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Veröffentlicht am 15.09.2021

Geborgene Atmosphäre trotz zerrüttelten Verhältnissen

Die letzten Romantiker
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Das Besondere an dieser Geschichte ist der große Zeitraum, über den sie sich erstreckt. Während der Anfang einer Dystopie ähnelt, die hundert Jahre in der Zukunft spielt, mutet der Rest eine Familientragödie ...

Das Besondere an dieser Geschichte ist der große Zeitraum, über den sie sich erstreckt. Während der Anfang einer Dystopie ähnelt, die hundert Jahre in der Zukunft spielt, mutet der Rest eine Familientragödie an, die in den 80ern des letzten Jahrhunderts beginnt. Verrückterweise schaut die Leserschaft in ihre eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und kann sich somit mit der Erzählzeit mehr oder weniger identifizieren. Ich wurde dadurch mit meiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert, da ich wie die Protagonistin zu Zeiten der Erzählebene der Gegenwart entweder sehr alt oder schon tot sein werde. Ich fand es sehr ergreifend, das zu verinnerlichen.

Was mich auch richtig verzaubert hat, ist die Atmosphäre, die besonders in den Rückblenden in die Kindheit geherrscht hat. So heimelig und geborgen, obwohl die Familienverhältnisse eigentlich dramatisch sind, auf der anderen Seite auch von großer Geschwisterliebe begleitet. Ich habe mich an die Kinderbuchreihe "Die Panderwicks" zurückerinnert gefühlt. Diese kann ich an dieser Stelle auch wärmstens empfehlen. Im Grunde wird das Leben eines jeden der vier Geschwisterkinder von der jüngsten der vier rekapituliert und es war spannend zu sehen, wie sie sich entwickelt haben. Teilweise haben sie große Kurven gemacht, waren mal mehr, mal weniger sympathisch. Für alle gab es Höhen und Tiefen. Am liebsten mochte ich aber die Beschreibungen der Locations: Wohnorte, Städte, Landschaften...

Zwischendurch wurde ich immer wieder aus diesen Träumereien aufgeweckt und war wieder in der Gegenwart. Das hat mich genervt, denn dort war es nicht schön. Das ist auch mein Hauptkritikpunkt: Wenn dort dystopische Verhältnisse herrschen (Krieg, Naturkatastrophen wegen Klimafwandel oder was anderes?), hätte ich mir gewünscht, dass auch dort mehr Zeit reingesteckt würde und die Autorin auch diese Welt detailierter skizziert hätte. Das waren die Erwartungen, die ich nach der Leseprobe mitunter hatte. Letztendlich spielt es aber kaum eine Rolle. Das einzige, was man wissen muss, ist, dass die Welt offenbar ein kälterer, liebloser Ort geworden ist. Leider fehlt da im Zeitstrahl besonders in den letzten Jahrzehnten davor einiges. Während die Kindheit und Jugend detailliert beschrieben wurden, wird das Alter nur gerafft erzählt. Schade! Vor allem bleibt es im Familienkreis. Was ist in der Zeit mit der restlichen Welt geschehen?

Kommen wir zum Titel des Romans. Mit der Lektüre klärt sich auf, wie es wortwörtlich zu diesem kommt, aber trotzdem finde ich ihn im Nachhinein unpassend. Dafür wird viel zu wenig Raum für diesen Teil der Geschichte aufgewendet, obwohl er meiner Meinung nach spannend genug für einen eigenen Roman gewesen wäre. Ohne zu spoilern, kann ich nur sagen, dass viele interessante Fässer aufgemacht und ins Rollen gebracht werden. Wir lesen aber nur, was in ihnen sein soll und können nie wirklich reinschauen. Das hat mir gefehlt. Gerade in Bezug auf das Thema Romantik, das ja der Namensgeber des Ganzen ist. Auch wenn das Leben so vielseitig ist und es dadurch realistischer wirkte, hätte es auch gereicht, sich auf einige "Familienprobleme" zu beschränken und dem Kind einen anderen Namen zu geben.


Sprachlich war es auch vielschichtig. Manchmal tauchten poetische, lyrische Passagen auf, da die Erzählerin selbst literarisch unterwegs ist. Den Schreibstil habe ich als sehr angenehm empfunden: Einige Bilder und schöne Metaphern, die ich noch nicht gehört habe*. Aber vor allem gradlinig und forttreibend. Nur manchmal, in Verbindung mit wörtlicher Rede, habe ich etwas gestutzt. Die Dialoge fand ich nicht sonderlich gewieft, besonders in der Gegenwart.

Aber das wirkt jetzt doch ein wenig zu kritisch dafür, dass mich das Buch sehr gut unterhalten hat. Die Stimmung hat mich total erreicht und Fiona, die Protagonistin, ist total auf meiner Wellenlänge. Ein sehr interessanter Mensch, den ich gern als Freundin hätte.

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Veröffentlicht am 08.08.2021

Ich liebe den Schreibstil!

Die Päpstin
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Wiedermal darf ich dieses wunderbare Gefühl erleben, das mich immer dann durchfährt, wenn ich hinter die überwältigende Fassade eines großen Klassikers blicke. Nun kenne ich sein Geheimnis und kann mir ...

Wiedermal darf ich dieses wunderbare Gefühl erleben, das mich immer dann durchfährt, wenn ich hinter die überwältigende Fassade eines großen Klassikers blicke. Nun kenne ich sein Geheimnis und kann mir ein eigenes Urteil bilden.
Das Buch hat mich über Wochen begleitet und das ist auch gut so, denn es ist harte Kost. Ich habe trotzdem immer sehr gern nach dem Buch gegriffen. Mit jeder Seite wurde es spannender. Vor allem da man allein schon an dem Cover erkennt, worauf es hinausläuft. Deswegen war man Non-Stop am spekulieren, wie es den aktuellen Begebenheiten zufolge zu solch einem krönenden Ausgang kommen könnte. Denn nicht alles läuft immer gut für die Frau im Männergewand. Und da im Verlauf immer weniger Seiten für die Wendung übrig bleiben, steigt auch die Spannung.
Johanna und Gerold sind Engel. Ich habe, trotz der vielen Liebesgeschichten, noch nie von einer so reinen Liebe gelesen. Tugendhafter als die beiden könnte man kaum sein, vor allem so fortschrittliche und moderne Gedanken... Johanna hat einen messerscharfen Verstand. Würde es nicht ausreichend Zeugnisse geben, dass solche Menschen tatsächlich gelebt haben, hielt ich es für sehr unglaubwürdig. Die Gutmütigkeit der Protagonistin halte ich allerdings an der einen oder anderen Stelle tatsächlich für übertrieben. Leider gibt es hier auch oft eine scharfe Grenze zwischen Gut und Böse. Aber ansonsten war ich sehr positiv angetan.

Besonders der Schreibstil hat mich verzaubert. Die Autorin weiß wirklich, wie sie die Sprache anfassen muss. An dieser Stelle auch ein großes Lob an den Übersetzer, wobei die Autorin die Hauptleistung erbracht hat. Mir hat es zum einen richtig gut gefallen, wie authentisch die wörtliche Rede wirkte, nicht zuletzt wegen der zahlreichen lateinischen Phrasen. Aber auch die vielen bildlichen Beschreibungen haben einen Eindruck hinterlassen. Z.B. weiß ich noch, wie sich die Tische unter dem reichen Festmahl gebogen haben. Generell fand ich die Erzählperspektive sehr gut gewählt. Überwiegend war es eine personaler Erzähler*in aus Johannas Sicht, nur wenige Male wurde aus gutem Grund davon abgewichen. Und immerzu wurde für die Leserschaft alles ausführlich beschrieben, die Landschaft, die Rituale und die Personen. Es hat richtig Spaß gemacht, in diese Zeit einzutauchen, sodass ich mir gesagt habe, dass ich zukünftig mehr Historienromane lesen möchte, die im frühen Mittelalter spielen.
Das Ganze hat natürlich nur so gut funktioniert, weil die Autorin sorgfältig recherchiert hat. Die Krönung war das Nachwort, das den Eindruck hinterlässt, dass es wahrscheinlicher ist, dass es Johanna wirklich gab als nicht. Ich habe Lust, mich weiter damit auseinanderzusetzen. Zunächst freue ich mich erst einmal auf die Verfilmung.

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Veröffentlicht am 02.08.2021

Hart, derb, menschlich!

Das Wochenende
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Titel: Das Wochenende
Verlag: Diogenes
Seiten: 240
Erscheinungsjahr: 2010 (2008)
ISBN: 978-3-257-23965-2
Genre: Klassiker, Krit. Unterhaltung, Zeitgeschehen
Art: flexibler Einband


"Sie fand auch ...






Titel: Das Wochenende
Verlag: Diogenes
Seiten: 240
Erscheinungsjahr: 2010 (2008)
ISBN: 978-3-257-23965-2
Genre: Klassiker, Krit. Unterhaltung, Zeitgeschehen
Art: flexibler Einband


"Sie fand auch Jörg krank. Muss nicht krank sein, wer Leute umbringt, nicht aus Leidenschaft und Verzweiflung, sondern klaren Kopfs und kalten Bluts? (. . .) Nein, Margarete konnte nur das Mitgefühl haben, das man mit Kranken hat. War das zu wenig?"



"Christiane hatte eine Tischordnung gemacht, und vor jedem Teller stand ein Kärtchen mit Namen und Bild - einem Bild von damals. "






Jörg wird zwanzig Jahre nach seinen terroristischen Vergehen im Rahmen der RAF aus der Haft entlassen, kurz vor der erwarteten Begnadigung durch den Bundespräsidenten. Seine Schwester Christiane holt ihn ab und bringt ihn zu dem alten Landsitz, wo sie ein gemeinsames Wochenende mit den Freunden von damals verbringen werden, die sie zu diesem Anlass eingeladen hat und die Jörg bereits erwarten. Dazu gehört der Journalist Henner, der früher Christiane den Hof gemacht hat, aber angesichts ihrem engen Verhältnis zu ihrem Bruder aufgegeben hat. Jörg ist über dessen Anwesenheit nicht erfreut, weil er davon ausgeht, dass Henner ihn damals verraten hat. Auch der Laborkettenbetreiber Ulrich, die Bischöfin Karin und die schriftstellerische Lehrerin Ilse, Anwalt Andreas und Christianes Mitbewohnerin Margarethe sind mit von der Patie. Sie alle haben während der zwanzig Jahre ihren Weg ins bürgerliche Leben gefunden und zucken nicht vor einer großen Menge an Vorwürfen gegen Jörg zurück. Einzig der deutlich jüngere Marko möchte ein neues revolutionäres Feuer in Jörg entfachen und ihn zu weiteren Kämpfen antreiben. Und dann taucht auch noch Jörgs Sohn Ferdinand auf, der seiner Enttäuschung Luft lässt. Schaffen sie es, der aufgewühlten Vergangenheit standzuhalten und neu zueinander zu finden?



"Die Terroristen unsere verirrten Brüder und Schwestern?‘ Ulrich schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einem Ausdruck nicht nur der Ablehnung, sondern der Abscheu. ‚Glaubt ihr das auch?‘ Er sah in die Runde."







Ich gehöre wohl zu den wenigen Leser*innen, die an diesem Buch mindestens genau so viel Gefallen finden wie an Schlinks bekanntestem Werk "der Vorleser". In meinem Fall sogar noch ein Ticken mehr. Dagegen hat "Das Wochenende" von vielen Literaturkritikern eine eher dürftige Bewertung erhalten.

Ich habe das Buch zweimal hintereinander als Hörbuch gehört, weil ich an einigen Stellen unaufmerksam war und es so kompensieren wollte. Ich kann auf jeden Fall empfehlen, es direkt mit der gedruckten Version zu versuchen. Nicht, weil die Vertonung zu wünschen übrig ließe, sondern weil ich mir vieles markieren wollte und es nicht konnte. Eine Eigenheit des Romans sind die verschlüsselten Elemente bezüglich der Figurenkonstellation. Wer ist jetzt nochmal wer und auf welcher Erzählebene befinden wir uns? Ich mag sowas ja, allerdings hat das Audioformat die Orientierung nochmal erschwert.

Wer sich intensiv mit der RAF-Thematik beschäftigen will, der ist hier vielleicht nicht richtig. Das Thema wird oberflächlich bzw. aus philosophischer, ethischer Perspektive aufgegriffen (Kann Schuld verjähren? Welche Strafe ist angemessen? Bis zu welchem Punkt sind Revolutionen gerechtfertigt? Inwiefern sind die Taten der RAF besser als die eines jeden anderen Terrorismus oder sogar des Nationalsozialismus?), was einer der Hauptpunkte der Kritik ist. Ich kann diesen Punkt nicht nachvollziehen, da nie der Anspruch erhoben wurde, es handle sich um eine aufklärende Schrift. Ich fand es spannend zu sehen, wie die Vergangenheit Keile zwischen die Freunde treibt und Risse in der neu gebildeten bürgerlichen Fassade hinterlassen. Müsste ich zusammenfassen, worum es geht (Grins), so würde ich die Rolle des Terrorismus gar nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern das Spannungsverhältnis von Vergangenheit und Gegenwart: Können wir unsere Werte und uns selbst im Laufe unseres Lebens verändern? Hier gibt es genug Zündstoff für solche und noch mehr Gedanken.
Ich fand es in diesem Sinne auch gut, dass durch das Zusammentreffen auch andere, belanglosere Themen aufkamen. Ce la vie!

Wiedermal typisch für Schlink, ein geschichtspolitisches Thema aus Sicht der Gegenwart aufzuarbeiten und dabei auch sexuelle Themen mit ins Spiel zu bringen. Die Sprache ist reich an wörtlicher Rede, hier und da auch ein wenig derb.

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Veröffentlicht am 27.06.2021

Sympathisch und inspirierend!

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
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Was haben wir denn hier? Ein Sachbuch von John Green? Jein. Es ist eher eine Art Kommentar mit autobiographischen Zügen. Wobei es schon voller Fakten ist und man eine Menge lernen kann und es steckt mit ...

Was haben wir denn hier? Ein Sachbuch von John Green? Jein. Es ist eher eine Art Kommentar mit autobiographischen Zügen. Wobei es schon voller Fakten ist und man eine Menge lernen kann und es steckt mit Sicherheit eine Menge Rechercheleistung dahinter. Wer einen Coming-Of-Age-Roman erwartet, ist auf jeden Fall an der falschen Adresse. Wer aber mehr über einen seiner Lieblingsautoren auf diesem Gebiet erfahren möchte, der ist hier sehr gut bedient. Sehr ehrlich und humorvoll gewährt Green uns Einblick in das privateste und wertvollste, was ein Mensch hat: Seine Gedanken. Und es hat so gut getan, ihm in so vielen zustimmen zu können. Ich habe das Gefühl, dass er auf ähnliche Art denkt wie ich, nur seinen Musikgeschmack, den teile ich wirklich nicht. Eine begleitende Playlist lässt sich im Nachhinein auf jeden Fall zusammenstellen.

Die Themenauswahl fand ich im Groben gut getroffen, insofern ich nie gelangweilt war. Das muss man aber auch dem sehr talentierten und unterhaltsamen Autoren zugute halten. Was der Mann nicht alles für lustige und interessante Anekdoten im Petto hat. Und ich fand es wirklich sehr sympathisch, wie er auch sein Privatleben hat einfließen lassen. Jedes Kapitel handelte von so viel mehr Themen, als es die jeweilige Überschrift vorausdeutet. Sie ist gewissermaßen nur der Aufhänger. Es gab aber dennoch ein paar Kapitel, die ich weniger interessant fand. Insgesamt hat es sich zu sehr an das nordamerikanische Leben gewandt, um behaupten zu können, das ganze Anthropozän zu beurteilen. Das ist natürlich nicht verwunderlich, auch nicht die Subjektivität. Davon sollte man sich aber bewusst loslösen können, wenn man das Buch in die Hand nimmt. Die ausgewählten Themen sind random, genauso wie die wirklich coole Sternebewertung am Ende der Kapitel. Aber wie sollte man, ohne die gesamte Menschheitsgeschichte zu wiederholen, das Anthropozän zusammenfassen?
Ich finde, Green hat es schon echt sehr gut gemacht. Mir viele Aha-Momente beschert und gute Gesellschaft geleistet. Ein Kapitel hat mich sogar richtig gerührt. Er bekommt dafür vier Sterne von mir.

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Veröffentlicht am 04.06.2021

Das Buch, das die Leserschaft verschlang

Der Junge, der das Universum verschlang
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Ich hatte das Vergnügen, die letzten zwei/drei Wochen mit diesem hübschen Buch verbringen zu dürfen. Und ich muss sagen, dass es mich intensiv beschäftigt hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es sehr ...

Ich hatte das Vergnügen, die letzten zwei/drei Wochen mit diesem hübschen Buch verbringen zu dürfen. Und ich muss sagen, dass es mich intensiv beschäftigt hat. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es sehr viele Song-Verweise gibt und ich schon nach einigen Kapiteln eine Playlist zusammengestellt hatte, die sich sehen lassen kann. Die habe ich dann immer beim Lesen gehört und was soll ich sagen: Sie hat wie die Faust aufs Auge gepasst. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich behaupte, dass ich die Geschichte gefühlt habe. Wichtige Stichpunkte, die einem helfen, die Handlung einzusortieren, sind: 80'er Jahre, Brisbane (Australien), Drogen, schwere Kindheit, große Träume, Traumata. Und eine blühende Phantasie.

Worauf man sich auf jeden Fall auch einstellen sollte, sind die vielen dreckigen Bilder, die durch die Erzählung heraufbeschworen werden. Mir haben sich die Zehennägel gekräuselt, wenn das Elend beschrieben wurde: In Form von blutigen Szenen, schmutzigen Orten, Ungeziefer... Unverhofft kommt oft. Ich finde es eine sehr starke Leistung, wenn ein Autor es vollbringt, dass die Leser*innen nicht nur mitfühlen, sondern das Leid teilen, weil sie vermeintlich dasselbe sehen wie der Erzähler. Ein Film hätte es kaum plastischer vermitteln können. Apropos: Ich warte nun auf die Verfilmung! Es war sogar, als ob Gerüche und andere Eindrücke durch die Seiten zu mir gelangt sind.

Dadurch wird auch der Umstand aufgewogen, dass der Zauber im letzten Drittel nachgelassen hat. Da hat mich die Geschichte ein wenig verloren. Es kam zu viel zusammen und dafür, dass es am Anfang noch so glaubwürdig war, gab es zu viele Fügungen. Allerdings war es deswegen auch bis zuletzt spannungsgeladen und ich denke, dass ein anderes Ende es auch nicht hätte viel besser machen können. Nun gut, man könnte den Verlauf "Schema F" nennen, aber genau das ist es, was die Besonderheit dieses Romans ausmacht: Die Anbindung an die Biographie des Autoren und das Spiel mit Überhöhung der Wirklichkeit. Ja, es gibt unerklärliche Begebenheiten und teilweise zu viel Pech oder Glück, um in unsere Vorstellung der Realität zu passen. Aber dennoch fühlt es sich die ganze Zeit echt an. Fiktionalität und Wirklichkeit lassen sich nicht trennen. Manche Dinge lassen sich nur poetisch verklärt ausdrücken.

Womit wir bei der Sprache wären. Diese ist bis auf einige hoch poetische Phrasen, wozu auch der Titel gehört, ziemlich klar. Für meinen Geschmack hätte es diese Phrasen nicht gebraucht. Sie wirkten teilweise deplatziert und zu sehr gewollt, aber ich muss dennoch zugeben, dass sie dem Buch eine zusätzliche Würze verliehen haben. Zusammen mit dem Phänomen des Wörter-in-die-Luft-Schreibens kann man es so stehen lassen.

Ich glaube, dass ich Eli, seine Familie und Freunde vermissen werde. Obwohl die beschrieben Szenen und das Setting an Derbheit kaum übertroffen werden können, habe ich mich sehr wohl gefühlt. Alle Interessierten seien dennoch gewarnt, dass es teilweise sehr heftig zugeht: Gewalt, Kriminalität, Sucht, Vernachlässigung... Aber betrachtet man das Ganze aus einer anderen Perspektive, wird auf einmal eine schöne Coming-Of-Age-Geschichte daraus, die einem die Hoffnung vermittelt, dass man letztendlich auch hinter dem dunkelsten Tunnel Licht finden kann und es auf die Liebe ankommt, die man vor allem während des Aufwachsens teilt.

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