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Veröffentlicht am 24.08.2021

Familienroman oder dystopischer Politthriller?

Heimatsterben
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Heimatsterben von Sarah Höflich ist beides – Familienroman und politischer Thriller. Als Tilde Ahrens hochbetagt stirbt, hinterlässt sie eine große Familie, in der der Zusammenhalt längst nicht mehr vorhanden ...

Heimatsterben von Sarah Höflich ist beides – Familienroman und politischer Thriller. Als Tilde Ahrens hochbetagt stirbt, hinterlässt sie eine große Familie, in der der Zusammenhalt längst nicht mehr vorhanden ist. Während Hanna eher links orientiert in der New Yorker Künstlerszene lebt, hat ihre Schwester Trixie in den konservativen Adel eingeheiratet. Ihr Mann Felix hat die BürgerUnion gegründet, eine rechtsorientierte Partei im Aufschwung. Er überredet Hanna nach Trixies Tod ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen.

Was folgt ist eine erschreckend realistische Dystopie. Sarah Höflich beschreibt eindrücklich, wie verschiedene Persönlichkeitstypen vom Rechtsruck mitgerissen werden und sich der politische Diskurs zunehmend verschärft. Angesichts der aktuellen politischen Situation liefen mir beim Lesen regelmäßig Schauer über den Rücken, denn der Roman zeigt deutlich, wie einfach eine Demokratie ins Wanken geraten kann.

Abgesehen davon bin ich leider beim Lesen den Protagonist:innen nicht wirklich Nahe gekommen. Durch den eher sachlichen Stil und die große Anzahl an verschiedenen Familienmitgliedern blieb ich beim Lesen eher auf Distanz. Das liegt auch daran, dass mir gerade Hannas impulsiver Entschluss Felix zu unterstützen, sehr „out of character“ vorkam.

Nichts destotrotz kann ich den Roman, gerade im Hinblick auf die anstehenden Wahlen, nur empfehlen, denn er zeigt deutlich, wie wichtig es ist, gerade jetzt politisch Stellung zu beziehen.

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Veröffentlicht am 03.08.2021

Nichts ist perfekt hinter der Fassade

Eine perfekte Ehe
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Gibt es die perfekte Ehe? Oder lassen wir uns einfach nur von der strahlenden Fassade der anderen blenden? In Kimberly McCreights Thriller „Die perfekte Ehe“ ist jedenfalls nichts so, wie es scheint. Die ...

Gibt es die perfekte Ehe? Oder lassen wir uns einfach nur von der strahlenden Fassade der anderen blenden? In Kimberly McCreights Thriller „Die perfekte Ehe“ ist jedenfalls nichts so, wie es scheint. Die Hauptrollen spielen zwei ganz unterschiedliche Frauen: Lizzie, die scheinbar erfolgreiche Anwältin, die von ihrem alten Studienfreund Zach um Hilfe gebeten wird, ihn in einem Mordfall zu vertreten und Amanda – Zachs Frau und das Mordopfer, das wir in Rückblenden kennenlernen.

Während Lizzies Erzähllinie die Zeit nach dem Mord abdeckt, eröffnet uns Amanda Einblick in die letzte Woche vor ihrem Tod – und schnell wird deutlich, dass sie und Zach nicht das glückliche, reiche Glamourpaar waren, das sie nach außen hin repräsentierten. Auch Lizzies Ehe steht auf wackeligen Beinen.

Im ersten Drittel des Buches ist das Tempo noch sehr gemächig. Es öffnen sich viele Türen und viele Fragen tauchen auf. Dazu möchte ich inhaltlich gar nicht zu viel verraten, um nicht zu spoilern. Nur soviel: Es lohnt sich dran zu bleiben, auch wenn der Anfang ein wenig langatmig erscheint. Im zweiten Teil wurde es für mich erst richtig spannend. Die Autorin streut sehr geschickt immer wieder Hinweise in das Buch ein – es entsteht ein richtiger Gedankenstrudel, wie sich diese logisch miteinander verbinden lassen. Dabei liegt der Fokus eher auf persönlichen Verstrickungen als auf der Polizeiarbeit. Der letzte Teil steckt dann voller unerwarteter Wendungen und hat deutlich mehr Tempo.

Ich konnte das Buch nach ca. 2/3 gar nicht mehr weglegen und wollte unbedingt wissen, ob ich mit meinen Theorien Recht habe. Mir hat das Buch also ein spannendes Lesewochenende bescherrt. Für alle Fans subtiler Spannung zum Mitdenken ist es auf jeden Fall zu empfehlen. Wer eine klassischen Ermittlungsarbeit + blutige Details Thriller sucht, ist vielleicht mit anderen Büchern besser bedient. Mir ist das Buch auf jeden Fall vier Sterne wert, auch wenn es nicht zu meinen absoluten Lesehighlights dieses Jahr zählt.

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Veröffentlicht am 29.07.2021

Super Debüt mit Tempo

Ausweglos
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„Ausweglos“ von Henri Faber ist ein Thriller Debüt, das sich sehen lassen kann. Die Story beginnt mitten im Geschehen: Noah kommt schwer verletzt in der Wohnung seiner Nachbarin Emma zu Bewusstsein. Sie ...

„Ausweglos“ von Henri Faber ist ein Thriller Debüt, das sich sehen lassen kann. Die Story beginnt mitten im Geschehen: Noah kommt schwer verletzt in der Wohnung seiner Nachbarin Emma zu Bewusstsein. Sie liegt neben ihm – tot. Die Polizei beginnt zu ermitteln und hat schnell einen Serienmörder im Fokus. Dieser wollte Noah zwingen, ihn zu seiner Frau zu führen. Er wählte jedoch, die seiner Meinung nach leere Wohnung der Nachbarn. Warum war Emma doch zu Hause? Und was ist wirklich passiert?

Henri Faber erzählt die Geschichte aus drei Perspektiven: Neben Noah tauchen auch noch der Ermittler Elias und Noahs Frau Linda auf. Elias hat bereits vorher im Fall „Ringfingermörder“ ermittelt, wurde nach einem Skandal aber versetzt. Nun ist er versessen, den Mörder zu finden. Der schnelle Wechsel zwischen den drei Perspektiven und der kurze, knappe Stil ohne überflüssige Schnörkel sorgen dafür, dass man nur so durch die Seiten fliegt und der Thriller ordentlich Fahrt auf nimmt.

Schnell treten erste Ungereimheiten auf und es wird klar, dass nicht jeder der Protagonisten die Wahrheit sagen kann. Besonders spannend fand ich, dass sich das Bild, das man von Noah, Elias und Linda hat mit jedem Kapitel etwas ändert und dann immer klarer wird. Und immer wieder wird man auch komplett überrascht.

Mehr möchte ich zum Inhalt eigentlich gar nicht verraten, nur, dass mir das rätseln, Theorien aufstellen und Hinweise suchen großen Spaß gemacht hat und ich ein spannendes Lesewochenende mit „Ausweglos“ hatte. Einen kleinen Punkt Abzug muss ich aufgrund einer Polizeiaktion geben, die ich dann doch etwas sehr weit hergeholt fand. Ansonsten ein tolles Debüt!

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Veröffentlicht am 23.06.2021

Trauriger und mystischer als gedacht

Besuch aus ferner Zeit
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"Besuch aus ferner Zeit" von Katherine Webb konnte mich überraschen, denn das Buch war weitaus trauriger und auch mystischer als gedacht. Erwartet hatte ich einen eher seichten Feel good Roman. Die Geschichte,  ...



"Besuch aus ferner Zeit" von Katherine Webb konnte mich überraschen, denn das Buch war weitaus trauriger und auch mystischer als gedacht. Erwartet hatte ich einen eher seichten Feel good Roman. Die Geschichte,  die auf zwei Zeitebenen spielt behandelt aber sehr erste Themen wie Verlust eines Kindes, Obdachlosigkeit, Rassismus, Sklaverei, Depressionen und Suizid.
In der Gegenwart sucht Liz nach ihrem verschwundenen Vater, nachdem sie gerade erst ein Kind verloren hat. In dem alten Gebäude in den Christmas Steps in denen ihr Vater lebte, hat sie schreckliche Träume und hört ständig ein weinendes Kind. Hier kommen auch übernatürliche Elemente ins Spiel. 1831 kümmert sich Bethia in einem Armenhaus um eine verwahrloste Frau. Dabei droht ihre eigene Vergangenheit ans Licht zu kommen. Webb schreibt sehr emotional und eindrücklich,  sodass ich Liz Gefühle der Trauer sehr ergreifend fand. Interessant fand ich auch die Wahl von Bethia als zweite Protagonistin mit deutlich unsympathischen Charakterzügen. Bethia benutzt sehr häufig rassistische Wörter, die damals üblich gewesen sein mögen, trotzdem hätte ich mir an dieser Stelle ein Fußnote zur Einordnung gewünscht. Meiner Meinung nach, ist es möglich in aktuellen Romanen auf diese Formulierungen zu verzichten oder sonst nötig, auf den Kontext hinzuweisen.

Das Buch an sich war für mich ansonsten unterhaltsam und spannend,  auch wenn ich die mystischen Elemente etwas zu dick aufgetragen fand und der Mittelteil ein paar Längen hatte.

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Veröffentlicht am 14.05.2021

Wenn nichts mehr so ist, wie zuvor

Der Morgen davor und das Leben danach
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„Was passiert ist, Edward, ist in deine Knochen eingebrannt. Es lebt unter deiner Haut. Es wird nicht weggehen.“

Der 12-Jährige Eddie überlebt als einziger Passagier einen Flugzeugabsturz und verliert ...

„Was passiert ist, Edward, ist in deine Knochen eingebrannt. Es lebt unter deiner Haut. Es wird nicht weggehen.“

Der 12-Jährige Eddie überlebt als einziger Passagier einen Flugzeugabsturz und verliert dabei seine ganze Familie. Ein Unglück, das sein ganzes bisheriges Leben in ein Vorher und ein Nachher zerreißt. Die Tragödie legt sich auf Eddies Leben wie ein großer, betäubener Schleier und ist allgegenwärtig. Das Zitat am Anfang stammt von Edwards Psychologen und ich finde es beschreibt eindrücklich, welchen unglaublich großen Einfluss so ein Trauma auf das eigene Leben haben kann. Entscheidet ist jedoch, wie die Unterhaltung weitergeht: Edward wird nie wieder ohne das Unglück leben, aber er kann lernen mit dem Unglück zu leben.

Auf diesem Weg begleiten wir Edward in „Der Morgen davor und das Leben danach“. Dabei teilt die Autorin zwei verschiedene Zeitebenen: Den Morgen im Flugzeug und die Jahre danach, in denen Edward bei seiner Tante und seinem Onkel versucht, wieder Fuss zu fassen.

Die Ereignisse im Flugzeug werden dabei aus der Sichtweise verschiedener Passagiere beschrieben, die alle unterschiedliche Pläne für ihr Leben haben; es dreht sich um neues Leben und Schwangerschaft, Krankheit und Tod, Karriere, Spriritualität, Liebe und Anziehungskraft. Dadurch, dass von außen betrachtet schon klar ist, dass alle Pläne ins Leere laufen werden, entsteht eine beklemmende, angespannte Atmosphäre beim Lesen. Besonders interessant habe ich auch die Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung empfunden, denn die Passagiere interagieren natürlich miteinander und bewerten sich. Außerdem sind diese Abschnitte durch den starken Kontrast der technisch, sachlichen Schilderung des Absturzes und der emotionalen Reaktion der Passagiere gekennzeichnet.

Im Gegensatz zu der vielschichtigen Geschichte vor dem Absturz ist Edward in seinem neuen Leben zunächst wie betäubt und unfähig sich dem Erlebten und seinen Gefühlen zu stellen. Seine Tante Lacey und sein Onkel John versuchen ihn so gut es geht zu unterstützen, aber auch sie müssen sich in der neuen Rolle erst finden. Lacey, die selbst gerne Mutter geworden wäre, ist nun plötzlich mit ihrem Neffen konfrontiert. Das Thema Mutterschaft wird in dem Roman an vielen Stellen aufgearbeitet.

Das Buch vermittelt eindrücklich, dass Trauer und Traumaverarbeitung keine Aufgabe sind, die man schnell erledigen kann, sondern sich vielschichtig durch das ganze weitere Leben ziehen und immer neue Formen annehmen können. Sie sind wirklich „in die Knochen eingebrannt“. Wärend andere schon längst normal weiterleben, fängt für Edward die Trauerarbeit erst an.

Mich konnte die Autorin mit dem Buch und insbesondere dem Wechsel der Perspektive überzeugen. Auch wenn in erster Linie Edward von dem Unglück stark betroffen ist, zeigt es doch, dass jedes Unglück auch viele weitere Menschen trifft, beeinflusst und verändert.

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