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Veröffentlicht am 15.09.2021

Eine besondere Freundschaft

Der perfekte Kreis
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England, 1989. In den Feldern im Süden des Landes tauchen regelmäßig Kornkreise auf, deren Muster nach und nach komplexer werden. Die Menschen sind in Aufruhr, Touristen strömen in Scharen herbei und die ...

England, 1989. In den Feldern im Süden des Landes tauchen regelmäßig Kornkreise auf, deren Muster nach und nach komplexer werden. Die Menschen sind in Aufruhr, Touristen strömen in Scharen herbei und die Bauern nehmen sogar Eintritt für die betroffenen Felder. Urheber all dieser Aufregung sind Redbone und Calvert, die schon seit langem eine tiefe Freundschaft verbindet. Gemeinsam schlagen sie sich die Nächte um die Ohren, um das perfekte Kunstwerk zu schaffen. Doch dieser Sommer könnte ihr letzter werden…

„Offene See“ gehörte im letzten Jahr zu meinen absoluten Highlights, weshalb auch „Der perfekte Kreis“ von mir mit Spannung erwartet wurde – und ich wurde nicht enttäuscht. Von der ersten Zeile an begeistert der poetische Schreibstil des Autors und erweckt die wogenden Felder und die Menschen um sie herum zum Leben. Der gesamte Roman ist eine Hommage an eine Landschaft und die Natur an sich. Sie ernährt uns und muss daher unbedingt geschützt werden; nicht umsonst schildert Benjamin Myers mehrfach in der Geschichte, wie der Mensch das Land auf die verschiedensten Arten schädigt.

Im Zentrum steht jedoch ohne Zweifel die Freundschaft zwischen Redbone und Calvert. Auf den ersten Blick sind beide recht unterschiedlich: Redbone, ein Lebemann, der zwischen zwei Frauen hin- und herpendelt und (gerne auch zugedröhnt) die Pläne für die kunstvollen Muster in den Feldern entwirft. Calvert hingegen, ein Veteran, den der Krieg traumatisiert zurückgelassen hat und der für den passenden Standort und die Ausführung der Kornkreise zuständig ist. Beide haben ihre Fehler, sind im Umgang nicht immer einfach, aber sie akzeptieren einander, so wie sie eben sind.

„Der perfekte Kreis“ ist kein Buch, in dem sich die Ereignisse überschlagen, denn hauptsächlich begleiten wir die beiden Protagonisten bei ihren nächtlichen Ausflügen. Dort erleben sie Lustiges und Trauriges und sprechen über die Themen ihres Lebens: die Liebe oder deren Abwesenheit, ihre Vergangenheit und Träume für die Zukunft, aber vor allem den Sinn und Zweck hinter den Kornkreisen und die Zerstörung der Natur durch den Menschen. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 16.08.2021

Grandiose Erzählungen

Ist es nicht schön hier
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Ein Bruder muss hilflos zusehen, wie seine Schwester sich im Netz mit der Regierung anlegt und dafür festgenommen wird. Eine Frau wandert mit großen Träumen nach Shanghai aus, landet dann aber als Verkäuferin ...

Ein Bruder muss hilflos zusehen, wie seine Schwester sich im Netz mit der Regierung anlegt und dafür festgenommen wird. Eine Frau wandert mit großen Träumen nach Shanghai aus, landet dann aber als Verkäuferin in einem Blumenladen. Eine andere will ihren Vater besuchen und verpasst gerade so die U-Bahn. „Na, dann warte ich eben auf die nächste“, denkt sie sich. Doch es kommt keine mehr, sie ist gestrandet.

Das sind nur drei Beispiele von insgesamt 10 Erzählungen, die Te-Ping Chen in ihrem Debütband „Ist es nicht schön hier“ versammelt. Jede einzelne von ihnen greift eine Facette des Lebens in China auf oder behandelt das Leben im „Exil“. Erzählt wird in einer einfachen und klaren Sprache, aber mit einem guten Blick für Details und das menschliche Verhalten. Es geht dabei sowohl um Alltägliches, als auch um außergewöhnliche Ereignisse, um Tradition auf der einen und modernes, hoch technisiertes Leben auf der anderen Seite. Manche Geschichten erscheinen typisch chinesisch, viele jedoch beschreiben universelle menschliche Erfahrungen.

Auch die Themen sind ganz unterschiedlicher Natur. Mal beleuchtet die Autorin Beziehungen – eine internationale Partnerschaft zum Beispiel oder eine Frau, die sich nach dem Tod ihres Mannes auf Spurensuche in dessen Heimat China begibt. Aber auch Politisches wird angesprochen, wie etwa die eingangs erwähnte Geschichte von Bruder und Schwester und der Bau einer Flugmaschine endet mit einer geradezu philosophischen Lehre.

Besonders beeindruckt haben mich zwei Erzählungen: Ein Mann sitzt im Gefängnis und berichtet im Rückblick von dem Verbrechen, das er begangen hat; hier beweist die Autorin, dass sie die unterschiedlichsten Genres beherrscht, denn im Prinzip haben wir hier einen Kurzkrimi. Skurril, aber umso beeindruckender ist schließlich die abschließende Geschichte über eine Gruppe Personen, die in einer U-Bahn-Station strandet und dort quasi eine kleine Stadt errichtet, herrlich! Von dieser Autorin möchte ich unbedingt mehr lesen!

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Mutter und Tochter

Ein erhabenes Königreich
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Gifty ist Neurowissenschaftlerin und arbeitet gerade an einem wichtigen Projekt, als sie einen Anruf von Pastor John erhält. Ihre Mutter verlässt seit Monaten kaum noch das Bett und Gifty muss sie bei ...

Gifty ist Neurowissenschaftlerin und arbeitet gerade an einem wichtigen Projekt, als sie einen Anruf von Pastor John erhält. Ihre Mutter verlässt seit Monaten kaum noch das Bett und Gifty muss sie bei sich aufnehmen. Es folgt eine lange Phase des Schweigens und der Hilflosigkeit, denn all das erinnert Gifty an Erlebnisse aus ihrer Kindheit. Schon vor ihrer Geburt waren die Eltern mit dem älteren Bruder Nana aus Ghana in die USA eingewandert. Der Vater verließ nur widerwillig sein Heimatland und kehrte nach einigen Jahren ohne seine Familie dorthin zurück. Der Bruder verfiel den Drogen, die Mutter entwickelte eine Depression – Gifty war eigentlich immer schon allein.

Nach „Heimkehren“, das mich auch schon sehr beeindruckt hat, ist „Ein erhabenes Königreich“ der zweite Roman aus der Feder von Yaa Gyasi. Eindrücklich schildert sie Giftys Schicksal zwischen Glauben und Wissenschaft. Besonders berührend sind ihre Briefe an Gott, die sie im Kindesalter beginnt. Ihm schreibt sie Alltägliches, aber auch bedeutsame Gedanken, die sie umtreiben. Grundsätzlich wird die Handlung dabei auf zwei Ebenen erzählt: der Gegenwart, in der Gifty fest im Berufsleben steht und um die psychische Gesundheit ihrer Mutter kämpft. Und die Vergangenheit, die erklärt, wie die Familie am Leben in einem fremden Land gescheitert scheint – nur Gifty hat noch die Chance auf ein glückliches Leben.

Neben dem offensichtlichen Thema, ob und wie Glaube mit Wissenschaft zu vereinbaren ist, spielen auch andere eine Rolle. Als Schwarze hat die Familie es schwer in den USA: So lange Nana als Ausnahmesportler seine Mannschaft zum Sieg führt, scheint alles in Ordnung und die Integration gelungen. Macht er einen Fehler, schlägt ihm sofort geballter Hass entgegen – eine Tatsache, die Vater und Sohn nie richtig heimisch werden lässt. Was diese Situation in der Seele jedes einzelnen Familienmitgliedes anrichtet, wird im Roman schonungslos geschildert. Der einzige Kritikpunkt, den ich anzuführen habe, ist das sehr abrupte Ende. Hier hätte ich Gifty und ihre Mutter gerne noch etwas länger begleitet, auch wenn es schmerzt.

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Veröffentlicht am 02.08.2021

Gewohnt skurrile Fortsetzung

Giftrausch
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Sein letzter Fall hat Rechtsanwalt Paul Colossa sichtbar gezeichnet – nach dem Verlust eines Auges trägt er eine Augenklappe. Nun hat ihn ein berühmtes Musikinternat engagiert, um nach einem Skandal einen ...

Sein letzter Fall hat Rechtsanwalt Paul Colossa sichtbar gezeichnet – nach dem Verlust eines Auges trägt er eine Augenklappe. Nun hat ihn ein berühmtes Musikinternat engagiert, um nach einem Skandal einen (natürlich entlastenden) Bericht zu schreiben, ansonsten droht ihm eine hohe Vertragsstrafe. Doch leider muss Paul schon nach kurzer Zeit feststellen, dass die Gerüchte über Ritalinmissbrauch unter den Schülern durchaus wahr sind und schon ein erstes Opfer gefordert haben. Und dann gerät der Anwalt auch noch wegen seines Aussehens und seiner Verwicklung in den Fall in den Fokus eine lokalen Newsblogs.

Mit „Giftrausch“ legt Hendrik Esch den zweiten Band seiner Reihe um den chaotischen Anwalt Paul Colossa vor, der kürzlich die Kanzlei seines „Onkels“ übernommen hat. Den ersten Band „Jagdtrieb“ habe ich damals in einer Leserunde mit dem sympathischen Autor gelesen und fühlte mich blendend unterhalten. Der zweite Band erzählt nun – in gewohnt skurriler Art – die Geschehnisse weiter. Ja, die Handlung ist seltsam, übertrieben und manchmal etwas slapstickhaft, aber genau da liegt für mich auch der Reiz: ein Krimi, der sich selbst nicht so ernst nimmt. An einigen Stellen habe ich wirklich herzhaft gelacht, ich erinnere da nur an die Gerichtsszene mit Amigo!

Paul Colossa als Protagonist ist definitiv ein Chaot, ein Faulenzer, ein Frauenheld (oder eher: er wäre es gerne), aber wenn man ihn eine Weile begleitet, merkt man, er hat das Herz am rechten Fleck. Das zeigt sich auch an den Nebencharakteren, die ihn bedingungslos unterstützen. Sei es zum Beispiel sein bester Freund Attila, der sich natürlich den ein oder anderen Witz auf Pauls Kosten nicht verkneifen kann, oder das unerschütterliche „Fräulein“ Christiane.

Neben all den abenteuerlichen, witzigen Szenen gibt es jedoch auch ernste Momente. Der Druck, mit dem vor allem junge Menschen in der Musikszene umgehen müssen oder die Gefahren von Ritalin und ähnlichen Drogen werden ebenso angesprochen wie Mobbing im Internet. Nur der Schluss kam für mich etwas abrupt, macht mich aber umso neugieriger auf Band 3.

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Veröffentlicht am 28.07.2021

Indigene Weisheit vs. Wissenschaft

Geflochtenes Süßgras
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Das Süßgras, nach seinem Duft auch Vanillegras genannt, gehört zu den wichtigsten Kulturpflanzen der indigenen Völker Nordamerikas. Ihm widmet Robin Wall Kimmerer nun ihr neustes, in deutscher Sprache ...

Das Süßgras, nach seinem Duft auch Vanillegras genannt, gehört zu den wichtigsten Kulturpflanzen der indigenen Völker Nordamerikas. Ihm widmet Robin Wall Kimmerer nun ihr neustes, in deutscher Sprache erschienenes Buch. Darin vereint sie indigene Weisheit mit Wissenschaft und spiegelt damit auch ihre eigene Person wider, denn die Autorin ist Botanikerin und Mitglied der Citizen Potawatomi Nation. Am eigenen Leib erfährt sie den Widerspruch zwischen der Wissenschaft, die nur an rein objektiven Feststellungen interessiert ist und dem indigenen Verständnis, welche Pflanzen eine höhere und vor allem auch emotionale Bedeutung beimisst.

Die Struktur des Buches folgt den verschiedenen Stadien des Süßgrasanbaus, vom Pflanzen, über das Hegen und Pflücken bis zum Ernten und Verbrennen. Jeden Schritt verbindet die Autorin dabei mit passenden Geschichten aus der indigenen Kultur, mit biologischen Betrachtungen über bestimmte Arten und die Umwelt im Allgemeinen, aber auch mit ihrer persönlichen Biografie. So beschreibt sie beispielsweise ihre Gedanken zum Muttersein oder den eigenen Weg zurück zu ihren indigenen Wurzeln, auf dem es ihr auch gelingt, den Blickwinkel ihrer Studierenden zu verändern.

In „Geflochtenes Süßgras“ geht es jedoch um weitaus mehr, als die namensgebende Pflanze. Es ist vor allem ein Wegweiser über den richtigen Umgang mit der Natur, bei vielen indigenen Völkern das „Prinzip der Ehrenhaften Ernte“ genannt. Dieses besagt, vor der Ernte um Erlaubnis zu fragen, dankbar zu sein, nur so viel zu nehmen, wie man braucht und nie mehr als die Hälfte. Darüber hinaus nicht die erste Pflanze zu nehmen, die man sieht (es könnte ja die letzte sein) und demzufolge auch nicht die letzte. Ernten, ohne Schaden anzurichten, etwas an die Natur zurückgeben und vor allem: Teilen – Prinzipien, die wir heute wohl mit dem Wort „Nachhaltigkeit“ zusammenfassen würden. Dementsprechend beginnt und endet die indigene Schulwoche auch nicht mit dem „Pledge of Allegiance“, sondern dem „Thanksgiving Address“, einer traditionellen Danksagung der Onondaga.

Das letzte Kapitel widmet sich dem „Verbrennen“ und somit der Zerstörung der Natur, verkörpert durch den Windigo, einen rachsüchtigen Geist, der von Menschen Besitz ergreift und sie zu Kannibalen macht. Ein erschreckend passendes Sinnbild auch für die „Umsiedlungspolitik“ der USA, die die indigenen Völker von dem Land vertrieb, auf dem sie schon immer gelebt hatten und ihre Kinder zur Umerziehung in Internate schickte. Es ist nicht vorstellbar, wie viel Wissen, wie viel Kultur und wie viele Sprachen bereits verloren gegangen sind und weiterhin verloren gehen.

Fazit: Ein wichtiges Buch, in dem Robin Wall Kimmerer ihre Geschichten wie Süßgras zu einem Zopf flechtet, bei dem mir aber manchmal der Bezug der einzelnen Kapitel zueinander fehlt

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