Das abhandengekommene Weihnachtsgefühl
Wie’s früher Heiligabend warDas abhandengekommene Weihnachtsgefühl
Weihnachten steht wieder einmal vor der Tür und wie jedes Jahr habe ich absolut keine Meinung zu dem Fest. Das hat mehrere Gründe (einer davon wäre, dass ich schlicht ...
Das abhandengekommene Weihnachtsgefühl
Weihnachten steht wieder einmal vor der Tür und wie jedes Jahr habe ich absolut keine Meinung zu dem Fest. Das hat mehrere Gründe (einer davon wäre, dass ich schlicht und ergreifend der Grinch bin). Der triftigste Grund ist ganz einfach, dass mir das Weihnachtsgefühl schon vor vielen, vielen Jahren abhanden gekommen ist. Ja, richtig gelesen, das Weihnachtsgefühl. Die, die meine Zeilen gerade belächeln, haben das Weihnachtsgefühl auch einmal gekannt, als Kinder haben wir es alle gekannt. Am besten könnte ich es als Mix aus Freude, Neugier, Wärme, Geborgenheit und angekommen sein bezeichnen. Das ist aber nur die Theorie. In der Praxis ist es ein Gefühl, dass uns das Herz wärmt, Sicherheit im Kreis der Lieben, Zusammenhalt, Gemeinschaft. Und wir, ja ich, war mal ein Teil davon. Seit vielen Jahren spielt sich Weihnachten aber immer gleich ab: Wenn wir in Leipzig bleiben, weil es aufgrund der Arbeit zu stressig ist, zu Weihnachten in die Heimat zu fahren, dann fehlt mir das Gefühl das Zuhauseseins, das Verwurzeltseins, wenn wir aber in Plauen sind, ist es ein Zerreißen zwischen meiner Familie und die meines Freundes und, auch
wenn ich nicht undankbar erscheinen will, ein liebloses Aufeinanderhocken mit festgefahrener Traditionserfüllung, gute Miene machen und anschließender Sachübergabe, kurz: Es ist ein Krampf.
Vor Kurzem wurde ich auf ein Büchlein aufmerksam, dass "Wie's früher Heiligabend war" heißt, laut Klappentext eine Anthologie, in der Zeitzeugen von ihren Weihnachtserlebnissen aus der Kindheit berichten, die sie zwischen 1920 und den Fünfziger Jahren erlebt haben. Ich bin ehrlich, ich hoffte in dieser Anthologie das Weihnachtsgefühl zu finden, dass mir abhanden gekommen ist und während der Lektüre war es tatsächlich kurz wieder da. Oft schrieben die Zeitzeugen davon, dass ihre Eltern nicht viel hatten, was sie den Kindern schenken konnten, dass oft die Puppen, die Kleidung und die Schulsachen der älteren Geschwister generalüberholt und an die jünger Brüder und Schwestern weitergegeben wurden, dass es für jeden nur einen Teller Naschkram gab (heute kann man sich das nicht mehr vorstellen, weil wir nur so mit Süßkram überschüttet werden). Manches Mal wurde gar davon berichtet, dass nicht einmal sicher war, dass zu Heiligabend ein Tannenbaum da war, unter den man die Geschenke legen konnte und selbst, wenn von der härtesten Kriegs- oder Nachkriegszeitweihnacht berichtet wurde, das Weihnachtsgefühl war stets präsent. Es liegt wohl einfach daran, dass für diese Menschen, die so viel Not und Elend erlebt haben, die teilweise arm waren, nicht das Materielle zählte, sondern der Zusammenhalt, die Geborgenheit im Kreise der Familie, die Freude über Kleinigkeiten oder die Rückkehr eines Familienmitglieds aus dem Kriege, das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern und so viele andere kleine Dinge, die aber aus meiner Sicht viel mehr Bedeutung haben, als der Kommerz.
Das Weihnachtsgefühl wird sich vermutlich nie mehr zu Heiligabend bei mir einstellen, aber Bücher wie "Wie's früher Heiligabend war" geben es mir wenigstens während des Lesens für ein paar Stunden zurück. Danke dafür.