver sie ins Geschehen eingriffen. Die erotische Spannung zwischen den beiden hätte man sich meines Erachtens sparen können, sie störte aber auch nicht.

Ab dem Zeitpunkt, als Biancha Robert mit einbezieht, nimmt die Geschichte Fahrt auf, die Spannung steigt vor allem deshalb, weil sich Biancha und Robert in große Gefahr begeben und man als Leser inzwischen eine Beziehung zu den beiden aufgebaut hat. Bei den Opfern passiert dies nicht zwingend, da hier die Beschreibung meist oberflächlich bleibt. Die Spannung wird weiterhin dadurch gesteigert, dass immer wieder aus der Sicht des Mörders oder der des Opfers erzählt wird. Ich persönlich fand beispielsweise Kommissarin (bei den italienischen Carabinieri hat sie den Rang einer Offizierin) Laganà faszinierend und hätte gerne mehr über sie erfahren, auch einige andere „Nebenfiguren“ hätten meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit verdient. Es wird zwar auch aus ihrer Sicht erzählt, doch nur kurz und nur im Hinblick auf ihre Emotionen. Auf der anderen Seite gibt dies dem Leser viel Raum selbst zu ermitteln, man ist recht vorurteilsfrei, hat durch die wechselnden Erzählperspektiven einen leichten Wissensvorsprung und folgt gespannt den laienhaften, mehr auf Glück beruhenden Recherchen der beiden Hobbydetektive Robert und Biancha, die einen sehr persönliches Grund hat sich einzumischen, nämlich die Hilfe für ihren Freund. Daher kann man sich auch gut mit den beiden identifizieren und will ihnen helfen.

Der Kriminalfall selber ist nicht gänzlich überraschend oder neu. Trotz dass der Autor einen auf falsche Fährten lockt, war mir ab etwa der Mitte der Geschichte zumindest die Buchstabenbedeutung – und damit das Grundmotiv - klar und ich hatte einen sehr eingeschränkten (nämlich auf zwei Personen) Kreis der Verdächtigen. Trotzdem war das Finale durchaus spannend, einfach aufgrund der Wendungen und Irrungen, auf die sich Biancha und Robert begeben und man denen man wirklich nicht weiß, wie sich da jemals wieder herauswinden wollen.

Fazit: Guter, mit Einschränkungen spannender Krimi mit viel Lokalkolorit. Eingängig und schlüssig erzählt mit befriedigendem Ende. Dass Stefan Ulrich schreiben kann und sich bestens mit der Gegend auskennt, hat er ja bereits in seinen Sachbüchern über das Leben seiner Familie bewiesen. Dies ist sein erster Roman und er ist meines Erachtens als Debüt gelungen. Ich bin gespannt, ob es weitere Krimis geben wird, der vorliegende Schluss deutet nicht unbedingt auf eine Serie hin. Trotz brutaler Morde auch für Einsteiger geeignet, die sonst die sehr blutigen oder sehr auf psychopatische Mörder fixierten Krimis und Thriller nicht mögen. Ansonsten für alle Fans des Regionalkrimis wie z.B. Remy Eyssen, Andrea Camilleri oder ähnliche.

Veröffentlicht am 11.04.2017

Subtil-spannender Thriller

Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor
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Stephanie, früh verwitwet, aber finanziell versorgt, wohnt im ruhigen Connecticut und kümmert sich hingebungsvoll um ihren Sohn Miles. Zur Ablenkung schreibt sie einen Mama-Blog, der regen Zulauf findet. ...

Stephanie, früh verwitwet, aber finanziell versorgt, wohnt im ruhigen Connecticut und kümmert sich hingebungsvoll um ihren Sohn Miles. Zur Ablenkung schreibt sie einen Mama-Blog, der regen Zulauf findet. Als sie Emily, die Mutter des besten Freundes ihres Sohnes, kennenlernt und die beiden beste Freundinnen werden, schwebt sie im siebten Himmel. Als die berufstätige Emily sie um einen kleinen Gefallen bittet, nämlich ihren Sohn von der Schule abzuholen, ist es für sie selbstverständlich zu helfen. Doch Emily holt ihren Sohn nicht wieder ab und bleibt auch nach Tagen verschwunden. Eine Suchaktion wird erst eingeleitet, als Emilys Ehemann Sean von seiner Geschäftsreise zurückkommt, doch diese bleibt erfolglos. Da wird ihre Leiche gefunden, alles spricht dafür, dass Emily tot ist. In ihrer Trauer kommen sich Sean und Stephanie näher, doch nichts ist so wie es zu sein scheint…

Spannender und subtiler Thriller, der ohne blutige und „laute“ Action auskommt, es aber schafft, die Spannung stetig aufzubauen, so dass man als Leser stets am Ball bleibt und wissen will, was als nächstes passiert. Dies gelingt vor allem durch die häufigen Perspektivwechsel. Die Autorin hat einen sehr flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und weiß genau, wann sie ein Kapitel abbrechen muss, um ein neues mit einer anderen Perspektive zu beginnen. Anfangs konzentriert sich alles auf Stephanie, ihr Blog und ihre Erlebnisse, und schnell wird klar, dass auch sie ihre Geheimnisse hat. Anders als ihre Freundin Emily ist sie aber bereit, diese mitzuteilen, einerseits um ihr Gewissen zu erleichtern, andererseits um sich interessant zu machen. Der Leser ist sofort drin in der Geschichte und lebt mit ihr mit, jedoch wird im Laufe der Geschichte klar, dass ihr Charakter längst nicht so gutherzig ist wie sie sich gerne darstellt. Dies trifft grundsätzlich auf alle drei Hauptprotagonisten zu, Stephanie, Emily und Sean bilden eine explosive Menage á trois, die sich gegenseitig den Ball zuspielen. Jeder hält sich selbst für gerissener als den anderen, will den anderen kontrollieren und meint, jederzeit alles im Griff zu haben. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten…

Formal ist das Buch in drei Teile aufgeteilt, im ersten wechselt die Perspektive lediglich zwischen Stephanie und ihrem Blog, im zweiten tritt dann plötzlich Emily auf den Plan, was einen als Leser erst einmal schockt, weil man damit in dem Moment nicht gerechnet hat. Der dritte Teil beginnt mit Seans Perspektive, was einen wiederum überrascht. Dazwischen immer wieder Stephanies Blog und ihre Perspektive, die beide ebenfalls jeweils unterschiedliche Wahrheiten zutage fördern. Die Wechsel versorgen den Leser aber gleichzeitig mit tiefen Einblicken in die (gestörte) Psyche und mit Unmengen an Information, die die Protagonisten nicht haben, was wiederum den Spannungsbogen erneut steigert. Die Abgründe, die sich dabei sowohl in den Persönlichkeiten als auch in deren Erlebnissen, Plänen und Ansichten auftun, werden immer größer.

Die Charaktere sind durchweg gut herausgearbeitet, sie sind vielschichtig und faszinierend und keiner ist nur gut oder böse. Stephanie hat eine zwiespältige Persönlichkeit, sie benutzt ihren Blog hauptsächlich als Selbstdarstellung, sie entwirft ein Bild von sich, wie sie gerne von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würde. Sie ist sehr empathisch und will eine gute Mutter und Freundin sein, und sie weiß genau, was richtig und falsch ist und hadert mit ihren Gefühlen für Sean. Sie vermisst Emily, will sie aber gleichzeitig tot sehen, um mit Sean zusammen und Teil einer „heilen“ Familie zu sein. Wie tief sie aber in dem teuflischen Spiel mit drin steckt, geht der phasenweise sehr naiven Stephanie erst später auf. Dann kommt auch ihre dunkle Seite stärker an die Oberfläche. Oftmals wollte ich sie aber regelrecht schütteln ob ihrer Kurzsichtigkeit, und ihr „Übermuttergehabe“ ging mir oft sehr auf die Nerven. Wie stark die Protagonisten manipuliert werden beziehungsweise sich gegenseitig manipulieren und gegeneinander ausspielen, wird erst ab dem 2. Teil so richtig deutlich. Das eine oder andere ahnt man als Leser, was aber der Spannung keinen Abbruch tut, da immer wieder etwas Unvorhergesehenes passiert oder eine Person entgegen ihrer Überzeugung handelt. Aufgrund des Verlaufs der Geschichte habe ich für meinen Teil auch immer auf einen „großen Knall“ am Ende gewartet, ein großes Geheimnis, das über allem steht und gelüftet wird, was beides dann leider nicht kam, insofern war ich vom offenen und für mich abrupten Ende eher enttäuscht. Ein Happy End würde natürlich niemand erwarten, aber dieses fand ich etwas unbefriedigend.

Fazit: Solider und spannender Thriller und gelungener Debütroman, den man als Fan des Genres gut lesen kann. Man merkt der Autorin ihre Liebe zum Genre an, die Story erinnert in Teilen sehr stark an den französischen Film Die Teuflischen in ihrer gruseligen Menage à trois und in ihrem Aufbau und den Spannungsbogen an Patricia Highsmith. Beides wird ja im Roman erwähnt, und die Autorin braucht sich bestimmt nicht hinter diesen spannenden Werken zu verstecken. Ich wie gesagt hatte zunehmend Probleme mit Stephanie, da ich sie mir als stärkeren Gegenpol zu Emily gewünscht hätte, und war vom Ende eher enttäuscht, daher ein Stern Abzug. Ansonsten aber ein sehr lesenswertes Buch.

Veröffentlicht am 11.04.2017

Provence-Krimi: 3. Fall für Dr Leon Ritter

Gefährlicher Lavendel (Ein-Leon-Ritter-Krimi 3)
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Dr. Leon Ritter, seines Zeichens Rechtsmediziner im schönen provenzalischen Städtchen Le Lavandou, dachte, er könnte einen beschaulichen Frühling genießen. Da bekommt er einen Mann zur Obduktion auf den ...

Dr. Leon Ritter, seines Zeichens Rechtsmediziner im schönen provenzalischen Städtchen Le Lavandou, dachte, er könnte einen beschaulichen Frühling genießen. Da bekommt er einen Mann zur Obduktion auf den Tisch, bei dem er starke Folterspuren feststellt. Bei seiner ersten Untersuchung dann der Schock: Der Mann lebt noch! Schnell stellt sich heraus, dass es der vermisste und sehr renommierte Richter Nicolas Lambert ist, ein angesehenes Mitglied der guten Gesellschaft der Region. Womit hatte er solche grausamen Martern verdient? Und bei diesem einen Folteropfer bleibt es beileibe nicht….Die Polizei und Leon bekommen es mit einem Serientäter zu tun, ein verzwickter Fall, der großes Medieninteresse hervorruft und sogar die Kripo aus Toulon auf den Plan ruft. Zum Verdruss aller schalten sich außerdem die Staatsanwaltschaft und der Staatssekretär ein. Während sich die örtliche Polizei um Isabell mit diesen und einem Maulwurf in den eigenen Reihen herumschlagen muss, bekommt es Dr. Ritter zu allem Überfluss auch noch mit einer Stalkerin zu tun, die glaubt, sie und Leon gäben das perfekte Liebespaar ab. Nicht nur dies führt zu Spannungen mit Isabel, mit der Leon seit geraumer Zeit glücklich zusammenlebt. Auch der Fall belastet die Beziehung der beiden, zumal Leon es nicht lassen kann, auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen, die nicht im Einklang mit der Polizeiarbeit stehen…

Dritter Fall für den umtriebigen, integren, äußerst intelligenten und metaphysisch begabten deutschen Rechtmediziner in der manchmal gar nicht so idyllischen Provence. Erneut ein solider und spannender Krimi in gewohnt flüssiger Erzählmanier. Der geneigte Kenner der Reihe feiert ein Wiedersehen mit bekannten Figuren, sowohl das Cover als auch der Inhalt - Umgebung und Personen - haben einen starken Wiedererkennungswert. Der Fall ist spannend bis zum Schluss, er braucht allerdings etwas, bis er so richtig in Fahrt kommt. Die vielen Perspektivwechsel sind einerseits spannend, andererseits aber zu Anfang auch in ihrer Kürze recht abgehackt und verwirrend, und es dauert bis zum Schluss, bis sich der Kreis zwischen Prolog und Geschichte schließt und es zu einem doch schlüssigen Ende kommt. Ab etwa einem Drittel wird es dann aber ein richtiger Pageturner und man liest das Buch in einem Rutsch herunter.

Der Autor versteht es, die Charaktere gut herauszuarbeiten und auch die Nebenfiguren detailliert darzustellen. Erneut lässt er mit seiner bildhaften Sprache die Landschaft und die teilweise skurrilen und eigenwilligen Dorfbewohner vor dem inneren Auge auferstehen. Dass er Region und Leute sehr gut kennt und liebt, merkt man erneut in jeder Zeile. Mir war es phasenweise allerdings zu viel aus dem Privatleben und den Sorgen um Tochter Lilou, und die Nebengeschichte um die Stalkerin hätte er sich meines Erachtens sparen können. Nichtsdestotrotz finde ich einfach die Arbeitsweise von Leon Ritter und das Zusammenspiel mit Isabell, eine Vollblut-Polizistin, super spannend und ich lese einfach gerne, wie die beiden mal getrennt, mal gemeinsam ermitteln und wie sich alle Fäden nach und nach zusammenfügen. Köstlich sind außerdem seine Aufeinandertreffen und die Dialoge mit der klatschsüchtigen Bevölkerung, die aber immer Früchte tragen und besonders in diesem Fall sehr wesentlich zu einem befriedigenden Ende beitragen. Beim Boulespielen erfährt Ritter so manches Details aus der Vergangenheit der Beteiligten, die ihm bei der Aufklärung hilft. Ritter ist nicht nur ein herausragender Mediziner, er verfügt auch über ungemein viel Intuition und Einfühlungsvermögen, so dass er mit seinen Täter- und Opferprofilen oftmals ins Schwarze trifft. Er kann sich meist durchsetzen und hat einen hohen Anspruch an sich selbst und seine Arbeit, darin sind sich er und Isabell auch sehr ähnlich. Als nicht-Polizist kann er viel unkonventioneller ermitteln, begibt sich jedoch auch oftmals auf dünnes Eis. Trotzdem orientiert er sich an Fakten und versucht durch Logik hinter die Motive und damit zum Täter zu kommen. Mit forensischen und medizinischen Details spart auch der Autor nicht und offenbart dabei ein für den lesenden Laien doch recht beeindruckendes Fachwissen. Besonders spannend sind in meinen Augen auch die Kapitel aus Opfersicht, die Qualen der Opfer kommen in meinen Augen sehr gut rüber und gehen teilweise wirklich unter die Haut.

Fazit: Ein solider geschriebener, spannender Krimi mit viel Lokalkolorit, interessanten Charakteren und schlüssiger Auflösung. Für Fans der Reihe natürlich sowieso ein Muss, er schließt sich nahtlos an die Vorgängerbände an und lässt sich ebenso gut herunterlesen. Auch für Neulinge und solche Leser geeignet, die gerne regionale Krimis lesen. Die Fälle sind in sich abgeschlossen, und Schreibstil und Fall sind eingängig und interessant genug, um am Ball zu bleiben. Durch das Cover haben die Bücher einen hohen Wiedererkennungswert, und man weiß, was einen erwartet, auch wenn die Fälle immer neu und in sich abgeschlossen sind. Die Reihe lebt vom charismatischen Dr. Ritter, von den eigenwilligen Charakteren und der faszinierenden Umgebung, die der Autor sehr gut kennt und wunderbar zu beschreiben weiß. Kleiner Einschub am Rande: Der Blumenkorso im Städtchen Le Lavandou stand 2016 tatsächlich im Zeichen von Brasilien, er lockt jedes Jahr etwa 10.000 Besucher an. Und am 16. März 2016 gab es tatsächlich heftige Regenfälle…

Veröffentlicht am 16.09.2022

Kunstsammler und eine junge Kunstschätzerin im viktorianischen England

Die Kunstschätzerin
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Die junge Eleanor Sheffield hat es gerade nicht leicht: Ihr Vater, ein Kunstexperte, ist verstorben und sie soll seine Firma, die Betreuung reicher Sammler und die Restauration von wertvollen Kunstgegenständen, ...

Die junge Eleanor Sheffield hat es gerade nicht leicht: Ihr Vater, ein Kunstexperte, ist verstorben und sie soll seine Firma, die Betreuung reicher Sammler und die Restauration von wertvollen Kunstgegenständen, übernehmen. Im viktorianischen England ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen. Ihr Onkel Lewis leidet an beginnender Demenz und der einzige Mitarbeiter macht keinen Hehl daraus, dass er sie als Frau dafür völlig ungeeignet findet. Da betraut der verstorbene Vater ihrer Jugendliebe sie post mortem mit einem delikaten Auftrag: Sie soll entscheiden, ob seine Sammlung an seinen Sohn Harry gehen oder einem Museum vermacht werden. Dafür soll sie die moralische Gesinnung und Zuverlässigkeit Harrys prüfen. Schnell stellt sie fest, dass dies ein vertrackter Auftrag ist, denn die Firma hat Schulden, ihre Stellung in der Gesellschaft leidet und zudem hegt sie noch Gefühle für Harry.

Das Buch entführt in die Welt der Kunst, der Kunstsammler und Mäzene, des Kunstraubs und der Raubkunst, der geneigte Leser erfährt viel über echte und gefälschte Kunst und vor allem über die Beziehung zwischen Mann und Frau und die Lage der Frauen in der strengen viktorianischen Gesellschaft. Die Autorin hat einen eingängigen und gut lesbaren Stil, wenn auch ihre Sprache mitunter etwas gestelzt daherkommt. Dies wiederum passt aber zur Epoche und es darf im Buch auch gelacht werden. Die Geschichte hat mich sofort gefesselt und ich fand ihre Beschreibungen bildhaft und detailliert. Die Autorin zeichnet ein authentisches Bild der viktorianischen Ansichten und Moralvorstellungen, steht diesen jedoch, wie mir scheint, keinesfalls kritisch gegenüber. Ihre Protagonistin ist demnach auch keine Rebellin, sie ist angepasst, keusch und zurückhaltend. Durch ihren Vater hat sie großes Wissen als Kunstbegutachterin erworben, was per se ungewöhnlich ist, doch dieses Wissen ist auch nur in Ordnung, wenn man es als Frau zur Unterstützung für den Mann anwendet. Selbstständig zu sein, gar eine Firma zu leiten, für eine Familie zu sorgen ist unerwünscht. Eleanor versucht dies zwar mit all ihrer Kraft, und sie stellt sich dabei in meinen Augen sehr gut an, scheitert jedoch. Erst als sie wieder männlichen Beistand hat, ändert sich dies, sie kann als Kunstmäzenin arbeiten und ihr Ruf ist wieder hergestellt.

Eleanor als Person rief zwiespältige Gefühle in mir hervor. Zum einen ist sie eine sympathische, bescheidene, gutherzige und kluge Person, die Mitgefühl für ihre Mitmenschen hat und sich um die Ihren sorgt. Man folgt ihr gerne auf ihrem Weg und wünscht ihr alles Glück der Welt. Sie versucht mit all der ihr zur Verfügung stehenden Mittel das Unternehmen weiterzuführen, ihre Entscheidungen waren in meinen Augen sehr mutig, werden jedoch von den Männern im Buch in Frage gestellt. Egoismus ist ihr völlig fremd, und kritische oder negative Gefühle wie Eifersucht unterdrückt sie heldenhaft. Große Kraft findet sie in ihrem Glauben, etwas, das für meinen Geschmack mit Psalmenzitaten, Gebeten und Bitten um Gottes Beistand etwas zu sehr betont wurde. Die folgenschwerste Entscheidung trifft sie aus Stolz, einer der sieben Todsünden, und folgerichtig muss sie dafür büßen. Ihre Zweifel und zwiespältigen Gefühle kommen sehr gut herüber, sie möchte gern alles richtig machen und hinterfragt häufig ihre eigenen Entscheidungen. Wenn sie etwas herausfindet, behält sie es eher für sich. Für mich war es, als gestehe sie sich selbst keinen eigenen Willen zu, stattdessen strebte sie danach zu heiraten und darin ihre Erfüllung zu finden. Dies wiederum entspricht vollkommen dem Kodex der Zeit und sie somit der Idealvorstellung der viktorianischen Frau. Interessanterweise steht sie damit in krassem Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihre eigene Entscheidung getroffen hat, indem sie ihre Familie und die ihr zugedachte Rolle verließ.

Recht gelungen fand ich die Darstellung der weiteren Charaktere, Harry als die zweite Hauptfigur blieb zwar mitunter etwas blass, war zwischenzeitlich aber durchaus geheimnisvoll, und die anderen sind gut herausgearbeitet und haben Persönlichkeit, allen voran Eleanors Onkel Lewis, ihre Haushälterin Orchie und ihre Freundin Maguerite. Durch die Ich-Erzählweise hat der Leser auch ausschließlich die Perspektive Eleanors, die nicht eben objektiv ist. Über einige wie etwa Marguerite hätte ich gerne mehr erfahren und mitunter war die Handlung etwas statisch. Alles in allem ging für mich die Geschichte aber auf und trotz einiger Längen im mittleren Teil war sie auch recht spannend.

Fazit: Wer Romantik á la Jane Austen, das Aufspüren eines Geheimnisses oder Gesellschaftskritik erwartet, ist hier falsch. Die Protagonistin ist eine sympathische Figur, deren Aktivität eher bestraft wird und die erst in der ihr zugedachten Rolle wieder aufblüht. Dies scheint ganz im Sinne der Autorin zu sein, denn starke und autonome Frauen kommen gar nicht oder nur am äußersten Rande vor. Für mich aber schön zu lesen und mit interessanten neuen Erkenntnissen über Kunst und die Sammelleidenschaft der Viktorianer.

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Veröffentlicht am 08.07.2020

Liebesgeschichte in schwedischer Natur

Nur noch ein bisschen Glück
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Bei der Stockholmerin Stella läuft es gerade so gar nicht rund: Ihr Freund hat sie betrogen, sie verlässt ihn und verliert dadurch sowohl Wohnung als auch Job. Ihr einziges Ziel ist nun, ihr Erbe, ein ...

Bei der Stockholmerin Stella läuft es gerade so gar nicht rund: Ihr Freund hat sie betrogen, sie verlässt ihn und verliert dadurch sowohl Wohnung als auch Job. Ihr einziges Ziel ist nun, ihr Erbe, ein Grundstück auf dem platten Land in Südschweden, zu verkaufen, um mit dem Geld ihren großen Traum zu verwirklichen: ein Modestudium in New York. Das Grundstück erweist sich als Alptraum, ein völlig verwilderter Acker mit einer Bruchbude ohne Strom und fließend Wasser. Eigentlich will Stella so schnell wie möglich verschwinden, wäre da nicht der nette Nachbar Thor, Biobauer auf dem Nachbarhof, der sich mehr und mehr um sie bemüht und eine magische Anziehungskraft auf sie ausübt…

Dies ist eine gefällige und gut zu lesende Liebesgeschichte mit super sympathischen Figuren und einem Hang zu deftigen Liebesszenen. Stella und ihre Geschichte gehen einem sofort zu Herzen, man lebt mit ihr mit und wünscht ihr alles Glück der Welt. Aber auch Thor ist ein super Sympathieträger, auch wenn er phasenweise doch sehr das kerniger-Naturbursche-Klischee verkörpert. Da aus ihrer beider Sicht erzählt wird, erhält der Leser in beider Gefühlswelt intime Einblicke. Das ist aus dem Grund interessant, weil beide sich selbst und einander immer wieder versichern, dass ihr Zusammensein nichts Festes sein kann. Beide reflektieren viel über ihr Leben, über vergangene Beziehungen und über sich, beide haben einiges an Vergangenheitsbewältigung zu betreiben und kommen außerdem aus gänzlich verschiedenen Welten. Aber für seine Gefühle kann man ja bekanntlich nichts…

Stella ist ein recht spannender Charakter und gefiel mir wirklich gut. Als Halbinderin entspricht sie schon optisch keiner sogenannten schwedischen Norm und erfuhr dadurch Rassismus, als Stockholmerin ist sie außerdem städtisch durch und durch und sie musste schon früh auf eigenen Beinen stehen, ist also alles andere als das „kleine Weibchen“, für das sie viele halten. Sie weiß sich durchzusetzen und ist clever und ehrgeizig, aber auch emotional, sehr loyal und treu zu ihren Freunden und hilfsbereit und empathisch - eine Menschenfreundin, die das Beste bei Menschen hervorheben will. Besonders diese Gegensätze und ihr Kulturschock im ländlichen Südschweden wurden sehr humorvoll und bildhaft erzählt. Auch die anderen Charaktere – hier besonders Thor und seine Familie - sind durchaus schön herausgearbeitet, und die Autorin versteht es, sie und die schwedische Landschaft vor dem geistigen Auge auferstehen zu lassen. Der locker-flockige Schreibstil tut sein Übriges, um das Buch in einem Rutsch herunterlesen zu können. Mir persönlich war er allerdings manchmal zu locker und wenig romantisch und glitt besonders bei den doch sehr häufigen Liebesszenen ins Vulgäre ab. Diese traten in einer für meine Begriffe sehr konstruierten Häufigkeit auf, wohingegen manch andere Ereignisse und Wendungen abrupt geschahen und nicht nachvollziehbar waren. Ich hätte mir mitunter weniger zahl- und detailreiche Beschreibungen von Liebespraktiken und Orgasmen gewünscht und stattdessen mehr Hintergründe z.B. über Familienthemen und -geheimnisse oder über die Dorfbevölkerung erfahren.

Fazit: Durchaus gelungener Liebesroman mit sympathischen Charakteren und viel schwedischem Lokalkolorit. Die detailreichen Liebesszenen muss man in der Häufigkeit mögen und dafür Abstriche in der Logik der Handlung machen, dann erhält man ein vergnügliches Buch mit einem dann doch sehr romantischen Schluss und mit einer reizenden Hauptfigur, die authentisch ist und sich selbst treu bleibt.

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