Profilbild von Hyperventilea

Hyperventilea

Lesejury Star
offline

Hyperventilea ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Hyperventilea über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.08.2021

Wie konnten drei Leuchtturmwärter spurlos verschwinden? Atmosphärisches und intensives Leseerlebnis

Die Leuchtturmwärter
0

„Auf einen Landmenschen wirkt das Meer ziemlich beständig, aber Jory weiß, dass es das nicht ist: Es ist launisch und unberechenbar, und wenn man nicht aufpasst, erwischt es einen.“

1972 verschwinden ...

„Auf einen Landmenschen wirkt das Meer ziemlich beständig, aber Jory weiß, dass es das nicht ist: Es ist launisch und unberechenbar, und wenn man nicht aufpasst, erwischt es einen.“

1972 verschwinden drei Leuchtturmwärter vom Maiden Rock-Leuchtturm vor der Küste Cornwalls spurlos. Sie lassen ihre drei Frauen Helen, Jennifer und Michelle zurück. Zwei Jahrzehnte später möchte der Autor Dan Sharp herausfinden, was mit den Männer wirklich geschah. Er spricht mit den Frauen, die alle ihre persönlichen, gut gehüteten Geheimnisse haben. Ob die Wahrheit endlich ans Licht kommt?

Emma Stonex schreibt klar, verständlich und stilistisch „schön“. Viele der treffenden, bemerkenswerten Sätze musste ich immer wieder lesen, so beeindruckt haben sie mich. Die Autorin setzt bewusst, gekonnt und abwechslungsreich ganz verschiedene sprachliche Stilmittel ein. Wenn Helen beispielsweise Dan Sharp ein Interview gibt, gibt Stonex nur das wieder, was Helen denkt, was in ihr vorgeht, was sie sagt. Was Dan Sharp zum Gespräch beiträgt, wird nicht erwähnt. Ein Dialog wird also einseitig betrachtet zum Monolog. Stonex kreiert dadurch eine besondere Atmosphäre. Die ganz eigene Stimmung, die Einsamkeit auf dem Leuchtturm, fängt sie präzise und treffend ein. Stonex erzählt nicht chronologisch. Die Erlebnisse und Gedanken der Frauen 1992 werden genauso ausführlich geschildert wie die Rückblenden aus der Zeit vor dem Verschwinden der Leuchtturmwärter. Nach und nach erhalten die Leser Bruchstücke einer Geschichte, die sich immer klarer zusammenfügt.

Wer waren die verschwundenen Männer Arthur, Bill und Vincent wirklich?
Die Leser erleben die Männer selbst in Szenen vor ihrem Verschwinden und schließen aus den Erzählungen der Frauen, was diese Männer umtreibt und bewegt.
Bill beispielsweise hat ein schwieriges Verhältnis zum Meer: „Ich kann das Meer nicht leiden, und das Meer kann mich nicht leiden.
Arthur scheint mit dem Meer und dem Leuchtturm auf unsichtbare Weise verbunden zu sein. Den Tag, an dem Leuchttürme keine Wärter mehr braucht wird, fürchtet er: „Bald und ich denke nicht gerne darüber nach, wie bald, wird eine Maschine meine Arbeit erledigen. Diese Maschine wird den Turm nicht so brauchen wie ich, sie wird ihn nicht. Mit der Technik kann das Licht eingeschaltet und die Nebelkanone abgefeuert werde, aber Technik kann sich nicht um die Leuchttürme kümmern, und das brauchen sie, jemand muss sich um ihre Substanz kümmern, um ihre Seele.“
Vince hat eine schwere Kindheit, ist in verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen, er gerät dabei auf die schiefe Bahn und landet im Gefängnis. Durch die Arbeit als Leuchtturmwärter versucht er seiner Vergangenheit zu entfliehen. Doch das ist nahezu unmöglich, wie seine Freundin Michelle erklärt: „Vinny wusste, dass seine Vergangenheit ihn zu Fall bringen würde. Er dachte, egal, was er tat und wie schnell er es tat, die Vergangenheit würde schon da sein und auf ihn warten.“
Mindestens genauso wichtig für die Geschichte sind die Frauen, die zurückbleiben. Helen, Arthurs Frau, fasst es Dan Sharp gegenüber so zusammen: „Die Wahrheit ist, dass Frauen wichtiger füreinander sind. Wichtiger als die Männer, und das werden sie nicht hören wollen, weil es in diesem Buch genau wie in Ihren anderen Büchern um Männer geht oder?“
Helen möchte ihren Verlust gemeinsam mit Jenny, Bills Frau, verarbeiten: „Ich glaube, dass Menschen so etwas miteinander teilen müssen. Wenn so etwas Schlimmes passiert, kann man es nicht allein durchstehen.“ Aber Jenny distanziert sich trotz des gemeinsamen Leids von Helen. Mit Michelle scheint Helen sich besser zu verstehen.
Nach und nach wird offensichtlicher, welche Päckchen die Frauen zu tragen haben, welche erschütternden Geheimnisse sie zu verarbeiten haben und warum sich die Frauen verhalten, wie sie sich verhalten. Die Autorin zeigt anschaulich, wie unterschiedlich Menschen auf das vermeintlich selbe Ereignis, auf den großen Verlust reagieren. Gleichzeitig wird klar, dass jede der klar und überzeugend ausgearbeiteten, tiefgründigen Figuren ihre eigene Wahrheit hat und die ganze Lektüre über musste ich rätseln, wie nun alles tatsächlich zusammenhängt.

Wahrheit und Wirklichkeit haben mehrere Seiten. Emma Stonex arbeitet den Fall der verschwunden Leuchtturmwärter detailliert aus verschiedenen Perspektiven auf, streift dabei unterschiedliches Genres. Am Ende entwirrt sie - zumindest weitgehend- ein komplexes Geflecht und stellt sechs sehr interessante Figuren und ihre Situation eingehend dar. Imponiert hat mir die Atmosphäre des Romans. Beim Lesen wird fast spürbar deutlich, vor welche Herausforderungen einen das Leben auf dem Leuchtturm stellt, wie dabei manchmal die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verschwimmen und welche Auswirkungen dieses Leben auf Beziehungen haben kann. Auch wenn das Ende für manchen Geschmack möglicherweise nicht ganz zur Stimmung und Aussage des Romans passen mag, hat mich der vielschichtige, intensive, dramatische und spannende Roman über Verlust gefesselt und nachhaltig beeindruckt. Ich würde gerne mehr von der Autorin lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.08.2021

Stehenbleiben oder weitergehen, aussteigen oder bleiben? Viele individuelle Lebensentscheidungen in einem packenden Roman

Dreieinhalb Stunden
0

„Alle, die jetzt gingen, verloren ihr Zuhause.
Alle, die weiterfuhren, ihre Freiheit.“

Am 13. August 1961 verlässt morgens um kurz nach 8:00 Uhr ein Interzonenzug, den Münchner Hauptbahnhof mit dem Ziel ...

„Alle, die jetzt gingen, verloren ihr Zuhause.
Alle, die weiterfuhren, ihre Freiheit.“

Am 13. August 1961 verlässt morgens um kurz nach 8:00 Uhr ein Interzonenzug, den Münchner Hauptbahnhof mit dem Ziel Ost-Berlin. Im Zug sitzen ganz unterschiedliche Menschen, u.a. eine vierköpfige Familie, eine Musikband oder ein älteres Ehepaar. Diese Zugfahrt werden die Passagiere wohl nie vergessen. Denn während der Fahrt wird bekannt, dass die Regierung der DDR eine Mauer an der Grenze zur BRD bauen wird. Danach wird das Reisen in den Westen nicht mehr so ohne Weiteres möglich sein. Das bringt einige Reisende ins Grübeln: Sollen sie den Zug verlassen, um in Westdeutschland neu anzufangen? Es bleiben ihnen ungefähr „3 1/2 Stunden“, um eine lebensverändernde Entscheidung zu treffen.

Autor Robert Krause schreibt in 154 Kapiteln jeweils abwechselnd aus der Sicht seiner vom Mauerbau betroffenen Figuren. Die Leseabschnitte sind recht kurz, sachlich, fast nüchtern und verständlich formuliert. In der Überschrift der Kapitel sind durchgehend nicht nur die Namen der Personen, um die es gerade geht, vermerkt, sondern auch der Ort, wo sich diese gerade befinden und die aktuelle Uhrzeit. Es wird chronologisch erzählt. Die ständigen Perspektivwechsel und die vielen verschiedenen Figuren machten es mir anfangs schwer, in die Handlung hineinzufinden.

Für die Figuren stellt sich auf der Zugfahrt die Frage, wie es für sie weitergehen soll. Sie werden auf der Fahrt zur Schicksalsgemeinschaft. Da sind z.B. Carla, Sängerin einer Band, die ihren Freund Sascha, der sehr an seiner Heimat hängt, bittet: „Lass mich Deine Heimat sein.“, dazu die beiden Bandmitglieder Siggi und Peter, beide schwul. Gert ist Ingenieur und träumt davon, Flugzeuge zu konstruieren, seine Tochter Elke möchte Gerts Flugzeuge eines Tages fliegen. Gerts Ehefrau Marlis ist überzeugte Kommunistin und Tochter von Paul, der bei der Volkspolizei arbeitet. Marlis und Gert haben neben Tochter Elke noch einen gemeinsamen Sohn, Willi. Anna und Ernst kehren aus München zurück, wo sie die Urne von Annas Bruder abgeholt haben. Ingrid und Rudolf befinden sich mit Ingrids Sohn Hans auf dem Weg nach Ludwigsstadt, um dort zu heiraten. Währenddessen bricht Lokführerin Edith gemeinsam mit Filmemacher Kurt von Probstzella aus, um den Zug von Ludwigstadt mit ihrer Ost-Lok abzuholen und in den Osten zu bringen. Auch sie fragt sich: „Was, wenn das tatsächlich das letzte Mal ist, dass Du rauskommst?“
Anfangs war es eine Herausforderung, bei den zahlreichen Protagonisten den Überblick zu behalten. Die Leser lernen die Figuren nur im Hinblick auf ihre Beweggründe für ihre Entscheidung kennen, eine tiefere, gründliche Charakterisierung findet da natürlich angesichts der Menge an Rollen nicht statt. Robert Krause hat ganz verschiedene Figuren mit individuellen Hintergründen gezeichnet. Seine Figurenkonstellation ist definitiv interessant, lässt das Ereignis des Mauerbaus aus gegensätzlichen Perspektiven und Sichtweisen erleben und macht es dadurch für die Leser nachvollziehbarer und vor allem nachfühlbarer. Er füllt ein historisch wichtiges Datum mit persönlicher Bedeutsamkeit und Betroffenheit von Menschen.

Gehen oder bleiben, aussteigen oder weiterfahren? Wie werden sich die einzelnen Personen entscheiden? Was ist ihnen ihre Heimat wert?
Während immer deutlicher wird, was die Figuren umtreibt, wenn sie über ihre Entscheidung nachdenken, kennt die Zeit kein Pardon und läuft gnadenlos weiter. „Doch Zeit aber vergeht, Aber sie geht niemals wirklich vorbei.“
Außerordentlich spannend und gerade zum Finale hin hochdramatisch die Entwicklungen. Es kommt am Ende zu einigen Überraschungen.
Für mich war der 13. August 1961 bisher ein Datum, Robert Krause hat dieses mit seinem gelungenen Roman „lebendig“ werden lassen. Er stellt dabei natürlich auch seine persönliche Sicht der Dinge dar. Sein Buch, das teilweise auf seiner Familiengeschichte basiert, hat mich erreicht, unterhalten und vor allem zum Finale hin wirklich gepackt. Ich kann es allen, die gerne historische Romane über Zeitgeschichte lesen, weiterempfehlen und bin selbst schon sehr neugierig auf die Verfilmung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.08.2021

Gretchen und wie sie Berlin sah: unterhaltsam, ein bisschen satirisch und atmosphärisch

Die Damen vom Pariser Platz
0

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch:

Die große Freiheit wohnt in Berlin. Zumindest glaubt Gretchen das, die 1926 die Provinz verlassen hat, um in Berlin eine Stelle als Tippfräulein bei der geheimnisvollen, ...

Die Rezension bezieht sich auf das Hörbuch:

Die große Freiheit wohnt in Berlin. Zumindest glaubt Gretchen das, die 1926 die Provinz verlassen hat, um in Berlin eine Stelle als Tippfräulein bei der geheimnisvollen, entstellten Nachtclubsängerin Isis anzutreten. Gretchen soll deren Memoiren aufschreiben. Ob sie dabei erfährt, woher die Narbe stammt, um die sich so viele widersprüchliche Geschichten ranken? In Berlin wird es für Gretchen definitiv nicht langweilig. Der hinreißende Verlobte ihrer besten Freundin Henni, Fred George, möchte ein Künstlerkollektiv gründen, Gretchen schnuppert dabei ein wenig aufregende Künstlerluft und auch sonst ist in der Metropole einiges los…

Autorin Joan Weng schreibt sehr direkt aus Gretchens Sicht und lässt ungefiltert an den Gedanken ihrer Hauptfigur teilhaben. Sprecherin Christina Puciata gibt Gretchen und ihrer Geschichte eine Stimme. Sie betont treffend, liest angenehm und steckt mit ihrer Begeisterung an. Ich habe ihren Vortrag durchaus genossen.

Gretchen ist eine sehr interessante Protagonistin, einerseits herrlich naiv, andererseits weiß sie aber durchaus, was sie will, außerdem ist sie ziemlich gebildet. Ihre Sicht auf die Dinge, ihre Beschreibungen von anderen Figuren sind äußerst unterhaltsam und spritzig. Ich mochte Gretchen, die sich selbst als unscheinbar bezeichnet, sofort. Sie entwickelt sich im Laufe der Handlung weiter, gewinnt im Umgang mit anderen zunehmend an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Viele der Figuren erfüllen zunächst so manche Klischees, da ist Fred, der Künstler durch und durch mit große Idealen, die einfallsreiche Pensionswirtin Fräulein Notter, Henni, die vom Ruhm träumt, oder der unnahbare Kulturjournalist Erik Faber. Manch eine Person wartet aber mit einer unvorhergesehenen Wandlung auf.

„Die Damen vom Pariser Platz“ hat keine sehr spannende Handlung, viel passiert nicht. Aber das Hörbuch „versprüht“ eine ganz besondere Atmosphäre. Beim Hören fühlte ich mich fast mittendrin im extravaganten, vielschichtigen Berlin der 20er, in dem sich nicht alles als so schillernd und bedeutend entpuppt wie es nach außen dargestellt wird, in dem Schein nicht immer Sein ist. Berlin aus dem Blickwinkel der Protagonistin Gretchen, die aus der Provinz kommt und die die Stadt und ihre Bewohner nach und nach immer klarer durchschaut, mitzuerleben, hat mir großen Spaß gemacht. Das Ganze wirkt mitunter wie ein nicht immer ganz ernst zu nehmendes Theaterstück, bunt, oft schrill, hintergründig und immer wieder ziemlich überraschend. Ich habe gerne zugehört und empfehle das Hörbuch allen, die „gemächliche“ historische Romane mit Atmosphäre mögen, gerne weiter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.08.2021

Prall gefüllte, bunte Dino-Enzyklopädie

Der Ravensburger Dinosaurier-Atlas - eine Zeitreise zu den Urzeitechsen
0

Kaum eine Tierart motiviert und fasziniert Kinder so sehr wie Dinosaurier. „Der Ravensburger Dinosaurier-Atlas“ befasst sich ausführlich mit diesen besonderen Lebewesen.
Das Buch beginnt mit einer Einführung: ...

Kaum eine Tierart motiviert und fasziniert Kinder so sehr wie Dinosaurier. „Der Ravensburger Dinosaurier-Atlas“ befasst sich ausführlich mit diesen besonderen Lebewesen.
Das Buch beginnt mit einer Einführung: In welchem Zeitalter haben Dinosaurier gelebt? Wo wurden sie entdeckt? Wie entwickelten und veränderten sie sich? Anschließend wird auf ihr „plötzliches Ende“ eingegangen.
Die folgenden Seiten widmen sich den Dinosauriern, die in Nordamerika lebten und gefunden wurden, einzelne Arten werden hier vorgestellt. Anschließend geht es nach Südamerika und Europa, wo viele Meeresreptilien heimisch waren. Auch Asien hatte spezielle Dinoarten zu bieten, wie das Buch anschaulich zeigt, z.B. einige gefiederte Dinos. Im Kapitel „Afrika“ konzentriert sich der Atlas u.a. auf die „Sauropodomorphe“, die Vorfahren der Sauropoden. Den Abschluss bilden die Tiere der Antarktis und Australiens. Auf der letzten Seite finden sich Worterklärungen von Fachausdrücken wie „Binokulares Sehen“ oder „Theropoden“.

Die kurzen Sachtexte zu den verschiedenen Unterthemen sind gut verständlich und kindgemäß in einfachen Sätzen formuliert. Einzelne Dinosaurierarten werden in knappen, übersichtlichen Steckbriefen mit wichtigen Informationen wie Nahrung oder Größe vorgestellt.
Alle Seiten haben kleinere Entdeckerklappen oder lassen sich im Ganzen noch einmal aufklappen. Die Klappen bestehen aus recht dünner Pappe, die leicht einreißt. Es gibt graphische Darstellungen wie Zeitleisten oder einen Querschnitt der Erde, aber auch Fotos, zum Beispiel von Skeletten oder Dinoforschern bei der Arbeit. Die Illustrationen der Dinosaurier und Menschen sind auf sehr individuelle, spezielle Art gestaltet: in gedeckteren, nicht grellbunten Farben, ziemlich kantig und klar strukturiert.
Kinder ab sieben Jahren haben garantiert Spaß am Schmökern in diesem Buch, wenn sie auch noch nicht alle Sachinformationen vollständig begreifen werden.

Dank dieser Enzyklopädie wird jeder kleine und große Dinosaurierexperte noch etwas dazulernen. Hier steckt wahnsinnig viel Wissen drin, das sich auf einmal alles gar nicht erfassen lässt. Bei jedem Lesen entdeckt man sicher noch etwas Neues: Wie geht eine Ausgrabung genau vor sich? Wie entsteht ein Fossil? War der Balaur Pflanzen- oder Fleischfresser? Welche Dinos sind lebend gebärend ? Und was kaufte ein Bauer um 1875, nachdem er das erste vollständige Urzeit-Vogel-Skelett gefunden und veräußert hat?
Angesichts der gigantischen Menge an Wissen geht für mich mitunter ein wenig die Übersichtlichkeit verloren. Manche Seiten wirken fast ein wenig überladen, auf den ersten Blick gar recht unsystematisch. Die Gliederung des Buchs war für mich nicht immer klar nachvollziehbar. Die Leser müssen sich definitiv erst „einlesen“ und sich an die vielfältige, individuelle Gestaltung gewöhnen.
Dennoch ein mit Wissen und zahlreichen Informationen prallgefüllter, abwechslungsreicher, hochinteressanter, anspruchsvoller, bunter Dino-Atlas, der inhaltlich keine Wünsche offen lässt. Für echte Dinofans ein Muss.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.07.2021

Einfühlsam erzählte, intensive Geschichte zweier Schwestern, die nahegeht

So wie du mich kennst
0

„Warum reden wir den ganzen Tag und erzählen uns doch so wenig?“

Während Fotografin Marie nach ihrer Hochzeit mit dem Amerikaner Adam nach Amerika geht, bleibt ihre ältere Schwester Karla in ihrer Heimat ...

„Warum reden wir den ganzen Tag und erzählen uns doch so wenig?“

Während Fotografin Marie nach ihrer Hochzeit mit dem Amerikaner Adam nach Amerika geht, bleibt ihre ältere Schwester Karla in ihrer Heimat Unterfranken wohnen, wo sie als Lokaljournalistin arbeitet. Nun ist Marie tot, sie wurde in New York auf der Straße von einem Auto überfahren und Karla, die stets ganz eng mit ihrer Schwester verbunden war, fährt nach New York, um Maries Appartement auszuräumen. Dabei lernt sie eine ganz andere Seite von Marie kennen.

Anika Landsteiner schreibt klar und gut verständlich in der ersten Person Singular.
Sie schildert die aktuellen Geschehnisse aus der Sicht Karlas und erzählt zudem in Rückblenden aus der Perspektive Maries von deren Leben in New York, ebenfalls in Ich-Form.

Schnell wird deutlich, wie intensiv und eng die Beziehung der beiden Schwestern war. Als Kind formulierte Karla es so: „Ich bin nicht ich ohne dich.“ Heute denkt sie: „Ich vermisste meine Schwester. Es gab keinen Moment, in dem ich es nicht tat, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Zeit das jemals entzerren würde.“
Anfangs charakterisiert Karla ihre Schwester als stur, spontan und großzügig. Wie sie von ihrer Schwester spricht, wie sie sie verteidigt, zeigt deutlich, wie sehr sie sie liebte. Maries Leidenschaft für ihren Job bringt Karla beispielsweise wunderbar auf den Punkt „Sie hatte immer ein Warum für ihre Fotos gehabt.“
Auch Marie empfand tiefe Zuneigung für ihre Schwester Karla, nennt sie furchtlos, verständnisvoll, bedingungslos liebend. Sie „trägt ihr Herz nicht auf der Zunge“ und „geht mit anderen liebevoller um als mit sich selbst“. Weil beide eine so hohe Meinung von der anderen haben, empfindet man das als Leserin zwangsläufig genauso, ich konnte beide Schwestern im Laufe der Geschichte immer besser verstehen. Es wird im Roman nicht nur offensichtlich, wie sich die Schwestern gegenseitig sehen, sondern auch wie sie sich selbst sehen. Nicht immer stimmen dabei die Wahrnehmungen überein. Beide Schwestern entwickeln sich während der Handlung weiter, Karla erfährt Geheimnisse von ihrer Schwester, die ihre Sicht auf sie ändert und lernt dabei auch viel über sich selbst und ihre eigenenBeziehungen. Marie wird durch ihr Leben in Amerika stark geprägt.
Die Charaktere und Persönlichkeit der beiden Figuren werden immer „tiefer“ und umfassender dargestellt, am Ende ergibt sich ein sehr komplexes, dynamisches Bild der Protagonisten. Mich beeindruckt, wie intensiv die Autorin ihre interessanten Figuren ausgestaltet.

„Warum reden wir den ganzen Tag und erzählen uns doch so wenig?“ Maries Tod lässt einige erschütternde Wahrheiten klar werden, die nie erzählt wurden, es aber unbedingt hätten werden sollen. Die Marie, die Karla während ihres Aufenthalts in New York kennenlernt, ist so vertraut und doch so unbekannt.
Als Leserin dabei zu sein, wie sich Karlas Bild von ihrer Schwester Marie verändert, wie es immer klarer und schärfer wird, zu lesen, wie Karla hilflos mit ihrem schrecklichen Verlust umzugehen versucht, zu spüren, wie sehr die Schwestern einander brauchen, das bewegt, berührt, macht traurig. Vor allem Maries erschütternde Geheimnisse gingen mir extrem nahe. Wenn Maries Vater gesteht „Marie war sehr früh überall. Mama und ich, wir wollten sie nie zurückhalten. Aber ich wünschte, ich wäre ein größerer Teil von ihrer Welt gewesen.“, kann das wohl niemanden kalt lassen.
Mir hat die sensibel erzählte Geschichte der beiden Schwestern trotz einiger Längen am Anfang sehr imponiert und ich kann sie jedem, der gerne Familiengeschichten liest, nur empfehlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere