Ein einsamer Held inmitten einer Horror-Zukunftsvision
MICKY COLAZuallererst - sollten Sie bereits Bücher von Gerhard Loibelsberger kennen - vergessen Sie alles zuvor von ihm Gelesene, das rät der Autor selbst. „Micky Cola“ hat mit seinen Alt-Wien-Krimis nichts gemeinsam.
Mein ...
Zuallererst - sollten Sie bereits Bücher von Gerhard Loibelsberger kennen - vergessen Sie alles zuvor von ihm Gelesene, das rät der Autor selbst. „Micky Cola“ hat mit seinen Alt-Wien-Krimis nichts gemeinsam.
Mein erster Eindruck: Ich hatte schon lange kein so edles Buch in Händen. Mit exzellenten Zeichnungen, die die eigenen Vorstellungen, die man aufgrund des Textes von dieser apokalyptischen Vision hat, ausgezeichnet verstärken. Aber am meisten unter die Haut gingen mir die Songs, die die geschilderten Ereignisse anschaulich untermalen. Diese sphärische Musik und der Sprechgesang, die verschiedenen Rhythmen, mal Blues, mal Marsch, je nachdem welche Stimmung sie ausdrücken sollen, versetzen unwahrscheinlich gut in diese Welt. Die Texte zu den Songs verfasste der Autor übrigens ebenfalls, auch die männliche Gesangsstimme stammt von ihm.
Ich wusste, dieses Buch stellt eine Herausforderung für mich dar, denn mir war klar, es ist eine Dystopie, also keine optimistische, heile Welt vorgaukelnde Zukunftsvision. Nun, es ist tatsächlich bei weitem kein Wohlfühlbuch – es ist teils deprimierend, schaurig, grausig, kann mit so manchem Thriller konkurrieren, was Blutvergießen und brutale Morde anbelangt.
Die Quintessenz liegt jedoch in den Ansätzen, die durchaus bereits heutzutage erkennbar sind, die betroffen machen und zum Nachdenken anregen, allen voran über den Raubbau an der Erde, über den Klimawandel, all die Folgen, die sich tagtäglich ereignen, wie Überschwemmungen, Starkregen, Wirbelstürme, Waldbrände, das Schmelzen der Pole, zu hoher C0²-Ausstoss, ein erkaltender Golfstrom, die Vergrößerung des Ozonlochs, aber auch Gentechnik und eine Art technische Hörigkeit.
Und doch, da ist Micky Cola, der Individualist, der Außenseiter, auch ein wenig ein Auserwählter, ein einsamer Held, der allen Gefahren und Widrigkeiten strotzt, um eine Veränderung zu bewirken. Ob es ihm letztlich gelungen ist, die Welt zu verbessern, das Leben für die Menschheit lebenswerter zu gestalten, bleibt offen. Micky Cola als Charakter empfand ich als etwas zwiespältig. Er ist kein strahlender Held, kein uneingeschränkt sympathischer Mann. Zwar ist er ein friedfertiger, guter, ein besonderer Mensch, ein Einzelgänger, musisch begabt, intelligent, mental und physisch stark, ein Kämpfer mit besten Absichten, doch dass er – wenn auch mit einem hehren Ziel und im Zuge seines Kampfes dazu gezwungen - seinen Auftrag letztens nur durch massives Morden erreichen kann, gefiel mir nicht so.
Der Schreibstil, diese Mixtur aus Deutsch, Englisch und Französisch, könnte trotz des vorhandenen Glossars für sprachunkundige Leser mühsam sein, denke ich. Für mich vermittelte dieses Sprachenwirrwarr perfekt das geschilderte Konglomerat von menschlichen und künstlichen Wesen, den scheinbaren Einheitsbrei, diese Masse, wo es offensichtlich nicht nur keine Nationalitäten mehr gibt, sondern auch keine Rassen, keine Völker, wo jedes seine eigene Sprache hat. Es gibt keine Eigenständigkeit mehr, die Wesen sind manipuliert, total gläserne Kreaturen. Individualität, auch selbstständiger Wissenserwerb, ist verpönt, wird verfolgt, kann nur im Untergrund existieren. Dort lebt auch Micky Cola als Musiker.
Phantasievolle, nicht unbedingt bösartige, aber wenig empathische Wesen bevölkern die Erde, künstlich erschaffen, manipuliert. Daneben gibt es nach wie vor einige wenige Mächtige. Einige wenige Privilegierte. Und nur für die scheint im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne, für sie gibt es auch noch variantenreiche Nahrung. Für alle anderen ist die Welt finster, ewig bewölkt, mit tristem Dauerregen, und es gibt für sie nur fast food ähnliche Einheitskost. Oberflächlich gesehen geht es allen gut, Armut scheint es nicht zu geben, doch sie dämmern so vor sich hin, eingelullt berieselt von realitätsfernen Vorspiegelungen, die menschlichen Wesen existieren lediglich in einer digitalen Traumwelt.
Ich bin nun kein Fan von Dystopien geworden. Ich lese grundsätzlich nicht gerne Deprimierendes, Düsteres oder Trauriges. Dennoch hat mich dieses Buch in seiner Gesamtheit, mit seiner Aussage und in der Ausführung sehr beeindruckt. Man sollte stets offen sein für Neues und innovativ ist dieses Buch in seiner Kombination von Text, Musik und Illustration auf jeden Fall. Zudem ist die Thematik, dass man sich Gedanken machen sollte, wohin die Bevölkerung der Erde steuert, hochaktuell. In diesem Sinne würde ich empfehlen, sich einmal aus der eigenen Lese-Komfortzone herauszuwagen und sich in dieses Leseabenteuer zu stürzen.