Machtmissbrauch
"Ich muss dir etwas sagen." Immer wieder hat Cléo diesen Satz gedacht und ihn doch nie ausgesprochen. Ein Geständnis für das sie nach fast 40 Jahren endlich bereit zu sein scheint. Ein Geständnis, das ...
"Ich muss dir etwas sagen." Immer wieder hat Cléo diesen Satz gedacht und ihn doch nie ausgesprochen. Ein Geständnis für das sie nach fast 40 Jahren endlich bereit zu sein scheint. Ein Geständnis, das auch so viele andere Frauen betrifft. Frauen, die einmal Mädchen waren, mit einem Traum vom Erfolg.
Alles beginnt mit einem solchen Mädchen, Cléo gerade 12 Jahre alt, entdeckt das Tanzen für sich, den Jazztanz, bei dem sie frei sein kann und sich gut fühlt. Sie wird entdeckt, von einer schönen und eleganten Frau, die ihren Traum von der erfolgreichen Tänzerin befeuert, die ihr von einer Stiftung erzählt. Natürlich kann Cléo nicht anders, sie ist begeistert und will sich Cathy und der Stiftung gegenüber beweisen. Was dann folgt war unglaublich hart zu lesen, so intensiv schildert Lola Lafon das Geschehene. Sie schreibt von Machtmissbrauch alter reicher Männer, die sich am Anblick der kleinen Mädchen aufgeilen, sie dazu aufforden "ihre Reife zu beweisen" und dabei weit über das Anschauen hinaus gehen. Lafon betitelt nichts direkt, was das Geschehene noch eindrücklicher werden lässt, da man die Zweifel und die Schan, die Verunsicherung Cléos am eigenen Leib zu spüren meint. Man erlebt mit, wie sie sich an die Hoffnung klammert, irgendwann "reif genug" zu sein, sieht, wie sie selbst zur Komplizin wird und andere Mädchen dazu verdammt, das gleiche zu erleben.
Dann kommt ein Bruch, Cléo wird älter, es kommen andere Akteure ins Spiel. Hier verliert mich Lafon ein klein wenig, der Roman verzweigt sich in Nebenwegen, die zwar durchaus interessant sind, mich aber nicht ganz so sehr begeistern konnten. Es geht um Judentum, um Religion, um Zugehörigkeit aber auch um Hass und Ausgrenzung. Und natürlich steht hinter allem die Scham und Schuld, die Cléo empfindet, Geheimnisse die sie seit ihrer Kindheit mit sich herum trägt. Doch schon beim Lesen merkt man, diese anderen Themen bleiben eher an der Oberfläche, sie können aufgrund des Romanumfangs nicht auserzählt werden und bleiben so eher Randfiguren, die Spieler im Hintergrund, die kaum einer sieht.
Dennoch kann ich am Ende sagen, dass Lafon mit "Komplizinnen" ein intensiver Roman gelungen ist. Sowohl Sprache als auch Stil haben mich vom ersten Moment an für sich eingenommen und auch wenn der Mittelteil ein wenig schwächer war, schließt Lafon am Ende den Kreis, die kleine unerfahrene Cléo wird zur Frau, die auf die Vergangenheit blickt und sich öffnet. Wer sich für die angesprochenen Themen interessiert und nicht vor den sehr eindringlichen Schilderungen am Anfang zurück schreckt, dem sei dieser Roman wärmstens empfohlen.